Brunchgeschichte: Zwei Coaches wollen Frauen helfen ihre «Problemzonen in den Griff zu kriegen» – weshalb das nicht ok ist - Tsüri.ch #MirSindTsüri
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Von Ladina Cavelti

Projektleiterin Civic Media

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20. März 2022 um 06:00

Brunchgeschichte: Zwei Coaches wollen Frauen helfen ihre «Problemzonen in den Griff zu kriegen» – weshalb das nicht ok ist

Dass Schöheitsideale sich schädlich auf die Psyche von praktisch allen Menschen auswirken und ausserdem diskriminierende Folgen haben, ist nicht unbekannt. Diese Kolumne befasst sich mit der Frage, wer davon profitiert.

Illustration: Zana Selimi

Ich war mal wieder auf bestem Weg in die finsteren Tiefen von YouTube abzurutschen und meinen Schlaf für schlaue und weniger schlaue Videos zu opfern, als ich einer Werbung des Grauens begegnete. Auf dem Bildschirm lachten mich zwei durchtrainierte Männer um die schätzungsweise 30 Jahren an. Der eine steht dabei vor einem Whiteboard auf welchem viele Frauennamen und Zahlen stehen, der andere befragt diesen dazu. Der Dialog läuft in etwa wie folgt ab: «Hey Markus, wie viel hat Susan in den letzten drei Monaten abgenommen?» Markus erwidert: «11 Kilo!» «Und wie viel hat Marianne abgenommen?» «13 Kilo!» So geht es weiter, bis die Liste abgearbeitet wurden und in dessen Anschluss sie mir irgendwas von ihrem unschlagbaren Coaching erzählen, bei welchem «alle Frauen ihre Problemzonen loswerden und ihre Traumfigur erreichen».

Ich bin hässig, kann jedoch wie bei einem Unfall einfach nicht wegschauen. Auf dem YouTube-Profil entdecke ich weitere Videos, bei denen sich mein Puls leider keineswegs beruhigt. Zum Beispiel zeigt der eine Coach in einem Video, wie Frauen bereits «mit kleinen Übungen während dem Putzen oder Kochen» die ersten Kilos Purzeln lassen können. Pardon?!

Versteht mich nicht falsch, jede:r darf abnehmen oder zunehmen wollen, jede:r darf seinen:ihren Körper verändern wie er:sie will und auch an Programmen teilnehmen, die einem dabei helfen, Anti-Aging Produkte verwenden, sich schminken, Haare weg lasern lassen oder auch sich einer Haartransplantation unterziehen und so weiter – die Liste ist lang. Ich störe mich jedoch sehr daran, wenn durchtrainierte Männer, Frauen «helfen» wollen, schlank und somit gesellschaftlich akzeptiert zu werden, dabei patriarchale Ansichten vertreten und unverhältnismässig hohe Preise für dieses Coaching verlangen.

Es ist problematisch, wenn sie uns weismachen wollen, dass der Wert einer Frau von der Zahl auf der Waage abhängig ist und somit mit den Unsicherheiten von Frauen, die auf unrealistischen westlichen Schönheitsidealen basieren, spielen und ihnen anschliessend erklären, dass sie die Lösung für das Problem haben. Aber natürlich nur für mehrere 1000 Franken.   

Unsere Schönheitsideale sind extrem und vor allem extrem schädlich, diskriminierend und am Ende des Tages einfach nur eine riesige Geldmacherei.

Ladina Cavelti

Dass diese Werbung gleichzeitig mit den ersten warmen Sonnenstrahlen aufgeschaltet wird, ist kein Zufall. Schliesslich muss schon bald der Sommer-Body am Fleischbalken an der Letten präsentiert werden. Auch im 32er-Bus ins Büro oder auf Instagram begegne ich vergleichbaren Werbungen öfters, als mir lieb ist.

Die beschriebene YouTube-Werbung bezieht sich nur auf Frauen. Betroffen von den unrealistischen westlichen Schönheitsidealen sind aber natürlich alle Geschlechter. Dass jedoch mehrere Faktoren hineinspielen und verstärkend wirken können, sollte man sich bewusst sein. Diskriminierende Erlebnisse, seien es systematische oder ausgehend von Einzelpersonen, weil man zu wenig diesen Idealen entspricht, erfahren lange nicht alle. Deswegen ist auch hier ein Privilegien-Check unbedingt notwendig.

