Verzögert, blockiert, umkämpft: So steht es um die Velovorzugsrouten
Fünf Jahre ist es inzwischen her, dass die Stadtzürcher Stimmbevölkerung mit über 70 Prozent für die Velovorzugsrouten gestimmt hat. Viel wurde seither über den Ausbau der Veloinfrastruktur und der Velovorzugsrouten debattiert und diskutiert. Doch wo werden sie umgesetzt? Ein Überblick.
«In Zürich ist der verfügbare Platz knapp. Das macht die Umsetzung der Velovorzugsrouten komplex», schreibt die Stadt Zürich auf ihrer Webseite. Aktuell bearbeite man rund 100 Projekte zum Veloausbau. Die Velovorzugsrouten, kurz VVR, sollen grundsätzlich frei von Autos sein, nur Anwohner:innen, das Gewerbe, Blaulichtorganisationen und mobilitätseingeschränkte Personen bilden eine Ausnahme. Velos sind auf den Routen zudem vortrittsberechtigt.
Innerhalb der Velostrategie 2030 plant die Stadt ein 130 Kilometer umfassendes Netz aus Velowegen. 50 Kilometer davon sollen als VVR umgesetzt werden, dafür hatte sich das Stadtzürcher Stimmvolk im Herbst 2020 mit einer klaren Mehrheit von 70,5 Prozent ausgesprochen. Bislang umgesetzt sind jedoch erst 4,3 Kilometer, seit August 2024 sind gerade einmal 300 Meter hinzugekommen.
Das Gesamtnetz der Velovorzugsrouten ist schon genau definiert und auf dem Stadtplan ersichtlich. Rechnet man alle Projekte zusammen, die fertiggestellt oder aktuell in Planung sind, kommt man auf 34 Kilometer. Weitere 16 Kilometer werden in den kommenden Jahren folglich noch in Angriff genommen.
Als erstes umgesetzt wurde die VVR zwischen Baslerstrasse und Bullingerstrasse. Die rund drei Kilometer lange Strecke wurde am 9. März 2023 von den Stadträtinnen Simone Brander und Karin Rykart eingeweiht und ist seither in Betrieb.
Keine umgesetzte Velovorzugsroute autofrei
Doch noch immer stauen sich auf der Vorzeigestrecke die Autos, wie Tsüri.ch letztes Jahr berichtete. Yvonne Ehrensberger von Pro Velo Zürich wünschte sich deshalb tiefgreifendere Massnahmen wie Pfosten oder andere physische Barrieren, die eine Durchfahrt für Autos und Lastwagen verunmöglichen würden. Auch die GLP-Gemeinderätin Carla Reinhard konstatierte: «Aktuell verdient die Strecke den Namen Velovorzugsroute nicht.»
Ab August 2025 setzt die Stadt zwischen der Stauffacherstrasse und der Kasernenstrasse den nächsten Abschnitt dieser VVR um, ab Frühling 2026 soll er bereit sein. Die Route verläuft über die Herman-Greulich-Strasse, die Brauerstrasse und die Zeughausstrasse in Richtung Innenstadt und zum neuen Stadttunnel, der am 22. Mai eingeweiht wird.
Auch die 2,5 Kilometer lange Route zwischen Mühlebachstrasse und Zollikerstrasse im Kreis 8 wurde bereits fertiggestellt. Velofahrende haben auf der Strecke weitgehend Vortritt, autofrei ist aber auch sie nicht. Die Umsetzung begann hier im Oktober 2023, die grünen Bodenmarkierungen wurden im Frühjahr 2024 angebracht.
Doch hier endet die Liste der umgesetzten Routen bereits. Etliche Projekte befinden sich zwar in Planung, werden jedoch durch Anwohner:innen blockiert, die rechtlich unter anderem gegen den vorgesehenen Parkplatzabbau vorgehen.
- Von Höngg nach Wipkingen ist eine 4,3 Kilometer lange Vorzugsroute geplant. Los gehen soll es mit einem 400 Meter langen Abschnitt beim Appenzellerweg. Die Umsetzung ist jedoch erst 2028 oder 2029 geplant.
- Eine weitere VVR soll auf der Strecke zwischen dem Juchhof der Vulkanstrasse entlang bis zum Bahnhof Altstetten auf rund 1,8 Kilometern entstehen. Doch erst, wenn die Einwendungen bearbeitet sind. Während die Pläne aufliegen, können direkt Betroffene solche Einsprachen anbringen. Anschliessend entscheidet der Stadtrat über die Einsprachen und passt die allenfalls angepassten Pläne an. Nach dem Stadtratsbeschluss haben die Betroffenen erneut 30 Tage Zeit, um Rechtsmittel zu ergreifen. Passiert dies, kann sich das Bauprojekt um unbestimmte Zeit verzögern.
