Mehr Schlaf, weniger Mittag: Schule soll später beginnen

Zürcher Sekundarschüler:innen sollen künftig eine halbe Stunde länger schlafen dürfen. Darüber debattierte am Mittwoch der Gemeinderat. Weitere Themen waren Gratis-Duschen am See und ein neuer 350-Millionen-Rahmenkredit für das Velonetz.

Schülerinnen lesen ein Buch
Nur wenige Länder in Europa lassen ihre Jugendlichen so früh die Schulbank drücken wie die Schweiz. (Bild: Alexis Brown/Unsplash)

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Das Gemeinderats-Briefing ist frisch und voller Energie zurück aus den Sommerferien. Doch schon nach den ersten paar Minuten im Saal, fühlte es sich an, als wäre man nie weg gewesen: Stimmengewirr, Zwischenrufe, Gemeinderät:innen, die durcheinander reden und einander nur so halb zuhören.

Kurz gesagt: wie in der Schule. Und genau darum ging es in der Sitzung am Mittwochabend.

Diese soll vielleicht schon bald später starten.

In einer Parlamentarischen Initiative (PI) verlangen SP, Grüne und AL, dass der Unterricht für Sekundarschüler:innen erst um 8 Uhr beginnt, also eine halbe Stunde später als bisher. Stattdessen soll die Mittagspause auf mindestens eine Stunde gekürzt werden – bisher dauert sie 80 bis 100 Minuten. Für die Umstellung ist eine Frist von vier Jahren vorgesehen.

Die Befürworter:innen betonten, dass sich der Schlafrhythmus von Jugendlichen in der Pubertät nach hinten verschiebe. «Am Morgen sind viele schlicht nicht aufnahmefähig», sagte Balz Bürgisser (Grüne). Ein späterer Start solle ihnen das Lernen erleichtern.

«Wir mussten mit der PI zum schärfsten Instrument greifen.»

David Garcia Nuñez, AL-Gemeinderat

Die AL hatte schon früher ein Pilotprojekt gefordert.  Sophie Blaser (AL) sprach darum vom «letzten Versuch». Man habe mit Kreisschulbehörden gesprochen, wo der Vorschlag auf Zustimmung gestossen sei. Heute würden einige Schulen den späteren Start bereits praktizieren, andere hielten daran fest, Schüler:innen bis zu neun Lektionen am Stück in den Unterricht zu schicken. Das sei unfair.

Christina Horisberger (SP) erinnerte daran, dass die Tagesschulen genug Zeit hätten, um die Umstellung vorzubereiten. Ausserdem würden Jugendliche ohnehin lieber mit Kolleg:innen essen als nach Hause gehen. Auch die Mitte/EVP stellte sich hinter den Vorstoss.

FDP, SVP und GLP lehnten die PI ab. Isabel Garcia (FDP) verwies auf die laufende Einführung der Tagesschule, die Stadt sei schon jetzt stark belastet. Zudem drohten Engpässe bei Sportanlagen und eine zu kurze Mittagspause, die vielen den Heimweg verunmögliche.

Auch Bildungsdirektor Filippo Leutenegger (FDP) stellte sich gegen die Initiative. Die Frage sei bereits mit der Schulpflege geprüft worden. Ein späterer Unterrichtsstart lasse sich im komplexen Stundenplan der Sekundarschulen nicht umsetzen. «Am Morgen sind Jugendliche tatsächlich unkonzentriert», räumte er ein, «doch am Nachmittag ist es noch schlimmer.»

«Wenn der Gemeinderat die eigene Schulpflege übersteuern will, kann er das machen. Aber es ist ein Fehler.»

Filippo Leutenegger (FDP), Vorsteher des Schul- und Sportdepartements

David Garcia Nuñez (AL) warf Leutenegger vor, untätig geblieben zu sein. Man habe deshalb «zum schärfsten Instrument greifen» müssen.

Die Schulpflege habe die Idee geprüft und klar abgelehnt, erwiederte Leutenegger. «Wenn der Gemeinderat die eigene Schulpflege übersteuern will, kann er das machen. Aber es ist ein Fehler.»

Ausserdem widerspreche die verkürzte Mittagszeit dem ursprünglichen Versprechen bei Einführung der Tagesschulen: Diese seien nur freiwillig, wenn die Mittagspause lang genug bleibe, um nach Hause zu gehen und sich zu erholen.

