Daniel Leupi (Grüne): Zürich im Herzen, Bern im Kopf
Als einziger unter den Ständerats-Kandidat:innen der grossen Parteien hat Daniel Leupi kein Mandat im Nationalrat. Er will von der kommunalen Ebene aus den Sprung in die kleine Kammer schaffen. In Zürich hat er sich vom Verbandspolitiker in Velo-Angelegenheiten bis zum Stadtrat hochgearbeitet. Ein allfälliger Abschied von der Stadtpolitik werde für ihn auch Trennungsschmerz bedeuten, gibt er zu.
Daniel Leupi nimmt eine kleine Gruppe von Menschen in den Blick, die am Rand des Helvetiaplatzes eine lila Fahne schwenkt und tanzt. Dann geht er auf einen Mann in weissem T-Shirt zu, der sich als Mitarbeiter der Stadtpolizei entpuppt, schüttelt seine Hand und tauscht ein paar Worte mit ihm aus. «Mir wurde gerade gesagt, ich hätte diese Demo bewilligt», sagt er, nachdem er sich wieder an den Tisch im Café Campo gesetzt hat. «Das hatte ich gerade nicht mehr präsent.»
Leupi nutzt diese kurze Episode, um das Gespräch auf die hohe Anzahl an Demonstrationen und Kundgebungen in der Stadt zu lenken, die nach gewalttätigen Auseinandersetzungen im Frühjahr dieses Jahres wieder einmal Gegenstand hitziger Debatten waren. Die meisten dieser Veranstaltungen, so seine Botschaft, seien vollkommen friedlich und so klein, dass sie für die Öffentlichkeit keinerlei Einschränkungen bedeuteten.
Es ist nicht die einzige Szenerie an diesem sonnigen Nachmittag, die der Stadtrat als Gelegenheit nutzt, um seine Message im Gespräch zu platzieren. Eine Message, die man etwa folgendermassen formulieren könnte: Seht, wir haben es hier doch ganz gut – und dazu habe auch ich meinen Beitrag geleistet! Vor dem Campo selbst zum Beispiel bleibt Leupi stehen und erklärt, es sei schon eine gute Sache gewesen, damals seine Grünen davon zu überzeugen, dass ein Gastronomiebetrieb in der Passage unter dem Amtshaus dem Helvetiaplatz gut tun würde. Die Fraktion war dem Vorschlag von Leupis Stadtratskollegen André Odermatt zunächst skeptisch gegenübergestanden.
Man kennt dieses Auftreten aus dem Gemeinderat, wo sich der Finanzvorsteher den Parlamentarier:innen als solider Haushaltspolitiker präsentiert, der die Zahlen und die mit ihnen einhergehenden Gestaltungsmittel seines Departements souverän im Griff hat. Die immer wieder geäusserte Kritik an seiner Budgetplanung, die in jährlicher Regelmässigkeit so konservativ gerechnet ist, dass am Ende ein unerwartetes Plus in der Rechnung steht, lässt ihn unbeeindruckt: Unbesetzte Stellen, unerwartete Mehreinnahmen, das lässt sich alles erklären. Seht her, wir haben es hier doch ganz gut!
Vom Demo-Teilnehmer zum Polizeivorsteher
Auch, dass der Finanzvorsteher Leupi am Tag des Gesprächs für Demo-Bewilligungen zuständig ist, lässt sich erklären: Seine Grüne Stadtratskollegin Karin Rykart ist gerade in den Sommerferien, er übernimmt währenddessen die administrativen Aufgaben der Sicherheitsvorsteherin. Der 57-Jährige kennt sich aus mit dem Amt. Er hatte es selbst für drei Jahre inne, nachdem er 2010 in den Stadtrat gewählt worden war.
Gerne betont er, dass er das unbeliebte Sicherheitsdepartement – das damals noch Polizeidepartement hiess – freiwillig übernommen habe. Von mehreren seiner direkten Vorgänger:innen und Nachfolger:innen lässt sich das nicht behaupten. Er habe das Amt für einige positive Anliegen nutzen können, erzählt er. Die unkomplizierte Bewilligung von Jugendpartys beispielsweise oder die Auflösung des hochproblematischen Strassenstrichs und die Einrichtung des Strichplatzes in Altstetten seien nachhaltige Erfolge seiner Amtszeit gewesen. Auch die Befriedung des 1. Mai, dessen Streichung als Feiertag die bürgerlichen Parteien im Kanton seinerzeit aufgrund wiederkehrender Gewaltausbrüche erwogen haben, rechnet er zu seinen Verdiensten.