- Auf dem Abschnitt von der Zürcher Stadtgrenze bei Kilchberg durch Wollishofen bis zur Mutschellenstrasse ist eine 2,2 Kilometer lange Route geplant. Die Pläne lagen Anfang Jahr auf, das Projekt soll 2027 umgesetzt werden. Doch aus der Bevölkerung kommt starker Gegenwind. Die Stadt spricht von «zahlreichen Einwendungen», gemäss Zürich24 sollen es insgesamt 471 gewesen sein. Unter anderem deshalb, weil für den «Velo-Highway» 110 Parkplätze weichen sollen.
- Eine rund sieben Kilometer lange Vorzugsroute ist von der Forchstrasse bis zum Franklinplatz in Oerlikon geplant. Auch hier gilt es, zunächst die Einsprachen zu bearbeiten. Werden nach der Anpassung der Pläne durch den Stadtrat keine Rechtsmittel ergriffen, kann es mit der Umsetzung zeitnah losgehen.
- Eine rund sieben Kilometer lange Vorzugsroute ist von der Forchstrasse bis zum Franklinplatz in Oerlikon geplant. Auch hier gilt es, zunächst die Einsprachen zu bearbeiten. Werden nach der Anpassung der Pläne durch den Stadtrat keine Rechtsmittel ergriffen, kann es mit der Umsetzung zeitnah losgehen. Wie Roger Schaad vom Tiefbauamt erklärt, gehen Rekurse bezüglich Parkplatzabbau ans Statthalterhamt, Rekurse zu baulichen Massnahmen auf den kommunalen Strassen langen beim Baurekursgericht, für Rekurse zu überkommunalen Strassen ist der Regierungsrat zuständig.
- Vom Bullingerplatz im Kreis 4 bis zum See soll auf 2,7 Kilometer eine neue Route entstehen. Diese verläuft unter anderem über den Stauffacherquai, die Sihlamtstrasse und den Bleicherweg und führt schliesslich über die Flössergasse im Kreis 1 und die Tödistrasse im Kreis 2 zum See. Hier lagen die Pläne von Mitte März bis Mitte April auf, und Überraschung: Es sind keine Einsprachen eingegangen, wie der Projektleiter Kommunikation des Tiefbauamts Roger Schaad mitteilt. Das Projekt soll im Frühling 2027 umgesetzt werden.
- Schliesslich soll auf dem Abschnitt von der Zehntenhausstrasse bis zur Oerlikonerstrasse auf 3,5 Kilometern eine VVR entstehen. Auch hier gilt es, Einsprachen zu bearbeiten und es bleibt unklar, wann das Projekt umgesetzt werden kann.
Zwei weitere geplanten Abschnitte sind aktuell durch Rekurse blockiert. Hier könnte sich die Umsetzung also noch deutlich länger verzögern, als es bei den Einsprachen der Fall ist.
Gegen die 3,8 Kilometer lange Velovorzugsroute Höngg – Meierhofplatz – Wipkingerbrücke wurden zwei Rekurse beim Statthalteramt gemacht. Wie lange der rechtliche Prozess dauer wird, ist ungewiss, weshalb die Stadt bislang keinen Umsetzungszeitpunkt kommunizieren kann.
Um die 2,2 Kilometer lange Velovorzugsroute Stettbach – Wallisellen steht es ähnlich: Hier wurde ein Rekurs ans Verwaltungsgericht weitergezogen. Die Umsetzung verzögert sich daher auf bislang unbestimmte Zeit.
Stadt hat Verzögerungen eingeplant
Angesichts der vielen Verzögerungen stellt sich die Frage: Wird die Stadt ihr Ziel erreichen und das geplante Veloroutennetz von über 50 Kilometern bis 2031 umsetzen?
Dazu antwortet Roger Schaad vom städtischen Tiefbauamt: «Die Stadt arbeitet mit Hochdruck. Die Einsprachen verzögern die Umsetzung einiger Projekte, dennoch geht es voran.» Dabei betont er, dass diese ein normaler Teil des Prozesses seien. Die Gründe für die Einsprachen seien vielfältig: «Oft geht es aber um Parkplätze, Einbahnen und gegen die Velovorzugsrouten an sich», so Schaad.
Velofahrende wären dankbar für eine pünktliche Umsetzung der Vorzugsrouten: Gemäss Zahlen der Stadt hat der Veloverkehr zwischen 2012 und 2018 um 50 Prozent zugenommen, auf der bereits fertiggestellten Route an der Baslerstrasse hat sich der Veloverkehr inzwischen beinah verdoppelt.
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Bachelorstudium in Germanistik und Philosophie an der Universität Zürich, Master in Kulturanalyse und Deutscher Literatur. Während des Masters Einstieg als Redaktionsmitglied in der Zürcher Studierendenzeitung mit Schwerpunkt auf kulturellen und kulturkritischen Themen. Nebenbei literaturkritische Schreiberfahrungen beim Schweizer Buchjahr. Nach dem Master Redaktor am Newsdesk von 20Minuten. Nach zweijährigem Ausflug nun als Redaktor zurück bei Tsüri.ch