«Eigentlich könnten wir sofort 20 Kilometer Velovorzugsroute bauen»
Zürich stimmt Ende November über 350 Millionen Franken für den Ausbau der Veloinfrastruktur ab. Bringt das die Velovorzugsrouten endlich voran? Simone Brander, Vorsteherin des Tiefbau- und Entsorgungsdepartements, im grossen Gespräch.
Kai Vogt: Im November entscheidet die Zürcher Stimmbevölkerung über einen Rahmenkredit von 350 Millionen Franken, um das Veloroutennetz auszubauen. Es gibt doch bereits einen Kredit, wozu ein neuer?
Simone Brander: Der bisherige Kredit deckte nur die Kosten der kommunalen Veloinfrastruktur. Die geplanten Velovorzugsrouten verlaufen jedoch auch auf regionalen Abschnitten. Damit der gesamte Ausbau finanziert werden kann, muss der bestehende Kreditzweck erweitert werden. Das ist eine finanzrechtliche Frage.
Und eine finanzielle. 350 Millionen Franken: Ist die grüne Farbe der Velovorzugsrouten so teuer?
Mit dem Kredit werden nicht nur die Vorzugsrouten ausgebaut, sondern die gesamte Veloinfrastruktur. Geplant sind neue Velostationen und Veloabstellplätze für 30 Millionen Franken sowie grosse Verbindungsbauwerke für gesamthaft 150 Millionen. Zu diesen Bauwerken zählen etwa die Franca-Magnani-Brücke, der neue Dammsteg über die Limmat oder die Quartierverbindung Seebach.
2015 bewilligte die Stadtbevölkerung einen Rahmenkredit von 120 Millionen Franken für die kommunale Veloinfrastruktur. Wie viel wurden davon aufgebraucht?
Bis jetzt 18,64 Millionen Franken.
Also deutlich weniger als eingeplant.
Ja, weil damit keine teuren Infrastrukturprojekte ausser Velostationen finanziert wurden. Auch Velovorzugsrouten, welche im regionalen Richtplan eingetragen, aber auf einer kommunalen Strasse liegen, konnten nicht über den Kredit abgerechnet werden. Für jedes einzelne Projekt musste stattdessen ein separater Kredit eingeholt werden. Das wollen wir nun vereinfachen, damit wir zügiger vorankommen.
Der neue Rahmenkredit soll die Velovorzugsrouten schneller voranbringen. Sind es nicht die vielen Einsprachen, die das Vorhaben bremsen?
Die Einsprachen verzögern die Umsetzung, das stimmt. Eigentlich könnten wir 20 Kilometer Velovorzugsrouten sofort bauen, doch sie sind rechtlich blockiert.
Aktuell sind nur 4,3 Kilometer von 130 umgesetzt.
Genau. Die Abschnitte liegen an der Baslerstrasse/Bullingerstrasse in Altstetten und an der Mühlebachstrasse/Zollikerstrasse im Seefeld. Weitere 80 Kilometer sind derzeit in Planung.
Frustriert es Sie, dass es so langsam vorangeht?
Einsprachen gehören nun mal zum normalen Verfahren – sie sind ein demokratisches Recht. Sobald wir einen ersten Bundesgerichtsentscheid zu den Velovorzugsrouten haben, dürfte es schneller gehen. Aber klar: Der Erwartungsdruck ist hoch, und ich bin natürlich ungeduldig.
Bis 2031 soll ein 130 km langes Netz an grünen Velovorzugsrouten entstehen, um das Velofahren in Zürich sicherer zu machen. Glauben Sie, dass das klappt?
Ja, da bin ich zuversichtlich. Zumal wir auch einen gewissen Spielraum haben. Nicht alle 130 Kilometer der Veloinfrastruktur müssen bis 2031 den besten Standards entsprechen, also beispielsweise autofrei sein, sondern 50 Kilometer. Wir gehen hier in Etappen vor.
Können Sie das Vorgehen ausführen?
Wir setzen zuerst um, was schnell und unkompliziert geht: zum Beispiel Parkplätze aufheben oder grüne Markierungen anbringen, um einen ersten sicheren Korridor zu schaffen. In einem zweiten Schritt passen wir die Vortrittsregelungen an. Und schliesslich wird der Verkehr im grösseren Umfeld neu organisiert, damit die Strassen möglichst autofrei werden. Für diesen letzten Schritt braucht es allerdings vertiefte Verkehrsstudien.
«Dass die Yonex-Halle so lange bleiben konnte, ist ein Privileg.»
Simone Brander, Stadträtin (SP)
Der erste Schritt scheint wenig zu bringen: Auf der Bullingerstrasse staut sich der Feierabendverkehr täglich, Velofahrende kommen kaum durch.
Wir wissen, dass dort heute zu viele Autos unterwegs sind. Es gibt verschiedene Ansatzpunkte, etwa bei der Europabrücke, wo wir bereits Lösungen prüfen. Nach der Markierung der grünen Bänder führen wir jeweils nach einem Jahr eine Erhebung durch, um zu sehen, wie viel Durchgangsverkehr noch bleibt. Der Prozess ist noch nicht abgeschlossen.
