Brunchgeschichten: Stell dir vor es ist EM – und keine:r geht hin
Ladina interessiert sich kaum für Profisport. Zu der Fussball-EM der Frauen macht sie sich aktuell trotzdem ein paar Gedanken.
Am Mittwoch wurde die Fussball-EM angepfiffen. Das Gastland England gewann das Auftaktspiel 1:0 gegen Österreich. Wahrscheinlich weisst du, dass ich von der Europameisterschaft der Frauen spreche. Denn dieses Jahr erhält die Fussball-EM der Frauen so viel Aufmerksamkeit wie wahrscheinlich noch nie. Auf jeden Fall nehme ich das so wahr. Die Gründe dafür erkläre ich mir einerseits damit, dass viel Druck von Vereinen und Einzelpersonen ausgeübt wurde, wie zum Beispiel von der Gruppe @em22_grossmachen, welche unter anderem in Bern 100 Gastrobetriebe angefragt haben ob sie die Fussballspiele übertragen – Bilanz 15 machen mit. Andererseits gehört die Gleichstellung der Geschlechter ja schliesslich gerade zum guten Ton. Trotzdem sind wir noch Meilen entfernt von der Sichtbarkeit und Anerkennung, welche die Männer-EM jeweils generiert.
Dies erkannte ich auch an einigen Reaktionen aus meinem Umfeld, als ich erzählte, dass wir in unserer Sommerbar «Bar Tsurigo» die Spiele der EM übertragen: «Hä EM? Ist dieses Jahr nicht WM in Qatar?» oder: «EM war doch letztes Jahr?» Und fairerweise ist hier zu sagen, dass meine Reaktion bis vor ein paar Wochen nicht anders ausgefallen wäre. Dass ich mich dieses Jahr mit der EM beschäftige, hängt tatsächlich vor allem mit der «Bar Tsurigo» zusammen. Wenn man Veranstaltungen plant, kämpft man oft mit vielen Bewilligungen. Die Grosssportanlässe der Männer erhalten solche für die Bespielung des Aussenbereichs und verlängerte Öffnungszeiten seit Jahren ohne Probleme. Die EM der Frauen erhält eine solche Bewilligung dieses Jahr in Zürich zum ersten Mal – und das wurde erst einige Tage vor Anpfiff bekannt.
Ich interessiere mich kaum für Profisport. Von solchen Grossanlässen lasse ich mich trotzdem gerne mitreissen. Für Public-Viewing im Aussenbereich einer Bar, mit Freund:innen und einem kühlen Bier in der Hand kann ich mich durchaus begeistern lassen. Schlussendlich kommt man um diese Anlässe gar nicht wirklich herum. Auf jedem zweiten Balkon hängt eine Landesflagge, Hupkonzerte begleiten die Schlusspfiffe, praktisch jede Bar mit Fernseher zeigt die Spiele, der Fokus der Medien liegt darauf und am Morgen in der ersten Pause auf der Arbeit wird das Spiel vom Vortag diskutiert. Doch stell dir vor: Es ist EM und keine:r geht hin. Bei der EM der Frauen fühlt sich das ein wenig so an. Mir ist noch keine Landesflagge aufgefallen und auch Hupkonzerte werden wohl ausbleiben.
In den letzten Jahren hat sich dennoch einiges getan. Diese Entwicklung erfreut grundsätzlich. Trotzdem ist es Beispielhaft für eine strukturelle Benachteiligung. Der Hauptsponsor des Schweizer Fussballverbands zahlt dem Nationalteam der Frauen zwar nun dieselben Prämien wie den Männern, die Profi-Spielerinnen verdienen bei ihrem Verein jedoch meistens nur zwischen 2000 bis 3000 Franken, während die Männer im Durchschnitt 14’000 Franken verdienen. Somit müssen die Frauen nebst ihrer Profikarriere noch einer anderen Lohnarbeit nachgehen. Und somit wären wir auch beim oft genannten Argument angelangt, wieso der Frauenfussball weniger attraktiv sei als der Männerfussball: «Das Niveau ist halt schon viel tiefer und darum nicht so spannend zum zugucken, weisst du?» Klar gibt es unterschiede im Niveau aufgrund des Körperbaus, die strukturelle Ausgangslage ist aber nicht annähernd dieselbe. Deswegen nervt mich diese Argumentation. Sehr sogar.
Für Public-Viewing im Aussenbereich einer Bar, mit Freund:innen und einem kühlen Bier in der Hand kann ich mich durchaus begeistern lassen.
Ladina Cavelti
Nebst der Arbeit, der neben dem Profifussball nachgegangen werden muss, erhalten die Spielerinnen auch sonst kaum dieselbe Förderung und Ausbildung. Bei den Trainings- und Spieldaten erhalten die Männer ebenfalls den Vorrang. Beginnen tun die Ungleichheiten ja bereits beim Einstieg in den Sport. Fussball wird gesellschaftlich noch immer eher als Sport für Jungs angesehen. Die Sichtbarkeit von Profifussballerinnen als Vorbilder für Mädchen ist mangelhaft. Trainerpositionen sind ebenfalls vor allem von Männern besetzt – geschweige denn Managementpositionen. Die Liste ist lang.
Persönlich schaue ich ein EM-Fussballspiel ohnehin kaum wegen den schönen Spielzügen oder dem schnellen Spiel. Ich lehne mich nun vielleicht weit aus dem Fenster wenn ich behaupte, dass ich damit nicht komplett alleine bin. Bei diesen Grossanlässen geht es wohl vielen gar nicht so sehr um den Fussball selbst. Wenn wir die EM der Frauen also gleich gewichten würden wie die der Männer, wäre jedes Jahr irgendeine WM oder EM, wo es gesellschaftlich absolut akzeptiert wird, wenn du an einem Montag bis zum Rand voll bist, weil das Schweizer Nationalteam Frankreich 5:4 nach der Penalty aus dem Turnier schiesst. Wär doch schön, nicht? Bis es soweit ist dauert es aber wahrscheinlich noch einige Zeit. Schade, aber überraschen tut das wohl niemanden.