Bäckeranlage: Drogenkonsum verlagert sich ins Wohnquartier
Früher war es Alkohol, heute ist es Crack: Das Quartier um die Bäckeranlage im Kreis 4 gerät zunehmend unter Druck. Während die Polizei verstärkt patrouilliert und besorgte Eltern Alarm schlagen, konsumieren dort Menschen, die durch soziale Auffangnetze fallen.
An der Ecke Stauffacherstrasse/Feldstrasse stehen vier Polizist:innen um einen Mann. 150 Meter weiter, in der Bäckeranlage, sprechen zwei weitere Beamt:innen mit einer Gruppe junger Männer. Auf der Wiese spielen Mitarbeitende der SIP Fussball mit Jugendlichen.
Die Polizei ist so präsent wie schon lange nicht mehr. Mehrmals pro Stunde kreist ein Streifenwagen um die Anlage, zusätzlich wird neuerdings auch zu Fuss patrouilliert.
Die Lage auf und rund um die Parkanlage hat sich erneut verschärft. Nachdem 2023 die zentrale Kontakt- und Anlaufstelle (K&A) im Kreis 4 wegen Bauarbeiten geschlossen wurde, verlagerte sich der Drogenkonsum zunehmend in den öffentlichen Raum. Die Stadt reagierte wenige Monate später mit einer provisorischen K&A auf dem Kasernenareal. Doch eine nachhaltige Entspannung blieb aus.
Bis heute berichten Anwohnende von Unruhen. Eine Frau, die an der Kernstrasse wohnt, sagt: «In den letzten vier Nächten war es extrem laut. Jemand hat geschrien, dann manisch gelacht – vielleicht wegen einer Psychose.» Sie habe die SIP rufen wollen, nachts aber niemanden erreicht. Die Polizei einzuschalten, habe sie sich nicht getraut. «Ich fühlte mich völlig überfordert.»
Früher Heroin, heute Crack
Ein anderer Anwohner ist Martin. Er lebt seit über zehn Jahren mit seiner Familie im Quartier. Sein Kind besucht die Schule Aussersihl, direkt neben der Bäckeranlage. Martin möchte in diesem Text nur mit Vornamen genannt werden.
«Früher spritzten sich hier Menschen Heroin, sie waren meist ruhig. Heute konsumieren sie Crack, das hat die Situation auf der ‹Bäcki› stark verändert», sagt Martin. Die Konsumierenden wirkten oft aufgedreht, nervös, teils aggressiv.
Ein weiteres Problem: Der Drogenkonsum breite sich zunehmend über den Park in das Quartier aus. «Wenn auf der ‹Bäcki› geräumt wird, landen die Abhängigen bei uns in den Innenhöfen oder Seitengassen.»
Eine Sprecherin des Sicherheitsdepartements der Stadt Zürich (SID) bestätigt, dass die Stadtpolizei ihre Präsenz rund um die Bäckeranlage erhöht hat. Auch nachts werde kontrolliert, um die negativen Folgen von offenem Drogenkonsum und aggressiven Vorfällen einzudämmen.
Die Lage bleibe herausfordernd, heisst es auf Anfrage. Im ersten Halbjahr 2025 registrierte die Polizei rund 60 Einsätze im Gebiet, darunter Hilfeleistungen, Fahndungen, Verhaftungen. Dabei wurden etwa 20 Gewaltdelikte registriert und 90 Personen weggewiesen. Die Sprecherin der SID relativiert: «Je mehr Kontrollen stattfinden, desto mehr Fälle ergeben sich.»
Ebenfalls bestätigt die Sprecherin, dass der verstärkte Kontrolldruck dazu führe, dass einige Konsumierende auf Seitenstrassen ausweichen würden. Zwar würde der offene Drogenhandel und -konsum in der Bäckeranlage nicht geduldet, doch es sei schwierig, rechtsgenügende Beweise zu erbringen – insbesondere beim Mikrohandel unter den Konsumierenden.
«Die Verdrängung löst das Problem nicht. Sie verschiebt es», sagt der Anwohner Martin. «Wenn nicht auf der ‹Bäcki› konsumiert wird, dann ein paar hundert Meter weiter.»
