Zürcher:innen zum 14. Juni: «Gemeinsam hässig sein verbindet»

Am 14. Juni wird in der ganzen Schweiz zum feministischen Streiktag aufgerufen. Zehn Personen aus Zürich erzählen, weshalb sie am Samstag demonstrieren und welche Anliegen ihnen persönlich am Herzen liegen.

Zürcher:innen über den Feministischen Streiktag
Anna Rosenwasser, Simona Boscardin, Andrea Vollgas, Laura Leupi, Domenica Priore, Margot Ortitz, Gabriela Mennel, Dinknesh Tegegn Aweke und Seraina Rohner (v.l.n.r.) erzählen, was ihnen am Feministischen Streiktag wichtig ist. (Bild: Privat/Collage: Sofie David)

«Do you care? Gegen Faschismus & Aufrüstung» lautet das Motto des diesjährigen Feministischen Streiktags.

Zum siebten Mal in Folge, demonstrieren an diesem Tag hunderttausende Frauen, inter, non-binäre, trans und agender Personen, kurz FINTA, für gleiche Rechte.

Erstmals fand der feministische Streik, damals noch Frauenstreik, 1991 statt. Unter dem Motto «Wenn Frau will, steht alles still», strömten schweizweit 500’000 Menschen auf die Strassen.

Auch über 30 Jahre später, sind feministische Themen aktuell. Gegenüber Tsüri.ch haben Zürcher FINTA-Personen erklärt, weshalb sie am 14. Juni auf die Strassen gehen und was Gleichstellung für sie bedeutet.

Anna Rosenwasser
Anna Rosenwasser sagt, «es wurden noch nie Menschenrechte erreicht, indem man nett und leise geblieben ist». (Bild: Silas Zindel)

Anna Rosenwasser, SP-Nationalrätin und Autorin

Ich gehe am 14. Juni auf die Strasse, weil ich mich nie gestärkter fühle als an dieser Demo. Ich muss jedes Mal vor Rührung heulen, es ist so schön. Der Streik ist wichtig, weil noch nie Menschenrechte erreicht wurden, indem man nett und leise geblieben ist. Gleichstellung bedeutet für mich, dass jeder Mensch ein Leben in Würde verdient hat.

Simona Boscardin
Simona Boscardin nimmt ihre Mutter an deren erste Demonstration überhaupt mit. (Bild: privat)

Simona Boscardin, Journalistin und Moderatorin

Gleichstellung ist auch 2025 noch immer nur ein Versprechen. Frauen verdienen weniger, bekommen tiefere Renten, erleben sexualisierte Gewalt – und alle zwei Wochen wird eine von ihnen getötet. Und weil es auch um trans, inter, non-binäre und agender Personen geht, deren Rechte und Sicherheit unter Druck stehen – weltweit, aber auch hier.

Besonders wichtig ist mir, dass patriarchale Gewalt und Femizide endlich als gesellschaftliches Problem anerkannt werden. Es braucht eine ehrliche Auseinandersetzung – auch mit Männern – damit diese Gewalt endlich aufhört. Dieser Tag gibt mir Kraft – gemeinsam hässig zu sein, er verbindet und stärkt. Dieses Jahr kommt mein Mami zum ersten Mal mit an den Streik, an ihre erste Demo überhaupt. 

Andrea Vollgas
Andrea Vollgas: «Wir brauchen besseren Schutz für frische Eltern und bezahlte Carearbeit.» (Bild: privat)

Andrea Vollgas, Illustratorin und das Gesicht hinter dem Label Vollgas Studio

Ich gehe demonstrieren, weil Frau sein in unserer Gesellschaft immer noch bedeutet, weniger wert zu sein. Unsere Anliegen werden nicht gehört, unsere Bedürfnisse nicht erfüllt, es wird uns regelmässig Gewalt angetan und trotzdem wird erwartet, dass wir brav unseren Platz in der Gesellschaft einnehmen.

Seit einem Jahr bin ich Mutter und sehe mehr denn je, wie wenig Wertschätzung Mütter für ihre Arbeit bekommen. Drei Monate Mutterschutz ist viel zu wenig, um sich geistig und körperlich zu erholen. Eine gebärende Person nach zwei Wochen mit ein, zwei oder mehr Kindern alleine zu lassen, ist eine Zumutung. Wir brauchen besseren Schutz für frische Eltern und bezahlte Carearbeit.

Gabriela Mennel
Gabriela Mennel macht unter dem Pseudonym Cachita Musik. (Bild: Privat)

Gabriela Mennel alias Cachita, Musikerin

Wir sind noch viel zu weit entfernt, von Gleichstellung. Der 14. Juni ist der Tag, um auf diese Ungleichheiten laut hinzuweisen – obwohl das eigentlich jeden Tag so sein sollte. Etwas, dass mich sehr beschäftigt hat, in letzter Zeit, ist die Zunahme von Femiziden und der Gewalt an Frauen. Das möchte ich für die zukünftigen Generationen ändern. Dass sicher keine von uns mehr Angst haben muss, umgebracht oder angegriffen zu werden, nur weil man eine Frau ist. Denn das passiert auch bei uns in der Schweiz.

