Gemeinderat wehrt sich gegen Abschaffung der Entsorgungscoupons
Die einen befürchten einen Anstieg illegaler Entsorgungen, die anderen sprechen von einem Fehlanreiz. Beim Thema Entsorgungscoupons gingen im Gemeinderat die Wogen hoch.
Eigentlich handelt es sich bloss um kleine Zettel. Doch wenn es nach dem Gemeinderat geht, sind es extrem wichtige Zettel – fast schon überlebenswichtig, könnte man meinen.
Nachdem der Stadtrat Anfang September ankündigte, die kostenlosen Entsorgungscoupons abzuschaffen, wurden insgesamt vier Postulate eingereicht. Am Mittwochabend entbrannte darüber eine hitzige Debatte.
Absenderinnen der Postulate waren SVP, FDP, Mitte/EVP und AL. Alle hatten eine Gemeinsamkeit: Sie forderten die Beibehaltung der Entsorgungscoupons. Für die Erhaltung wurde ausserdem eine Petition gestartet, die über 3600 Menschen unterzeichnet haben.
Die Coupons gibt es nicht erst seit gestern. Über 20 Jahre lang verschickt Entsorgung + Recycling Zürich (ERZ) die Entsorgungscoupons schon an alle Haushalte, wodurch die Bevölkerung jährlich bis zu 400 Kilogramm Abfall kostenlos in den Recyclinghöfen entsorgen kann. Nun sollten sie im Sinne der Nachhaltigkeit gestrichen werden.
Künftig soll Sperrgut kostenlos nur noch an den Haltestellen der Cargo- und E-Trams sowie in mobilen Recyclinghöfen angenommen werden. Die Entsorgung bei den Recyclinghöfen Looächer oder Werdhölzli soll fortan kosten. Für die ersten 100 Kilogramm 22.70 Franken und für jede weiteren 100 Kilogramm 19.45 Franken. Darüber hinaus bietet die Stadt einen Abholservice an, für den pro Viertelstunde Aufladezeit 86.50 Franken berechnet werden.
«Unterstellen wir unserer Bevölkerung keine grössere kriminelle Energie, nur weil es die Coupons nicht mehr gibt.»
Simone Brander, SP-Politikerin und Stadträtin
«Das neue Angebot tönt gut, aber es funktioniert nicht», sagte Martin Bürki (FDP). Das Cargo-Tram decke nur ein beschränktes Bedürfnis ab, da es nur kleineres Sperrgut annimmt. Und das Projekt mit den mobilen Recyclinghöfen befände sich noch in der Testphase. Die Befürchtung der FDP, aber auch der SVP: ein deutlicher Anstieg illegaler Entsorgungen. «Wenn überall Kühlschränke herumliegen, verliert Zürich seine internationale Ausstrahlung», doppelte Stephan Iten (SVP) nach.
Auf diese Kritik entgegnete die zuständige Stadträtin Simone Brander (SP): «Unterstellen wir unserer Bevölkerung keine grössere kriminelle Energie, nur weil es die Coupons nicht mehr gibt.»
Für die Postulate zeigte sie wenig Verständnis; Stück für Stück zerpflückte sie die Forderungen der Politiker:innen. Ihr stärkstes Argument: Bisher hätte eine falsche Umverteilung stattgefunden. Nur 10 Prozent der Coupons würden eingelöst. «Diejenigen, die mehr konsumiert haben, haben auf Kosten derjenigen entsorgt, die weniger konsumieren», erklärte Brander.
Zudem nehme die Stadt niemandem etwas weg, denn das Entsorgungsangebot bleibe bestehen. «Das Entsorgen kostet dann halt einfach 22.70 Franken, also so viel wie eine Pizza prosciutto e funghi», sagte Brander. Zudem verwies sie auf eine Mitteilung des Stadtrats vom Mittwoch. Darin erklärte er, dass er bis 2026 die Cargotrams abschaffen will und dafür an bis zu 30 neuen Standorten in der Stadt mobile Recyclinghöfe einführen möchte.
Unterstützung erhielt Brander von Dominik Waser (Grüne), der «konsterniert» war über die Debatte, die er als «lächerliches Theater» beschrieb. «Die Coupons sind ein Fehlanreiz», so Waser. Deshalb sei der Entscheid des Stadtrats richtig.
Trotz dieser Voten hält der Gemeinderat an den Coupons fest. «Damit der Stadtrat nicht sein Gesicht verliert», wie Beat Oberholzer von der GLP sagte, wurde dann noch ein Textänderungsantrag angenommen: Künftig soll es nur noch zwei anstatt vier Gutscheine geben – heisst 200 statt 400 Kilo.
