Wohnpolitik, Fangewalt, Antisemitismus: Die Budgetdebatte im Überblick
Die Budgetdebatte zeigte Geschlossenheit bei der links-grünen Mehrheit, besonders bei grossen Themen wie Wohnen und Steuern. Die Diskussionen im Rat wurden als «phasenweise unterirdisch» kritisiert.
15 Stunden – so lange ackerte sich der Zürcher Gemeinderat in den letzten zwei Tagen durch das Budget 2025. Dieses umfasst nicht weniger als 11 Milliarden Franken.
Die Debatten zogen sich an beiden Tagen bis kurz vor Mitternacht hin, begleitet von endlosen Zahlen, so manchem derben Witz und einem zunehmend schärferen Ton, je später es wurde. Müdigkeit und vielleicht auch ein Glas Wein oder eine Flasche Bier in der Essenspause trugen ihr Übriges dazu bei.
Das zentrale Thema der Beratungen war die Wohnpolitik, befeuert durch die aktuellen Leerkündigungen der Sugus-Häuser (Tsüri.ch berichtete). Passend dazu lagen grosse Mengen Sugus-Bonbons auf dem dicken Holztisch im Ratssaal, während einige AL-Mitglieder in aktivistischer Manier die Papierchen an ihre Mikrofone klebten.
«Der Antrag hat nur das Ziel, sagen zu können, dass ihr etwas fürs Wohnen gemacht habt.»
Sven Sobernheim (GLP)
Bereits am Mittwoch beantragte die links-grüne Mehrheit, das Budget der Stadt für Grundstückskäufe von 500 auf 600 Millionen Franken zu erhöhen. Die SP sah eigentlich eine Aufstockung von 250 Millionen Franken vor, doch der AL und den Grünen ging das zu weit. Die «Sugus-Krise» brachte die Parteien dazu, dann doch noch den Kompromiss zu finden.
«Der Antrag hat nur das Ziel, sagen zu können, dass ihr etwas fürs Wohnen gemacht habt», sagte Sven Sobernheim (GLP). Auch sein Parteikollege Nicolas Cavalli kritisierte, dass es sich hierbei nur um Symbolpolitik handle.
«Das Symbol hat einen Zweck: Es zeigt Solidarität mit den Betroffenen.»
Tanja Maag (AL)
Doch die Linke stritt das auch gar nicht ab. Tanja Maag (AL) erklärte, dass es durchaus auch um Symbolik gehe. «Aber dieses Symbol hat einen Zweck: Es zeigt Solidarität mit den Betroffenen.» Letztlich, so Maag, entscheide sowieso der Stadtrat, wie viele Liegenschaften tatsächlich gekauft würden.
Pikant: Der zuständige Stadtrat Daniel Leupi (Grüne) lehnte die zusätzlichen 100 Millionen Franken ab. «Auch beim Erwerb von Liegenschaften gibt es ein ‹zu viel›», mahnte er. Derlei Investitionen seien nicht risikofrei, und die bisherigen 500 Millionen reichten aus, selbst für den möglichen Kauf der Sugus-Häuser.
Am Ende stimmten die Grünen gegen ihren eigenen Stadtrat. Mit den Stimmen der links-grünen Mehrheit wurde das Budget schliesslich erhöht.
Neuer Rettungsversuch für Entsorgungscoupons
Wie es scheint, ist der Entsorgungs-Krimi noch nicht zu Ende: Erneut starteten alle Parteien – bis auf die Grünen – eine Rettungsaktion der Entsorgungscoupons. Sie beschlossen 300’000 Franken für den nochmaligen Versand von zwei gratis Coupons.
«Die subventionierte Gratis-Entsorgung mit dem Privatauto ist nicht mehr zeitgemäss.»
Simone Brander (SP), Stadträtin
Doch die zuständige Stadträtin Simone Brander (SP) hat die Marken bereits abgeschafft, der neuste Entsorgungskalender wurde ohne sie verschickt. Der Stadtrat sei nach wie vor der Auffassung, dass solche Entsorgungscoupons nicht wie früher gebraucht werden können, so Brander. Sie wiederholte, was sie bereits mehrere Male im Ratssaal erklärt hat: «Die subventionierte Gratis-Entsorgung mit dem Privatauto ist nicht mehr zeitgemäss.»
