Gemeinderats-Briefing #2: Für immer mediterran
Das Gemeinderats-Briefing ist das wöchentliche Update aus dem politischen Herzen Zürichs. Was diese Woche wichtig war: Die Triemli-Personalhäuser sollen länger erhalten bleiben, die FDP mag das Velo, Susanne Brunner ist gegen den «Gender Filibuster».
Geht es dir auch manchmal so, dass du für eine besondere Rarität gerne mal bereit bist, etwas tiefer in die Tasche zu greifen? Mir geschieht das am ehesten bei Schallplatten. Im Vergleich zu Leuten, die Rekordsummen für NFTs oder Siebdrucke von Andy Warhol ausgeben, spielen sich die Kosten bei mir also in einem ziemlich moderaten Rahmen ab.
Die Stadt Zürich gibt für Raritäten auch gerne mal viel aus. Und besonders rar ist hier vor allem eines: Platz. Genauer gesagt Bauland, auf dem sich Wohnungen bauen lassen. Kürzlich teilte der Stadtrat mit, dass er den Kauf einer grossen Landparzelle mit Bürokomplex darauf erwäge; die des Uetlihofs (wir berichteten bereits im täglichen Briefing). Gestern ging die Weisung des Stadtrats über einen entsprechenden Nachtragskredit an den Gemeinderat und wurde der zuständigen Rechnungsprüfungskommission zugewiesen.
Furcht vor Besetzer:innen des Koch-Areals
Auch im dringlichen Postulat von Marco Denoth (SP) und Walter Angst (AL) ging es um den heiss umkämpften Platz in der Stadt und die Frage, wie er genutzt wird. Die beiden wollten erreichen, dass die Personalhäuser des Triemlispitals einer Zwischennutzung zugeführt werden. Sie stehen eigentlich kurz vor dem Abbruch, werden aber momentan als Unterkünfte für Geflüchtete aus der Ukraine benutzt.
Stadtrat Andreas Hauri (GLP) erklärte, die Geflüchteten so lange wie möglich in den Gebäuden halten zu wollen, andere Arten der Nutzung könnten sich allerdings schwierig gestalten. Viele Zimmer hätten weder Küchen noch Nasszellen, Grundrissänderungen seien schwer umsetzbar und der Brandschutz ein Problem. Trotzdem stimmten dem Postulat am Ende alle Parteien zu, bis auf die FDP. Laut Gemeinderat Andras Egli stehen hinter dem «Nein» seiner Partei vor allem Befürchtungen, dass dort am Ende Wohnraum für die Besetzer:innen entstehe, die jetzt das Koch-Areal verlassen müssten.
Keine Parkplätze gegen Gastroflächen
Wir bleiben beim begrenzten städtischen Platz: In einem dringlichen Postulat forderten die beiden SVP-Politiker Samuel Balsiger und Stephan Iten, die Aussenbestuhlung der Gastronomie definitiv auszuweiten. Im letzten Jahr war unter dem Eindruck der Pandemie und ihrer verheerenden Auswirkungen auf das Gastgewerbe eine Ausweitung der Aussenbestuhlung um bis zu 30 Prozent auf öffentlichem Grund beschlossen worden. Während gestern Gemeinderät:innen von links bis rechts das so entstandene mediterrane Flair in der Stadt lobten, freute sich Samuel Balsiger über die aussergewöhnlich grosse Unterstützung im Parlament für ein Postulat seiner Partei von 91 zu 10 Stimmen. Eine gewünschte Textänderung der SP, den nichtkommerziellen öffentlichen Raum bei der Umsetzung mit zu beachten, genug Platz für Velos und Fussgänger:innen zu berücksichtigen und die Nutzung nicht mehr kostenlos zur Verfügung zu stellen, wurde mit aufgenommen. Den Textänderungsantrag der AL, der für die von der Gastronomie beanspruchte öffentliche Fläche eine Kompensation von Parkplatzflächen vorsah, lehnte die SVP «selbstverständlich» ab.
Velosäcke für mehr Sicherheit
Wir machen frisch und munter weiter mit den städtischen Platzproblemen. Gleich mehrere Vorstösse beschäftigten sich gestern mit der Verkehrssituation in der Stadt. Brigitte Fürer (Grüne) forderte in einem Postulat die flächendeckende Einführung von Velosäcken. Moment mal – Velo-was? Velosäcke heissen die Flächen, die an Ampeln über die gesamte Breite der Spur Platz für wartende Velos bieten. Fürer forderte ausserdem einen Vorzugstart von zehn Sekunden für Velofahrende, um deren Sicherheit zu gewährleisten. Michael Schmid (AL) erinnerte an eine Velofahrerin, die im letzten Jahr von einem LKW erfasst wurde. Die richtige Infrastruktur könne solche Ereignisse verhindern, erklärte er. Unter den Fraktionen der GLP, der FDP und der EVP herrschte Einigkeit darüber, dass solche Velosäcke eine gute Idee seien, doch der geforderte Vorzugstart zu lang. Die Zustimmung war am Ende mit 70 zu 44 trotzdem deutlich.