Nun entscheidet die Stimmbevölkerung über den Lohn der Gemeinderät:innen
Anfang September kochten die Emotionen hoch, als der Gemeinderat über die eigene Entlohnung diskutierte. Linke und grüne Parlamentarier:innen sprachen sich für die Erhöhung von rund 16’000 Franken auf neu 28’000 Franken pro Jahr aus. Damit wollen sie unter anderem dem gestiegenen Arbeitsaufwand Rechnung tragen. Dagegen positionierten sich FDP und SVP. Sie sprachen von «Selbstbereicherung». Die SVP drohte bereits mit dem Volksreferendum.
Nun folgte am Mittwoch eine politische Kehrtwende: Die Fraktionen SP, Grüne, GLP, Mitte/EVP und AL teilten mit, dass sie gegen ihren eigenen Beschluss das Parlamentsreferendum ergreifen werden. «Für uns ist klar, dass der Gemeinderat nicht abschliessend über höhere Entschädigungen für sich selbst entscheiden soll», liess sich David Garcia Nuñez (AL) in der Mitteilung zitieren.
Darauf folgte Unverständnis und Empörung auf rechter Ratsseite. Michael Schmid (FDP) bezeichnete es als «peinliche Nummer». Es sei «absurd», dass die FDP-Fraktion nicht zur Mitunterzeichnung des Parlamentsreferendums angefragt worden ist. Dass nun die Stimmbevölkerung das letzte Wort in der Sache haben wird, befürwortet aber die FDP, so auch die SVP.
Weitere Themen der Woche:
- Neuer Schiffslandesteg in Wollishofen: Der Gemeinderat hat am Mittwoch beschlossen, den Schiffslandesteg in Wollishofen von 14 auf 63 Meter zu verlängern, um das Schwimmen in diesem Bereich sicherer zu machen. Markus Knauss (Grüne) erläuterte, dass es dort immer wieder zu gefährlichen Situationen komme. Der bisher abgetrennte Schwimmbereich sei klein und nahe am Ufer, wo man noch stehen könne. Viele Schwimmer:innen verlassen jedoch diesen Bereich und geraten dadurch in die Nähe der Schiffe. Mit dem verlängerten Steg soll dies verhindert werden. Für den Bau wurden 4,2 Millionen Franken bewilligt. Ein Vorschlag der SVP, im Zuge dessen auch neue Bootsplätze zu schaffen, wurde mit 33 Ja- zu 77 Nein-Stimmen abgelehnt.
- Stadtrat gegen Werbeverbot im öffentlichen Raum: In einer Motion forderte die AL eine deutliche Reduktion der Werbeflächen im öffentlichen Raum. Gestern gab der Stadtrat Antwort: Dieser lehnt ein generelles Verbot von Aussenwerbung auf öffentlichem Grund ab. Stattdessen will er die Praxis bei digitalen Aussenwerbeanlagen überprüfen und stoppt deren Ausbau bis 2030, wie es in einer Mitteilung heisst.
- Stadt fördert weiterhin Kunst im öffentlichen Raum: Zur Debatte stand am Mittwoch auch das neue Leitbild der Abteilung «Kunst im öffentlichen Raum» (KiöR) und der Antrag auf einen Rahmenkredit von 7,3 Millionen Franken für die kommenden acht Jahre. «Kunst im öffentlichen Raum kann Diskurse auslösen, uns auf die Probe stellen und den öffentlichen Raum verschönern», sagte Liv Mahrer (SP). Von der politischen Gegenseite klang es anders. Das neue Leitbild sei «elitäre Selbstbefriedigung», so Stefan Urech (SVP). Er forderte die Überarbeitung des Leitbilds aufgrund unverständlicher Sprache und zu enger Themensetzung für die Kunstwerke. Der Rückweisungsantrag wurde abgelehnt, der Kredit mit 66 Ja- zu 42 Nein-Stimmen angenommen.
- Schulanlage Riedtli wird ausgebaut: Im Schuljahr 2025/26 soll die Sekundarschule Riedtli in das ehemalige Radiostudio auf dem Brunnenhof-Areal ziehen. Das Schulhaus soll umgebaut werden, zukünftig soll eine Primarschule sowie die Heilpädagogische Schule darin unterkommen. Dafür hat der Gemeinderat gestern einen Kredit in der Höhe von 6,3 Millionen Franken genehmigt. Zusätzlich wurde ein Begleitpostulat der SP verabschiedet, das den Stadtrat dazu auffordert zu prüfen, wie auf der Riedtlistrasse zum Schutz der Kinder Tempo 30 umgesetzt werden kann. Ein SVP-Vorschlag, Wechselverkehrsschilder einzuführen, fand keine breite Zustimmung.
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