Martin Bürki (FDP) sah dies jedoch anders. Er stellte klar, dass die Mehrheit des Parlaments erfreut wäre, wenn der Stadtrat endlich dem bereits überwiesenen Postulat nachkommen würde. Dieses forderte, zwei Entsorgungscoupons pro Jahr beizubehalten (Tsüri.ch berichtete). «Mit dem Postulat haben wir dem Stadtrat den Teppich ausgerollt», ergänzte Beat Oberholzer (GLP). «Mit dem Budget rollen wir jetzt noch den zweiten Teppich aus.»
Ob der Stadtrat tatsächlich einlenkt, bleibt jedoch fraglich. Stadträtin Brander stellte klar, dass ein Postulat lediglich ein Prüfauftrag ist – keine bindende Verpflichtung. Entsprechend dürfte die Wiedereinführung der Coupons trotz Parlamentsbeschluss unwahrscheinlich bleiben.
Stadtrat prüft unbegrenztes Fahrverbot auf Langstrasse
Zumindest tagsüber gilt seit einem Jahr auf Teilen der Langstrasse ein Fahrverbot. Wer dieses Verbot zwischen Januar und Juni missachtete, wurde konsequent gebüsst. Danach baute die Stadt die Bussenanlage jedoch ab, woraufhin viele Autofahrer:innen das Verbot schlicht ignorierten (Tsüri.ch berichtete).
Nun diskutierte der Gemeinderat über eine neue Lösung: Wechselsignale sollen das Fahrverbot tagsüber deutlich anzeigen und nachts deaktiviert werden. Diese kosten rund eine Million Franken.
Die AL zeigte sich skeptisch. Sie hielt die Ausgaben für unverhältnismässig und schlug vor, auf das entsprechende Budget zu verzichten, obwohl sie das Fahrverbot an sich begrüsse. Michael Schmid (AL) sagte: «Die einfachere Lösung für die Überforderung wäre schlichtweg ein Fahrverbot auf den 60 Metern.» Dies sei günstiger und klarer für die Autofahrer:innen.
Die SVP hingegen forderte eine Abschaffung des Fahrverbots. Stephan Iten (SVP) argumentierte gegen jegliche Einschränkungen, fand aber keine Mehrheit im Rat.
Am Ende blieb die AL mit ihrem Vorschlag, auf das Wechselsignal zu verzichten, alleine. Dennoch überwies die links-grüne Mehrheit ein begleitendes Postulat der AL: Der Stadtrat muss nun prüfen, ob ein zeitlich unbegrenztes Fahrverbot und die Wiedereinführung der Bussenanlage auf dem kurzen Abschnitt auf der Langstrasse möglich sind.
Knappe Mehrheit belässt Steuerfuss bei 119 Prozent
Der Steuerfuss der Stadt Zürich bleibt ein unveränderter Streitpunkt – und wie jedes Jahr ein zentraler Aspekt in der Budgetdebatten. Und wie jedes Jahr wünschten sich die Bürgerlichen sehnlichst eine Steuersenkung, die sie jedoch nicht bekamen.
Die FDP verlangte eine Senkung von 119 Prozent auf 116, unterstützt wurde der Antrag von GLP und der Mitte/EVP-Fraktion. Përparim Avdili, Präsident der städtischen FDP, meinte, dass eine Senkung durchaus verkraftbar sei, sie sei sogar nötig, damit «der Überschuss nicht wie bisher unnötig verpulvert wird».
«Zürich ist keine Steuerhölle.»
Daniel Leupi (Grüne), Stadtrat
Die SVP ging noch einen Schritt weiter und forderte eine Senkung auf 112 Prozent. Gemäss dem Einmaleins des Populismus sagte Johann Widmer (SVP), dass man den Politiker:innen das Geld wegnehmen müsse. Doch auch die SVP blieb wenig überraschend chancenlos.
«Zürich ist keine Steuerhölle», sagte Finanzvorsteher Daniel Leupi (Grüne). Dies sehe man alleine schon am stetigen Zuzug von Gutverdienenden. Ausserdem brauche die Stadt Eigenkapital, da sie massiv investiert, etwa in den Bereichen Bildung, Fernwärme, Veloverkehr und Energie. Rückendeckung gab Florian Utz (SP): Die Stadt sei attraktiv, so könne man weitermachen. Die Bevölkerung solle lieber dort entlastet werden, wo es wirklich etwas nütze.