Eltern berichten, dass sich Kinder mitunter nicht vom Schulhof trauten, weil unweit davon laute Streitigkeiten ausbrechen. Auch führen die Schulwege der Kinder über öffentliche Strassen und Plätze – Orte, die immer wieder als Drogenumschlagplatz genutzt werden.
Das SID räumt ein, dass vereinzelt Suchtkranke das Schulgelände betreten hätten. Es handle sich jedoch um Einzelfälle.
Als Reaktion hat die Stadt Massnahmen ergriffen, etwa Walk-in-Veranstaltungen, bei denen Anwohner:innen in einem geschützten Rahmen Fragen stellen können. Die nächste findet Ende August statt. Zwar begrüsst Martin das Angebot, doch er vermisst ein tieferes Verständnis für die Situation, denn viele Verantwortliche lebten selbst nicht im Quartier.
Vom französischen Park zum Schauplatz
Wie wurde die Bäckeranlage zu einem Brennpunkt – oder war sie das schon immer? Hannes Lindenmeyer, Stadtgeograf und Anwohner, lebt seit über 50 Jahren hier und hat zwei Bücher über das Quartier geschrieben.
Die «Bäcki» gehöre zu den schönsten Orten des Kreis 4, sagt Lindenmeyer. Einer, mit langer Geschichte. 1901 wurde die Anlage als französischer Park mit strengen Regeln eröffnet. Rennen war verboten, der Rasen gesperrt, die Anlage war der oberen Bevölkerungsschicht vorbehalten. 1938 wurde sie zum englischen Stadtpark umgestaltet. Nun öffnete sich die Anlage auch für das gemeine Volk. Doch schon wenige Jahre später war laut Lindenmeyer in den Zeitungen von «lichtscheuem Gesindel» die Rede. Die Sorge galt damals vor allem dem Alkohol.
«Es gab hier schon immer berauschte Menschen», sagt Lindenmeyer. «Früher waren es Alkoholiker:innen, die sich im Park einrichteten, heute sind es Crack-Konsumierende.» Es sei komplexer, aggressiver. Wegen der Wirkung und des damit verbundenen Handels. Das Dealen fördere eine hektische, immer wieder auch gewalttätige Atmosphäre, mit Schlägereien, lautem Geschrei.
Denn neben dem Konsum sei es der schnelle Zugang zu Geld, der das Klima im Park belaste, sagt der Quartierbewohner Lindenmeyer. In einem Umfeld, in dem Menschen weder arbeiten noch legal Geld verdienen dürften – Lindenmeyer spricht hier die Asylsuchenden an – werde der Deal zur naheliegenden Option.
«Dass die jungen Geflüchteten im Park sind, ist absolut nachvollziehbar», sagt er. «Ihre Unterkünfte in den Asylzentren sind oft trostlos und sie sind Teil des Lebens in der Stadt.» Die Mischung aus Perspektivlosigkeit und offenem Drogenhandel sei toxisch.
Eine neue Härte auf den Strassen
Auch Schwester Ariane beobachtet die Entwicklung mit Sorge. Sie gründete und leitet den Verein Incontro, der sich für Menschen am Rand der Gesellschaft engagiert. Schwester Ariane sagt: «Das ganze Viertel verändert sich. Die Szene wird instabiler, die Atmosphäre rauer und aggressiver», sagt sie. Viele seien obdachlos, konsumierten und dealten direkt im öffentlichen Raum.
Die Drogen hätten sich verändert: «Sie sind härter und stärker geworden. Die Menschen sind oft kaum mehr erreichbar und viel schneller gewaltbereit. Sie sind körperlich und psychisch in sehr schlechtem Zustand.»
Anlaufstelle, aber nur für Einheimische
Im Lokal Primero begegne man allen Menschen auf Augenhöhe, sagt Schwester Ariane. Daneben gibt es für suchtkranke Menschen Angebote wie städtische Treffpunkte oder den mobilen Dienst «Ein Bus», der mehrmals pro Woche auf der Bäckeranlage gastiert.
Doch legal konsumieren dürfen Abhängige nur in offiziellen K&As – vorausgesetzt, sie sind in Zürich gemeldet. Wer keine Adresse hat, nur auf der Durchreise ist oder keinen regulären Aufenthaltsstatus besitzt, fällt durch das städtische Auffangnetz. Ausnahmen werden nur in Härtefällen gemacht. Für die anderen Menschen bleibt oft nur der öffentliche Raum: die Strassen, die Seitengassen, die Spielplätze.
