Immobilienexperte über Wohnungsmarkt: «Die Mieten könnten leicht sinken»
In Zürich stehen teure Neubauwohnungen leer, während bezahlbarer Wohnraum knapp bleibt. Immobilienexperte Robert Weinert erklärt, warum die Mietzinsspirale an Schwung verliert und wie sich das auf den Wohnungsmarkt auswirken könnte.
Jenny Bargetzi: Offiziell herrscht in Zürich Wohnungsknappheit. Gleichzeitig kursieren Berichte, dass Mietwohnungen in der Agglomeration wochenlang leer stehen oder später günstiger ausgeschrieben werden. Was ist da los?
Robert Weinert: Wir haben bei Wüest Partner das Angebot an Mietwohnungen nach Preisklassen analysiert. Vor allem bei Wohnungen mit über 320 Franken pro Quadratmeter im Jahr – das sind eher teure Wohnungen – zeigt sich: Während das Angebot in fast allen Preiskategorien abgenommen hat, ist es im Luxussegment stabil geblieben oder sogar gestiegen.
Woran liegt das?
In diesem Segment ist die Nachfrage schlicht begrenzt. Wer sich eine solche Wohnung leisten kann, denkt auch oft über Wohneigentum nach. Gleichzeitig sind viele Neubauten genau in diesem Segment entstanden, was unter anderem auf die sehr hohen Baulandpreise zurückzuführen ist. Das führt dazu, dass das Angebot die Nachfrage übersteigt. Entsprechend sinken in diesem Segment die Mieten bereits wieder leicht, auch im Kanton Zürich. Anders als in den übrigen Preisklassen.
Wie sieht es im mittleren Preissegment aus, gibt es Anzeichen dafür, dass sie auch dort bald sinken könnten?
Dort tendieren die Mieten zu stagnieren. Für dieses Jahr rechnen wir noch mit einem leichten Anstieg von ein bis zwei Prozent. Das ist deutlich weniger als 2024, als es noch fünf bis sechs Prozent waren. Ich gehe davon aus, dass sich diese Stagnation im nächsten Jahr verfestigt. Unter Umständen könnten die Mieten sogar leicht sinken.
Das klingt nach einer guten Nachricht für Mieter:innen.
Natürlich ist das eine Frage der Perspektive. Für die Mieter:innen wurde die Lage in den letzten zwei Quartalen etwas besser, aber sie ist noch nicht gut. Junge Leute können sich nach wie vor nicht ohne Weiteres eine eigene Wohnung leisten. Wir sind noch nicht zurück auf dem Niveau von 2020, wo die Auswahl deutlich grösser war und die Mieten tiefer lagen. Aber es geht in die richtige Richtung.
Hat die Mietzinsspirale ihren Höhepunkt erreicht?
Ja, das könnte tatsächlich der Fall sein. Dafür gibt es drei zentrale Gründe. Erstens lässt die Nachfrage nach, unter anderem, weil das Bevölkerungswachstum abnimmt. Das ist darauf zurückzuführen, dass sich das Jobwachstum verlangsamt hat – weniger offene Stellen bedeuten weniger Zuwanderung.
Zweitens wird wieder mehr gebaut. Zwar deckt der Neubau die Nachfrage noch nicht vollständig, insbesondere weil oft nur Ersatzneubauten entstehen. Unter dem Strich kommen also gar nicht so viele zusätzliche Wohnungen hinzu. Aber es ist mehr als 2023 und 2024.
Der dritte Grund betrifft die Zinsentwicklung. Die Zinsen sind gesunken, auch der Referenzzinssatz ist rückläufig, was sich ebenfalls dämpfend auf die Angebotsmieten auswirkt.
Wie gross ist der tatsächliche Wohnraumbedarf in der Schweiz?
Hier ist vor allem der Haushaltszuwachs entscheidend. Dieser stieg in den letzten zehn Jahren durchschnittlich um rund 52’000 neue Haushalte pro Jahr. So viele Wohnungen müssten also jährlich dazukommen. Davon waren wir lange entfernt. Aktuell liegen wir noch leicht darunter, aber die Bautätigkeit nimmt zu. Es braucht allerdings Zeit, um den Nachfragestau der letzten Jahre abzubauen.
Trotzdem sieht man, dass gerade im oberen Segment Wohnungen leer stehen oder nach Wochen günstiger ausgeschrieben werden. Braucht es Regeln gegen solche Strategien?
Ich halte das nicht für nötig. Wir haben zwar keine aktuelle Studie dazu, wie oft Mieten nachträglich gesenkt werden. Aber aus der letzten Auswertung vor etwa drei Jahren wissen wir: Das war damals kein relevantes Phänomen.
