Tiana Angelina Moser (GLP): Kurs auf Europa
Die Ständeratskandidatin Tiana Angelina Moser gehört zu den Gründungsmitgliedern der Grünliberalen. Ökologische Themen sind ihr wichtig, aber sie sei nicht so staatsgläubig wie viele Grüne, sagt sie. Moser ist ein Mensch der faktenbasierten Politik – hat inzwischen aber auch gelernt, dass es im Wahlkampf Emotionen braucht.
Tiana Angelina Moser steht auf dem Bürkliplatz und telefoniert. Wenige Augenblicke später, sie hat ihren Kaffee bereits gekauft und sitzt an einem Tisch des Café Bürkli, hat sie schon wieder die weissen Kopfhörer im Ohr und spricht ins Leere. Führt sie das vorangegangene Gespräch fort, führt sie ein neues? Es scheint jedenfalls wichtig zu sein, und man hat fast ein schlechtes Gewissen, die Ständeratskandidatin für ein Wahlkampf-Interview zu unterbrechen, von denen sie sicherlich schon Dutzende hinter sich hat. Doch kaum beginnt das Gespräch, ist Moser voll da, die Augen auf das Gegenüber gerichtet, ein aufgeschlossenes Lächeln im Gesicht.
Sie habe an diesem Morgen ihr Zuhause auf dem Kindervelo verlassen, erzählt die 44-Jährige heiter. Denn ihr Mann habe spontan das E-Velo gebraucht. Dieser ist kein Unbekannter: Matthias Aebischer ist ein ehemaliger SRF-Moderator und heutiger SP-Politiker. Wie seine Frau sitzt er als Parlamentarier im Nationalrat, und wie sie führt er neben diesem Wahlkampf noch einen zweiten, denn Aebischer gehört neben Daniel Jositsch und Mustafa Atici zu den ersten SP-Politikern, die bislang ihre Kandidatur für den Bundesrat angekündigt haben.
Das Paar Aebischer-Moser ist regelmässig präsent in den Boulevardmedien: Die GLP-Frau aus Zürich und der SP-Mann aus Bern, sie hätten sich im Bundeshaus kennen und lieben gelernt, verriet der Blick 2018. Und 20 Minuten mutmasste diesen Sommer gar, es könne in diesem Jahr zum «Liebeskampf» zwischen Moser und Aebischer kommen: Sollte die GLP bei den Wahlen im Oktober nämlich gut abschneiden, könnte sie neben der SP Anspruch auf den Bundesratssitz des zurücktretenden Alain Berset erheben. In diesem Falle werde Tiana Angelina Moser hoch gehandelt – und könne dann eventuell gegen ihren Ehemann kandidieren.
Eine Homestory für die Nahbarkeit
Ebenfalls im Sommer dieses Jahres machte die Patchwork-Familie eine grosse Homestory für die Schweizer Illustrierte. Gezeigt wurde ihr Alltag zwischen Zürich Witikon und dem Berner Marziliquartier mit sieben Kindern, jeweils drei aus vorangegangenen Ehen sowie einer gemeinsamen Tochter. Das Blatt war hautnah dabei beim Familienausflug ins Berner Voralpenland, erfuhr von der logistischen Herausforderung einer Grossfamilie und ihrer durchgetakteten Alltagsplanung.«Menschen wählen Menschen», sagt Moser auf dem Zürcher Bürkliplatz: «Sie wollen wissen und spüren, was für ein Mensch sie repräsentieren soll.» Es sei daher wichtig, auch Emotionalität und Nähe in den Wahlkampf zu bringen. «Ich habe gelernt, damit umzugehen, bin offener und zugänglicher geworden als ich es am Anfang meiner politischen Karriere war.»
Wie zum Beweis gibt sie im Verlauf des Gesprächs immer wieder Einblick in ihren Alltag, teilt unter anderem ihre Begeisterung für den Markt, der zweimal in der Woche auf dem Bürkliplatz stattfindet. «Wann immer ich Zeit habe und es einrichten kann, gehe ich mit Freundinnen hierher», erklärt sie strahlend: «Es ist eine absolute Empfehlung.» Nicht nur der Gemüse- und Blumenmarkt, auch der hiesige Flohmarkt und das Café seien einen Besuch wert.
