Gemeinderats-Briefing #86: Abfall im Klassenzimmer

Der Abfallunterricht bekommt nicht nur einen schmeichelhafteren Namen, auch die Anzahl Lektionen des unterrichtsergänzenden Angebots wird ausgebaut.

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Illustration: Zana Selimi

Am Fischerweg manifestieren sich für mich Freud und Leid des Velofahrens in Zürich. Über den Kiesweg am Limmatufer kann ich einen Grossteil meines Arbeitswegs, begleitet von entspanntem Wassergeplätscher und ohne stressigen Strassenverkehr, absolvieren. Andererseits wird dieser offiziell als überregionale Veloroute gekennzeichnete Weg gerade in Stosszeiten auch ziemlich stressig: Jogger:innen, freilaufende Hunde und Schulkinder sorgen dafür, dass ich manchmal praktisch jede Minute zum Stehen komme.

So richtig befriedigend ist diese Situation weder für die Fussgänger:innen, noch für die Velofahrer:innen, und das ist symptomatisch für solche sogenannten Mischverkehrsflächen, von denen es in Zürich einige gibt. 2018 hatte die SP ein Postulat eingereicht, in dem sie den Abbau solcher Flächen in der Stadt gefordert hat. Vier Jahre später widmeten sich Selina Frey und Serap Kahriman (beide GLP) explizit dem Fischerweg und forderten per Postulat kurzfristige Überbrückungsmassnahmen, um die Situation für alle Verkehrsteilnehmer:innen dort zu verbessern.

Tiefbauvorsteherin Simone Brander (SP) trat vor zwei Jahren an, die Velopolitik in der Stadt voranzubringen und Probleme wie die in den beiden Vorstössen formulierten zu lösen. Gestern präsentierte sie dem Gemeinderat mit dem Bericht zur Veloförderung und Velosicherheit 2023 ein Werk, mit dem sie unter anderem erstmals über den Stand der Umsetzung bei den Velovorzugsrouten informierte. Sie kündigte an, solch einen Bericht ab jetzt jedes Jahr vorlegen zu wollen.

«Uns frappiert immer wieder, wie lange es dauert, bis die Verwaltung einen Kulturwandel vollzieht.»

Markus Knauss (Grüne) findet, der Ausbau der kritischen Veloinfrastruktur dauere oft zu lange.

Markus Knauss (Grüne) zeigte sich vom Bericht insgesamt zufrieden, auch wenn die Umsetzung wichtiger Verkehrsinfrastrukturen manchmal quälend lange dauere: «Uns frappiert immer wieder, wie lange es dauert, bis die Verwaltung einen solchen Kulturwandel vollzieht.» Als einzige Fraktion lehnte die SVP den Bericht ab. Autofreund Derek Richter bezeichnete seine Fraktion deshalb als «einzige Stimme der Vernunft». Es sei falsch, Veloinfrastruktur mit Velosicherheit gleichzusetzen, die steigenden Unfallzahlen bei gleichzeitiger Erhöhung der Ausgaben seien ein Beweis dafür. «Sollte man im Umkehrschluss nicht weniger investieren?», fragte er in die Runde.

Mit der Vorlage des Berichts sollte nicht nur über den Stand von Projekten informiert, sondern auch ganze 19 Postulate abgeschrieben werden, die in den letzten 20 Jahren zu Velothemen eingereicht worden waren. Darunter fanden sich solche für die Durchsetzung des Velofahrververbots in Fussgängerzonen genauso wie für die Öffnung von Quartierstrassen für den Veloverkehr in beide Richtungen.

Auch die beiden Postulate zum Fischerweg und zum Abbau von Mischverkehrsflächen waren darunter. Sie wurden, wie einige andere auch, vom Gemeinderat nicht als erledigt abgeschrieben. Zu den Mischverkehrsflächen erklärte Anna Graff (SP), es sei noch ein Viertel dieser bestehenden Flächen abzubauen: «Wir sehen nicht, dass das als erledigt abgeschrieben werden sollte.»