Schliesslich der knappe Beschluss: Mit 62 Ja- zu 57 Nein-Stimmen bleibt der Steuerfuss bei 119 Prozent. Diese Entscheidung fiel kurz vor Ende der zweitägigen Debatte.
«Phasenweise war die Debatte unterirdisch.»
Jürg Rauser (Grüne)
Wie üblich gab es in der Schlussabstimmung eine Runde mit resümierenden Reden. Jürg Rauser (Grüne) begrüsste das beschlossene Budget und die Einigung auf linker Seite, kritisierte jedoch die Debatte insgesamt: «Phasenweise war sie unterirdisch», sagte er und deutete besonders auf das Verhalten der SVP hin. Auch die AL verurteilte die Äusserungen der rechtspopulistischen Partei als rassistisch und sexistisch, deren Wiedergabe hier absichtlich weitgehend unterlassen wurde.
Johann Widmer (SVP) reagierte nicht auf diese Kritik und bezeichnete das Budget stattdessen als «Plünderungsorgie der Staatskasse». Seine Partei lehnte das Budget ab, ebenso wie die FDP. Alle anderen Parteien stimmten dafür, sodass es schliesslich mit 84 zu 35 Stimmen genehmigt wurde. Die Stadt rechnet nun mit einem Minus von 205 Millionen Franken.
Weitere Themen der Budgetdebatte
- Unterstützung für Verein «Pueblo Kawésqar»: Ein Vorstoss der Grünen forderte, 50‘000 Franken extra ins Budget einzuplanen, um den Verein «Pueblo Kawésqar» zu unterstützen, der sich um das historische Erbe der chilenischen Kawésqar kümmert – eine indigene Gemeinschaft aus Patagonien. Diese wurde im 19. Jahrhundert nach Europa, auch nach Zürich, verschleppt und zur Schau gestellt. Fünf von ihnen starben hier. Yves Henz (Grüne) erinnerte an diese historische Verantwortung: «Die Stadt Zürich hat eine moralische Pflicht gegenüber den Kawésqar. Jetzt muss sie solidarisch handeln.» Diese Worte wurden von der bürgerlichen Mehrheit mit Gelächter quittiert. Përparim Avdili (FDP) attackierte Henz frontal: Es sei himmeltraurig, dass er es nicht schaffe, auf der objektiven Ebene zu argumentieren. Und Johann Widmer (SVP) beschrieb den Verein als «dahergelaufenes Klübchen». Sophie Blaser (AL) reagierte mit Empörung und sagte, dass dies vielleicht schon der Tiefpunkt der Budgetdebatte sei. Die links-grüne Mehrheit überwies den Vorstoss.
- Analyse des «Gender-Budgeting» kommt: Von linker Seite kam der Vorschlag, 120‘000 für eine geschlechterspezifische Rechnungsanalyse einzuplanen. Darin soll untersucht werden, wie staatliche Mittel in den Bereichen Bildung oder Infrastruktur eingesetzt werden und ob es je nach Geschlechter Unterschiede gibt. «Wir wollen wissen, ob eher Männer oder Frauen von öffentlichen Geldern profitieren», sagte Serap Kahriman (GLP). Johann Widmer (SVP) bezeichnete dies als «dummes Zeug» und sprach von einem «perversen Wahn vom Geschlechterkampf». Seine Hetze machte keinen Unterschied: Der Vorstoss wurde mit klarer Mehrheit überwiesen.
- Antisemitismus-Stelle ab Frühling vorgesehen: Das Stadtparlament beschloss einen Budgetantrag, um die Einrichtung einer Antisemitismus-Stelle in der Fachstelle für Gleichstellung zu beschleunigen. Jehuda Spielman (FDP), selbst jüdisch, begrüsste den Vorstoss, warnte jedoch vor möglichen Herausforderungen. «Für die jüdischen Gemeinden ist es entscheidend, dass eine Person eingestellt wird, die von ihnen unterstützt wird», betonte er. Dies müsse bei der Ausschreibung berücksichtigt werden. Stadtpräsidentin Corine Mauch (SP) bedankte sich für den Hinweis und kündigte an, im Januar einen Vorschlag für das Stellenprofil den jüdischen Gemeinden und Dachverbänden zu präsentieren. Danach soll die Stelle ausgeschrieben werden. Sie hob die Dringlichkeit hervor, insbesondere angesichts der jüngsten Angriffe auf jüdische Personen am vergangenen Wochenende: «Solchen Vorfällen müssen wir entschieden entgegentreten», erklärte Mauch.