Die Mitgliedschaft in einer linken Partei und die politische Verantwortung für die Polizei – ein Spannungsverhältnis, das die aktuelle Sicherheitsvorsteherin bei jedem sicherheitsrelevanten Ereignis mit ohrenbetäubendem Schweigen auszusitzen versucht – hat Leupi zu jener Zeit nichts ausgemacht. So sagt er es zumindest. Im Gegenteil, so findet er: Es sei wichtig, dass die linke Seite die Aufsicht über die Polizei habe. Zudem kennt Leupi auch die Seite des Teilnehmers bei Demonstrationen, zumindest im Zweirad-Kontext.
Aufgewachsen in Rotkreuz und Luzern, zog er nach dem Studium der Volkswirtschaft an der Universität Bern 1995 nach Zürich. Hier beschäftigte er sich für viele Jahre hauptsächlich mit dem Velo, war Mitinhaber des Velobüros Olten und dort unter anderem für den autofreien Strassenanlass Slowup und die Umsetzung des Langsamverkehrs-Netzwerks Schweizmobil zuständig. Als Präsident von Pro Velo Kanton Zürich war er zwischen 1997 und 2008 unter anderem für das Gesuch für die Zürcher Velodemo verantwortlich.
Verhältnisse, nicht Verhalten ändern
«Ich gehöre nicht zu denen, die den Leuten mit moralischen Appellen und Kampagnen kommen wollen», so der Grüne über sein Verständnis politischer Gestaltung. «Man muss die Verhältnisse verändern, nicht das Verhalten der Leute.» So bringe es beispielsweise wenig, eine nach 80er-Jahre-Standard gebaute, breite Strasse mit einem Plakat auszustatten, das die Autofahrer:innen bittet, langsam zu fahren. Stattdessen müsse man die Strasse eben nach modernen Bedürfnissen umbauen, sodass sie weniger zum schnellen Fahren einlade.
«Ich bin nicht in die Politik gegangen, damit auf meinem Grabstein ‹alt-So-und-so› steht.»
Daniel Leupi
Als Route für einen Spaziergang schlägt Leupi den Schanzengraben vor. Ein etwas mühsamer Weg mit nebenher zu stossendem Velo, doch ein Idyll inmitten der Stadt, wie er findet. «Früher verlief hier die Grenze zwischen der Stadt mit all ihren Vorrechten und dem Land», referiert er begeistert: «Und heute ist es eine innerstädtische Oase.» Ob er sich eine Stadterweiterung beispielsweise in Richtung Norden und Westen vorstellen könne? Nein: «Dafür besteht keine Notwendigkeit in den Gemeinden, die an Zürich grenzen. Sie haben genügend Ressourcen, um sich selbst um ihre politischen und verwaltungstechnischen Aufgaben zu kümmern.»
Er sei eher dafür, dass die Agglo-Gemeinden im Limmat- und im Glatttal viel enger zusammenarbeiten und sich als einen Stadtraum begreifen, wie es teilweise jetzt schon geschehe. Überhaupt sei die Zusammenarbeit mit der Agglomeration, die in den letzten Jahrzehnten deutlich stärker gewachsen sei als die Stadt Zürich, eine wichtige politische Aufgabe, die er im Falle einer Wahl zum Ständerat auch in den Blick nehmen wolle.
Warum er sich nach zehn Jahren im Finanzdepartement, einem der arbeitsintensivsten politischen Posten der Stadt, noch einmal einen anstrengenden Ständerats-Wahlkampf antut? Leupi antwortet wie immer souverän: «Ich bin nicht in die Politik gegangen, damit auf meinem Grabstein irgendwann ‹alt-So-und-so› steht.» Aber sein Standing und seine Bekanntheit seien für die Grünen von Vorteil. Zwar seien Grüne und SP im Ständerat klar in der Minderheit: «Aber die Politik ist dort deutlich sachorientierter als beispielsweise im Nationalrat.» Da Ständerät:innen nicht so sehr im Fokus der Medien seien, könnten sie eher einem guten Kompromiss zustimmen. Hier sehe er seine Stärke und den Reiz an dem Amt. Als Stadtrat sei er aber auch weiterhin voll motiviert, schiebt er hinterher: «Sollte ich gewählt werden, werde ich ziemlichen Trennungsschmerz haben.»