Als Umweltwissenschaftlerin setzt Moser auf faktenbasierte Politik. Das sei ihr Anspruch, sagt sie, nicht nur an sich selbst, sondern auch an ihre Partei. Moser gehört zu den Gründungsmitgliedern der GLP. 2004, die damalige Studentin war gerade 25 Jahre alt und arbeitete als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Umweltökonomie, trat Martin Bäumle bei den Grünen Kanton Zürich aus und gründete die neue Partei. «Das weiss ich noch, als wäre es gestern gewesen», so Moser: «Ich hatte gesagt, ich würde in die Politik gehen, wenn es in Zürich eine Partei gäbe mit ökologischer, aber auch liberaler Ausrichtung, wie die damaligen Ökoliberalen in Schaffhausen. Kurz darauf wurden die Grünliberalen in Zürich gegründet und ich ging an deren erste Versammlung.»
Ein Teil der Wertegemeinschaft Europa
Von da an begann der schnelle Aufstieg Mosers in der nationalen Politik: 2007 gehörte sie zu den ersten drei Grünliberalen, die in den Nationalrat gewählt wurden, 2015 wurde sie die erste Fraktionspräsidentin der GLP. Sie ist es bis heute. Ausserdem ist sie Mitglied der Staatspolitischen sowie der Aussenpolitischen Kommission, die sie zwischenzeitlich präsidierte und in der sie zu den prominentesten Fürsprecher:innen einer besseren Beziehung zu Europa gehört.
Europa als Wertegemeinschaft sei für sie schon immer von grosser Bedeutung gewesen, meint sie: «Auch schon vor dem Ukraine-Krieg.» Das sei ein wichtiger Aspekt ihrer pro-europäischen Haltung. Ausserdem sei der Marktzugang zur Europäischen Union für unseren Wohlstand «absolut entscheidend». Der Ständerat habe in der Europapolitik bisher oft eine abwartende Haltung eingenommen, sie wünsche sich hingegen ein proaktiveres Vorgehen.
Im Studium – Moser studierte neben Umweltwissenschaft Politikwissenschaft und Staatsrecht – sei ihr der Stellenwert der Europäischen Union bei der Wiederaufnahme und Intensivierung europäischer Zusammenarbeit nach dem Zweiten Weltkrieg bewusst geworden. Und in der aktuellen politischen Lage, mit dem Aufstieg des Populismus und nicht zuletzt dem Krieg, sei es wichtig, sich zur Wertebasis Europa zu bekennen: «Ich bin für eine zeitgemässe Interpretation der Schweizer Neutralität, die klar zu Sanktionen steht und eine Wiederausfuhr von Waffen zulässt.»
Für Moser ist die enge Bindung zum europäischen Ausland selbstverständliche Normalität. Sie sei mit 20 nach Schottland gegangen, um Englisch zu lernen, habe in München gelebt und ein Austauschsemester in Barcelona verbracht, wo sie ihren Ex-Mann, den Vater ihrer ersten drei Kinder, kennengelernt habe. Die drei Söhne sind Halb-Spanier, Moser selbst pflegt Freundschaften nach Spanien, Deutschland oder Finnland. «Es gibt eine gewisse Vertrautheit mit unseren Nachbar:innen, die, wie ich glaube, viele Menschen in diesem Land haben», erklärt sie: «Gerade in Zürich.» Leider spiegle das die politische Realität der Bundespolitik zu wenig wider.
Ökologisch, aber nicht moralisch
«Ich habe immer Fernweh», antwortet Moser auf die Frage, ob sie sich auch habe vorstellen können, ganz im Ausland zu leben. Sie denkt kurz nach, dann schiebt sie hinterher: «Aber ich fühle mich hier schon sehr verwurzelt.» Weltoffenheit und Heimatverbundenheit, das seien keine Widersprüche, schon gar nicht in der Schweiz. Aufgewachsen ist sie auf dem Land, in Weisslingen im Zürcher Oberland. Es sei ein bürgerlicher Haushalt gewesen, sagt sie, die Mutter Pflegefachfrau, der Vater Elektroingenieur. Das Elternhaus stehe am Dorfrand, und als Kind habe sie oft im nahen Wald gespielt, was ihr wohl früh eine Naturverbundenheit mitgegeben habe.