In der Causa Fischerweg befand Carla Reinhard (GLP), trotz der aufgestellten Barrieren am Hardturm sei die Situation noch nicht zufriedenstellend. Weitere Massnahmen wie Schilder, die auf die künftige Velovorzugsroute auf der Hardturmstrasse verweisen, sollten geprüft werden. Dazu gebe ich gerne meinen Segen.

Aus Abfall werden Ressourcen

Wusstest du, dass Entsorgung und Recycling Zürich (ERZ) Lektionen an Zürcher Schulen anbietet? Ich jedenfalls nicht. Seit dem Schuljahr 2018/19 führt der stadteigene Betrieb ein unterrichtsergänzendes Angebot aus, das auf den wenig schmeichelhaften Namen «Abfallunterricht» hört. Es handle sich um «eine kleine, aber feine Erfolgsgeschichte», erklärte Stadträtin Simone Brander. «Das Beste daran», so Brander, «und das wird Sie beim Bild von Teenagern vielleicht überraschen: Der Unterricht ist bei den Schüler:innen sogar noch sehr beliebt.»

Abfall, Recycling
«Abfallunterricht»? Es gibt wohl schönere Namen. (Bild: Tsüri.ch)

Brander stellte eine Weisung vor, die einen Ausbau des Projekts vorsieht. Künftig sollen statt wie bisher 600 Lektionen im Jahr 900 finanziert werden, und auch ein Ausflug zum Beispiel zu einem Recyclinghof soll möglich sein. Auch will man die Kreislaufwirtschaft stärker in den Fokus rücken. Das Beste aber ist: Künftig soll er nicht mehr «Abfallunterricht», sondern «Ressourcenunterricht» heissen.

Ausser der SVP war niemand im Rat gegen die Krediterhöhung. Johann Widmer erklärte, man finde Kreislaufwirtschaft zwar sinnvoll, was in den Schulen abgehe, sei aber «Gehirnwäsche». Für das, was auch immer er damit genau meinte, habe er Beweise in Form von Rückmeldungen aus der Bevölkerung. Sein Fraktionskollege Stefan Urech fand, die Linke habe sich zwar bei der Einführung des Lehrplan 21 auf Kantonsebene gegen eine politische Einmischung in den Unterrichtsinhalt gewandt, komme seither aber mit immer neuen Forderungen für den Unterrichtsinhalt an.

Sibylle Kauer (Grüne) zeigte sich erfreut über den Zusatzkredit für mehr ERZ an den Schulen. «Alle Schüler:innen sollen regelmässig ihr Verhalten im schonenden Umgang mit unseren Ressourcen reflektieren», erklärte sie. Die Grünen hätten sich eigentlich noch ein paar mehr Lektionen gewünscht, sodass auf jeder Klassenstufe eine Doppelstunde im Jahr möglich sei. Doch auch so sind die Erwartungen an den Ressourcenunterricht nicht klein: «Damit ist die Hoffnung verbunden, dass zukünftige Generationen gescheiter sind als wir», schloss Stadträtin Brander.

