Stadtratswahlen

Politologe zur Wahlumfrage: «Ich frage mich, ob die FDP einen strategischen Fehler gemacht hat»

Wird Rykart Opfer der Glättli-Taktik? Hat die FDP bald nur noch einen Sitz? Und warum zieht die SP allen davon? Politologe Oliver Strijbis ordnet die erste repräsentative Umfrage zu den Stadtratswahlen ein.

Oliver Strijbis, Prof. Dr., SNF Förderungsprofessor am Institut für Politikwissenschaft Zürich am Freitag (29.3.2019) im  IPZ in Zürich. Foto: Flurin Bertschinger
Politologe Oliver Strijbis hat die erste repräsentative Umfrage zu den Stadtratswahlen durchgeführt. (Bild: Flurin Bertschinger)

Fänden die Stadtratswahlen bereits Ende Oktober statt, müssten drei bisherige Stadträte zittern, während drei Neu-Kandidierende an allen vorbeisegeln. Dies zeigt eine repräsentative Umfrage der Feldlabor GmbH im Auftrag von Tsüri.ch. Oliver Strijbis, Politologe und Autor der Umfrage, ordnet die Ergebnisse im Interview ein. Nina Graf: Polit-Beobachter:innen sagen, der Wahlkampf werde langweilig. Bestätigt oder widerlegt Ihre Erhebung diesen Eindruck?

Oliver Strijbis: Diese Aussage überrascht mich. Der Wahlkampf um das Stadtpräsidium mag langweilig ausgehen, aber beim Stadtrat wird es sehr spannend.

Warum? 

Mindestens zwei Parteien haben eine ziemlich riskante Strategie gewählt. Die Grünen, die mit drei Kandidatinnen ins Rennen steigen und die GLP, die ebenfalls zwei Personen nominiert – die weniger bekannte Serap Kahriman sogar für das Stadtpräsidium. Um die beiden letzten Stadtratsplätze wird es ein sehr spannendes Rennen geben.

Wahlen 2026 Umfrage
Gemäss Umfrage wird die SP vier Sitze halten können, die Grünen kämpfen um den dritten Sitz, die FDP will mit Avdili ihren zweiten Sitz halten. (Bild: Feldlabor ) (Bild: Feldlabor )

Mich hat überrascht, dass Balthasar Glättli so gut abschneidet. Gemäss ihrer Umfrage ist er der Drittplatzierte, also vor den meisten Bisherigen. Wie sicher ist es, dass die Zürcher:innen im Frühling Glättli zum Stadtrat küren?

Die Chancen stehen wirklich sehr gut. Allerdings hat Glättli jetzt noch einen grösseren Bekanntheitsvorsprung, als er beim Wahltermin haben wird. Aber man kann durchaus sagen, dass den Grünen mit dem Aufstellen von Balthasar Glättli ein Coup gelungen ist.

«Die Grünen verfolgen eine riskante Strategie – mit einem möglichen Ergebnis, das der weiblichen Basis missfallen dürfte.»

Oliver Strijbis, Politologe und Autor der Umfrage

Ein Entscheid, der ja auch Gefahren mit sich bringt. Die bisherige dritte grüne Kandidatin, Karin Rykart wackelt. 

Ich denke, die Partei ist sich bewusst gewesen, dass Balthasar Glättli für Karin Rykart eine Gefahr werden kann. Die Grünen verfolgen eine riskante Strategie – mit einem möglichen Ergebnis, das der weiblichen Basis missfallen dürfte.

Gemäss Umfrage hat Rykart den FDP-Kandidaten Përparim Avdili dicht im Nacken: Bahnt sich hier ein Showdown ab?

Ich würde mich nicht auf die zwei beschränken, es geht noch eine Weile, bis die Wahlen stattfinden und bei jeder Umfrage gibt es gewisse Fehlermargen. 

Michael Baumers (FDP) Wiederwahl ist ebenfalls nicht sicher. Er hat zwar den Bisherigen-Bonus, aber seine Umfragewerte sind beinahe identisch mit jenen von Karin Rykart. Und auch Andreas Hauri (GLP) ist nicht in Sicherheit – vor allem, wenn Serap Kahriman bekannter wird.

Përparim Avdili will den zweiten FDP-Sitz von Filippo Leutenegger verteidigen, liegt derzeit aber nur auf dem zehnten Platz. Hat Avdili noch eine Chance?