«Mir sind ökologische Themen sehr wichtig, ich setze mich unter anderem für den Erhalt der Biodiversität und die Eindämmung des Pestizideinsatzes ein», zählt sie auf. Doch zu den Grünen habe sie nie gewollt: «Ich bin weniger staatsgläubig und auch weniger moralisierend, als es viele Grüne sind.» Geht es zum Beispiel um den Zürcher Flughafen, dessen Landeanflüge seit einigen Jahren auch ihr Heimatdorf Weisslingen mit Fluglärm eindecken, dann sagt sie: «Flüge abzuschaffen, das ist meiner Meinung nach realitätsfremd.» Stattdessen müsse man zum einen Möglichkeiten ausloten, die Fliegerei möglichst ökologisch auszugestalten, zum Beispiel mit nachhaltigem Treibstoff. Zum anderen müssten Alternativen wie ein Hochgeschwindigkeitsnetz auf Schienen priorisiert werden.
Bereits vor vier Jahren kandidierte Moser für den Ständerat, landete damals mit knapp 20 Prozent der Stimmen aber abgeschlagen auf dem fünften Platz. Dieses Mal sei die Ausgangslage eine andere, findet sie: Während damals die beiden Bisherigen angetreten und wiedergewählt worden seien, trete nun FDP-Ständerat Ruedi Noser nicht mehr an. Das eröffne gute Chancen, als liberale Kandidatin in den zweiten Wahlgang zu kommen. Zudem seien Frauen, insbesondere solche mit modernen Familiengefügen, im Ständerat immer noch deutlich untervertreten. Als vierfache Mutter, die mitten im Leben stehe, könne sie hier eine Repräsentantin abseits des klassischen Rollenmodells sein.
Doch auch abseits des klassischen Rollenmodells bestimmen Kinder den Alltag mit. «Jetzt müsste ich langsam schon gegangen sein», sagt Moser nach einer knappen Dreiviertelstunde. Sie müsse die Kleine abholen und zum Bahnhof bringen. Ein weiteres Wahlkampf-Interview ist absolviert, und Tiana Moser schon wieder auf dem Sprung.
Jetzt noch ein paar schnelle Fragen zum Schluss, die wir allen Kandidierenden stellen:
Wen haben Sie zuletzt angerufen?
Meine Schwester, auf dem Nachhauseweg von einem Podium. Wir sprachen nicht über Politik, sondern über unsere Kinder, über die Familie. Im turbulenten Wahlkampf sind solche Gespräche wohltuend.
Was ist der feministischste Akt, den Sie je vollbracht haben?
Ich lebe Gleichstellung und Vereinbarkeit tagtäglich. Als berufstätige Mutter von vier Kindern ist wohl mein Leben ein feministischer Akt.
Gummischrot ja oder nein?
Wenn immer möglich nicht.
Wenn es immer heisser wird, bauen Sie sich eine Klimaanlage in Ihrem Zuhause und einen Pool im Garten ein?
Ich pflanze Bäume.
Kann Zürich besser mit mehr oder weniger EU?
Die Schweiz liegt im Herzen von Europa. Eine engere und konstruktive Beziehung mit einem Rahmenabkommen oder einem EWR-Beitritt ist dringend notwendig.
Über 1,5 Millionen Zürcher:innen sind im Ständerat genauso stark vertreten wie weniger als 40’000 Urner:innen. Sollte sich das ändern?
Ein föderalistischer Ausgleich ist wichtig. Aber das Ungleichgewicht ist zunehmend störend. Eine Möglichkeit wäre es, den urbanen Gebieten eine zusätzliche Ständevertretung zu geben.
Welches Vorurteil über Zürcher:innen ist wahr?
Wir schwatzen gerne und laut. Ich mag das sehr.
Wie hoch ist Ihr Wahlkampfbudget?
200’000 Franken.
Wahlen 2023: Das sind die Ständeratskandidierenden |
Am 22. Oktober wählt die Schweiz ein neues Parlament. Bei den Ständeratswahlen in Zürich dreht sich vieles um die Frage, wer den freiwerdenden Sitz von Ruedi Noser (FDP) übernimmt. Wir haben die sechs Kandidat:innen der grossen Parteien getroffen und porträtiert. Wieso wollen sie Zürich in Bern vertreten? Was ist ihr feministischster Akt? Und wie hoch ist ihr Wahlkampfbudget? Die Antworten auf diese Fragen findest du in den Porträts.
Auch haben wir einen Blick auf das Stimmverhalten der sechs Politiker:innen im Hinblick auf die Wohnungsnot geworfen: Nur zwei Kandidierende machen Politik für Mietende. Die Analyse findest du hier. |