Brunchgeschichten: Warum die Bravo kein Bravo bekommt
Ohne die Jugendzeitschrift Bravo wäre Redaktorin Lara Blatter wohl eine andere. Ein Lobgesang? Nein, wohl eher ein Abgesang.
Als Teenie habe ich Magazine wie die Bravo gelesen. Dabei wurde mir gelehrt, wie ich mich beim Schuhebinden zu bücken hatte. Und zwar sexy. Heute trage ich meist Turnschuhe, in welche ich im Stehen reinschlüpfen kann – und bücke mich, ohne mir Gedanken über eine mögliche Performance zu machen.
Kürzlich beim Tischgespräch kam das Thema Bravo auf. Wir fragten uns: Hat sich das Magazin geändert oder gibt es dieses gedruckte Heft überhaupt noch? Der Gang zum Kiosk bestätigte dessen Existenz – aus Nostalgie und zur Feier des Tages gönnte ich mir gleich zwei: Die Bravo Girl und die Bravo.
Wer Bravo sagt, landet im nächsten Satz bei Dr. Sommer. Für all jene, die das Magazin nicht kennen: Dr. Sommer hat unsere Generation aufgeklärt. Wo Schule oder Eltern nicht darüber sprechen wollten, Dr. Sommer war für uns da. Und noch viel spannender in diesem Alter waren die Nacktbilder der Leser:innen. Das Internet gab es natürlich schon, aber als Teenie in den späten Nullerjahren kam es mir doch nicht in den Sinn, Pornos zu schauen. Darum waren die Dr. Sommer-Seiten umso interessanter.
Es gibt sie noch!
Wie früher blätterte ich mich also schnurstracks zu den besagten Dr. Sommer Seiten vor. Ich erfuhr, dass Noah (11) oft an Sex denkt und Matteo (13) sich über eine mögliche Intimrasur Gedanken macht.
Die Sorgen und Unsicherheiten scheinen sich nicht gross geändert zu haben. Leider auch nicht die Ratschläge. Matteo bekommt folgenden Tipp: «Eine Intimrasur bringt auch den Penis und die Hoden viel besser zur Geltung, er wirkt dadurch grösser. Na, überzeugt? :-)» Mir stehen die Haare zu Berge.
In einem Quiz, das mein Wissen über Petting auf die Probe stellt, konnte ich dann etwas durchatmen. Eine richtige Antwort war: Entjungfert sei man erst nach Sex mit Penetration, Petting alleine entjungfere nicht. Aber es wurde betont, dass die strikte Trennung doof sei. Danke, das hätte ich mit dreizehn auch gerne gelesen. Denn Sex geht auch ohne Penetration.
Zum Thema Jungfräulichkeit und dem Mythos «Jungfernhäutchen» empfehle ich euch den Magazin-Text von der Autorin Andrea Arežina. Denn das «Jungfernhäutchen» gibt es nicht, auch wenn viele das immer noch glauben.
Viel Lebensweisheiten, wenig Inhalt
Werfen wir noch einen Blick in die restlichen Seiten. Zwischen gefühlt unendlich vielen Lebensweisheiten, finden sich ebenfalls gefühlt unendlich viele Styling-Tipps.
Erschreckend ist die heteronormative Aufmachung. Mädchen, Jungs, Jungs, Mädchen. Wird ein Junge interviewt, hat sich die Grafikabteilung eine ganz besondere Farbe ausgesucht: Blau. In der Fotostory verliebt sich Mädchen in Junge. Junge betrügt, Mädchen ist fürsorglich, Junge der Retter, Mädchen happy.
Ein Interview mit der Klimaaktivistin Luisa Neubauer war eine erfrischende Abwechslung. Ansonsten hat das Heft wenig Inhalt.
Abnehmen, stylen, flirten, Stars. Ich bin weder Teenie noch Elternteil, was will ich urteilen, was Teenager lesen wollen? Am Ende sind aber all diese Styling- und Lebenstipps manipulativ. Und da spreche ich aus eigener Erfahrung.
Was hat das Heft mit mir gemacht?
