Zähe Verkehrswende: Andere Länder, andere Politik

Die Verkehrswende beschäftigt die Schweizer Politik. Trotzdem werden noch Jahre vergehen, bis die Quartiere in Städten wie Zürich von Autos befreit sein werden. Im nahen Ausland scheint das alles viel zügiger vorwärts zu gehen. Deshalb verliert unser Kolumnist und Mobilitätsexperte Thomas Hug auch mal die Geduld – bis er sich daran erinnert, dass auch dort nicht alles Gold ist was glänzt.

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Warum geht es in Städten wie Barcelona schneller als in Zürich? (Foto: Thomas Hug)

Kürzlich bin ich für ein Städtetreffen nach Barcelona gereist. Für Planer:innen ist die katalanische Stadt im Moment die Metropole der Stunde. Aus ganz Europa blicken wir in den Süden des Kontinents, um uns inspirieren zu lassen. Mit gutem Grund: Seit Jahrzehnten treibt Barcelona ein Strassenraum-Konzept voran, das sich wieder mehr den Menschen statt den Autos widmet.

Die Idee existiert bereits seit den 80er-Jahren. Im Grundsatz regelt sie den Verkehr in den Quartieren so, dass kein Durchgangsverkehr mehr möglich ist und die Höchstgeschwindigkeit auf 10 bis 20 Stundenkilometer reduziert wird. So wandeln sich die Strassen von Verkehrsräumen zu Lebensräumen.

Diesen simplen Ansatz verfolgen mittlerweile mehrere europäische Städte: Während die verkehrsberuhigten Inseln in Barcelona «Superblocks» heissen, nennt Berlin sie «Kiezblocks», Wien «Supergrätzl» und London ganz technokratisch «Low Traffic Neighborhoods». So ganz nebenbei: Wie würdest du die Dinger in Zürich nennen? 

«Unsere Politiker:innen sind versucht, möglichst keine Fehler zu begehen und Risiken klein zu halten.»

Thomas Hug

Nun treffen sich in Barcelona also viele Städteplaner:innen, um sich über ihre Superblock-Erfahrungen auszutauschen. Dank einem aktuellen Projekt hatte ich das Glück, ebenfalls zum Treffen eingeladen worden zu sein – und als Superblock-Lehrling kamen mir natürlich viele Fragen.

In der Schweiz bewundern wir oft, wie schnell es in anderen Ländern mit der Umgestaltung des Strassenraums vorwärts geht. Und gleichzeitig ist es frustrierend zu beobachten, wie zäh unsere politischen Prozesse sind. Weshalb geht das bei uns alles so lange?

In Barcelona habe ich von den verschiedenen Stadtvertreter:innen versucht, mehr über die Unterschiede zu erfahren. Dabei ist mir besonders aufgefallen, dass viele Städte, die  ihre Strassenräume erfolgreich umgebaut hatten, auf starken politischen Support angewiesen waren. Ihr Fortschritt basierte auf politischen Entscheidungsträger:innen, die ihre Vision für den Strassenraum der Zukunft auch gegen immense Widerstände zu verteidigen vermochten.

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Ein «Superblock» in Entstehung. (Foto: Thomas Hug)

Und genau hier unterscheidet sich unser System deutlich vom Ausland: Während bei uns ein:e Politiker:in der Exekutive kaum abgewählt wird, ist das Koalitionssystem im Ausland fragiler. Denn dort wird die Regierung mit jedem Wahlzyklus von einer Gruppe von Parteien, die gemeinsam eine Mehrheit im Parlament haben, neu zusammengesetzt. Die Regierung wird also meist nicht direkt von den Bürger:innen bestimmt wie bei uns.

Dementsprechend müssen die Politiker:innen aktiver handeln, damit ihre Parteien wiedergewählt werden. Ruhen sie sich auf ihrem politischen Amt aus, sind sie schnell weg vom Fenster und ihre Mehrheit dahin. Bei uns ist das System hingegen sehr stabil: Unsere direkt gewählten Politiker:innen sind eher versucht, möglichst keine Fehler zu begehen und Risiken klein zu halten – weil sie die Wiederwahl normalerweise auf sicher haben.

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Menschen mit einem Hang zur Ungeduld lässt diese Trägheit manchmal verzweifeln. Angesichts der Klimakrise keine abwegige Konsequenz. Auch ich würde mich zu dieser Gruppe zählen – vieles geht mir in Zürich zu langsam.

Bei aller Kritik am Schweizer System haben sich mir in Barcelona aber auch die Vorteile von etwas langsameren Vorgehen gezeigt: In Brüssel ist es bei der zügigen Umsetzung der Superblocks zu Randalen gekommen, das Mobiliar musste mehrmals ersetzt werden. In Berlin musste die über 100’000 Euro teure Bodenbemalung nach kurzer Zeit wieder entfernt werden, weil die Bevölkerung dagegen protestierte. Und selbst in Barcelona gab es anfangs Proteste gegen die Einführung.

Es gibt also auch gute Gründe dafür, dass wir nicht gleich alles überstürzen. Rechtsmittel und Planauflagen geben der hiesigen Bevölkerung Zeit, sich auf neue Situationen vorzubereiten oder sich demokratisch zu wehren. Mit einem Gerichtsentscheid kann so zwar viel Zeit vergehen, dafür ist die Ausgangslage dann klar – wie kürzlich, als ein Gericht das grundsätzliche Recht auf einen Parkplatz auf öffentlichem Grund verneint hat.

Trotzdem hat sich im Ausland gezeigt: Der Mut engagierter Politiker:innen wird meist mit einer Wiederwahl belohnt. Von New York bis Paris wurde der Wille der Bürgermeister:innen, also der Exekutive, stets mit mehr Stimmen bei den Wahlen honoriert.

Deshalb ein Appell, liebe Stadträt:innen, Gemeinderät:innen, Politikversierte und Mobilitätsinteressierte: Lasst uns den Mut aufbringen und mit der Verkehrswende vorwärts machen! Und wenn der Gegenwind im Anzug ist, spannen wir die Segel aus und nutzen ihn, um weiterzumachen. Überall gibt es Menschen, die eure Ideen unterstützen – vergesst sie auch in Zeiten der Zweifel nicht.

Thomas Hug

Thomas Hug ist Verkehrsplaner und Stadtentwickler bei urbanista.ch und engagiert sich für zukunftsfähige Lebensräume – stets auf der Suche nach dem richtigen Gleichgewicht von Arbeit, Aktivismus und Politik. Als Experte für Verkehrswende und nachhaltige, inklusive Mobilität versucht Thomas eine menschenzentrierte Sicht auf die Mobilität zu fördern. Er ist eher Generalist mit dem Blick auf das Ganze wie Spezialist mit dem Auge fürs Detail.

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