Pflegetaxen: Stadtparlament leitet Machtwechsel ein
Die letzte Sitzung vor der Pause wurde zum Kraftakt: Der Zürcher Gemeinderat entschied über Millionen für Sans-Papiers, riss die Pflegepreis-Kompetenz an sich und verabschiedete sich schliesslich nach Mitternacht in den Sommer.
Am Mittwochabend tagte der Gemeinderat zum letzten Mal vor den Sommerferien. Doch anders als in der Schule war nichts mit Film und Badi, stattdessen ackerte sich das Stadtparlament noch einmal durch eine volle Pendenzenliste – was sich bis nach Mitternacht zog. Bevor es losging, gab's noch ein paar persönliche Momente: Ratspräsident Christian Huser gratulierte Yves Peier (SVP) und Lisa Diggelmann (SP) zum Geburtstag und verabschiedete sieben Mitglieder: Matthias Probst von den Grünen, der bereits seit 2006 im Gemeinderat sitzt, Davy Graf (SP), Barbara Wiesmann (SP), Patrik Maillard (AL), Carla Reinhard (GLP) und Snezana Blickenstorfer (GLP). Ein paar warme Worte und Applaus, danach ging's zum politischen Tagesgeschäft.
Und dort wurde hitzig diskutiert. Grund war die Parlamentarische Initiative (PI) zum Rahmenkredit für zwei Pilotprojekte zugunsten Sans-Papiers. Konkret geht es um zwei auf drei Jahre angelegte Programme, für die die Stadt einen Kredit von insgesamt 5,4 Millionen Franken bewilligt hatte. Das erste sieht eine Überbrückungshilfe für Sans-Papiers vor, das zweite eine wirtschaftliche Basishilfe für Ausländer:innen mit Aufenthaltsstatus, denen aus migrationsrechtlichen Gründen der Zugang zur regulären Sozialhilfe verwehrt bleibt. Diese Projekte sollten helfen, besonders verletzliche Menschen, die durch das bestehende Hilfsnetz fallen, finanziell zu unterstützen.
Bereits 2021 hatte die Stadt ein ähnliches Pilotprojekt gestartet. Dieses scheiterte aber an einer Beschwerde des FDP-Politikers Alexander Brunner. Der Bezirksrat gab Brunner damals recht. Auch ein zweiter Anlauf 2023 blieb nicht ohne Widerspruch. Wieder reichte Brunner Beschwerde ein und wieder mit Erfolg: Die Stadt habe unrechtmässig gehandelt, indem sie finanzielle Hilfe leistete, ohne dies den Migrationsbehörden zu melden, obwohl sie eigentlich dazu verpflichtet gewesen wäre.
Die Stadt Zürich legte daraufhin Rekurs ein, doch der Regierungsrat wies diesen im Juni 2025 ab. Die Begründung: Die Stadt verfüge im Bereich Asyl und Migration über keine Zuständigkeit – diese liege beim Bund. Die Unterstützung sei daher nicht rechtens. Nun stand die Frage im Raum: Soll die Stadt Zürich den Entscheid akzeptieren oder vor das Verwaltungsgericht ziehen?
«Die finanzielle Unterstützung verhindert eine Verelendung von Menschen, die durch die Maschen gefallen sind.»
Patricia Petermann (SP)
Die linke Ratsmehrheit sprach sich dafür aus, den Entscheid ans Verwaltungsgericht weiterzuziehen. Man wolle eine endgültige juristische Klärung. Patricia Petermann (SP) sagte: «Die finanzielle Unterstützung verhindert einfach nur eine simple Verelendung von Menschen, die auf die ein oder andere nicht vorhersehbare Weise durch die Maschen gefallen sind.»
FDP, SVP, Mitte und GLP hingegen lehnten ein weiteres Verfahren ab. Roger Meier (FDP) sprach von einer «unzulässigen Umgehung des Sozial- und Nothilferechts» und einem klaren Verstoss gegen kantonale und eidgenössische Zuständigkeiten.
Am Ende entschied eine knappe Mehrheit mit 62 zu 58 Stimmen: Die Stadt zieht den Fall ans Verwaltungsgericht weiter. Dort soll nun grundsätzlich geklärt werden, ob kommunale Nothilfe für Menschen ohne geregelten Aufenthaltsstatus zulässig ist oder nicht.
Pflegetaxen in städtischen Heimen sollen künftig Sache des Parlaments sein
Die Debatte blieb angespannt. Gleich im Anschluss musste der Gemeinderat entscheiden, wer künftig die Höhe der Pflegekosten in städtischen Alterszentren festlegen soll – der Stadtrat oder das Parlament selbst. Die Frage hatte bereits im Juni zu intensiven Diskussionen geführt.
Auslöser war eine PI der SP, Grünen, AL und – richtig gelesen – der SVP. Sie forderten, dass neu der Gemeinderat über die Pflegetaxen befinden soll, analog zu anderen Gebühren wie etwa für Abfallsäcke oder Parkplätze. Damit würde dem zuständigen Stadtrat Andreas Hauri (GLP) die entsprechende Kompetenz entzogen.
«Das Resultat gilt es zu akzeptieren, auch wenn wir es inhaltlich falsch finden.»
