Tramlinie Affoltern: Neues Tram, alte Probleme

Bis im Jahr 2029 soll Zürich Affoltern mit dem Tram erreichbar sein. Anfang April hat die Stadt ihre Pläne dazu präsentiert. Doch diese machen unseren Kolumnisten Thomas Hug nicht so richtig glücklich: Statt einer lebhaften Stadtachse entstehe bloss eine weitere Verkehrsmaschine.

Tram Affoltern
Auf 8 Prozent der Strecke sind abgesetzte Velowege vorgesehen – auf den restlichen 92 Prozent teilt man sich die Strasse wie hier mit Autos und Lastwagen. (Bild: Stadt Zürich / Architron)

Zürich ist bekanntlich eine stolze Tramstadt. Das Tram erhält hier seit Jahrzehnten eine Sonderbehandlung. Zu Recht, denn in Zürich nutzen im schweizweiten Städtevergleich am meisten Menschen die öffentlichen Verkehrsmittel. Die Limmatstadt schafft es bei Rankings zum öffentlichen Verkehr regelmässig auf die Spitzenplätze. Diesen Status will die Tramstadt Zürich so schnell nicht verlieren – deshalb soll ein neues Tram her, dieses Mal nach Affoltern.

Normalerweise wird der Ausbau von Tramverbindungen unisono bejubelt; kritische Stimmen werden selten laut. Die Stadt Zürich stimmt jeweils mit überwiegender Mehrheit zu. Eine seltene Ausnahme war die Abstimmung zum Rosengartentram im Jahr 2020, wo die Vorlage mit einem überdimensionierten Autotunnel überladen wurde.

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Der Ja-Stimmenanteil in der Stadt Zürich zu den jüngsten Tram-Neubauprojekten betrug stets über 70 Prozent. (Bild: Thomas Hug )

Umso mehr lässt es aufhorchen, wenn plötzlich Kritik an einer Tram-Neubaustrecke aufkommt. Nicht etwa von ÖV-kritischen Autofreund:innen, sondern von Menschen, welche die Verkehrswende zu ihrem Hauptziel erklärt haben. Wie kann ein Tramprojekt also gerade diese Personen gegen sich aufbringen, die sonst eigentlich nachhaltigen Verkehr mit Verve unterstützen

Anfang April legte die Stadt die Pläne für das Projekt Tram Affoltern auf. Damit wird öffentlich gemacht, wie die neue Tramlinie vom Radiostudio bis nach Affoltern aussehen soll. Diese Pläne wurden mit Spannung erwartet. Viele hegten auch die Hoffnung, dass die neue Tramlinie etwas zur Stadtreparatur in Affoltern beitragen kann. Denn die Wehntalerstrasse ist eine der am stärksten vom Autoverkehr belasteten Einfallachsen in der Stadt Zürich – seit Jahrzehnten schneidet sie den Stadtteil in zwei Hälften. Doch die Planauflage zeichnet eine andere Realität: statt einer lebhaften Stadtachse entsteht wohl eher eine Verkehrsmaschine. Und was soll ich sagen: Ich bin mir plötzlich nicht mehr sicher, wie toll ich dieses Tram finden soll.

Planauflage Tram Affoltern
Die Kreuzung an der Glaubtenstrasse in Affoltern ist heute eine Verkehrsmaschine und wird auch in Zukunft eine bleiben. (Bild: Kanton Zürich)

Starten wir beim Positiven: Die Stadt hat es fertiggebracht, in den vorhandenen Querschnitt eine durchgängig eigentrassierte Tramstrecke zu legen. Dafür brauchte es zwar Landenteignungen, aber die Zuverlässigkeit und Kapazität des öffentlichen Verkehrs wird so gestärkt. Das ist wichtig für ein Gebiet mit städtischem Wachstumspotenzial. Und dazu hat es sogar auf der ganzen Länge noch für einen schmalen Velostreifen gereicht. Auf 8 Prozent der Strecke, also etwa 300 Metern, ist dieser sogar baulich abgesetzt.

Trotzdem erinnert das Projekt auch an vergangen geglaubte Zeiten: Den Bedürfnissen von schweren Maschinen wie Auto oder Tram wird Rechnung getragen – die Ansprüche der Menschen gingen hingegen vergessen. Die Menschen zu Fuss müssen sich an den meisten Stellen mit schmalen Trottoirs begnügen. 

«Da Ausbauprojekte für das Auto einen schweren Stand beim Stimmvolk haben, versteckt man sie hinter einem Tram.»

Thomas Hug

Ob da Lust zum Flanieren aufkommen kann? Neben den bis zu vier Autospuren dürfte sich da manch eine:r wohl etwas veralbert vorkommen. Entgegen aller städtischen Strategien erhält der Autoverkehr nämlich noch mehr Kapazität als heute. Das erinnert an das abgelehnte Rosengartentram: Auch da versteckte sich eine Autokapazitätserhöhung hinter einem Tram-Neubau. Auch bei der Limmattalbahn wurden über 150 Millionen Franken in den Ausbau der Autoinfrastruktur gesteckt – bei rund 500 Millionen Kosten für den Bau der Bahn.

Ein bekanntes Muster also: Da Ausbauprojekte für das Auto einen schweren Stand beim Stimmvolk haben, versteckt man sie hinter einem Tram. So wird der öffentliche Verkehr um wertvolle Kundschaft gebracht, die ohne Kapazitätsausbau auf der Strasse vom Auto auf das Tram umsteigen würde.

Dass praktisch alle der über 600 bestehenden Bäume gefällt und ersetzt werden müssen, wirkt dagegen nur noch wie eine Randnotiz. Neben all den Ansprüchen für Auto und Tram konnte sich scheinbar wirklich niemand mehr für die Bäume starkmachen.

Bleibt das Velo in dieser Manöverkritik: Dass 8 Prozent der Strecke abgesetzte Velowege sind, bildet die löbliche Ausnahme in diesem Projekt. Diesen Abschnitt zu befahren, dürfte ein völlig neues Vergnügen sein. Die restlichen 92 Prozent sind jedoch eine gefährliche Zumutung. Bei dieser hohen Verkehrsmenge und Tempo 50 nur einen Velostreifen zu planen, ist eine Verhöhnung all jener, die etwas mehr Schutz beim Velofahren einfordern. Zudem sieht die Stadt zahlreiche Velostreifen vor, die zwischen Autospuren eingeklemmt sind. In Belgien werden sie liebevoll «Moordstrookje» genannt – zu Deutsch «Mordstreifen».

Zurück bleibt also ein fader Beigeschmack. Klar: Ein neues Tram ist toll, aber so richtig glücklich macht das Projekt nicht. Es wird zwar einiges besser, aber gerade was die aktive Mobilität und den Baumbestand angeht, wäre noch Luft nach oben gewesen. Der Bau des Trams steht in den Startlöchern, 2029 soll es eröffnet werden. Einen Beitrag zur Velostadt wird das Projekt nicht leisten können, aber immerhin zementiert es den Status Zürichs als Tram-Königin. Nur: Reicht das für die heutigen Ansprüche?

Thomas Hug

Thomas Hug ist Verkehrsplaner und Stadtentwickler bei urbanista.ch und engagiert sich für zukunftsfähige Lebensräume – stets auf der Suche nach dem richtigen Gleichgewicht von Arbeit, Aktivismus und Politik. Als Experte für Verkehrswende und nachhaltige, inklusive Mobilität versucht Thomas eine menschenzentrierte Sicht auf die Mobilität zu fördern. Er ist eher Generalist mit dem Blick auf das Ganze wie Spezialist mit dem Auge fürs Detail.

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