Leerkündigungen in Zürich: Die Sugus-Häuser sind kein Einzelfall

Das Schicksal der Sugus-Häuser und ihren Bewohner:innen bewegt die ganze Stadt. Dabei handelt es sich um eine längst überfällige Reaktion auf ein Problem, das in Zürich schon viele Beispiele kennt. Ein Kommentar.

Nach dem Abriss kommt der Kran. (Bild: Isabel Brun)

«Ein neuer Rekord?», fragt ein User auf Instagram unter dem Post zur Kündigungswelle in den Sugus-Häusern. Knapp 300 Menschen müssen bis Ende März 2025 aus ihren Wohnungen ausziehen. Drei der insgesamt neun Gebäude im Röntgenareal sollen totalsaniert werden. Ein Schock – nicht nur für die Bewohner:innen.

Auch die Bevölkerung Zürichs, Expert:innen und die Politik zeigen sich entrüstet über die Vorgehensweise von Regina Bachmann, welche die Liegenschaften 2021 von ihrem Vater geerbt hat. Von überall hagelt es Kritik.

«Ich unterstütze diese Kündigungen, so kurz vor Weihnachten nicht», meinte ausgerechnet Albert Leiser von der FDP vergangene Woche im Gemeinderat. Als Präsident des Hauseigentümerverbands Zürich steht er in der Regel auf der Seite jener, die Leerkündigungen vollziehen.

Der Druck wirkt. Erst gestern hiess es im Tages-Anzeiger, dass die Stadt Zürich sich überlege, die Liegenschaften zu erwerben. Damit ist das Weihnachtswunder im Kreis 5 zum Greifen nah.

Was dabei gänzlich vergessen geht: Die Kündigungen der Sugus-Häuser sind weder ein «neuer Rekord», noch ein Einzelfall. 

An der Baslerstrasse in Altstetten reisst der Immobilienentwickler Halter bis 2027 eine ganze Siedlung ab. Dadurch verlieren 735 Menschen ihr Zuhause. Auf der anderen Seite der Stadt, in Schwamendingen, plant die Zurich Versicherung einen Ersatzneubau, worauf 450 Mieter:innen die Kündigung erhielten. Die Wohnungen sind bereits geräumt worden.

Ähnliches wird sich bald einige hundert Meter weiter abspielen: An der Winterthurerstrasse will die Pensionskasse BVK eine neue Siedlung verwirklichen, weshalb sechs Mehrfamilienhäuser mitsamt ihren Bewohner:innen weichen müssen. Viele Mieter:innen wehrten sich, gingen rechtlich gegen Kündigungen vor, liefen demonstrierend durch den Kreis 12 – medial und politisch passierte jedoch wenig. 

«Ein neuer Rekord ist der Fall im Röntgenareal nicht, aber vielleicht das erste Mal, bei dem eine Wende möglich wird.»

Isabel Brun

Andere Bewohner:innen setzten sich lange dafür ein, dass ihr Leid von den Medien Beachtung fand. Dem Brunaupark widmete man inzwischen einen Film. Die Widerständigen aus der totgesagten Siedlung Heuried erhielten einen Preis, nachdem sie seit zwei Jahren gegen die Grossbank Credit Suisse und ihre Verdrängung aus dem Kreis 3 ankämpfen.

Mieter:innen kämpfen gegen Eigentümer:innen wie David gegen Goliath.

Warum blieb der grosse Aufschrei aus? Warum unternimmt man nicht mehr dagegen? Weshalb sprechen die Verantwortlichen der Stadt von einer «Wohnungsknappheit» und nicht von «Wohnungsnot», während Tausende verzweifelt eine neue Bleibe suchen?

Es sind Fragen, die mich als Journalistin umtreiben. Vor allem, wenn einem klar wird, dass viele der Betroffenen bereits marginalisiert sind: Menschen mit kleinen Einkommen, mit geringen Deutschkenntnissen, mit schlechten Voraussetzungen, sich für einen Kampf gegen Goliath zu wappnen. 

Dass es nun bei den Sugus-Häusern anders ist, als bei anderen Fällen von Leerkündigungen erstaunt im ersten Moment. Auf den zweiten Blick zeigen sich aber einige Unterschiede: So sind die Bewohner:innen gut vernetzt, die Gebäude liegen im pulsierenden Herzen der Stadt, gehören einer prominenten Privatperson und die Kündigungen kamen zu einem Zeitpunkt im Jahr, bei dem sogar bürgerliche Kreise Solidarität entwickeln können. 

Ein neuer Rekord ist der Fall im Röntgenareal leider nicht, aber vielleicht das erste Mal, bei dem eine Wende möglich wird – und David gegen Goliath gewinnen kann. Gott sei Dank.

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