Zu einer Schlussabstimmung kam es am Ende nicht. Der Vorstoss wurde vorerst an die Redaktionskommission überwiesen. Dort wird über den endgültigen Text beraten, bevor der Gemeinderat erneut darüber entscheidet.

Stadtrat muss Gratis-Duschen am See prüfen

Im Sommer zieht es Tausende Zürcher:innen an den See. Sie baden am Zürichhorn, auf der Rentenanstaltwiese, der Landiwiese oder beim GZ Wollishofen – nur eines fehlt bislang: eine Dusche nach dem Schwumm. Genau das wollten die SP-Gemeinderät:innen Severin Meier, Anna Graff und Matthias Renggli ändern. Mit ihrem Postulat forderten sie den Stadtrat auf zu prüfen, ob am See öffentliche und kostenlose Duschen ausserhalb der kostenpflichtigen Badis eingerichtet werden könnten.

Die Argumente: mehr Aufenthaltsqualität, Hygiene und Schutz vor Entenflöhen und «Zugang für Menschen, die keine hohen finanziellen Mittel haben», sagte Meier. Städte wie Neuenburg hätten es bereits vorgemacht.

Das Leben im öffentlichen Raum werde damit bereichert, so wie mit Grillplätzen oder öffentlich zugänglichen Fitnessanlagen.

«Ich möchte schon mal die Hoffnung dämpfen, dass es künftig alle 100 Meter ums Seebäckchen öffentliche Duschen haben wird.»

Simone Brander (SP), Vorsteherin des Tiefbau- und Entsorgungsdepartements

Die Bürgerlichen reagierten mit Spott. FDP-Gemeinderat Emanuel Tschannen sprach von «Gratisduschen mit Warmwasser, Duschgel, Föhn, Sichtschutz und Sicherheitsdienst».

Derek Richter von der SVP schlug vor, das Wort «Duschen» durch «Parkplätze» zu ersetzen und gab den Tipp, sich gegen Entenflöhe einfach gründlich abzutrocknen. Die GLP gab Stimmfreigabe, mit dem Hinweis, dass nur Warmwasser gegen Entenflöhe helfe und das sei am See schwer umzusetzen.

Unterstützung kam von den Grünen und der AL. Im Sommer seien viele Leute am Baden, erinnerte Sibylle Kauer (Grüne). Einfache Duschen mit kaltem Wasser seien da angebracht. AL-Gemeinderätin Tanja Maag verwies auf die Werdinsel, wo Gratis-Duschen schon Realität sind. Es genüge eine «Kaltdusche ohne Schnickschnack».

Stadträtin Simone Brander (SP) nannte das Postulat «verständlich und sympathisch», wies aber auf die praktischen Hürden hin: fehlende Wasser- und Abwasserleitungen, denkmalgeschützte Gartenanlagen, alte Bäume, die beim Graben geschädigt werden könnten. Unterhaltskosten kämen hinzu. Möglich seien Duschen daher nicht «alle hundert Meter», wohl aber punktuell.

Am Ende setzte sich das Anliegen dennoch durch. Mit 71 zu 45 Stimmen überwies der Gemeinderat das Postulat an den Stadtrat. FDP, SVP sowie Teile der Mitte/EVP lehnten ab. Nun muss der Stadtrat prüfen, wo und wie die Gratis-Duschen realisiert werden könnten.

Weitere Themen aus dem Rat

Mehr Geld für Velorouten: Die Stadt soll künftig fast dreimal so viel Geld für den Ausbau des Velonetzes zur Verfügung haben: insgesamt 350 Millionen Franken. Zum Vergleich: Der bisherige Kredit von 120 Millionen Franken aus dem Jahr 2015 wurde kaum genutzt. Erst 20 Millionen Franken flossen tatsächlich in Projekte. Grund dafür: Der alte Kredit war strikt an kommunale Projekte gebunden. Der neue Kredit soll flexibler eingesetzt werden, damit der Velonetz-Ausbau schneller vorankommt.

