Gregor Rutz (SVP): Der bescheidene Hardliner
Eine bunte Auswahl verschiedener Eissorten, zwei Banner der SVP und hinter einer Glasscheibe Gregor Rutz als Eisverkäufer – so einfach geht Wahlkampf. Seit 17 Jahren ist die Zürcher SVP nicht mehr im Ständerat vertreten. Doch in diesem Jahr stehen die Chancen für Gregor Rutz gut.
Es ist ein heisser Sonntagnachmittag Ende August. Familien schlendern mit ihren Kindern über die Chilbi in Zollikon, irgendwo aus der Ferne ertönt Festzeltmusik. Im Hemd und der langen Jeans wirkt Gregor Rutz etwas fehl am Platz. Doch anders als die meisten ist der 50-Jährige nicht zum Vergnügen hier, denn er befindet sich mitten im Wahlkampf. Am Glacéstand in Zollikon möchte der Politiker mit seinen potenziellen Wähler:innen ins Gespräch kommen, neue dazu gewinnen. Geduldig beantwortet Rutz die Fragen der Kundschaft; zum Beispiel, welche Sorte er empfehlen könne, oder wie viel denn eine Kugel kostet.
Der Wahlkampf verlangt ihm einiges ab. Seine Familie sieht er im Moment wenig, das letzte Mal im Büro war Gregor Rutz vor zwei Wochen. Doch lange Arbeitstage und wenig Freizeit bestimmen seinen Alltag auch, wenn er nicht Wähler:innen von sich überzeugen möchte. Seit 2012 sitzt Rutz im Nationalrat, daneben hat er sich nach seinem Rücktritt als Parteisekretär der SVP Schweiz als Berater selbstständig gemacht. Zudem ist er Mitgründer einer Weinhandlung und sitzt im Vorstand des Hauseigentümerverbands (HEV) Zürich.
Seine Engagements fordern ihn. «Oft verlasse ich das Haus morgens um sechs und bin erst gegen Mitternacht wieder zu Hause», sagt er. Sein Pensum zu reduzieren war für ihn nie eine Option, denn die Arbeit ermögliche ihm Wohlstand. Dass gerade aus linken Kreisen oft Forderungen nach weniger Arbeit bei gleichem Lohn laut werden, ärgert ihn. «Es ist ja schön und gut, wenn alle auf 80 Prozent reduzieren wollen, aber dann muss man auch nicht erwarten, in einer modernen 4-Zimmer-Wohnung in bester Lage zu wohnen», ereifert sich der Sprössling einer Schreinerfamilie.
Eine Frau bestellt eine Kugel Erdbeerglacé. Mühsam versucht Rutz, eine Kugel aus der cremigen Masse zu formen. Er wirkt dabei etwas unbeholfen, doch er nimmt es mit Humor. Die Konsistenz sei eben ein bisschen komisch heute. «Das macht vier Franken, bitte», sagt Rutz und drückt der Frau das Cornet in die Hand. Schokolade laufe am besten, klassisch eben. Er selbst mag am liebsten Vanille – «auch klassisch».
Gleiche Werte, andere Chancen
Die Zürcher SVP stellt seit 2007 keinen Ständerat mehr. Der letzte SVP-Vertreter im «Stöckli» war Hans Hofmann. Spätere Anwärter wie Ueli Maurer, Christoph Blocher, Hans-Ueli Vogt und Roger Köppel sind mit ihren Kandidaturen gescheitert. Das waren, bis auf Vogt, weitaus bekanntere Namen, dennoch dürften die Chancen für den Eisverkäufer Rutz gut stehen. Denn die Konstellation ist eine andere, zudem wirkt er im Vergleich zu seinen gescheiterten Parteikollegen gemässigt. Doch inhaltlich folgt er stramm der Linie seiner Partei. Als Generalsekretär und Geschäftsführer prägte er die Partei von 2001 bis 2008 zusammen mit Blocher und Maurer entscheidend mit und schwor die SVP Schweiz auf die harte Zürcher Linie ein. Ob die Zürcher SVP ihren 2007 verlorenen Sitz nun zurückerobern kann, hängt davon ab, ob und auf wen sich die bürgerlichen Parteien in einem zweiten Wahlgang einigen können.