Jetzt noch ein paar schnelle Fragen zum Schluss, die wir allen Kandidierenden stellen:
Wen haben Sie zuletzt angerufen?
Meine Wahlkampfmanagerin wegen unseres Termins.
Was ist der feministischste Akt, den Sie je vollbracht haben?
Gemäss meiner Tochter sei es ein feministischer Akt gewesen, als ich sie als Kleinkind aufforderte, beim Reden für sich selbst die weiblichen Formen zu verwenden und nicht das generische Maskulin.
Gummischrot ja oder nein?
Ich finde es immer noch besser, wenn die Polizei die Leute auf Distanz hält, als wenn sie wie in Deutschland mit dem Knüppel in Nahkampfsituationen geht. Aber natürlich bedaure ich, dass am 1. Mai ein junger Mann durch Gummischrot sein Augenlicht verloren hat und ich bin froh, dass Karin Rykart eine Überprüfung der Mittel angekündigt hat. Es ist sinnvoll, das neu zu beurteilen.
Wenn es immer heisser wird, bauen Sie sich eine Klimaanlage in Ihrem Zuhause und einen Pool im Garten ein?
Wir haben unser Haus vor ein paar Jahren gut isoliert. Das hat sich total bewährt und das Haus bleibt im Sommer kühl und im Winter warm. Wir brauchen also keine Klimaanlage. Und auch keinen Pool.
Kann Zürich besser mit mehr oder weniger EU?
Im Verhältnis zur heutigen Situation sicher nicht mit weniger, denn die Schweiz ist ein Teil von Europa. Nur schon die Familienbeziehungen zu Menschen in der EU! Die Wirtschaftsbeziehungen sollten auf keinen Fall weniger werden. Idealerweise würde die Schweizer Politik ihr Verhältnis zur EU in den nächsten Jahren klären. Und zwar von mir aus gern in engerer Zusammenarbeit.
Über 1,5 Millionen Zürcher:innen sind im Ständerat genauso stark vertreten wie weniger als 40’000 Urner:innen. Sollte sich das ändern?
Es ist problematisch, dass sich die Stimmenverhältnisse, die 1848 noch viel ausgeglichener waren, so sehr verschoben haben. Aber ich verstehe auch die Angst der kleineren Kantone, bei einer anderen Zusammensetzung kein Gehör mehr zu finden. Es gibt Überlegungen, grösseren Kantonen drei oder vier Sitze zu geben, um das auszugleichen. Solch eine moderate Anpassung würde ich klar befürworten.
Welches Vorurteil über Zürcher:innen ist wahr?
Ich erlebe Zürcher:innen schon als ungeduldiger als die Bevölkerung in anderen Städten, vor allem im Verkehr. Ich fahre regelmässig in Basel, in Winterthur, in Luzern und in Bern Velo, ich kann das also durchaus vergleichen.
Wie viel kostet Ihr Wahlkampf?
Maximal 200’000 Franken.
Wahlen 2023: Das sind die Ständeratskandidierenden |
Am 22. Oktober wählt die Schweiz ein neues Parlament. Bei den Ständeratswahlen in Zürich dreht sich vieles um die Frage, wer den freiwerdenden Sitz von Ruedi Noser (FDP) übernimmt. Wir haben die sechs Kandidat:innen der grossen Parteien getroffen und porträtiert. Wieso wollen sie Zürich in Bern vertreten? Was ist ihr feministischster Akt? Und wie hoch ist ihr Wahlkampfbudget? Die Antworten auf diese Fragen findest du in den Porträts.
Auch haben wir einen Blick auf das Stimmverhalten der sechs Politiker:innen im Hinblick auf die Wohnungsnot geworfen: Nur zwei Kandidierende machen Politik für Mietende. Die Analyse findest du hier. |