Brunchgeschichten: Nieder mit den Reviews!
Warum ist es soweit gekommen, dass wir ein Restaurant nicht mehr besuchen, nur weil eine unbekannte Person im Internet in ihrer Bewertung behauptet, die Spaghetti seien verkocht gewesen? Passend zur Sommerferienzeit sinniert Seraina Manser über die unangemessene Macht von Reviews.
«Wir konnten gut Wasser sparen, da selten etwas beim Duschen aus der Leitung kam. In der Nacht hört man nichts, ausser die Ratten auf dem Dach» – diese Bewertung, die sich in diesem Stil über mehrere Zeilen erstreckte, hat uns fast davon abgehalten, ein Ferienhaus zu buchen. Zum Glück haben wir die Bewertung von Regina K. ignoriert. Die Bleibe war ein Traum. Ratten haben wir keine gesehen.
Weshalb lassen wir uns bei der Auswahl von Restaurants, Unterkünften und Bars immer mehr von Sternen und Bewertungen leiten, die wildfremde Leute verfasst haben, die gerade einen schlechten Tag hatten? Warum schenke ich der Bewertung von Regina, die sich über eine kaputte Poolpumpe aufregt, so viel Beachtung? Wieso besuche ich das Restaurant, das in echt einen sehr sympathischen Eindruck macht, nicht, nur weil ein gewisser Peter M. behauptet, er habe damals vor fünf Jahren ungefragt eine Suppe serviert bekommen?
Es ist das Jahr 2022 und jedes Etablissement, das etwas auf sich hält, ob Strandbar, Frittenbude oder Kosmetikstudio, hat einen Eintrag auf Google oder Tripadvisor. Und wer nicht mindestens 4.5 Sterne hat, muss befürchten, nicht mehr besucht oder gebucht zu werden. Ist jedoch ein Lokal mit fünf Sternen bewertet, ist es bestimmt Fake und die Bewertungen sind alle gekauft. Ich habe keine Lust mehr, meine Ferien von Bewertungen dirigieren zu lassen, ab sofort verbringe ich diese wieder so, wie damals, als ich im Ausland noch keine mobilen Daten hatte.
Auf Google findest du Fotos vom Essen, vom Interieur und von der Speisekarte. Sitzt du dann am Tisch, kommt dir alles schon bekannt vor – du weisst schon, in welchem Teller die Spaghetti Vongole serviert werden und dass der Kellner gerne scherzt. So gibt es kaum mehr Überraschungen – ob positive oder negative. Das ist schade. Hast du dich erstmal gegen die Konsultation von Bewertungen entschieden, bist du (wieder) spontaner unterwegs: Du schlenderst durch eine Gasse und entdeckst eine Perle, die noch gar nicht auf Google Maps ist. Oder aber das Essen schmeckt dir hervorragend, obwohl die Review von Jessica etwas anderes behauptet.
«Auch ich werde nicht gerne verarscht und ausgenommen»
Seraina Manser
Natürlich finde ich es schwierig, in einer fremden Stadt nicht eine Touristenfalle zu tappen oder zu viel Geld für eine munzige, versalzene Portion Orecchiette auszugeben. Auch ich werde nicht gerne verarscht und ausgenommen. Aber es gibt auch andere Möglichkeiten, gute Lokale zu finden. Die App «Osterie d’Italia» und das gleichnamige Buch, herausgegeben von Slow Food, versammelt beispielsweise die besten Gasthäuser in ganz Italien. Man kann von Instagram halten, was man will, aber ich habe da schon manch guten Tipp bekommen. Die Vermieter:innen sind zudem auch oft willig, ihre Geheimtipps preiszugeben – oder du vertraust ganz einfach auf deine Augen und Geschmacksorgane. In diesem Sinne: nieder mit den Reviews, ein Hoch auf die spontanen Ferien.