Knapp die Hälfte der Mittel, 150 Millionen Franken, ist für grosse Bauwerke wie Brücken und Unterführungen vorgesehen, darunter die Franca-Magnani-Brücke, die das Gleisfeld überquert, eine neue Verbindung über die Limmat sowie Unterführungen in Altstetten und Seebach. Weitere Gelder sollen in den Ausbau des Haupt- und Vorzugsnetzes sowie in Velostationen und Abstellplätze fliessen.

SP, Grüne und GLP sehen den neuen Rahmenkredit als dringend nötig, während die FDP zunächst nur 100 Millionen Franken bewilligen und die bestehenden Mittel aufbrauchen wollte. Ihr Vorschlag fand jedoch keine Mehrheit. Am Ende stimmten die Gemeinderät:innen mit 75 zu 43 Stimmen für den vollen 350-Millionen-Kredit. Die endgültige Entscheidung liegt nun bei der Stimmbevölkerung, die voraussichtlich im November darüber abstimmt.

Veloweg Zürich
Die Linke drängt auf mehr Geld für das Velonetz, die Bürgerlichen verweisen auf den Volksentscheid von 2015. (Bild: Sofie David)

KMU sollen unterstützt werden: Baustellen würden Zürcher KMU den Alltag erschweren: Kund:innen bleiben aus, Umsätze sinken. Drei Vorstösse von FDP-Gemeinderat Emanuel Tschannen und Mitstreiter:innen wollten Abhilfe schaffen – doch nur eine Motion kam abgeschwächt als Postulat durch, zwei weitere Postulate scheiterten.

Gefordert wurde, Selbständigerwerbende und KMU mit bis zu 50 Mitarbeitenden bei Umsatzeinbussen durch Baustellen mindestens zur Hälfte zu entschädigen. Heute müssten Betroffene die finanziellen Verluste alleine tragen, sagte Tschannen. Stadträtin Simone Brander (SP) warnte vor einem «Bürokratiemonster» und erklärte, Baustellen seien temporär und führen mittelfristig zu einer attraktiveren Umgebung. Das Anliegen wurde als Postulat dem Stadtrat überwiesen.

Ein weiterer Vorstoss zur systematischen Erfassung von Umsatzeinbussen bei Baustellen über drei Monate wurde trotz breiter Unterstützung mit 74 zu 42 Stimmen abgelehnt. Auch ein Postulat zur besseren Verkehrsführung während Bauarbeiten scheiterte knapp, mit 61 Nein- zu 55 Ja-Stimmen.

Soforthilfe für Blatten: Die Stadt Zürich soll das von einem Erdrutsch verschüttete Dorf Blatten finanziell unterstützen und damit dem Kantonsrat folgen, der bereits 500’000 Franken Soforthilfe zugesprochen hat. Die SVP verlangte, die Mittel mit Kürzungen bei der Entwicklungshilfe zu kompensieren. «Hier brauche man das Geld zuerst», sagte Samuel Balsiger (SVP). Die FDP wies diese Forderung zurück. Schliesslich überwies der Gemeinderat das Postulat in unveränderter Form einstimmig an den Stadtrat.

Neue Köpfe im Gemeinderat: Für die verbleibende Amtsdauer 2022 bis 2026 wurden mehrere neue Mitglieder in den Gemeinderat gewählt: Oliver Heimgartner (SP) folgt auf Davy Graf (SP), Lea Herzig (Grüne) auf Matthias Probst (Grüne), Susan Wiget (AL) auf Patrik Maillard (AL), Murat Gediz (FDP) auf Frank Rühli (FDP), Tom Cassee (SP) auf Barbara Wiesmann (SP), Patrick Stählin (GLP) auf Carla Reinhard (GLP) sowie Frank-Elmar Linxweiler (GLP) auf Snezana Blickenstorfer (GLP).

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jenny

Bachelorstudium der Psychologie an der Universität Zürich und Masterstudium in politischer Kommunikation an der Universität von Amsterdam. Einstieg in den Journalismus als Redaktionspraktikantin bei Tsüri.ch. Danach folgten Praktika bei der SRF Rundschau und dem Beobachter, anschliessend ein einjähriges Volontariat bei der Neuen Zürcher Zeitung. Nach einigen Monaten als freie Journalistin für den Beobachter und die «Zeitung» der Gessnerallee seit 2025 als Redaktorin zurück bei Tsüri.ch.

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