Fehlt es an Angeboten, wird der Drogenkonsum sichtbar

Knapp ein Jahr nachdem eine zentrale Kontakt- und Anlaufstelle für Drogenabhängige im Kreis 4 geschlossen hat, verlagert sich der Konsum zunehmend in die Öffentlichkeit. Die Polizei reagiert mit Repression, insbesondere auf und rund um die Bäckeranlage. Eine gefährliche Situation, sagt der Psychiater Thilo Beck. Doch die Stadt tut sich schwer, eine Lösung zu finden.

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Seit die K&A auf der Kaserne geschlossen wurde, nimmt der Konsum im öffentlichen Raum zu. (Bild: Noëmi Laux)

Es ist ein bizarres Bild an jenem frühen Freitagabend auf der Bäckeranlage im Kreis 4. In der Parkmitte spielen Kinder im Gras, ein Grüppchen junger Menschen sitzt auf einer Decke. Es wird Wein aus Pappbechern getrunken, andere liegen auf der Wiese und lesen ein Buch. Ein Kontrast zu dem, was sich zeitgleich nur wenige Meter entfernt abspielt. Auf den Bänken rund um den Park wird mit Drogen gedealt, geraucht und gespritzt.

«Es wird konsumiert und gedealt, wie ich es seit den 2000ern nicht erlebt habe.»

Funken Tan, führt ein Restaurant auf der Bäckeranlage

Mitten auf der Parkanlage bedient Funken Tan ihre Gäst:innen. Sie führt das Quartierzentrum Restaurant Bäckeranlage, auch «Baecki» genannt. Dass die Kontakt- und Anlaufstelle für Drogenabhängige (K&A) auf der Kaserne letztes Jahr zugemacht hat, wusste sie nicht, «aber jetzt ergibt es Sinn», sagt Tan, während sie ein Glas abräumt.

Es sei nicht neu, dass sich neben Familien und Pärchen auch immer einige Dealer:innen und Menschen mit einer Suchterkrankung im Park aufhalten. Doch seit diesem Jahr ist die Stimmung aggressiver, erzählt sie. «Jeden Tag sehe ich neue Gesichter, es wird konsumiert und gedealt, wie ich es seit den 2000ern nicht erlebt habe.» Seit 23 Jahren führt Tan das Restaurant auf der Bäckeranlage. «In letzter Zeit kommt es immer öfter vor, dass Leute versuchen, sich bei uns auf die Toilette zu schleichen, um zu konsumieren.» In letzter Zeit müsse sie regelmässig gebrauchte Spritzen aus ihren Toiletten holen. 

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Funken Tan arbeitet seit 23 Jahren auf der Bäckeranlage. In diesem Jahr habe der Konsum deutlich zugenommen, die Stimmung sei aggressiv. (Bild: Noëmi Laux)

Viele der Menschen auf den Bänken rund um die Bäckeranlage konsumierten bis zu deren Schliessung vergangenen Herbst in der K&A auf dem Kasernenareal, die nur wenige Gehminuten entfernt liegt. «Das ist eine gefährliche Situation für alle Beteiligten», sagt Thilo Beck, Co-Chefarzt Psychiatrie bei der Arud, dem Zentrum für Suchtmedizin.

Die Arud bietet eine integrierte medizinische und psychiatrische Versorgung für Personen mit Substanzgebrauchsstörungen an und ist neben den drei K&A eine weitere wichtige Anlaufstelle für Menschen mit einer Suchterkrankung. Ein Grossteil der Patient:innen, die bei der Arud in Behandlung sind, nutzen ebenfalls das Angebot der K&A. 

Wiederholt sich die Geschichte?

Anfang der 2000er, nur wenige Jahre nachdem der Platzspitz und der Obere Letten geräumt wurden, drohte sich auf der Bäckeranlage beinahe eine neue offene Drogenszene zu bilden. Anwohner:innen mieden den Park zunehmend, die Bäckeranlage wurde zeitweise abgesperrt.

