Velounfälle in Zürich führen zu Ratlosigkeit bei Stadt und Politik

In den letzten Jahren ereigneten sich in Zürich immer wieder schwere Velounfälle – erst vor wenigen Tagen endete eine Kollision eines Lastwagens mit einer Velofahrerin tödlich. Die Stadt und die Parteien prüfen deshalb Massnahmen, um die Sicherheit von Velonutzer:innen schnell zu verbessern. Doch realisierbare Lösungen scheinen zu fehlen.

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Kreuzungen werden für Velofahrende wohl immer gefährlich bleiben. (Foto: Claudio Schwarz/Unsplash)

Der Unfalltod einer Velofahrerin in Zürich vergangenen Freitag erschütterte die ganze Stadt. Nur wenige Minuten vor dem Beginn der Critical Mass kollidierte eine Velolenkerin mit einem Betonmischer nahe des Locherguts und erlag noch an der Unfallstelle ihren Verletzungen. Wie Auswertungen von Tsüri.ch zeigen, kam es in der Stadt Zürich immer wieder zu Unfällen, bei denen LKWs und Velofahrende involviert waren. In den letzten drei Jahren wurden bei solchen Kollisionen mindestens fünf Personen schwer verletzt oder starben an ihren Verletzungen. 

Laut einer Studie von 2019 aus Deutschland, sind Unfälle von Lastwagen und Velos kein unbekanntes Phänomen. Gerade Kreuzungen, wo Motorfahrzeuge rechts abbiegen können, sind gemäss Analysen der Unfallforschenden besonders heikel, «wenn gleichzeitig ein sich rechts vom LKW befindlicher Radfahrer weiter geradeaus fahren will». Zu solchen Situationen komme es besonders häufig, wenn der Lastwagen an der Ampel steht und die Person auf dem Velo aufschliessen würde: «Dadurch bewegen sich die beiden Fahrzeuge für mehrere Sekunden mit ähnlicher Geschwindigkeit parallel nebeneinander her, wodurch gerade der Bereich neben der Fahrer:innenkabine weder aus dem rechten Seitenfenster noch über die rechten Aussenpiegel gut einzusehen ist.» Sich die velofahrende Person also im toten Winkel befindet.

Ein weiteres Problem sei das übliche Fahrmanöver von Lastwagenlenker:innen um eine Kurve, das andere Verkehrsteilnehmende fälschlicherweise als Geradeaus-Fahren interpretieren könnten, da die Lenkung erst nach mehreren Metern eingeschlagen werde.

Kein Rechtsabbiegeverbot für Lastwagen in Zürich

Was deshalb Abhilfe schaffen könnte, wäre ein Abbiegeverbot nach rechts für Lastwagenfahrer:innen. Im österreichischen Wien war ebensolches im Jahr 2021 bereits im Gespräch. Heisst: Fahrzeuge über 7,5 Tonnen hätten laut Verordnungstext über ein System mit Kamera, Monitor und optischen oder akustischen Signalen wie etwa ein Warnlicht oder einen Piepston verfügen müssen. Weil die Regelung nicht EU-konform war, konnte die Stadt sie schliesslich nicht einführen.

«Es gibt keine belastbaren Zahlen aus der Schweiz, die zeigen, dass Personen auf dem Velo häufiger die Regeln brechen als Personen mit anderen Fahrzeugen.»

Yvonne Ehrensberger, Geschäftsleiterin Pro Velo Kanton Zürich

Auch in Zürich kann kein generelles Verbot verhängt werden, denn für neue Verkehrsregeln ist der Bund zuständig. Ausserdem stünde eine solche Anpassung nicht auf der Prioritätenliste der Verantwortlichen, erklärte der Verkehrsexperte Thomas Hug im Interview mit Tsüri.ch. Erst vor kurzem sei eine entsprechende Vorlage, die den Ausbau von Assistenzsystemen gefordert hatte, vom Bundesamt für Strassen (Astra) abgeschmettert worden. Was laut Hug jedoch möglich wäre, ist ein punktuelles Verbot: «Die Stadt könnte für schwere Motorfahrzeuge an Stellen, wo es zu vielen Unfällen kommt, ein Rechtsabbiegeverbot erlassen.» In der Kalkbreitestrasse sei dies bereits eingeleitet worden – jedoch auch für Autos und Motorräder, so der Verkehrsplaner. Ob die Stadt an der Lochergut-Kreuzung ebenfalls gedenkt, eine solche Regelung einzuführen, bleibt aber fraglich, denn Nutzen und Gefahr müssten durch die entstehenden Umwege zwingend abgewägt werden. 

