Links will Stadtrat Kompetenz bei den Pflegekosten entziehen
Gestern diskutierte der Rat über Kinder und alte Menschen. Bei der Frage, wer die Preise bei städtischen Altersheimen kontrollieren soll, wurde die Debatte hitzig.
Der nicht-mehr-ganz-so-neue Ratspräsident Christian Huser (FDP) hat von seinem Vorgänger Guy Krayenbühl (GLP) eine Tradition übernommen: Zu Beginn wird jeweils ein Ziel für die aktuelle Sitzung verkündet.
Gestern lautete es «Top 34». Das bedeutet: 34 Geschäfte sollen in den kommenden vier Stunden bis 21 Uhr behandelt werden.
Und wer schon einmal einer Sitzung beigewohnt (oder im Live-Stream zugeschaut hat) weiss, dass das Wort Parlament wirklich von «parler» kommen muss. Unsere Volksvertreter:innen werden nämlich sehr gerne sehr ausführlich, was wiederum die Sitzungsziele in weite Ferne rücken lässt.
Doch gestern hakte die Ratsleitung ein Geschäft nach dem anderen ab. «Aazälle, Bölleschelle, d`Chatz gaht uf Walliselle» wurden Postulate abgeschrieben; Schulkommissionsmitglieder gewählt; den Kommissionen neue Vorlagen verteilt.
«Chunt sie wieder hei, hätt si chrummi Bei» wurde eine SP-Motion zur Einführung einer Prüfungs- und Beratungsstelle für Mietzinse mit GLP-Stimmen für dringlich erklärt.
«Piff, paff, puff und du bisch duss» und schon war die erste Stunde und mehr als die Hälfte der Traktanden erledigt.
Doch irgendwann war auch diese Aufwärmphase vorbei und die Gemeinderät:innen brachten sich in Stellung. Schliesslich soll auch noch gearbeitet werden.
Und arbeiten heisst am Mittwochabend in allererster Linie – eben – diskutieren. Gestern über alte Menschen und kleine Kinder.
Links will Stadtrat Kompetenz bei den Pflegekosten entziehen
Am längsten wurde über eine Parlamentarische Initiative (PI) zu Altersheimpreisen diskutiert, die schlussendlich gar nicht zur Abstimmung kam.
Darum gehts: Die Motion von SP, Grünen und AL will, dass künftig der Gemeinderat die Pflegetaxen in den städtischen Alterszentren kontrolliert. Bislang war das Aufgabe des Stadtrats.
Und wenn die Mehrheiten so bleiben, wie sie sich gestern Abend abgezeichnet haben, dürfte es auch zu dieser Kompetenzverschiebung kommen.
«Es ist eine fundamentale Frage städtischer Demokratie und sozialer Verantwortung.»
Nadina Diday, SP-Gemeinderätin
Das sei kein simpler, juristischer Akt, sagte Nadina Diday (SP), sondern eine «fundamentale Frage städtischer Demokratie und sozialer Verantwortung».
Die letzte Erhöhung der Pflegetaxen von mehr als 500 Franken pro Monat wurde 2023 vom Stadtrat beschlossen (und vom Gemeinderat bestätigt). Weil solche Entscheidungen einen grossen Einfluss auf das Leben der betroffenen Personen hätten, sollen diese Entscheidung nicht der Verwaltung überlassen werden, meint Diday. Vielmehr müsse dies ein demokratisch gewähltes Gremium beschliessen.
Dem schloss sich Moritz Bögli (AL) an und reduzierte die komplexe Debatte auf die Frage: «Fürchten wir uns vor dem Volk oder nicht?».
Bürgerlich bis Rechts fand das Ganze aber gar keine gute Idee. (Obwohl: Zuerst hatte die SVP die PI sogar mitunterzeichnet, wechselte in den vergangenen Monaten aber die Seite.)
«Es werden willkürliche Entscheide […] getarnt im Mantel der Transparenz und Demokratie.»
Nicolas Cavalli, GLP-Gemeinderat
Nicolas Cavalli (GLP) warnte, dass die Entscheidungen zur Höhe der Pflegetaxen bei einer Kompetenzverschiebung zum Gemeinderat willkürlich ausfallen würden. Es entstehe ein «Zahlenbazar», «getarnt im Mantel der Transparenz und Demokratie». Und weil sich die politischen Verhältnisse im Rat ständig änderten, würde es für die Betroffenen zudem jegliche Planungssicherheit verunmöglichen.
Dass die FDP gegen diese PI war, lag auf der Hand. Deborah Wettstein hatte deswegen die Gelegenheit, die freisinnigen Klassiker zu präsentieren.
Die vorgeschlagene Änderung sei Sozialpolitik im «Giesskannenprinzip», anstatt auf Eigenverantwortung zu setzen. Ausserdem schaffe man so «falsche Anreize» für ältere Menschen.
Wettstein malte das Bild von älteren Menschen, die für ihre Alterswohnungen in die Stadt ziehen würden, um Geld zu sparen, obwohl sie nie in die städtische Kasse eingezahlt hätten.
«Aus meiner Sicht ist es sonnenklar, dass die Taxenkompetenz bei der Stadt am richtigen Ort ist.»
Stadtrat Andreas Hauri (GLP), Vorsteher Gesundheitsdepartement
Auch die Stadt ist gegen das Anliegen.
