Sandro Gähler (SP): «In der Politik verliert man einen Teil seiner Individualität»

Sandro Gähler ist Verkehrsplaner – und seit einem Jahr auch Zürcher Gemeinderat. Seine Firma arbeitet mit der Stadtverwaltung zusammen. Diese Überlappung mache seine politische Arbeit «komplex», sagt er.

                           Sandro Gähler SP
Sandro Gähler ist in der Sachkommission Gesundheits- und Umweltdepartement. (Bild: Jenny Bargetzi)

Nach den Sommerferien 2024 rutschte der SPler Sandro Gähler für Judith Boppart in den Gemeinderat. Politisch aktiv ist Gähler aber schon in seiner Jugend: Mit 16 Jahren trat er der Juso bei. Seither ist die Politik fester Bestandteil seines Lebens. «Politisches Engagement ist eine der wichtigsten Möglichkeiten, unsere Demokratie zu erhalten», sagt er. 

Der 37-Jährige arbeitet als Verkehrsplaner. Sein Arbeitgeber erhält viele Aufträge direkt von der Stadt Zürich und der Stadtverwaltung – das macht seine politische Arbeit besonders komplex. «Es gibt viele Verknüpfungen zwischen meinem Arbeitgeber und der Stadtverwaltung. Das ist nicht ideal.»

Deshalb gilt für ihn eine klare Regel: Er darf an keinen Strassenbauprojekten der Stadt mitarbeiten, weil diese politisch besonders heikel sind. «Parkplatzberechnungen für Schulhäuser sind weniger umstritten, das hingegen geht.»

Sophie Wagner: Sie sitzen nun seit bald einem Jahr im Zürcher Gemeinderat, wie haben Sie das Jahr empfunden? 

Sandro Gähler: Ich finde es spannend, die verschiedenen Meinungen der unterschiedlichen Fraktionen zu hören. Besonders interessant ist es, wenn Fraktionen, die politisch eigentlich nah beieinander sind, plötzlich unterschiedlich entscheiden. Zum Beispiel, wenn alle dafür sind, ausser die FDP oder die Mitte. Dann fragt man sich: Warum sind die weiter links und die weiter rechts plötzlich gemeinsam dafür? 

Mit der Zeit habe ich auch gemerkt, wie wichtig es ist, innerhalb einer anderen Fraktion zu wissen, mit wem man reden muss. Wenn jemand ein Thema leidenschaftlich vertritt oder aus persönlichen Gründen daran hängt, kann diese Person die Stimmung innerhalb der Fraktion stark beeinflussen.

Wer oder was hat Sie damals politisch inspiriert? 

Ich bin ins Gymnasium gegangen, und das war vielleicht schon politischer als die Sekundarschule. Wir führten viele Diskussionen in der Klasse, und wir hatten einen Lehrer, der offensichtlich in der SP war. In die Juso bin ich eingetreten, weil ich bereits andere Leute kannte, die das auch gemacht haben. 

War die SP für Sie damals die logische Wahl? 

Ja. Trotzdem habe ich seither regelmässig mit Smartvote überprüft, ob die SP noch die richtige Partei für mich ist. Und ja – das ist sie.

Gab es Momente des Zweifelns?

Natürlich. Es gibt acht Fraktionen und unendlich viele Themen. Es wird nie eine Partei geben, die immer vollständig meinen Werten entspricht. Auch innerhalb der SP stosse ich manchmal an meine Grenzen – gerade in Themen, in denen ich der Minderheit zugehöre. In der Politik verliert man einen Teil seiner Individualität.

Mit welcher Gemeinderätin oder welchem Gemeinderat der politischen Gegenseite würden Sie gerne ein Getränk nach Wahl trinken?

Im Gemeinderat haben wir viele Apéros, bei denen man mit allen ins Gespräch kommt. Aber ich würde sagen: mit Martina Zürcher der FDP. Wir sind zusammen ins Gymnasium gegangen und haben seither keinen Kontakt mehr.

Welches Abstimmungsergebnis im Rat hat Sie am meisten gefreut?

Das neue Sportzentrum in Oerlikon. Ich hatte befürchtet, dass es nicht die nötige Zustimmung bekommt, aber es gab überraschend breite Unterstützung. Da ich dort in der Nähe wohne, freut mich das natürlich besonders.

Welches Ergebnis hat Sie am meisten geärgert?

Die SP gewinnt meistens, daher sind es eher Themen, bei denen ich mich innerhalb meiner Fraktion nicht durchsetzen kann. 

Zum Beispiel bei den Velovorzugsrouten: Diese werden in Zürich durch ein grünes Farbband gekennzeichnet, das zur Orientierung dienen soll. National wird sich jedoch höchstwahrscheinlich Rot als Standardfarbe durchsetzen. Ich war dafür, dass Zürich sich dem nationalen Standard anpasst.

Wofür kennt man Sie im Rat – auch ausserhalb Ihrer Partei?

Aktuell kennt man mich wohl eher dafür, dass ich politisch recht einseitig unterwegs bin, da sich bei mir bislang vieles um Velopolitik drehte. Aber ich arbeite daran, mein Profil nach und nach zu erweitern.

Im März 2026 wird der Stadt- und Gemeinderat neu gewählt. Können Sie sich vorstellen, weiterhin für den Kreis 12 zu politisieren? 

Ja, ich würde mich sehr freuen, wenn ich nochmals eine Legislatur machen könnte. Ich denke, sechs bis acht Jahre sind eine ideale Dauer. Es braucht ein bis zwei Jahre, bis man herausfindet, wie alles funktioniert und wie man effizient arbeiten kann. 

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Sophie Wagner

Ausbildung als Polygrafin EFZ an der Schule für Gestaltung in Bern und aktuelle Studentin Kommunikation mit Vertiefung in Journalismus an der ZHAW Winterthur. Einstieg in den Journalismus als Abenddienstmitarbeiterin am Newsdesk vom Tages-Anzeiger, als Praktikantin bei Monopol in Berlin und als freie Autorin beim Winterthurer Kulturmagazin Coucou. Seit März 2025 als Praktikantin bei Tsüri.ch

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