Veloroute in Altstetten ist einjährig – und noch immer staut es
Seit einem Jahr stauen sich fast jeden Morgen auf der Bullingerstrasse in Altstetten Autos und Lastwagen. Für Velofahrer:innen gibt es kaum ein Durchkommen. Was ist aus dem Versprechen der ersten Zürcher Velovorzugsroute geworden?
Es staut. Die Autos reihen sich an diesem Morgen auf der Bullingerstrasse bis zu den Hardautürmen. Viel Platz, um an den stehenden Fahrzeugen vorbeizukommen, bleibt den Velofahrer:innen nicht. Man weicht auf das Trottoir oder die Gegenfahrbahn aus. Dabei müsste die Strecke gemäss Volksentscheid «grundsätzlich vom motorisierten Verkehr befreit» sein. Doch das ist sie nicht. Daran ändert auch der grüne Streifen am Strassenrand nichts.
Die Markierung kennzeichnet die 2,9 Kilometer lange Strecke von Altstetten bis in den Kreis 4 als Velovorzugsroute. Kurz nach ihrer Eröffnung im März 2023 sorgte die ungewöhnliche Farbwahl noch für Irritationen. Während sich die meisten mittlerweile daran gewöhnt haben, besteht das damals kritisierte Stauproblem ein Jahr danach noch immer – trotz neuer Verkehrsführung, die den Streckenabschnitt für den Durchgangsverkehr unattraktiv machen soll. Dabei versprach die Stadt Zürich, man werde die Situation ein Jahr später analysieren und gegebenenfalls neue Regeln einführen, um den Autoverkehr zu minimieren.
Velolobby und Politik verlangen Veränderungen
Für Yvonne Ehrensberger von Pro Velo Zürich ist die Situation auf der Bullingerstrasse unhaltbar. Diese Lösung sei nicht im Sinne der Stimmbevölkerung, die 2020 mit über 70 Prozent Ja zum mindestens 50 Kilometer langen und sicheren Veloroutennetz gesagt hat: «Es kann nicht sein, dass Autos und Lastwagen Velofahrenden auf einer Velovorzugsroute die Durchfahrt blockieren.»
Dass das Problem auch ein Jahr nach der Eröffnung noch besteht, zeigt ihr zufolge, dass es nichts mit fehlender Gewohnheit zu tun hat. Ihrer Ansicht nach setzt die Stadt die Forderung nach «grundsätzlich autofreien» Velorouten zu lasch um. Es seien tiefgreifendere Massnahmen nötig, um die Sicherheit der Velofahrer:innen zu erhöhen. Damit meint Ehrensberger physische Hindernisse wie Pfosten oder Barrieren, die eine Durchfahrt faktisch verunmöglichen.
Ähnliches fordert die GLP-Politikerin Carla Reinhard. Ihre Partei setzte sich bei der Abstimmung zum Veloroutennetz für ein Ja ein. Der Stau mache die Route unattraktiver für Menschen auf dem Velo, so die Gemeinderätin auf Anfrage. «Wir erreichen also gerade das Gegenteil.» Aktuell verdiene die Strecke den Namen Velovorzugsroute nicht.
Auch für Oliver Heimgartner, Co-Präsident der Stadtzürcher SP, ist klar: «Jetzt muss rasch etwas passieren.» Entweder durch bauliche Massnahmen oder Fahrverbote. Dort, wo es noch zu viele Autos auf der Strasse hat, soll die Stadt nachbessern. Damit die von seiner Partei lancierten Volksinitiative konsequent umgesetzt werde, so Heimgartner.
40 Prozent mehr Velos
Die Stadt sei sich der Problematik bewusst, schreibt die Sprecherin Nadja Häberli von der zuständigen Dienstabteilung Verkehr. Im Rahmen einer standardmässigen Wirkungsanalyse prüfe man mögliche Lösungen, um die Route vom Durchgangsverkehr zu befreien und Schwachstellen zu verbessern. Als mögliche Massnahmen werden Einbahnen oder Abbiegegebote genannt. Ob auch Fahrverbote zum Zuge kommen könnten, bleibt jedoch unklar.
Grundsätzlich zieht die Stadt ein positives Fazit. Heute fahren Analysen zufolge 40 Prozent mehr Velos die Strecke als vor den Anpassungen. Wie stark im Gegenzug der motorisierte Verkehr abgenommen hat, wird erst in den nächsten Wochen auskommen; die Resultate werden laut Häberli gerade ausgewertet.
Përparim Avdili, Präsident der Stadtzürcher FDP, hofft, dass allfällige Massnahmen nicht auf dem Buckel der Autofahrer:innen ausgetragen werden. Weniger Stau sei nur möglich, wenn die Verkehrsteilnehmer nicht gegeneinander ausgespielt würden, so Avdili. Ein sicherer und flüssiger Verkehr sei möglich, «wenn Lösungen pragmatisch und nicht ideologisch gesucht werden». Dass Velofahrer:innen entlang der Bullingerstrasse kaum an stauenden Fahrzeugen vorbeikommen, führt der Gemeinderat deshalb auf eine Fehlplanung zurück: «Es stellt sich ernsthaft die Frage, ob die Velovorzugsroute am richtigen Ort geplant wurde – offensichtlich nicht.»
Abgetrennte Velowege bleiben Ausnahme
Doch wo sollen die Velovorzugsrouten durchführen? Auch bei der zweiten Velovorzugsroute im Seefeld, die Anfang April 2024 eröffnet wurde, blieb Kritik nicht aus. In erster Linie, weil auf der 2,5 Kilometer langen Strecke entlang der Mühlebachstrasse zwei Schulhäuser liegen und sich Eltern Sorgen um die Sicherheit ihrer Kinder machen. Velofahrer:innen würden vor den Fussgängerstreifen nicht anhalten und kaum abbremsen. Für Avdili die Bestätigung dafür, dass Velovorzugsrouten nicht zwingend sicherer sind. Die FDP sprach sich zusammen mit der SVP gegen die Volksinitiative «Sichere Velorouten für Zürich aus».
Dem widerspricht Yvonne Ehrensberger: «Grösstenteils sorgen die Velovorzugsrouten durchaus für mehr Sicherheit – sowohl für Velofahrer:innen als auch für Fussgänger:innen.» Zudem habe die Problematik auf der Mühlebachstrasse bereits vor der Eröffnung der offiziellen Route bestanden. Klar ist auch für sie: «Velofahrer:innen müssen an Fussgängerstreifen anhalten, insbesondere für Kinder ist das essenziell.» Auch auf Velovorzugsrouten.
Noch sicherer wären jedoch baulich abgetrennte Velowege. So wie sie in anderen europäischen Städten üblich sind. Doch diese werden laut der Stadt die Ausnahme bleiben: Aufgrund der begrenzten Platzverhältnisse seien abgetrennte Velowege nur an verkehrsorientierten Strassen mit starkem Verkehr und Geschwindigkeiten über 30 Stundenkilometern vorgesehen, so Nadja Häberli.
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