Der zuständige Stadtrat Andreas Hauri (GLP) bezeichnete eine allfällige Kompetenzverschiebung als «nicht seriös».
Hauri wies darauf hin, dass der Gemeinderat dann nicht nur über die Preise für Betreuung und Übernachtung befinden müsse, sondern auch darüber, wie viel einer Person zurückbezahlt werden muss, wenn sie ein Abendessen auslässt oder das Zimmer selbst reinigt.
Bei dem städtischen Departement hingegen gäbe es für diese Fragen die notwendigen Fachpersonen mit dem entsprechenden Wissen. «Aus meiner Sicht ist es sonnenklar, dass die Taxenkompetenz bei der Stadt am richtigen Ort ist», so Hauri.
Doch der Gesundheitsvorsteher streckte
1. in Antizipation einer Annahme der Motion und
2. in der Hoffnung auf eine baldige Besinnung der Parlamentarier:innen bereits vor der Abstimmung seine Hand aus. Er sei jederzeit gesprächsbereit, neue Wege zu finden.
Doch dann! Spannung! Es kam gar nicht zu Abstimmung. Denn das Geschäft muss zuerst in die Redaktionskommission.
Die Überraschung war kurzzeitig gross, offenbar hatten nicht alle im Saal hatten damit gerechnet. Und nun bleibt es spannend, ob die gestern noch klar definierten Mehrheiten auch so bleiben.
Die Abstimmung folgt in ein paar Wochen.
Drei Geschäfte zur Kinderbetreuung überwiesen
(Etwas) weniger emotional verlief die Debatte bei der Kinderbetreuung. Hier wurden drei Geschäfte von SP, Grünen und AL dem Stadtrat überwiesen.
Einmal mit 60 Ja zu 57 Nein-Stimmen knapp eine Motion, die ein subventioniertes Rabattsystem (Geschwisterrabatt) für Familien mit mehreren Kindern will.
Dann haben alle Parteien bis auf die SVP dem Stadtrat ein Postulat überwiesen, das will, dass die Prozesse zur Beantragung von Subventionen für die Kinderbetreuung vereinfacht werden.
Und ein drittes Postulat, das verlangt, dass Eltern direkt nach der Geburt über die städtischen Subventionsbedingungen bei der familienergänzenden Kinderbetreuung informiert werden, wurde mit der Unterstützung der Mitte/EVP-Fraktion ebenfalls dem Stadtrat überwiesen.
Zum Schluss noch eine Randnotiz für alle Fans der Selbst- und Prozessoptimierung: Huser erreichte das Ziel mit einer Punktlandung. Um Punkt 21 Uhr wurde das 34. Traktandum abgeschlossen.
Weitere Themen aus dem Gemeinderat
PWG schliesst 2024 erfolgreich ab: Der Gemeinderat genehmigt Jahresbericht und -rechnung der Stiftung zur Erhaltung von preisgünstigen Wohn- und Gewerberäumen der Stadt Zürich (Stiftung PWG) für das Jahr 2024. Die Stiftung besass Ende letzten Jahres 194 Liegenschaft und über 2600 Mietobjekten in allen Zürcher Stadtkreisen.
Gemeinderat will weiter debattieren: Ein Beschlussantrag von Derek Richter (SVP) und Stephan Iten (SVP) bot den Parlamentarier:innen die Gelegenheit, ein Plädoyer für die Debattenkultur im Rat zu halten. Die Vorlage wollte, dass der Stadtrat künftige seine allfällige Ablehnung eines Postulats schriftlich im Vorfeld begründet. Bei allen anderen Parteien stiess dieser Vorschlag auf keine Gegenliebe. Dasselbe müsste dann auch für jeden Ablehnungsantrag aus dem Rat gelten und das, so fasste es Martina Zürcher (FDP) zusammen, würde die Ratsdebatte erübrigen, was wiederum «den Charme und Nutzen des Parlaments nehmen würde». Ihre Meinung teilten die anderen Parteien auch und so wurde der Beschlussantrag von allen ausser der SVP-Fraktion abgelehnt. Einzig zwei Stimmen der GLP unterstützen den Antrag der SVP.
Mehr Zeit für das Tiefbaudepartement: Simone Brander (SP) und ihr Tiefbau-Departement kriegen mehr Zeit. Einmal für die Erledigung einer Motion von SP, Grünen und AL zur Rekommunalisierung der Firma Biogas Zürich AG. Und einmal bei einer Motion von SP, Grünen und GLP, die einen Projektierungskredit für den Bau der Tramhaltestelle «Sihlquai» auf der Zollbrücke wollen.
Aufgewachsen am linken Zürichseeufer, Studium der Geschichte, Literatur- und Medienwissenschaft an den Universitäten Freiburg (CH) und Basel. Sie machte ein Praktikum beim SRF Kassensturz und begann während dem Studium als Journalistin bei der Zürichsee-Zeitung. Als wissenschaftliche Mitarbeiterin untersuchte sie Innovationen im Lokaljournalismus in einem SNF-Forschungsprojekt, wechselte dann von der Forschung in die Praxis und ist seit 2021 Mitglied der Geschäftsleitung von We.Publish. Seit 2023 schreibt Nina als Redaktorin für Tsüri.ch.