«Wir sprechen nicht von Wohnungsnot, sondern von Wohnungsknappheit»

Kein Thema treibt die Zürcher:innen so stark um wie das Wohnen. In Schwamendingen werde niemand verdrängt, finden Katrin Gügler und Anna Schindler von der Stadt.

Anna Schindler (links), Direktorin Stadtentwicklung, und Katrin Gügler, Direktorin Amt für Städtebau. (Bild: Lara Blatter)

Lara Blatter: Planen Sie das Zürich von morgen?

Katrin Gügler: Wir sind zwei Akteurinnen, aber sicherlich nicht die einzigen.

Anna Schindler: Und darum sind wir auch nicht an allem Schuld, was schiefläuft. 

Was läuft denn alles schief?

K.G.: Es läuft nicht alles schief, aber oft dauert es einfach lange. Wir leben in einem föderalistischen System. Unsere politischen Prozesse sind träge und gleichzeitig gibt es immer mehr gesellschaftliche Fragen, wo es schnell gehen muss. Das ist zunehmend anspruchsvoll. Und nicht alle verstehen, wie eine Verwaltung funktioniert. Beim Thema Wohnen zeigt sich das sehr exemplarisch. Viele unterschiedliche Dienstabteilungen sind involviert und prägen die Entscheidungen mit.

A.S.: Mindestens vier Departemente sind ins Thema Wohnen involviert, das heisst praktisch die halbe Stadtregierung. Zürich ist eine grosse Stadt und die Vernetzung innerhalb der Departemente ist sehr wichtig.

Ende Mai zogen tausende Mieter:innen durch Zürichs Strassen und machten auf die Wohnungsnot aufmerksam. Wie nehmen Sie derzeit die Stimmung wahr?

A.S.: Wir nehmen die Bedenken ernst. Das Thema Wohnen hat im Sorgenbarometer der Bevölkerungsbefragung zum Thema Verkehr aufgeschlossen. Die beiden sind also die Hauptsorgen von Zürcher:innen. Aber ich muss auch klar relativieren: Wir sprechen nicht von Wohnungsnot, sondern von Wohnungsknappheit. 

K.G.: Oft geht auch vergessen, dass unsere Handlungsmöglichkeiten in der Stadt limitiert sind, rein aufgrund der gesetzlichen Ausgangslage. Das Mietrecht beispielsweise ist national geregelt. 

Ziehen Sie sich so nicht aus der Verantwortung?

K.G.: Da wo wir können, machen der Stadtrat und wir Dienstabteilungen viel. Wir nutzen Spielräume aus. Viele Fragen rund ums Thema Wohnen und Mietrecht werden aber auf Kantons- oder Bundesebene verhandelt. Was wir uns für Zürich wünschen, deckt sich nicht immer mit dem Rest der Schweiz. 

Zürich kann die Wohnungsnot also nicht alleine lösen. Stadtpräsidentin Corine Mauch sagte aber kürzlich, man müsse «einen Zacken zulegen». 

K.G.: Die lokalen Verhältnisse sind sehr unterschiedlich und trotzdem braucht es für viele Fragen nationale oder kantonale Lösungen. Da wäre mehr Entscheidungsautonomie manchmal wünschenswert.

Zürich ist also die grosse Schwester in Sachen Wohnfragen und muss viel Vorarbeit alleine leisten.

A.S.: Ja, wir müssen für vieles kämpfen. Viele Herausforderungen zeigen sich hier zuerst oder akzentuiert.

K.G.: Wenn ich mit Vertreter:innen aus anderen Städten im Gespräch bin, dann nehme ich den Austausch oft positiv wahr. Man hört einander zu und wir können in vielen Fragen voneinander lernen. Trotz allem geht es bei diesem Thema immer um Einzelschicksale und ein zentrales Grundbedürfnis: Unser Zuhause.

A.S.:  Dieses Grundbedürfnis nehmen wir sehr ernst, aber die Wohnfrage ist medial auch sehr aufgeladen. Einzelschicksale gibt es, doch wer Unterstützung braucht, bekommt diese auch von der Stadt. Unsere Stadt ist begehrt, und es wird immer schwieriger, eine preisgünstige Wohnung im Lieblingsquartier zu finden. Aber das müssen wir auch festhalten: Meistens findet man was. 

«Wir profitieren alle von einer durchmischten Stadt und müssen diesem Grundsatz entsprechend Sorge tragen.»

Katrin Gügler

Sofern das Budget stimmt schon. Geringverdienende finden innerhalb der Stadtgrenzen kaum mehr eine Wohnung. Sie werden verdrängt und müssen weit pendeln. Kann man da noch von einer «Stadt der kurzen Wege» sprechen? 

K.G.: Wir wollen keine Verhältnisse wie in San Francisco, wo Restaurants schliessen, weil sie kein Personal mehr finden, das innert nützlicher Frist auf der Arbeit erscheinen kann. Wir profitieren alle von einer durchmischten Stadt und müssen diesem Grundsatz entsprechend Sorge tragen. 