Es ist uns nicht von Natur aus gegeben, dass man als Mädchen irgendwann beginnt, Stunden vor dem Spiegel zu verbringen, eine Tonne Make-Up trägt, sich Haarspray in die Haare klatscht, mit sechzehn das Gefühl hat, man trage jetzt High-Heels und das schönste Hobby sowieso Shopping sei.
«Magazine wie die Bravo sind der Ursprung vieler Unsicherheiten.»
Versteht mich nicht falsch. Das alles hat seine Daseinsberechtigung. Ich werfe mich manchmal auch gerne in Schale und fühle mich super, wenn ich mit roten Lippen durchs Quartier flaniere. Das hat ja auch viel mit Selbstliebe zu tun. Aber: Es gibt viele Dinge, die uns als junge Menschen prägten, die sich summierten, und die gemeinsam ein binäres Bild vom Frau-sein und Mann-sein zeichneten – daraus auszubrechen, kostet Jahre.
Magazine wie die Bravo sind der Ursprung vieler Unsicherheiten, die mich mein lang Leben begleiten.
Sozialisiert von der Bravo
Ich bin jetzt um zig Aufklebetattoos und Poster, von Meschen, die ich nicht kenne – ausser Capital Bra – reicher. Und auch wenn auf dem Cover «Chill doch mal!» steht, nein, ich chill nicht. Die Bravo fungiert jetzt hier als Zielscheibe. Aber sie steht doch für so vieles unserer Gesellschaft und ist daher ein dankbarer Sündenbock.
Ich bin nun in meinen späten Zwanzigern und rassle gegen die Dreissig zu. Vieles, das mich Bravo & Co. lehrten, lege ich langsam ab. Es ist Sonntag, ich sitze wahrscheinlich ungeschminkt im Bett, sehe bestimmt nicht so gestylt aus, wie jene Menschen aus der neuesten Fotostory und binde mir die Schnürsenkel wie ich will – oder eben gar nicht.
Was löst die Bravo bei dir aus? Und gibt es andere Magazine für Teenies? Kommentieren erwünscht.
Bevor Lara zum Journalismus kam, hat sie eine Lehre als Innendekorateurin nicht abgeschlossen, die Handelsmittelschule gemacht, in der Gastro gearbeitet und in der Immobilienbranche Luft geschnuppert. Durch ein Praktikum beim Radio Rasa in Schaffhausen fand sie zum Journalismus. Daraufhin folgte ein Kommunikations-Studium an der ZHAW, gefolgt von einem Praktikum bei Tsüri.ch und eines beim Tages-Anzeiger. Seit 2020 schreibt Lara für Tsüri.ch, seit 2023 ist sie in der Geschäftsleitung.
Das mache ich bei Tsüri.ch:
Schauen, dass es allen im Team gut geht, gelegentlich etwas Optimismus verstreuen, recherchieren, schreiben und dich wecken – mit dem täglichen Briefing.
Das mache ich ausserhalb von Tsüri.ch:
Rumstudieren und sinnieren über Politik, die Welt und ihre Bewohner:innen. Das Leben mit meinen Freund:innen geniessen. Zudem lese ich weniger Bücher, als ich gerne würde, und verbringe mehr Zeit online, als mir lieb ist.
Über diese Themen schreibe ich am liebsten:
Über Politik, Kultur, Feminismus. Ja eigentlich über so einiges. Und egal, wie man es dreht oder wendet: Schlussendlich ist immer alles politisch.
Darum bin ich Journalistin:
Es gibt so viele spannende Geschichten, die erzählt werden müssen. Oder auch Dinge, wo wir genauer hinschauen sollten. Ich will Debatten aufzeigen, Sachverhalte verständlich machen und so das Stadtgeschehen in Zürich in Worte fassen und zugänglich machen. Und: Ich schreibe gerne.
Das mag ich an Zürich am meisten:
Ich mag den Helvetiaplatz, den süssen Duft vom Swissmill-Silo, den Bücherladen Paranoia City und die Badenerstrasse bei Sonnenuntergang.