Ganz im Einklang mit seiner Partei sieht auch Rutz die Zuwanderung als grösste Gefahr für die Schweizer Demokratie. «Es kommen zu viele und die Falschen», ein Satz, der Rutz immer wieder predigt. Als ob die prekäre wirtschaftliche Lage und die aussichtslose Perspektive, die viele Länder des Südens erleben, nur auf lokale Unfähigkeit zurückzuführen wären, ohne jeglichen Einfluss der Wirtschafts- und Schuldenpolitik des Nordens. Und als ob diejenigen, die sich zur Flucht entscheiden, keinerlei Leid empfinden würden, wenn sie ihre Heimat, ihre Familien und ihre Freund:innen zurücklassen müssen.
Mitte September verteilten die Meinungsmacher:innen der SVP ein Extrablatt an alle Zürcher Haushalte, in dem sie ihre Anhänger zur Wahl mobilisieren wollten und für ihre Kampagne warben. Im Editorial nimmt sich Rutz seinem Hauptthema an: der Asylpolitik, die ihm zufolge gänzlich gescheitert ist.
Das Problem sei, dass immer mehr «Wirtschaftsflüchtlinge», die auf bessere Perspektiven und mehr Wohlstand hoffen, nach Europa kämen und bleiben würden. Die Lösung? «Potenzielle Migranten dürfen keinen Anreiz mehr haben, nach Europa zu kommen. Dazu gehört die Auslagerung von Asylverfahren.» Konkret wünscht sich Rutz eine Regelung wie in Grossbritannien, das die Verfahren in Ruanda abwickeln will. Doch so interessant der Plan im ersten Augenblick erscheint, wirklich erfolgversprechend ist er nicht. In den letzten zwanzig Jahren sind alle Bemühungen gescheitert, Asylverfahren auf den afrikanischen Kontinent zu verlagern, um die europäischen Länder zu entlasten und die Schleppertätigkeit einzudämmen. Zu gross sind die politischen, juristischen und operativen Hindernisse.
Statt dass die Schweiz immer mehr Geflüchtete aufnehme, so Rutz, solle die Hilfe vor Ort mehr ins Zentrum gerückt werden. Dabei machte sich 2021 ausgerechnet seine SVP als einzige Partei dafür stark, Gelder für die Beziehungen zum Ausland, wovon gut drei Viertel in die Entwicklungszusammenarbeit fliessen, zu kürzen.
Rutz und sein Rutsch nach rechts
Rutz' rechte Gesinnung entwickelte sich erst mit den Jahren. Als 17-Jähriger schloss er sich den Jungfreisinnigen an. Die FDP war ihm aber schon bald nicht staatskritisch genug. Von der SVP als Albisgütli-Redner eingeladen, geriet er nicht nur in die Kritik der eigenen Partei, sondern vor allem erlebte er den ersten Shitstorm in der Boulevardpresse. Rutz wurde als «junger Handlanger alter Rassisten» bezeichnet. Seine Reaktion: Er zog sich für einige Jahre aus der Politik zurück, konzentrierte sich auf das Jurastudium und verdiente sein Geld als Pianist in einer Zürcher Bar. 1999 fand er den Weg zurück, seither als überzeugtes Mitglied der SVP. Rutz war unter anderem Kantonsrat und sitzt seit 2012 im Nationalrat. Dort setzt er sich laut seiner Partei «für den Abbau von Bürokratie» und «gegen unnötige Gesetze ein, die Bürger und Unternehmen zunehmend behindern».