A.S.: Wir gehen gegen diese Segregation vor, die viele andere Städte in Europa kennen. Aber die Verdrängung würde ich gerne etwas relativieren. Der Wohnungsmarkt ist per se sehr dynamisch, alleine 30 Prozent der Wohnungen wechseln pro Jahr ihre Mieter:innen. Die Auswertung der Weg- und Umzüge über die ganze Stadt zeigt: Von denjenigen Mieter:innen, die ihre Wohnung verlassen müssen, bleibt ein Drittel im Quartier, ein Drittel zieht in ein anderes Quartier in der Stadt, und nochmals etwa ein Drittel verlässt die Stadt. 

Schwamendingen stand in den letzten Monaten stark im Fokus der Medien, weil im Zuge der Einhausung viele alte Siedlungen abgerissen werden. Die Stadt spricht von einem geringen Verdrängungsrisiko, doch unsere Recherchen zeichnen ein anderes Bild: Es kommt zu Massenkündigungen. Warum tun Sie sich so schwer damit, einzugestehen, dass viele Menschen aus Schwamendingen verdrängt werden?

A.S.: Im Sozialbericht Schwamendingen haben wir letztes Jahr das Umzugsverhalten von verschiedenen Gruppen analysiert. Da ist das Verhältnis sogar noch besser: Bis zu 40 Prozent der Menschen bleiben bei einem Umzug im Quartier. In der Öffentlichkeit spricht man jedoch sehr schnell von Verdrängung. Und ja, Zahlen zeigen keine Einzelschicksale. Aber in Schwamendingen haben wir rund um die Einhausung keine Verdrängung beobachten können, auch keine von Menschen mit tiefen Einkommen. Unter anderem haben wir das der hohen Dichte an Genossenschaften im Perimeter des Ueberlandparks zu verdanken.

K.G.: Ich will von der Datenschlacht wegkommen und nochmals über die Stadt der kurzen Wege sprechen. Dass wir diese Vision verfolgen, ist wichtig und sie greift auch mehr Aspekte auf, als nur das Wohnen. Beispielsweise das Klimaziel Netto-Null und die Stärkung des fossilfreien Verkehrs. Das Ziel sind diverse Quartierzentren und dass unterschiedliche Bevölkerungsgruppen in allen Quartieren der Stadt wohnen. Dies erfordert auch preisgünstige Wohnungen für alle, die darauf angewiesen sind.

Rund um die Einhausung Schwamendingen kann die Stadt keine Verdrängung beobachten. (Bild: Lara Blatter)

Wer in günstigen Stadtwohnungen wohnen darf, wird immer wieder diskutiert. Die Stadt will künftig Belegungsvorschriften strenger kontrollieren. Das sorgt für Kritik und führte gar bis vor das Obergericht.

K.G.: Die neue Vermietungspraxis, die Belegungs- und Einkommensvorschriften durchsetzen soll, ist für einen Teil der Betroffenen sicher schwierig. Umgekehrt ist der Andrang auf diese Wohnungen riesig und es braucht klare Regeln. 

Dennoch werden Quartiere wie Schwamendingen oder auch Altstetten gerade komplett umgebaut. Renovation und Neubauten führen immer zu steigenden Mieten.

K.G.: Ein Neubau wird immer teurer sein, auch wenn er von der Stadt oder einer Genossenschaft gebaut wird. Darum ist es wichtig, dass wir auch eine zeitliche Durchmischung haben. Für Quartiere wie Schwamendingen, die quasi alle in derselben Zeit erbaut wurden, ist das eine zusätzliche Herausforderung. Dann wird auch innerhalb kurzer Zeit wieder alles renoviert. Es wäre wünschenswert, man hätte eine kontinuierliche Transformation, statt dass alles gleichzeitig saniert oder ersetzt wird. 

Also sehen Sie es trotzdem ein, dass in Schwamendingen viel gebaut wird und das zur Verdrängung führt?

A.S.: Nein, jetzt sprechen wir über die Bausubstanz und deren zyklische Erneuerung. 

K.G.: Ich will damit sagen, wir haben in Schwamendingen viele Bauten, die aus einer ähnlichen Zeit stammen. Das führt dazu, dass aktuell viel gebaut wird und sich verändert. Positiv ist zu erwähnen, dass in Schwamendingen auch viele Genossenschaften bauen. 

Dennoch werden die Mieten steigen. 

K.G.: Genossenschaften haben oftmals ein grösseres Portfolio und können Umzüge ermöglichen. Vielleicht muss man das Quartier zwar wechseln. Aber man behält seinen Wohnungsanspruch. Bauen wiederum Private oder Institutionelle, dann suchen wir den Dialog und bringen Themen ein, wie beispielsweise das etappenweise Umbauen. 

