Fünf grosse Zürcher Verkehrsfragen für das Jahr 2025
Sei es die Eröffnung des Velotunnels, das Scheitern der «Vision Zero» oder die wachsenden Zweifel am Tram Affoltern – 2025 wird spannend. Unser Kolumnist Thomas Hug-Di Lena hat fünf Fragen zusammengetragen, die Zürich im kommenden Jahr beschäftigen werden.
1. Wer wird zum Rettungsanker für das Tram Affoltern?
Das Tram Affoltern stand von Beginn an unter keinem guten Stern: Die Pläne muten an, als stammen sie aus dem letzten Jahrhundert. Inzwischen wurde bekannt, dass sogar der progressive Verkehrs-Club der Schweiz (VCS) eine Einsprache gegen das Projekt eingereicht hat. In der VCS-Zentrale wird auch nicht mehr vom «Tram Affoltern», sondern vom «Ausbau der Wehntalerstrasse» gesprochen.
Dass ein Umweltverband gegen ein Tramprojekt vorgeht, dürfte den Verantwortlichen zu denken geben. Inzwischen hat auch der Kantonsrat die Finanzierung des Tram Affolterns auf die lange Bank geschoben – das bedeutet, dass der Baustart frühestens 2028 erfolgen wird.
Ob die Tramlinie auf der Wehntalerstrasse jemals kommen wird, hängt momentan an einem dünnen Faden. Denn auch die Zürcher Stimmbevölkerung müsste dem Projekt noch zustimmen. Das bleibt fraglich: Bei vielen Leuten dürften Erinnerungen an die Abstimmung zum Rosengartentram von 2020 aufkommen. Auch dieses Tramprojekt war mehr ein Projekt für die Autos – und wurde prompt vom Stimmvolk abgelehnt.
Es ist also höchste Zeit für eine Besinnung. Noch bleibt Zeit, dieses Projekt den heutigen Herausforderungen anzupassen. Und es so vor dem langsamen Tod zu retten.
2. Wie lange hält die «Vision Zero»?
Bereits im Jahr 2003 hielt die Stadt Zürich die «Vision Zero» als Ziel im kommunalen Verkehrsrichtplan fest. Das bedeutet: Keine Verkehrstoten mehr. Auch im Jahr 2025 ist die traurige Frage aber nicht, ob diese Vision erreicht wird, sondern wie lange es zum ersten Todesfall dauert.
In Städten wie Helsinki oder Oslo wurde das Ziel bereits erreicht, doch Zürich ist noch weit davon entfernt. Und die beiden Sorgenkinder scheinen keine Fortschritte zu machen: Rechtsabbiegende Lastwagen sind die grösste Todesgefahr für Menschen auf dem Velo. Und heran rauschende Trams für Fussgänger:innen.
Beide Fälle haben gemeinsam, dass Lösungen in weiter Ferne sind. Eine Nachrüstpflicht mit Abbiegesensoren an LKWs lehnt das Bundesamt für Strassen (ASTRA) ab. Der Stadtrat zeigte sich kürzlich wenig interessiert daran, dass Baustellenfahrzeuge bei städtischen Baustellen mit Warnsystemen ausgerüstet werden sollten.
Und bei den Trams scheint die letzte Hoffnung ein Airbag zu sein, um unaufmerksame Personen weniger schlimm zu verletzen. So bleibt uns leider nur die Hoffnung, dass 2025 möglichst wenig Menschen im Zürcher Strassenverkehr sterben – für die Gewissheit müssten noch einige Hebel in Bewegung geraten.
3. Wird der Stadttunnel dem Zürcher Veloverkehr neue Rekorde bringen?
Im Mai wird der Velotunnel unter dem Zürcher Hauptbahnhof eröffnet – hoffentlich: Denn das Projekt ist bisher auch eine zuverlässige Abfolge von Verzögerungen. Der Velotunnel dürfte zu einem kleinen Lichtblick am Horizont für viele Velofahrende werden. Denn erstmals kann man den HB nun ohne waghalsige Spurwechsel queren. Als Symbol wird der Tunnel eine Wucht: Ein geplanter Autobahntunnel wird zum Velotunnel umgebaut. Dass dieser von der Stadt offiziell «Stadttunnel» genannt wird, sei ihr verziehen.
«Zürich braucht mehr als den Willen, lebenswert bleiben zu wollen.»
Thomas Hug-Di Lena, Mobilitätsexperte
Doch leider wird auch der Velotunnel nicht über die grossen Mängel beim städtischen Veloverkehr hinwegtäuschen. Der Stadtrat bleibt weiterhin den Beweis schuldig, dass er es wirklich ernst meint mit dem sicheren Veloroutennetz.
Zwar werden haufenweise Parkplätze in Quartieren aufgehoben, aber bei kleinsten Widerständen hat das Velo das Nachsehen. Symptomatisch dafür steht der Hallwylplatz: Statt eine gute Lösung für die Velovorzugsroute zu finden, wird er kurzerhand mit einem Fahrverbot belegt.
4. Welches Zürcher Strassenbauprojekt sorgt nächstes Jahr für Furore?
Wahrscheinlich habe ich den wahren Knüller nicht im Blick. Aber ein paar Vermutungen wage ich anzustellen. Da ist einerseits der Bucheggplatz: Er soll einen umlaufenden Veloweg erhalten und so vielleicht bald etwas weniger Veloalbtraum sein. Bestimmt wird über die Umgestaltung noch viel gesprochen.
An der Bellerivestrasse kommt es 2025 wegen Baustellen zum Spurabbau: Gespannt wird beobachtet, ob es zum von Agglomeration und Kanton befürchteten Verkehrskollaps kommt – oder die Baustelle vielleicht den Weg ebnet für neue Lösungen.
In vier Quartieren sollen die Strassenräume im kommenden Jahr zudem ziemlich radikal umgestaltet werden: Mit sogenannten «Quartierblocks» tritt Zürich den Beweis an, dass bewährte Konzepte aus dem Ausland auch hier funktionieren. Und der Dauerbrenner Uraniastrasse geht wohl in die nächste Runde: Da die Stadt im Bauprojekt auf eine sichere Veloinfrastruktur verzichtet, dürften Einwendungen von Velo-Organisationen gewiss sein. Und mit dem neuen Tempo-30-Regime und der Umgestaltung der Sihlstrasse zur Fussgängerzone werden auch Bürgerliche kaum zufrieden sein – es ist also alles angerichtet für neuen Knatsch.
5. Wo bleibt der gesunde Zürcher Ehrgeiz im Verkehr?
Unter dem Motto «Lebenswert bleiben. Klimaneutral werden» steht die Strategie, die die Mobilität Zürichs bis 2040 prägen soll. Veröffentlicht wurde sie vergangenen Juli. Und da stehen einige tolle Dinge drin. Nur: Zürich braucht mehr als den Willen, lebenswert bleiben zu wollen. Zürich braucht die Ambition, ein Vorbild für die Verkehrswende sein zu wollen.
Bis 2040 soll der Veloverkehr ein bescheidenes Niveau von 15 Prozent am Gesamtverkehr erreichen. An diesem Punkt sind Bern oder Basel längst angelangt. Reicht das für das Selbstverständnis der Stadt, in der regelmässig Tausende Menschen für den Veloverkehr auf die Strasse gehen?
Vielleicht ist diese Frage tatsächlich auch mehr nur frommer Wunsch: Für 2025 wünsche ich mir eine mutigere Stadt, die sich wieder als Vorbild für andere positionieren möchte. Die vorangeht, ausprobiert und neue Wege beschreitet. Es zahlt sich aus, versprochen!
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