2001 reagierte die Stadt und rief das Projekt «Langstrasse PLUS» ins Leben, mit dem Ziel, die Lebensqualität im Quartier wieder zu verbessern. Im Zuge dessen wurde die Vier-Säulen-Politik entwickelt, die bis heute gilt. Das Prinzip basiert auf den vier Säulen Prävention, Therapie, Schadensminderung und Repression. Diese Interventionen müssen fein aufeinander abgestimmt sein, damit sie nicht aus dem Gleichgewicht geraten.

Verfehlt man die Bedürfnisse der Menschen, wirkt sich das auf die ganze Szene aus, die Belastung für die Betroffenen steigt und der Konsum wird öffentlich. Eine dieser Massnahmen war die Einführung der Kontakt- und Anlaufstellen, von denen es heute drei gibt. Diese werden täglich von rund 1000 Personen besucht, schreibt die Stadt auf Anfrage. In den drei Angeboten zusammen wurden im Jahr 2022 rund 320'000 Konsumationen getätigt. Neben Oerlikon und Selnau wurde die K&A in Brunau provisorisch wieder in Betrieb genommen, bis ein neuer Standort im Kreis 4 gefunden werden kann.

Eine schwierige Suche

Die Schliessung der K&A auf der Kaserne liegt nun knapp ein Jahr zurück, doch eine Anschlusslösung ist bislang nicht in Sicht, wie die Stadt auf Anfrage schreibt. «Damit ein Raum für eine K&A infrage kommt, müssen bestimmte Kriterien erfüllt sein. Dies und die angespannte Wohn- und Raumlage in der Stadt Zürich erschweren die Suche», heisst es. Unklar ist auch, wann eine neue K&A eröffnet werde: «Sobald ein geeigneter Standort für den provisorischen Standort in Brunau gefunden ist», schreibt die Stadt. Bis dahin beobachte man die Situation und ergreife, wenn nötig, Massnahmen.

«Wir leiden am Erfolg unserer eigenen Massnahmen.»

Thilo Beck, Psychiater

Einen geeigneten Standort zu finden, ist eine Herausforderung. Doch es ist nicht der einzige Grund, weshalb sich die Stadt schwertut, eine Alternative zu finden. «Der öffentliche Drogenkonsum wird von der Politik und der Bevölkerung nicht mehr als Problem wahrgenommen, weil das System lange funktioniert hat», sagt Beck. Der Konsum konnte dadurch weitestgehend von der Öffentlichkeit abgeschirmt werden. Jetzt gerät das System aus dem Gleichgewicht und der Konsum, den es auch vorher schon gab, wird sichtbar. «Wir leiden am Erfolg unserer eigenen Massnahmen», fasst Beck es zusammen. 

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Die Bäckeranlage unweit der Langstrasse ist nicht nur unter Familien und Jugendlichen beliebt. (Bild: Noëmi Laux)

Keine Lösung in Sicht

Es bleibt abzuwarten, wann und wo die Konsumierenden der ehemaligen K&A auf der Kaserne eine neue Anlaufstelle bekommen. Bis dahin wird man rund um die Bäckeranlage vermehrt Kastenwagen und Polizeipatrouillen antreffen. Denn die Stadtpolizei reagiert derzeit mit verstärkter Polizeipräsenz, wie sie auf Anfrage bestätigt. «Seit der Schliessung der K&A auf der Kaserne treffen wir vermehrt Konsumierende im Kreis 4 an.» Deshalb seien diverse Massnahmen ergriffen worden, zum Beispiel wurden die uniformierten und zivilen Polizeipatrouillen im Kreis 4 verstärkt, private Sicherheitsdienste seien bei den Schulhäusern präsent.

Übergangsweise wird die Polizei die Lage auf der Bäckeranlage durch Repression im Zaun zu halten versuchen. Doch langfristig braucht es Alternativen. «Wenn wir Repression anwenden, müssen wir auch andere Angebote schaffen, welche die Konsumierenden auffangen und unterstützen», sagt Beck. «Repression allein führt zu einer Verelendung der Leute.»

Und spätestens dann, wenn die Lage doch einmal ausser Kontrolle geraten sollte und etwas passiert, wird sich die Stadt dem Vorwurf stellen müssen, zu lange nichts getan zu haben.

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