Brunchgeschichten: «Will nicht mehr über die Gründe für eine Elternzeit sprechen»
Heute Sonntag stimmt der Kanton Zürich über die Elternzeit-Initiative ab. Eigentlich will unsere Autorin nicht mehr über die Gründe diskutieren, die für eine Elternzeit sprechen. Und doch sinniert sie aus aktuellem Anlass über die Zeit nach den Geburten ihrer Kinder und kommt zum Schluss, dass es weder «cool» noch fortschrittlich ist, wenn Mütter damit prahlen, wie sie 14 Wochen nach der Geburt wieder im Büro aufgetaucht sind – und dass wir grundsätzlich noch viel Arbeit vor uns haben.
Neulich fuhren wir mit Freund:innen und deren Freund:innen inklusive Kinderschar in ein grosses Haus im Tessin. Mit dabei waren unter anderem auch ein alleinerziehender Vater aus Kopenhagen sowie ein Paar aus dem deutschen Bochum mit einjährigen Zwillingen. Währenddem unsere Kinder in der eiskalten Verzasca plantschten begannen wir über jene Themen zu sprechen, worüber Eltern, die sich nicht so gut kennen, halt irgendwann zu sprechen beginnen: «Wieviel bezahlt ihr für eure 4-Zimmer-Wohnung? Ach was, du spielst in einer Band? Wie macht ihr es denn mit der Betreuung der Kleinen, wenn ihr arbeitet?».
Sobald in einer solchen Konversation das Stichwort Kinderbetreuung fällt, landet man unweigerlich beim Thema Gleichstellung und in diesem Fall – weil Gäste aus den diesbezüglich vorbildlichen Ländern Deutschland und Dänemark – bei der Elternzeit. Diese war hierzulande bislang inexistent. Aber das wissen wir ja schon. Überhaupt wissen wir eigentlich bereits sehr viel. Zum Beispiel, dass es schon toll ist, wie deutsche Bekannte über ihre gemeinsame dreijährige Elternzeit berichten. War dies für uns Schweizer:innen bis anhin doch stets nie mehr als eine theoretisch mögliche, aber leider fiktive Lebensform.
Wir wissen, dass es im Gegenzug nicht so toll ist, wenn ebenfalls aus Deutschland stammende Interviewpartner sagen: «Als ich in die Schweiz gezogen bin, haben viele meiner Freund:innen gesagt: ‹Du willst in der Schweiz eine Familie gründen – bist du bescheuert?›».
Und dass es für echte Gleichstellung wichtig ist, dass sich auch der Vater in den ersten Monaten um das Neugeborene kümmern kann. Einerseits, um die Bindung zum Kind zu stärken und auch, um die Mutter zu entlasten. Und überhaupt hilft es am Ende schliesslich beiden, wenn niemand ganz aus dem Beruf aussteigt, um die Betreuung irgendwie zu gewährleisten. Aber wie gesagt, das wissen wir ja schon.
«Sie haben nicht verstanden, dass nicht wir uns diesem doch ziemlich familienunfreundlichen System anpassen müssen, sondern das System es ist, das sich ändern muss.»
Rahel Bains, Redaktionsleiterin Tsüri.ch
Und auch, dass die zwei Wochen Vaterschaftsurlaub, die wir Anfang Jahr nach jahrelangem Hickhack und eingereichten Referenden endlich gesetzlich verankern konnten, eigentlich viel zu wenig sind. Und dass es himmeltraurig ist, wenn sich die Quote jener Väter anschaut, die diesen tatsächlich nutzen. Spoiler: Es sind nicht viele.
Wir – oder zumindest ich weiss, dass es weder «cool» noch fortschrittlich ist, wenn Mütter damit prahlen, wie sie 14 Wochen nach der Geburt wieder im Büro aufgetaucht sind, «so wie die Männer halt». Weil sie nicht verstanden haben, dass nicht wir uns diesem doch ziemlich familienunfreundlichen System anpassen müssen, sondern das System es ist, das sich ändern muss.
Ich weiss, wie es ist, 14 Wochen nach der Geburt wieder zu arbeiten. Definitiv kein gutes Gefühl. Ich weiss auch, wie es ist, bei Kind Nummer zwei «erst» sechs Monate nach der Geburt wieder einzusteigen und dem Arbeitgeber über die Kulanz, ganze drei Monate unbezahlte Ferien erhalten zu haben, in ewiger Dankbarkeit verpflichtet zu sein. Ich weiss, wie es ist, wenn der Kindsvater dafür nach zwei Wochen Auszeit wieder ins Büro muss und man dann mit winzigem Baby im Tragetuch bereits wieder auf dem Spielplatz steht, weil die Grossen schliesslich auch ihre Bedürfnisse haben.
Und weil wir so viel wissen ist klar, dass uns auch nach der heutigen Abstimmung über die SP-Initiative, die vorsieht, dass im Kanton Zürich beide Elternteile Anspruch auf je 18 Wochen bezahlte Elternzeit haben sollen, noch viel Arbeit bevorsteht – egal, wie das Ergebnis ausfällt.
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