Obwohl sich linke Parteien auf Anfrage grundsätzlich offen gegenüber einem Rechtsabbiegeverbot zeigen, bleiben viele skeptisch: Michael Schmid von der AL befürwortet zwar eine solche Regelung und auch die Mitte-Partei zeigt sich «interessiert». Währenddessen gibt der Grüne Gemeinderat Markus Knauss zu bedenken: «Wenn es zu mehr Verkehr und neuen heiklen Stellen in der Innenstadt führt, ist es kontraproduktiv.» Die SP findet die Idee zwar gut, argumentiert jedoch damit, dass es faktisch eher eine Pflicht für Abbiegeassistenten als ein Rechtsabbiegeverbot geben müsste.

Keine Bestrebungen diesbezüglich kann die Stadtbevölkerung von der GLP und FDP erwarten: Die zuständigen Dienststellen sollen prioritär alle denkbaren Massnahmen an «besonders gefährlichen Stellen» prüfen, so der FDP-Fraktionspräsident in seinem Antwortschreiben. Während sich alle Fraktionen des Stadtzürcher Gemeinderats Gedanken zu den Vorkommnissen am Lochergut machen, reagiert Samuel Balsiger von der SVP ungehalten auf die Anfrage und stellt lieber die Kompetenz der Journalistin in Frage, als sich damit zu beschäftigen, wie Velounfälle mit Lastwagen künftig verhindert werden könnten.

Bessere Infrastruktur gleich weniger Unfälle

So oder so, ein generelles Rechtsabbiegeverbot für schwere Motorfahrzeuge scheint – zumindest vorerst – nicht denkbar. Doch wie soll mit den knappen Platzverhältnissen auf Zürcher Strassen weiter umgegangen werden, angesichts der vielen Unfälle sowie des jüngsten Todesfalls? Alle Parteien sind der Meinung, dass die Stimmung angespannt sei und sowohl Auto- wie auch Velofahrer sich oft intolerant benehmen würden: Rotlichter oder Vortritte missachten und nur wenig Geduld haben.

Gerade Velofahrende sind regelmässig Vorwürfen ausgesetzt, sich nicht regelkonform zu verhalten. Yvonne Ehrensberger, Geschäftsleiterin von Pro Velo des Kantons Zürich, stellt deshalb klar: «Es gibt keine belastbaren Zahlen aus der Schweiz, die zeigen, dass Personen auf dem Velo häufiger die Regeln brechen als Personen mit anderen Fahrzeugen.» Weiter würde die Tatsache, dass in Zürich Velos nur in etwa die Hälfte der Kollisionen mit anderen Verkehrsteilnehmenden von der Polizei als Verursacher deklariert werden, ein klares Zeichen dafür sein, «dass sich Velofahrende nicht mehr selbst gefährden, als sie von anderen gefährdet werden». Ehrensberger sieht das Problem in der Infrastruktur: Je besser diese sei, desto weniger Regelverstösse würde es geben. 

Wie die Stadt die Sicherheit von Velofahrenden an der Kreuzung beim Lochergut verbessern will, darüber hat sie noch keine klaren Vorstellungen. Man werde den Unfall vom vergangenen Freitag jedoch «eingehend analysieren und mögliche weitere Massnahmen in Betracht ziehen», heisst es auf Anfrage. Klar ist: Die Politik macht Druck. Verschiedene Vorstösse fordern bereits schnelleres Handeln bei kritischen Veloabschnitten. So sollen zum Beispiel gemäss einem Postulat von Grüne und GLP Strassenprojekte priorisiert werden, die Missstände zugunsten Velofahrenden beheben. Trotz geplanten und teils auch schon umgesetzten Sofortmassnahmen, bleiben die Probleme an vielen Stellen in der Stadt jedoch weiterhin bestehen und würden nur durch einen Komplettumbau aus dem Weg geräumt werden können, so Thomas Hug, «und das könnte noch Jahre dauern».

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