Es gibt aber Vermieter:innen, die bewusst zu hoch einsteigen. Ist das eine übliche oder gar kluge Strategie?
Dass Anbieter:innen die Miete zu hoch ansetzen und später senken, kann vorkommen – ist aber die Ausnahme. Und meines Erachtens keine gute Strategie. Die Markttransparenz ist heute hoch. Man sieht auf Vermittlungsplattformen, wenn ein Inserat lange online ist oder die Miete nachträglich sinkt. Das macht Interessierte stutzig und schreckt sie ab. Wer systematisch zu hoch ansetzt, riskiert das Renommee seiner Verwaltung oder Liegenschaft. Aus meiner Sicht ist das mit zu vielen Risiken verbunden und keine erfolgversprechende Praxis.
Es sind also keine weiteren Regulierungen nötig?
Nicht in diesem Bereich. Es gibt bereits Regelungen, zum Beispiel die Formularpflicht für Anfangsmieten im Kanton Zürich. Mieter:innen können einsehen, wie hoch die Vormiete war. Weitere Eingriffe halte ich nicht für sinnvoll.
Warum ist das nicht sinnvoll?
Wenn der Markt zu stark reguliert wird, verliert er an Attraktivität für Investor:innen. Und ohne Investitionen – ob von privaten oder institutionellen Anleger:innen – gibt es keine neuen Wohnungen. Regulierungen schützen zwar die Bestandsmieter:innen, die in der Schweiz ohnehin gut geschützt sind. Aber sie schaden am Ende den Wohnungssuchenden, weil das Angebot sinkt.
Wie steht der Zürcher Wohnungsmarkt im internationalen Vergleich da?
In der Schweiz gehören Zürich und Genf zu den Städten mit den höchsten Angebotsmieten, danach folgen Städte wie Zug oder steuergünstige Gemeinden rund um Zürich sowie Gemeinden am Genfersee.
International gesehen ist die Schweiz kein Einzelfall. Insbesondere in Ländern mit starker Wirtschaft – etwa Luxemburg, Irland oder in Skandinavien– sind die Mieten zum Teil sehr hoch und in den letzten Jahren sogar noch stärker gestiegen als hierzulande. Oft aus ähnlichen Gründen: starke Wirtschaft, tiefe Geburtenraten, Zuwanderung, aber zu wenig Neubau.
Was hilft dagegen?
In Europa werden unterschiedliche Ansätze umgesetzt. Dazu zählen unter anderem Mietpreisbremsen, Mietdeckel, Zweitwohnungsbeschränkung oder Kurzzeitvermietungs-Beschränkungen. Auch der Einheimischen-Vorrang wird derzeit wieder häufiger diskutiert.
Lösen solche Massnahmen das Problem?
Nicht nachhaltig und nur teilweise. Ich habe noch nie gesehen, dass eine Regulierung, die sich auf den Bestandsmarkt fokussiert, das Problem der Wohnungsknappheit beseitigt. Oft steigen die Mieten in Teilbereichen trotzdem oder sogar noch stärker weiter.
Was hilft dann?
Mehr Neubau – gezielt und verdichtet. Wenn man nicht in die Breite bauen kann, muss man in die Höhe bauen. Das heisst nicht, dass man überall ein Stockwerk mehr bauen sollte. Vielmehr müssen Perimeter definiert werden, in denen substanziell in die Höhe gebaut werden kann. Gleichzeitig sollten Neubauten mit Mindestquoten für preisgünstigen Wohnraum kombiniert werden.
Von welcher Quote sprechen Sie konkret?
Das hängt stark von der Region ab. Oft ist von 20 oder 30 Prozent die Rede. Aber in Gemeinden, wo die Wohnungsknappheit nicht ausgeprägt ist, ist eine so hohe Quote nicht sinnvoll. Es braucht flexible Lösungen. Aber ich halte diese Kombination aus Neubauförderung und preisgünstigen Mindestanteilen für die wirksamste Massnahme gegen die langfristige Wohnungsknappheit.
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Medien. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Mittlerweile sind 2000 Menschen dabei und ermöglichen damit den Tsüri-Blick aufs Geschehen in unserer Stadt. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 2500 – und mit deiner Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für Tsüri.ch und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 8 Franken bist du dabei!
Bachelorstudium der Psychologie an der Universität Zürich und Masterstudium in politischer Kommunikation an der Universität von Amsterdam. Einstieg in den Journalismus als Redaktionspraktikantin bei Tsüri.ch. Danach folgten Praktika bei der SRF Rundschau und dem Beobachter, anschliessend ein einjähriges Volontariat bei der Neuen Zürcher Zeitung. Nach einigen Monaten als freie Journalistin für den Beobachter und die «Zeitung» der Gessnerallee seit 2025 als Redaktorin zurück bei Tsüri.ch.