Schönheitsstandards verändern sich mit der Zeit und manch eine:r würde das Argument vorbringen, dass Schönheitsideale zu einem gewissen Grad auch einen biologischen Ursprung haben. Gute Gene und sowas. Nichtsdestotrotz sind unsere jetzigen Schönheitsideale extrem und vor allem extrem schädlich, diskriminierend und am Ende des Tages einfach nur eine riesige Geldmaschine.

Momentan läuft es auf dasselbe Phänomen hinaus, welches auch in der Klimakrise zu beobachten ist: Greenwashing aber in Beauty.

Ladina Cavelti

Markus und Stefan von der YouTube-Werbung sind dabei nur die kleinen Fische im Teich. Die grossen Haie schwimmen in Form der Fashion-Industrie und Beauty-Konzernen daher. Solange diese riesigen Unternehmen Millionen mit den Unsicherheiten von Sterblichen machen, wird sich nachhaltig wohl nichts am Geschäftsmodell ändern. Gerade auch deshalb, weil dieselben Unternehmen auch verantwortlich sind für diese Schönheitsstandards. Es ist natürlich praktisch, Profit zu schlagen, indem nicht nur die Lösung, sondern gleich auch das Problem geschaffen wird.

Es wird zum Glück ab und an Kritik an diesen Unternehmen geäussert und immer wieder findet ein gesellschaftlicher Diskurs über Schönheitsideale und die Maschinerie dahinter statt. Ändern tut sich aber wenig. Bis jetzt läuft es bis auf eine handvoll an Ausnahmen nämlich wieder auf dasselbe Phänomen hinaus, wie es auch in der Klimakrise zu beobachten ist. Unternehmen schreiben sich «Body-Positivity» auf die Fahne, stellen anstatt XS-Models auch mal ein S-Model vor die Linse und schützen sich so vor Kritik. Schlussendlich also nichts weiteres als eine Marketing-Strategie: Greenwashing aber in Beauty.


Brunchgeschichten

Tsüri.ch startet eine neue Kolumne! Dieses Mal direkt aus dem Büro an der Glasmalergasse zu dir nach Hause an den Frühstückstisch. Ab jetzt liefern dir Simon, Elio, Ladina, Alice, Isa, Nico, Steffen, Seraina, Rahel, Jonas, Sofie und Emilio jeden Sonntag abwechselnd eine Geschichte aus deiner Lieblingsstadt, die sich bestens beim gemütlichen Sonntagsbrunch besprechen lässt – sollten euch dabei mal die Themen ausgehen.



1. Warum ich abhaue, ohne Tschüss zu sagen

2. Weshalb zu einer Stadt Lärm gehört

3. Warum Tattoos keinen Sinn machen müssen

4. Warum wir seltener in den Club gehen sollten

5. Warum ich meinen Geburtstag so mag

6. Weshalb wir alles andere als wild sind

7. Warum wir öfters Langweiler:innen sein sollten

8. Weshalb ich nicht in meiner Bubble bleiben will

9. Warum eigentlich Berlin?

10. Warum ich keine Flohmis mag

11. Weshalb wir über unsere Körper sprechen sollten

12. Warum ich wieder mehr Ankerbier statt Naturwein trinken will oder «Auch ich werde älter!»

13. Warum ich fast immer zu Fuss gehe

14. Warum ich mein Sternzeichen nicht kenne

15. Weshalb der Dezember ohne Weihnachten nur ein zweiter Januar wäre

16. Mit der Deutschen Bahn von Zürich nach Berlin – ein 12-stündiges Abenteuer

17. Wieso ich Brunch blöd finde

18. NZZ & FDP gegen den Rest

19. Fomo? Jomo!

20. Endlich eine Bachelorette

21. Warum ich mich am Hobby meiner Freund:innen störe

22. Der Konsumkritik zum Trotz oder weshalb ich Geschenke mag

23. Wieso Langlaufen mehr als nur ein Boomer-Sport ist

24. Der brennende Tannenbaum auf dem Bullingerplatz – und was ich (nicht) damit zu tun habe

25. Warum Sex für viele Zürcher:innen ein Tabuthema bleibt

26. Warum ich die «Generation Z» bewundere

27. Warum ich nicht (nur) im Jetzt leben will

28. Warum ich trotz Massnahmenlockerungen Spielverderber bin

29. Weshalb männliche E-Mountainbiker toxisch sind

30. Oh Hardbrücke, du schönste unter den hässlichsten Brücken!

31. Weshalb Aufbruch auch schmerzvoll sein kann



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