Weitere Themen

  • Eine Mehrheit des Gemeinderats hat einem Kredit über 20 Millionen Franken für die Bewerbung Zürichs zur Austragung des Eurovision Song Contest (ESC) 2025 zugestimmt. Die Weisung des Stadtrats war im Eiltempo in den Gemeinderat gekommen, nicht einmal zwei Monate nach dem Sieg Nemos beim ESC 2024. Es gab keine Zeit für eine Vorberatung in einer Kommission, was für Kritik sorgte. Sophie Blaser (AL) erklärte, man hätte noch viele Fragen gehabt zu den Durchführungsplänen der Stadt, unter anderem zur Aushebelung von Lärmschutzregeln und dem Baustopp bei Baustellen. Sebastian Zopfi (SVP) erklärte, man könne den ESC gerne durchführen, aber bitte, ohne dafür Steuergelder auszugeben. Beide Fraktionen stimmten gegen den Kredit, genauso wie die Hälfte der Grünen, die Grossanlässe generell kritisch sieht. 20 Millionen Franken sind übrigens die Obergrenze, die für Kredite ausgegeben werden kann, bevor das Volk befragt werden muss.
  • Keine Chance hatte ein Beschlussantrag der FDP, die Geschäftsordnung so zu präzisieren, dass Parlamentarier:innen den Namen ihres Arbeitgebers offenlegen müssen. Bei SP und Grünen beschwerte man sich, dass die FDP den gleichen Antrag immer wieder stelle und erklärte, die aktuellen Ausstandsregeln seien umfassend genug und hätten sich bewährt. Nur die AL und die Fraktion Die Mitte/EVP stimmten dem Antrag zu.
  • Der Bericht des Historikers Raphael Gross zur bisherigen Provenienzforschung zur Sammlung Bührle am Kunsthaus (wir berichteten) sorgte gestern im Rat für Diskussionen: Maya Kägi Götz verlas eine Fraktionserklärung der SP, in der sie erklärte, man habe viel zu lange auf die Provenienzforschung durch Kunsthauses vertraut und sehe nun Aufklärungsbedarf. Noch deutlichere Worte fanden sich in der von Markus Knauss verlesenen Fraktionserklärung der Grünen: Der Bericht sei vernichtend, heisst es darin. Die Stadt habe in vielen Jahren kaum Willen gezeigt, die Sammlung Bührle transparent auf seine Provenienzen hin untersuchen zu lassen. In der Grünen-Erklärung wird auch ein bislang vom Stadtrat nicht bearbeitetes Postulat aus dem Jahr 2021 angesprochen, das eine Forschung zum Frauenzwangsarbeiterlager Velten in Deutschland fordert, in das der Waffenfabrikant Emil Bührle durch Lizenzzahlungen verwickelt war.
  • David Ondraschek (Die Mitte), Reto Brüesch (SVP) und Brigitte Fürer (Grüne) haben zu den gestern veröffentlichten neuen Hochhausrichtlinien eine Schriftliche Anfrage eingereicht. Darin fragen sie unter anderem nach Auswirkungen auf Hitzeminderungsmassnahmen, zu erwartenden Verdrängungsmechanismen und Kriterien nachhaltiger Verdichtung bei unterschiedlichen Geschosshöhen.
  • Marion Schmid (SP, hier ihr Porträt) ist gestern nach achteinhalb Jahren aus dem Rat zurückgetreten. In ihrem Rücktrittsschreiben erklärte sie, dass die Probleme mit hoher Arbeitslast im Rat zum Teil hausgemacht seien, beispielsweise durch lange Redezeiten und das exzessive Einreichen von Vorstössen. «Man muss nicht zu jedem Veloständerproblem einen Vorstoss machen», erklärte sie in Richtung der Ratslinken. Der bürgerlichen Seite warf sie vor, zu wenig Engagement und Verhandlungsgeschick zu zeigen, um der Linken im Rat gute Kompromisse abzuringen. Schmid hob hervor, dass sie mit Mitgliedern aller Fraktionen Vorstösse eingereicht habe. Ratspräsident Guy Krayenbühl (GLP) lobte Schmid als eine Politikerin, die nicht für Schnellschüsse zu haben sei und die ihr politisches Handwerk verstehe. «Bitte nehmen Sie die mahnenden Worte ernst», wandte er sich an die Ratsmitglieder.
  • Für die zurückgetretene Monika Bätschmann trat gestern neu Roland Hurschler in die Grünen-Fraktion ein. Der Historiker und Geschäftsführer beim Verband Filmregie und Drehbuch Schweiz war bereits von 2021 bis zur Wahl 2022 im Rat.
  • Der Quartierverein Hirslanden hat gestern vor dem Rathaus seine Petition «Unser Klusplatz will mehr sein als nur eine Haltestelle» an Stadträtin Simone Brander übergeben. Sie beinhaltet mehrere Forderungen zur Belebung des Platzes, mehr Lärmschutz und besser ÖV-Infrastruktur. Mit übergeben wurde auch ein kleiner Kaktus, der laut Co-Präsident Mischa Schiwow für den im Moment sehr unwirtlichen Klusplatz stehe.
  • Korrektur: Im letzten Gemeinderats-Briefing hiess es, die AL habe sich bei der Abstimmung zur städtischen Jahresrechnung «wie jedes Jahr» enthalten. Das ist falsch. Richtig ist: Die AL hat sich zum zweiten Mal in Folge enthalten, davor aber die Rechnung in der Regel angenommen.

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