Ja, diese hat er. Avdili ist ein interessanter Kandidat, da er nicht so gut in die typischen Muster eines FDP-Kandidaten passt – als urbaner Politiker einer sichtbaren Minderheit mit bürgerlichem Profil. Er wird in den nächsten Monaten seinen Bekanntheitsgrad steigern können.

«Ich frage mich, ob die FDP einen strategischen Fehler gemacht hat.»

Oliver Strijbis, Politologe und Autor der Umfrage

Avdili ist letzte Woche medienwirksam mit einer Plakatkampagne in den Wahlkampf gestartet, wo er sich auch angriffig gegenüber Raphael Golta zeigt. Sie sagen, im Lokalen zählt Bekanntheit – macht er alles richtig?

In der ersten Phase geht es vor allem darum, Bekanntheit zu erlangen. Die FDP hat allerdings immer das Problem, dass ein Teil ihrer Wählerschaft ein populistisches Vorgehen gar nicht goutiert. Hier ist Avdili in einem Dilemma.

Wenn er den Sitz nicht gewinnt, würde – Stand Ende Oktober – die zweitgrösste Partei der Stadt ihren zweiten Regierungssitz an die Linken verlieren.

Die FDP hat ein Nachteil bei diesen Wahlen. Im Gegensatz zur SP oder den Grünen können sie nicht auf einen Nationalrat oder eine Nationalrätin setzen. Es hat mich überrascht, dass sie mit drei Kandidierenden antreten, die sich gegenseitig auch Stimmen wegnehmen können und es von vornherein klar war, dass sie sicher nicht mehr als zwei Kandidierende in den Stadtrat bringen wird. Ich frage mich, ob die FDP hier einen strategischen Fehler gemacht hat.

Souverän steht hingegen die SP da. Ihre zwei neuen Kandidat:innen liegen in der Umfrage sogar noch vor den Bisherigen.

Die relativ guten Umfragewerte der SP dürften damit zusammenhängen, dass das wichtigste Thema in der Stadt derzeit Wohnen und Mieten ist. Bei unserer Umfrage wurden diese mit grossem Abstand am häufigsten genannt. Der SP wird dort Lösungskompetenz zugetraut und der neue Kandidat Tobias Langenegger konnte sich auf diesem Thema profilieren. Auch das Stadtpräsidium dürfte parteiintern weitergereicht werden. Wie es ausschaut, müsste Golta zwar in den zweiten Wahlgang, de facto ist er aber gewählt.

Ob es zu einem oder zwei Wahlgängen kommt, das hängt von Verschiebungen im Prozentbereich ab. Klar ist jedoch: Nur die SP tritt ernsthaft an, um das Amt zu gewinnen. Für die anderen Parteien steht der Wahlkampf eher im Zeichen der Profilierung für die Stadtrats- und Gemeinderatswahlen. Entsprechend wird sich niemand strategisch zurückziehen.

«Bei den Kampagnen der Kandidierenden sind Überraschungen möglich. Manche werden noch in ein Fettnäpfchen treten. Fehler passieren und nicht alle Parteien agieren gleich professionell.»

Oliver Strijbis, Politologe und Autor der Umfrage

Die SVP schneidet in ihrer Umfrage erstaunlich gut ab. Sowohl Stadtratskandidat Bamert, als auch die Partei im Gemeinderat. 

National kann die SVP gerade stark mobilisieren, was sich kurzfristig auch lokal positiv zeigen kann. Historisch betrachtet, hat die SVP über die letzten Jahre in der Stadt Zürich aber sukzessive Wähler:innen verloren. Ich gehe davon aus, dass die Umfragewerte der SVP auf die Wahlen hin wieder etwas sinken werden.

Welche Entwicklungen würden Sie bis zum März besonders im Auge behalten?

Wichtig ist immer die Themenkonjunktur. Zurzeit stehen Mieten und Wohnen ganz oben auf der Agenda, doch das kann sich rasch ändern. Nationale oder internationale Ereignisse, wie   das Verhältnis zur EU oder Entwicklungen in den USA oder China, können lokale Wahlen aber ebenfalls stark beeinflussen.

Auch bei den Kampagnen der Kandidierenden sind Überraschungen möglich. Manche werden noch in ein Fettnäpfchen treten. Fehler passieren und nicht alle Parteien agieren gleich professionell. Gerade bei lokalen Wahlen in der Schweiz kann das durchaus Auswirkungen auf das Wahlergebnis haben.

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