Philip Bruggmann, Co-Chefarzt bei Arud, dem Zentrum für Suchtmedizin in Zürich, kritisiert diese Begrenzung: «Wer im öffentlichen Raum konsumieren muss, wird stigmatisiert und zieht sich zurück – was es noch schwieriger macht, sie zu erreichen.»
Es sei zentral, dass der Konsum nicht auf der Strasse stattfinde, sondern in einem geschützten Rahmen, mit Betreuung und Aufklärung. Das helfe, Risiken zu senken und die Situation zu stabilisieren.
Bruggmann plädiert für niederschwellige Angebote, die allen offenstehen, nicht nur in Zürich, sondern auch in kleineren Städten. «Politisch ist das herausfordernd, medizinisch aber unerlässlich. Damit heilt man keine Abhängigkeitserkrankung, aber man reduziert den Schaden und schafft eine Grundlage für weitere Hilfe oder Therapie.»
Toleranzzonen für kontrollierten Drogenhandel
Stadtgeograf Hannes Lindenmeyer geht einen Schritt weiter und fordert eine K&A für alle mit zusätzlicher Toleranzzone. «Ein Ort, an dem nicht nur unter Aufsicht konsumiert, sondern auch Stoff erworben werden darf. Mit medizinischer Begleitung und sozialer Beratung.»
Laut Lindenmeyer liegt das Kernproblem nicht im Konsum, sondern im Handel. «Irgendwo müssen die Substanzen verkauft werden. Warum nicht dort, wo auch Hilfe angeboten wird, statt im Stadtpark zwischen Kindern, Jugendlichen, Betagten und Randständigen?»
Lieber ein regulierter Handel unter Aufsicht als ein unkontrolliertes Nebeneinander im Quartier, sagt er.
Tatsächlich arbeitet Zürich bereits mit Formen der Toleranz, wie Florian Meyer von der K&A Kasernenwiese im Februar sagte. Der Mikrohandel sei zwar illegal, werde von den Behörden aber bewusst in gewissem Rahmen geduldet.
Einbinden statt dulden
Was viele Menschen im Drogenrausch suchten, sei nicht nur der Rausch selbst, sondern eine Grunderfahrung, die ihnen fehle, sagt Schwester Ariane. «Geborgenheit, Sicherheit, Wärme, Angenommensein. Die Droge wirkt wie eine Decke, die Schmerz, Verlassenheit und Einsamkeit kurz zudeckt.»
Menschen in Abhängigkeit kämen von überall her, einige aus Ländern ohne Perspektive, geprägt von Kriegs- oder Fluchterfahrungen. Hinter vielen Schicksalen stünden unverarbeitete Traumata, sagt Schwester Ariane, die ohne die Drogen kaum aushaltbar seien.
Deshalb brauche es mehr als nur Räume zum Konsum: «Menschen mit Sucht brauchen Orte, an denen sie bedingungslos angenommen werden. So wie sie es nie erfahren haben. Mit Würde, Menschlichkeit und echter Teilhabe.»
Bis dahin bleibt die Bäckeranlage ein ungelöstes Problem. Für Anwohner Martin ist sie eines der letzten Refugien der Stadt – ein Ort, an dem Menschen einfach sein dürfen. «In einem anderen Quartier wäre der politische Druck schneller da», vermutet er. Die Idee der städtischen Durchmischung trage man hier mit, «doch die Lage hat sich in eine Richtung entwickelt, die für die Anwohnerschaft nicht mehr tragbar ist».
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Bachelorstudium der Psychologie an der Universität Zürich und Masterstudium in politischer Kommunikation an der Universität von Amsterdam. Einstieg in den Journalismus als Redaktionspraktikantin bei Tsüri.ch. Danach folgten Praktika bei der SRF Rundschau und dem Beobachter, anschliessend ein einjähriges Volontariat bei der Neuen Zürcher Zeitung. Nach einigen Monaten als freie Journalistin für den Beobachter und die «Zeitung» der Gessnerallee seit 2025 als Redaktorin zurück bei Tsüri.ch.