Gregor Rutz ist ein angenehmer Gesprächspartner, ein aufmerksamer Zuhörer. Er beherrscht die Kunst des Smalltalks. Am Glacéstand gibt er sich nahbar, kommt leicht ins Gespräch und erkundigt sich bei den Leuten, wie es ihnen geht und was sie den Sommer über so gemacht haben. Der Austausch mit der Wählerschaft sei wichtig, so seine Überzeugung. Er will nah an den Menschen sein.
Dass sich hinter dem zugänglichen Glacéverkäufer ein SVP-Hardliner verbirgt, der den Grundlinien der Linken den erbitterten Kampf ansagt, geht an diesem sonnigen Nachmittag an der Chilbi beinahe vergessen. Eine Taktik, die bei den kommenden Wahlen vielleicht endlich aufgehen könnte. Gregor Rutz ist ein Wolf im Schafspelz.
Jetzt noch ein paar schnelle Fragen zum Schluss, die wir allen Kandidierenden stellen:
Wen haben Sie zuletzt angerufen?
Meine Mutter. Ich habe sie gefragt, ob sie zum Abendessen an die Chilbi kommt.
Was ist der feministischste Akt, den Sie je vollbracht haben?
Nachdem ich mich selbstständig gemacht habe, stellte ich zehn Jahre lang ausschliesslich Frauen ein. Aber nicht wegen ihres Geschlechtes, sondern weil sie einfach besser waren als die männlichen Bewerber. Für mich zeigt das: Es braucht keine Quoten.
Gummischrot ja oder nein?
Gummischrot ist leider nötig. In der Schweiz haben wir ein Recht zu demonstrieren, was ich auch wichtig finde. Ich habe aber grosse Mühe damit, wenn an Demonstrationen das Eigentum anderer kaputt gemacht wird. In solchen Fällen scheint Gummischrot unabdingbar.
Wenn es immer heisser wird, bauen Sie sich eine Klimaanlage in Ihrem Zuhause und einen Pool im Garten ein?
Nichts von beidem. Wenn es mir zu warm ist, mache ich die Fenster auf. Einen Pool brauche ich keinen, denn ich bin eh kaum zu Hause.
Über 1,5 Millionen Zürcher:innen sind im Ständerat genauso stark vertreten wie weniger als 40’000 Urner:innen. Sollte sich das ändern?
Auf keinen Fall. Das Erfolgsrezept der Schweiz ist, dass alle Kantone vertreten sind; es ermöglicht uns Schutz und Stabilität. Im Privaten funktioniert diese Methode doch auch gut. Bevor man eine Entscheidung fällt, kann eine Zweitmeinung sehr wertvoll sein.
Welches Vorurteil über Zürcher:innen ist wahr?
Dass wir lauter sind als die Menschen in anderen Kantonen. Um gehört zu werden, muss man sich mehr anstrengen. Zum Beispiel fällt mir das öfter beim Bäcker auf: Da muss man richtig aufpassen, dass sich niemand vordrängt.
Wie viel kostet Ihr Wahlkampf?
Dazu mache ich keine Angaben.
Wahlen 2023: Das sind die Ständeratskandidierenden |
Am 22. Oktober wählt die Schweiz ein neues Parlament. Bei den Ständeratswahlen in Zürich dreht sich vieles um die Frage, wer den freiwerdenden Sitz von Ruedi Noser (FDP) übernimmt. Wir haben die sechs Kandidat:innen der grossen Parteien getroffen und porträtiert. Wieso wollen sie Zürich in Bern vertreten? Was ist ihr feministischster Akt? Und wie hoch ist ihr Wahlkampfbudget? Die Antworten auf diese Fragen findest du in den Porträts.
Auch haben wir einen Blick auf das Stimmverhalten der sechs Politiker:innen im Hinblick auf die Wohnungsnot geworfen: Nur zwei Kandidierende machen Politik für Mietende. Die Analyse findest du hier. |