Viele Verkehrsteilnehmende verstehen die grünen Streifen noch immer nicht. Muss man sie besser erklären?
Es stimmt, dass noch nicht alle die Bedeutung der grünen Streifen kennen. Mit der Zeit wird sich das aber einspielen. Je mehr dieser Markierungen in den Quartieren auftauchen, desto vertrauter werden sie. Zugleich sehen wir, dass das Angebot sehr gut genutzt wird: Auf den Velovorzugsrouten verkehren heute rund 40 Prozent mehr Velos als vor der Einführung. Und 97 Prozent der Velofahrenden halten sich an die Temporegeln.
Anliegende Gemeinden wie Kilchberg sind nicht erfreut über das Vorgehen der Stadt. Laut dem Kilchberger Gemeinderat habe die Stadt die Gemeinde nicht in die Planung involviert. Gegen die Velovorzugsroute in Wollishofen gab es 471 Einsprachen.
Die Velovorzugsroute ist in der übergeordneten Richtplanung festgehalten. Sie führt bis zur Stadtgrenze und soll gemäss Plan in Kilchberg weitergeführt werden. Die Gemeinde stellt sich nun dagegen, obwohl sie sich an die übergeordneten Vorgaben halten müsste.
Grundsätzlich suchen wir immer den Dialog mit den Nachbargemeinden, um Lösungen zu finden, die für alle tragbar sind. Beim Fall Kilchberg waren die Zuständigen der Stadt im September 2024 vor Ort und haben Varianten vorgestellt. Nach einer Überarbeitungsphase wurde dann vor Weihnachten 2024 informiert.
Wie erklären Sie sich generell den Widerstand in der Bevölkerung gegen die Velovorzugsrouten?
Ich glaube, das hat viel mit dem «Not in my backyard»-Phänomen zu tun. Solange es um übergeordnete Klimaziele geht, sind die meisten einverstanden. Wenn aber der Parkplatz vor der eigenen Haustür aufgehoben wird, spürt man die Veränderung unmittelbar.
Gleichzeitig schaffen Sie Angriffsflächen, etwa bei der Yonex-Halle, die wegen der Franca-Magnani-Brücke weichen muss.
Die Yonex-Badmintonhalle steht auf städtischem Grund. Und die Stadt benötigt solche Grundstücke, um öffentliche Bedürfnisse zu erfüllen – sei es für Schulhäuser, Gesundheitseinrichtungen oder andere notwendige Infrastrukturen. Es war von Beginn weg klar: Wenn die Stadt das Grundstück braucht, muss die Halle weichen. Dass die Halle so lange bleiben konnte, ist ein Privileg. Ich verstehe, dass das Menschen bewegt, aber die Prioritäten sind klar.
Wäre es möglich, die Rampe schmaler zu bauen, damit die Halle oder zumindest Teile davon erhalten bleiben?
Bei der ersten Planung waren Brücke und Rampe tatsächlich schmaler. Damit wäre es vielleicht möglich gewesen, die Halle zu erhalten. Der Gemeinderat regte eine Verbreiterung an, um genug Platz für Fussgänger:innen und Velofahrende zu schaffen. Dabei war von Anfang an klar, dass die Halle in diesem Fall weichen muss.
Wie stellen Sie sicher, dass die Franca-Magni-Brücke wirklich tauglich für Velofahrende ist? Beim Velotunnel monieren Kritiker:innen etwa, dass die Rampen zu steil seien.
Beim Velotunnel mussten wir mit einer bestehenden Autobahnröhre arbeiten. Da waren die Möglichkeiten begrenzt. Bei der Franca-Magni-Brücke haben wir deutlich mehr Spielraum in der Planung. Es werden die Velostandards von Stadt und Kanton angewendet, die Neigungen und Spurbreiten klar vorgeben.
Zurück zur anstehenden Abstimmung: Was passiert, wenn der Rahmenkredit abgelehnt wird?
Ich bin zuversichtlich, dass die Zürcher Stimmbevölkerung Ja sagt. Falls nicht, müssten wir die Situation noch einmal prüfen. Juristisch gilt der Rahmenkredit als einziger gangbarer Weg. Wird er abgelehnt, müssen wir eine alternative Lösung finden.
Am 30. November entscheidet die Zürcher Stadtbevölkerung über ganze sieben Vorlagen. Hier geht's zur Übersicht.
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Studium der Politikwissenschaft und Philosophie. Erste journalistische Erfahrungen beim Branchenportal Klein Report und der Zürcher Studierendenzeitung (ZS), zuletzt als Co-Redaktionsleiter. Seit 2023 medienpolitisch engagiert im Verband Medien mit Zukunft. 2024 Einstieg bei Tsüri.ch als Autor des Züri Briefings und Berichterstatter zur Lokalpolitik, ab Juni 2025 Redaktor in Vollzeit. Im Frühjahr 2025 Praktikum im Inlandsressort der tageszeitung taz in Berlin.