Auch bei dem Postulat von Martina Zürcher und Përparim Avdili (beide FDP) ging es ums Velo. Ihre Forderung, die Critical Mass künftig nur mit ordentlicher Bewilligung durchzuführen, stiess allerdings auf wenig Gegenliebe bei der linken Ratsseite. «Es ist für Sie vielleicht schwer vorzustellen», so abermals Michael Schmid von der AL, «aber es gibt bei der Critical Mass tatsächlich keine Organisation und keine Organisator:innen.» Abgesehen davon erfordere die Durchsetzung einer Bewilligung ein massives Polizeiaufgebot, was zu kritisieren sei. Die Ablehnung erfolgte mit 74 zu 44 Stimmen.
«Die FDP hat immer Freude an guten Vorschlägen fürs Velo.»
Dominique Zygmont, FDP, in der Debatte über Velosäcke und Velovorfahrt an Ampeln
Genderwatch-Protokoll kommt
Eng wurde es gestern dagegen bei dem Beschlussantrag von Marion Schmid (SP) und Selina Walgis (Grüne). Mit 61 Ja- zu 50 Nein-Stimmen bei 6 Enthaltungen stimmte der Gemeinderat dafür, künftig ein Genderwatch-Protokoll über die Debatten im Rat zu führen. Die so erhobenen Daten über die Redezeiten der Geschlechter sollen öffentlich zugänglich gemacht werden. Der Antrag hatte schon im Vorfeld zu öffentlichen Debatten geführt, was Schmid als positives Zeichen wertete: «Es hat eine Wirkung, die Aufmerksamkeit auf Probleme zu lenken», erklärte sie: «Allein schon die Ankündigung hatte eine Wirkung.»
Das bestätigte auch Claudia Rabelbauer, die zugab, der Antrag habe in ihrer EVP zu Diskussionen geführt. Susanne Brunner (SVP) erklärte dagegen, im Parlament «sollten die reden, die etwas zu sagen haben.» Sie mutmasste, dass Frauen zukünftig ihre Redezeit künstlich verlängern könnten, damit die Statistik stimme und sprach in Anlehnung an die manchmal stundenlangen Redebeiträge im US-Senat von einem «Gender Filibuster».
Gemeinderätin der Woche: Marion Schmid (SP) |
Eigentlich sei Gleichstellung bisher gar nicht ihr Schwerpunkt gewesen, erzählt SP-Politikerin Marion Schmid. Eher seien es Sozial- und Gesundheitspolitik und in letzter Zeit auch vermehrt die Klimapolitik, so die neue Präsidentin der Sachkommission Gesundheits- und Umweltdepartement. Grund für den gestrigen gemeinsamen Beschlussantrag mit Selina Walgis (Grüne) für ein Genderwatch-Protokoll im Gemeinderat sei unter anderem gewesen, dass die beiden festgestellt hätten, wie wenig sichtbar Frauen im Gemeinderat speziell in der vergangenen Legislatur waren. In wichtigen Funktionen wie den Fraktionspräsidien fehlten sie ganz. Auslöser für den Austausch mit Walgis wiederum seien die Artikel auf Tsüri.ch zu Frauen im Gemeinderat gewesen. Auf ihrem Twitter-Account stellt sich die in einem Pflegeheim angestellte Betriebsökonomin als «fromm (offiziell geoutet)» vor – ein ironischer Hinweis auf ihren Minderheitenstatus als gläubige Person in einer linken Partei. Manchmal sei sie deshalb mit linken Mehrheitsmeinungen im Konflikt, so etwa wenn es um Einschränkungen für das Kirchenläuten gehe oder die gesellschaftlichen Auswirkungen von Pränataldiagnostik. Doch meist lasse sich die politische Arbeit sehr konfliktfrei mit dem Glauben vereinen und präge ihre Haltungen in puncto Gerechtigkeit oder Solidarität, so Schmid: «Denn aus der Perspektive meines Glaubens ist das Ziel des Lebens, mehr Gutes in die Welt zu bringen.» Warum sind Sie Gemeinderätin geworden? Grundsätzlich ist es mein Ziel, meine Überzeugungen auch in die Umsetzung bringen zu können. Und da ist Politik ein wesentlicher Hebel. Ich habe auch gemerkt, dass ich Stärken im Politischen habe: Ich kann gut verhandeln, Allianzen bilden und Lösungen finden. Dass ich Gemeinderätin geworden bin, war eher Zufall: Ich war in der Partei aktiv und wurde irgendwann gefragt, ob ich nicht auf die Liste für die Gemeinderatswahlen will. Mit welche:r Ratskolleg:in der Gegenseite würden Sie gerne mal ein Bier trinken gehen? Mit