Nicolas Cavalli (GLP)
Hintergrund war eine Entscheidung des Stadtrats aus dem Jahr 2023, die Taxen um durchschnittlich 6205 Franken pro Person und Jahr anzuheben, also rund zehn Prozent. Ein solcher Eingriff, so die Initiant:innen, dürfe nicht ohne Mitsprache des Parlaments erfolgen.
Die Vorlage wurde im November 2023 mit linker Mehrheit an die zuständige Kommission überwiesen. Weil es sich aber um eine Gesetzesänderung handelt, musste der Antrag zurück an die Redaktionskommission.
In der Zwischenzeit krebste die SVP zurück und stellte sich auf die Seite der Mitte-Bürgerlichen. Die neue Mehrheit – bestehend aus GLP, Mitte/EVP, FDP und SVP – lehnte die Initiative ab. Sie warnte vor Kompetenzverlust der Fachverwaltung und politisch motivierten Entscheiden ohne ausreichendes Fachwissen. Zudem wurde befürchtet, dass private Anbieter:innen verdrängt und die städtischen Alterszentren überlastet werden könnten.
GLP-Gemeinderat Nicolas Cavalli beantragte eine geheime Abstimmung. Das Resultat: 63 Nein-Stimmen (also Ja zur Initiative), 56 Ja-Stimmen (also Nein) und eine Enthaltung. Damit war die PI angenommen – gegen die Empfehlung der Kommissionsmehrheit.
Cavalli sagte im Nachgang: «Das Resultat gilt es jetzt zu akzeptieren, auch wenn wir es inhaltlich falsch finden.»
Weitere Themen aus dem Gemeinderat
Unterstützung für Gazastreifen: Der Zürcher Gemeinderat fordert den Stadtrat auf, rasch Geld für humanitäre Hilfe in Gaza bereitzustellen. Die Lage im Gazastreifen spitzt sich zu: Essen fehlt, Medikamente gehen aus, Spitäler versagen. Das Postulat kam von Grünen, SP und AL und erhielt breite Unterstützung – 80 von 111 Ratsmitgliedern stimmten zu.
Linke und Mitte lobten das Engagement. Die GLP mahnte, genau hinzuschauen, wohin das Geld fliesst. Die SVP kritisierte den Vorstoss scharf, sprach von Symbolpolitik und warnte vor Missbrauch der Mittel. Auch die FDP lehnte ab. Nun muss der Stadtrat Wege prüfen, um schnell und wirksam zu helfen.
Neue Anlaufstelle für Mietfragen: Lara Can, Marco Denoth und Lisa Diggelmann (alle SP) forderten in einer dringlichen Motion, dass die Stadt Zürich eine Prüfungs- und Beratungsstelle für Mietzinse einrichtet. Ziel soll es sein, Mieter:innen – insbesondere finanziell schwächere – besser über ihre Rechte (zum Beispiel in Bezug auf den Referenzzinssatz oder Einspruchsfristen) zu informieren und so Hürden zu senken. Die neue Stelle solle dabei Lücken füllen, ohne bestehende Angebote wie den Mieter:innenverband Zürich zu verdrängen.
Mitte-Bürgerlich warnte vor Bürokratie, Wohnungsverknappung und einem «Schnüffelstaat», der in den Mietmarkt eingreife. Die AL unterstützte das Anliegen grundsätzlich, verlangte jedoch aus rechtlichen Gründen eine reine Informations- statt Beratungsstelle – und plädierte für mehrsprachige Angebote. Die SP akzeptierte den Änderungsvorschlag. Schliesslich setzte sich die rot-grüne Mehrheit mit 62 Ja- zu 54 Nein-Stimmen knapp durch.
Schnelle Hilfe für den Josi-Kiosk: Nach dem Brand vor knapp drei Wochen soll der Verein Kiosk Josefswiese unkompliziert unterstützt werden. Das fordern Deborah Wettstein und Roger Suter von der FDP. Ihr Postulat verlangt unter anderem einen befristeten oder teilweisen Verzicht auf den Mietzins, die Bereitstellung eines mobilen Kiosks oder eines provisorischen Containers sowie ein beschleunigtes Bewilligungsverfahren für Übergangslösungen. Das Anliegen wurde mit 94 Ja-Stimmen zur Prüfung an den Stadtrat überwiesen.
Geld für Blatten: Der Stadtrat soll prüfen, wie die Stadt Zürich dem Dorf Blatten finanziell unter die Arme greifen kann – kurzfristig mit Soforthilfe, mittelfristig allenfalls mit Sach- oder Infrastrukturleistungen. Das fordert ein Postulat der FDP-Gemeinderäte Frank Rühli, Flurin Capaul und Sebastian Vogel. Vorbild ist der Zürcher Regierungsrat, der bereits 500'000 Franken Soforthilfe gesprochen hat. Eine breite Ratsmehrheit von 99 Personen unterstützte das Anliegen.
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Bachelorstudium der Psychologie an der Universität Zürich und Masterstudium in Politischer Kommunikation an der Universität von Amsterdam. Einstieg in den Journalismus als Redaktionspraktikantin bei Tsüri.ch. Danach folgten Praktika bei der SRF Rundschau und dem Beobachter, anschliessend ein einjähriges Volontariat bei der Neuen Zürcher Zeitung. Nach einigen Monaten als freie Journalistin für den Beobachter und die «Zeitung» der Gessnerallee seit 2025 als Redaktorin zurück bei Tsüri.ch.