A.S.: Wir als Stadtentwicklung sind selten ganz am Anfang von Planungsprozessen dabei. Aber wir haben die Möglichkeit, sozialräumliche Berichte zu grossen Projekten zu erstellen und Bauherrschaften aufzuzeigen, wie sich die Bevölkerung im Umfeld ihres Bauvorhabens zusammensetzt. In der Regel sind Bauherrschaften sehr kooperativ und interessiert an möglichen Massnahmen, um sozialverträglich zu bauen. 

Haben Sie ein Beispiel, wo die Stadt in eine Planung involviert wurde?

K.G.: An der Dennlerstrasse in Altstetten plant die UBS-Pensionskasse aktuell eine Arealüberbauung. Da waren wir von Beginn weg im Gespräch. Zum grossen Teil können wir nur Empfehlungen abgeben, aber diese darf man nicht unterschätzen. Im Dialog haben wir beispielsweise erreicht, dass man in Etappen baut und die Hälfte des Bestands erhält. So haben Mieter:innen die Möglichkeit, innerhalb der Siedlung umzuziehen. 

Wie hoch die zukünftigen Mieten an der Dennlerstrasse werden, ist unklar. Ohne diese Information können Mieter:innen gar nicht beurteilen, ob das Bleiben für sie finanziell drin liegt. Verfehlt das etappenweise Bauen so nicht seinen Zweck?

K.G.: Ja, das ist ein Problem. Aber trotzdem ist es ein Erfolg, dass nicht die ganze Bausubstanz auf einmal ersetzt wird.

«Wir können keine Eigentümer:innen kritisieren, die nach den Regeln bauen.»

Anna Schindler

Dann sind wir wieder bei den Einzelschicksalen. Auf dem Papier klingt das super, wenn die UBS in Etappen umbaut. Aber einzelne Mieter:innen wissen nicht, ob sie sich das leisten können, sie sind konstant im Stress und suchen sich darum lieber eine neue Wohnung. Bringt es in diesem Fall also überhaupt etwas, wenn die UBS das macht?

K.G.: Ja. Wenn eine Bauherrin wie die UBS sich auf diese Themen einlässt, dann schafft das ein Bewusstsein. Klar ist nicht alles perfekt. Aber die Bank hat unter anderem eine Anlaufstelle für Mieter:innen installiert, baut nachhaltig und in Etappen und verdichtet – auf dem Areal wird es danach doppelt so viele Wohnungen geben. 

Haben Sie das erreicht?

K.G.: Nein, es braucht einen Dialog zwischen diversen Stellen. Und wir können nichts verordnen, eine Bauherrschaft muss solche Projekte letztendlich wollen. 

A.S.: Genau. Aber das ist mit diesem Projekt erreicht worden. Wir haben Bewusstsein geschaffen, wie man anders umbauen kann. Wir haben aufgezeigt, dass sich sozialverträgliches Bauen und Rendite nicht beissen. 

Viele Mieter:innen fühlen sich von der Stadt alleingelassen, wenn sie nach einer Kündigung keine neue Bleibe in Zürich finden. Warum kritisiert die Stadt jene Neubauprojekte nicht stärker, bei denen weniger Wert auf die Sozialverträglichkeit gelegt wird?

A.S.: Wir können keine Eigentümer:innen kritisieren, die nach den Regeln handeln, planen und bauen. Wir bewilligen diese Projekte. Da wäre es ja eine absurde Vorstellung, wenn wir Baubewilligungen erteilen würden und im nächsten Atemzug ein Projekt kritisieren.

Wieso zeigt sich die Stadt nicht politischer in der Debatte?

K.G.: Hier gibt es zwei Aspekte. Was macht man im Hintergrund und was trägt man nach aussen? Wollen wir, dass ein Umdenken stattfindet, dann können wir nicht in persönlichen Gesprächen auf Bauherren zugehen und sie dann öffentlich kritisieren. 

Heisst das, in vertraulichen Gesprächen kritisieren Sie Bauprojekte?

A.S.: In solchen Gesprächen sind wir deutlicher.

K.G.: Ja, da können wir Bedenken direkter äussern, sagen, was wir problematisch finden. Tragen wir alle Kritik nach aussen, dann sitzt niemand mehr mit uns an den Tisch. Ausserdem: Wir sind keine Politiker:innen. Als Verwaltung müssen wir vor allem transparent und verlässlich sein. Würden wir nach Sympathien in jedem Fall anders entscheiden, würden wir unsere Glaubwürdigkeit schnell verlieren. Die Rechtsgleichheit ist wichtig.

A.S: Sie ist die Basis unseres Systems. Sie müssen wissen, dass alle dieselbe Antwort von uns bekommen. 

K.G.: Die Politik kann die Rahmenbedingung ändern, aber wir bewegen uns in den Rahmenbedingungen. 

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