fast allen, weil ich es immer spannend finde, mit Menschen ins Gespräch zu kommen, die andere Überzeugungen und andere Lebensrealitäten haben. Wenn ich jetzt ganz konkret einen Namen nennen sollte, dann würde ich Jehuda Spielman (FDP) sagen. Das fände ich spannend, weil ich in meinem Umfeld keine jüdisch-orthodoxen Menschen kenne. Es würde mich zum Beispiel interessieren, inwiefern der Glaube seine politische Haltung prägt. Das interessiert mich an Menschen, die aus einem anderen Kontext kommen und anders geprägt sind: Was bedeutet das für ihre Überzeugung? Welches Abstimmungsergebnis hat Sie bisher am meisten geärgert? Das Ja bei der kantonalen Abstimmung über das Sozialhilfegesetz 2017 hat mich schon betroffen gemacht. Dabei ging es darum, dass vorläufig aufgenommene Asylsuchende nur noch Asylvorsorge statt Sozialhilfe bekommen. Mich hat erstaunt, dass diese Kampagne auch in der Stadt Zürich verfangen hat, die das Ziel hat, den Menschen, die sowieso schon unter schwierigen Bedingungen leben, in einer knausrigen Art und Weise die Unterstützung zu streichen. |
Weitere Themen der Woche
- Zur gestrigen Sitzungseröffnung verlas Regula Fischer eine Fraktionserklärung der AL, die sich gegen die Kandidatur von Philipp Hildebrand als Präsident der Zürcher Kunstgesellschaft stellt. Der ehemalige Direktor der Nationalbank sei als Vice Chairman von Black Rock mitverantwortlich für Investitionen in Atomwaffen und vor dem Hintergund der Bührle-Debatte rund um das Kunsthaus der falsche Kandidat. Michael Schmid (FDP) zeigte sich irritiert über die Mitteilung und sprach von autoritären Anwandlungen der Linken.
- Die beiden SP-Gemeinderätinnen Judith Boppart und Barbara Wiesmann haben ein Postulat eingereicht, das den Stadtrat auffordert zu prüfen, wie für alle interessierten Schüler:innen ab der Mittelstufe Programmier-Kurse angeboten werden können. In der Begründung heisst es, das Fach ICT + Medien sei zwar in anderen Fächern integriert, «aber wenn man im Geografieunterricht googlet, wo sich ein Land befindet, erwirbt man sich dadurch noch kein Verständnis für Programmierung.»
- Die neu in den Gemeinderat gewählte GLP-Politikerin Sandra Bienek hat in einem Facebook-Post ihre Irritation darüber zum Ausdruck gebracht, dass in der konstituierenden Sitzung letzte Woche ein verurteilter Pädophiler im Publikumssektor sass. Bienek beschreibt, dass sie selbst als Jugendliche Umgang mit dem Mann hatte, welcher eine damals minderjährige Freundin von ihr geschwängert habe.
Was du schon immer über den Gemeinderat wissen wolltest
Heute: Vorstösse, dringliche und weniger dringliche Postulate Viel war in diesem Briefing von Vorstössen und Postulaten die Rede. Doch was ist das eigentlich genau und worin besteht der Unterschied zwischen beiden? Ein Vorstoss ist zunächst einmal ein Anliegen eines einzelnen Gemeinderatsmitglieds oder einer Fraktion des Gemeinderats. Laut Gemeinderats-Website gibt es sieben (!) verschiedene Arten von Vorstössen. Ein ganz grundsätzlicher ist hierbei das Postulat. «Ein Postulat fordert den Stadtrat auf zu prüfen, ob und wie er ein Anliegen oder eine Idee umsetzen kann», heisst es beim Gemeinderat, und weiter: «Der Stadtrat kann damit auch aufgefordert werden, einen Bericht zu erstatten.» Bei einer Ratsmehrheit wird das Postulat dem Stadtrat überwiesen. Der Stadtrat hat dann zwei Jahre Zeit, ein Ergebnis vorzulegen. Zwischen dem Einreichen eines Postulats und der tatsächlichen Diskussion des Anliegens im Gemeinderat können schnell einmal ein paar Monate vergehen. Soll es rascher gehen, muss von einer einreichenden Person eine Dringlicherklärung beantragt werden, über die der Rat dann entscheidet. Ein Beschlussantrag wie das Genderwatch-Protokoll ist übrigens ein Vorstoss, der «die innere Organisation oder die Geschäftsordnung des Gemeinderats» betrifft.