- Neue Massnahmen gegen Fangewalt: Die zunehmende Fangewalt bahnte sich auch seinen Weg in die Budgetdebatte. Anlass gab ein Postulat der Fraktionen FDP und Mitte/EVP, das die Einführung eines Vier-Säulen-Modells fordert: Um die Fangewalt einzudämmen, sollen in den Bereichen Prävention, Deeskalation, Sicherheit und Repression Massnahmen geprüft werden, so etwa die Einführung von personalisierten Tickets. Kritik kam von den Grünen: Es gebe deutlich originellere Lösungsvorschläge, sagt etwa Roland Hurschler. Dennoch wurde das Postulat überwiesen. Eine höhere Beteiligung der Fussballclubs an den Sicherheitskosten der Stadt wurde jedoch von linker Seite abgelehnt. Die bereits bestehende Vereinbarung, welche regelt, wie stark sich die Clubs an den Sicherheitskosten beteiligen müssen, könne nicht ohne Weiteres aufgelöst werden.
- Pilotprojekt für Lärmblitzer findet Finanzierung: Die Stadtverwaltung hatte bereits im Sommer angekündigt, an verschiedenen Orten sogenannte Lärmblitzer aufzustellen, um gegen Autoposer:innen vorzugehen. Allerdings vergass der Stadtrat, dafür ein Budget einzuplanen, wie Urs Riklin (Grüne) kritisierte. Der Gemeinderat bewilligte nun 50‘000 Franken für das Pilotprojekt. Riklin betonte, wie dringend das Problem sei, da weiterhin Autos mit übermässigem Motorenlärm die Bevölkerung belästigten. Unnötig fand das nur die SVP, deren Exponent Johann Widmer sagte: «Um diese Würstchen aus dem Verkehr zu ziehen, braucht es keine Lärmblitzer.» Alle anderen stimmten für die Budgeterhöhung.
- Mehr Geld für humanitäre Hilfe und Entwicklungsländer: Angesichts der zunehmenden humanitären Notlage weltweit beschloss der Gemeinderat eine Verdopplung des Budgets für humanitäre Hilfe von einer auf zwei Millionen Franken. Selina Walgis (Grüne) betonte die Dringlichkeit: «Besonders im globalen Süden sind mehr Konflikte zu erwarten.» Auch das Budget für Beiträge zugunsten von Entwicklungsländern wurde erhöht, trotz scharfer Kritik von der FDP. Përparim Avdili (FDP) argumentierte, dass dies Aufgabe des Bundes sei und die Stadt unnötige Ressourcen koste. Dennoch setzte sich eine Mehrheit für eine Erhöhung des Budgets von acht auf zehn Millionen Franken durch. Walgis verteidigte die Entscheidung als «moderate Erhöhung» und regte an, in Zukunft über eine weitere Aufstockung zu diskutieren.
- Weniger neue Polizeistellen als vorgesehen: Eigentlich plante die Sicherheitsvorsteherin Karin Rykart (Grüne) mit 17 neuen Stellen für die Frontpolizei im kommenden Jahr. Die Menschen in der Stadt Zürich fühlten sich sehr sicher, doch damit dies so bleibe, brauche es einen höheren Polizeibestand, so Rykart. Entgegen diesem Wunsch sprach eine relative Mehrheit von SP, GLP und Teilen der Grünen lediglich ein Budget für 8 neue Stellen. Michael Schmid (AL) äusserte grundsätzliche Kritik daran, dass mehr Polizei für mehr Sicherheit sorge, Florian Utz (SP) wies auf rund 100 unbesetzten Stellen bei der Stadtpolizei hin. Ein Antrag der SVP für eine Erhöhung des Budgets für 12 neue Stellen bei der Streifenpolizei lehnte der Rat ab.
- Stärkung der inklusiven Schule: Die links-grüne Mehrheit will mit zusätzlichen 1,3 Millionen Franken neue pädagogische Auszeitstrukturen in den Schulen finanzieren. Konkret geht es um die Einrichtung niederschwellig zugänglicher Rückzugsorte für Schüler:innen. Dies solle Lehrpersonen entlasten als auch die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen fördern, so Balz Bürgisser (Grüne). Yasmine Bourgeios (FDP) entgegnete, dass die Einführung der Lerninseln zu mehr Koordinationsaufwand und schwächeren Lernbeziehungen mit den Lehrpersonen führe.
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