Fahrverbot an der Langstrasse: Ignorieren ist keine Lösung
Seit 2023 gilt auf einem Abschnitt der Langstrasse für Autos ein Fahrverbot. Nur: Konsequent durchgesetzt wird es bis heute nicht. Unser Kolumnist Thomas Hug-Di Lena über das verkehrsplanerische Drama im Kreis 4.
Die autofreie Langstrasse ist Realität – so frohlocken vor rund zwei Jahren viele Medien. Denn endlich schien geschafft, wofür seit Jahrzehnten gekämpft wurde: Das Ende des Durchgangsverkehrs auf der Langstrasse und die Legalisierung der Durchfahrt mit dem Velo. Das langjährige Drama um die Verkehrsführung an der Strasse im Kreis 4 sollte damit ein Ende nehmen.
Ziemlich schnell war aber erkennbar, dass dieses Drama gerade erst seinen Anfang genommen hatte. Während ein Schild zwar auf das Fahrverbot hinwies, änderte sich an der Gestaltung des Strassenraumes nichts.
Und so kam es, wie es kommen musste: Statt zum stadträumlichen Vorzeigeprojekt wurde die Langstrasse zum städtischen Goldesel. In zwei Monaten erfasste eine Kamera rund 27’000 Falschfahrer:innen - und spülte so knapp drei Millionen Franken in die städtischen Kassen.
Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul? Nicht so in Zürich. Eine Lösung musste her, damit die Bussenflut eingedämmt werden konnte. Wer jetzt auf kreative Gestaltung des autofreien Abschnitts gehofft hatte, wurde enttäuscht.
Die effektivste Lösung: Blitzer ausschalten – denn wo nicht hingeschaut wird, gibt es auch keine Busse. Eine Vorgehensweise, die auch andernorts angewendet wird; beispielsweise bei der mangelhaften Tempo-30-Durchsetzung.
Langfristig soll ein grösseres Wechselschild die Lösung bringen. Seit an der Langstrasse nicht mehr geblitzt wird, ist die Durchfahrtssperre höchstens noch symbolisch. Im Minutentakt fahren die Autos in das Fahrverbot. Und auf Google wird man wieder bewusst durch das Fahrverbot gelenkt, was oft ein guter Hinweis dafür ist, dass sich kaum noch jemand daran hält.
Verkehrsplanung der Vergangenheit
Das Langstrassen-Experiment zeigt exemplarisch, wie man es nicht machen sollte. Denn die entscheidende Frage ging vergessen: Wie machen wir das Fahrverbot physisch erlebbar? Und wie kommunizieren wir die neue Regelung verständlich? Verkehrsplanung ist längst mehr als nur eine Ingenieurdisziplin – sie ist auch Kommunikation und Psychologie.
Stattdessen begnügte sich die Stadt mit dem verkehrsplanerischen Minimum: Ein paar Schilder aufstellen und hoffen, dass es funktioniert. Das mag rechtlich ausreichen, verkehrsplanerisch ist es Unsinn. Wer ernsthaft Verkehr lenken will, muss den Strassenraum sprechen lassen. Verengung der Fahrbahn, Pflasterung statt Asphalt, Bäume als natürliche Barrieren – alles auch hierzulande bekannte Rezepte.
«Zürich hätte mit der Langstrasse einen Leuchtturm schaffen können – stattdessen ist ein Mahnmal entstanden.»
Thomas Hug-Di Lena
Die Tausenden Verstösse sind kein Zeichen für böswillige Autofahrer:innen, sondern für schlechte Planung. Wenn täglich hunderte Leute eine Regel übertreten, liegt das Problem beim System, nicht bei den Menschen: Die Infrastruktur kommuniziert nicht, was die Schilder sagen.
Die Verkehrswende auf dem Weg des geringsten Widerstands
Heute wird oft der vermeintlich einfache Weg gewählt. Ein Schild hier, eine Markierung dort. Doch Verkehrsräume umzugestalten bedeutet mehr als das. Es braucht Investitionen, politischen Mut und die Bereitschaft, auch Kritik auszuhalten. Hier sind uns die Städte im Ausland manchmal etwas voraus.
Die geplante Million für die neuen Wechselsignale ist symptomatisch: Statt das Problem an der Wurzel zu packen, wird ein teures Pflaster draufgeklebt. Statt mit Schildern weiterzubasteln, sollten die Verantwortlichen einen Neustart wagen. Und damit den 60-Meter-Abschnitt physisch so umgestalten, dass er intuitiv als Fahrverbot erkennbar wird.
Diese halbherzigen Lösungen diskreditieren ansonsten gute Ansätze. Diese Pfuschereien sind deshalb besonders ärgerlich, weil sie den Gegner:innen solcher Projekte die Karten spielen.
Zürich hätte mit der Langstrasse einen Leuchtturm schaffen können, der die Stärken von befreiten Strassen aufzeigt. Stattdessen ist ein Mahnmal entstanden – doch der letzte Akt dieses Dramas ist noch nicht geschrieben.
PS: Wie würde deine autofreie Langstrasse aussehen? Hier habe ich den heutigen Stand abgelegt – werdet kreativ.
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