Gleichstellung heisst für mich, nicht mehr eine Ausnahme zu sein, nicht mehr die Einzige zu sein. Es heisst, dass gar nicht mehr nach dieser Frage gefragt werden muss, weil es einfach selbstverständlich ist.

domenica priore unia porträts
Hat mit Tsüri.ch bereits einmal über die prekären Arbeitsbedingungen der Frauen gesprochen. (Bild: Isabel Brun)

Domenica Priore, arbeitet als Trans-Frau in der Baubranche

Ich beteilige mich am Streik, um ein klares Zeichen für Gleichstellung zu setzen. FLINTA Personen (Anm. d. Red: Wahlweise wird auch von FLINTA-Personen gesprochen, das L steht dabei für Lesben) leisten die meiste Arbeit und dies entweder unbezahlt oder für tiefe Löhne. Gemeinsam werden wir uns für eine sicherere Gesellschaft einsetzen, denn vereint sind wir stark.

Laura Leupi
Laura Leupi: «Es gibt nichts Schöneres, als den Moment, wenn wir durch die Langstrassenunterführung ziehen.» (Bild: Ladina Bischof)

Laura Leupi, Autor:in und Theaterschaffend:e

Ich nehme am feministischen Streik teil, weil wir uns jetzt, hier, gemeinsam wehren müssen. Weil es nichts Schöneres gibt, als den Moment, wenn wir durch die Langstrassenunterführung ziehen, pfeifen, Parolen rufen und Rihannas «Shine Bright Like a Diamond» im Ohr haben. Weil es immer noch so viel zu tun gibt. Der 14. Juni zeigt jedes Jahr, dass eine andere Gesellschaft möglich ist. 

Wenn Menschen gemeinsam etwas auf die Beine stellen, gemeinsam Transparente malen, den öffentlichen Raum besetzten, wenn sie gemeinsam faulenzen, essen und tanzen, schaffen sie Gegenräume. Und dieses Jahr gilt besonders: Smash Fascism!

Seraina Rohner
Seraina Rohner, gründete das Kollektiv «gemeinsam bauen wir neu» mit, das sich für FINTA-Personen auf dem Bau einsetzt. (Bild: Sofie David)

Seraina Rohner, Schreiner und Mit-Gründerin des Kollektivs gemeinsam bauen wir neu

Der Streik ist wichtig, um zu zeigen, wer an diesem Tag zu Hause und am Arbeitsplatz fehlt und welche Arbeiten so nicht erledigt werden. Durch unsere Abwesenheit wird Sichtbarkeit für die im Alltag unsichtbare Arbeit erreicht.

Wir gehen an diesem Tag auf die Strasse, um uns mit allen Menschen zu solidarisieren, die jeden Tag so viel Care-Arbeit leisten, welche nicht gesehen, nicht wertgeschätzt, nicht honoriert wird.

Und auch, weil immer noch so viele FINTA Personen in der Schweiz auf verschiedenen Ebenen Ungerechtigkeiten und Gewalt erfahren und diese Umstände sehr oft nicht ernst genommen werden.

Mit unserem Kollektiv «Gemeinsam bauen wir neu» möchten wir die Sichtbarkeit von Frauen in der Baubranche stärken. Wir sind viele und wir wollen, dass diese Orte für FINTA Personen sicher, zugänglich und frei von Sexismus werden. 

Dinknesh Tegegn Aweke
Dinknesh Tegegn Aweke: «Wer von Feminismus spricht, darf über andere Formen der Diskriminierung nicht schweigen.» (Bild: Privat)

Dinknesh Tegegn Aweke, Studentin und Aktivistin

Ich bin auf der Strasse, weil wir nicht alle sind. Ich gehe für alle, die keine Kraft mehr haben, unsichtbar gemacht worden sind, noch so laut schreien, aber nie gehört werden. Wir müssen streiken gegen das Ohnmachtsgefühl. Wegzuschauen, ist keine Option.

Um reale Gleichstellung zu erreichen, muss intersektional gekämpft werden. Wer von Feminismus spricht, darf über Queerfeindlichkeit, Rassismus, Ableismus, Genozid oder andere Formen der Diskriminierung nicht schweigen. We are not free, until we are all free. Free Palestine, free Congo, free Sudan, free all our people!

Margot Ortitz
Margot Ortiz setzt sich gegen Genozide, Vertreibung, Kolonialismus und die Umweltzerstörung ein.  (Bild: privat)

Margot Ortiz, Buchhändlerin und Co-Leiterin des Buchladens Paranoia City

Ich gehe am 14. Juni auf die Strasse, weil ich wütend bin, in einer Welt zu leben und zu schweigen, die FINTA-Personen systematisch unterdrückt und ausbeutet und Widerstandskämpfe entweder klein macht oder ignoriert. Ich solidarisiere mich mit allen weltweiten Kämpfen gegen das gewaltvolle Patriarchat – für die Würde und Freiheit. Mein grösstes Anliegen ist es, Feminismus mit weltweiten Widerstandskämpfen zusammen zu denken ohne einzelne Kämpfe zu hierarchisieren oder zu entwerten. Wir müssen als Feminist:innen laut bleiben gegen Genozide, gegen Vertreibung, gegen Kolonialismus und die Umweltzerstörung. 

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Sofie David

Sofies Begeisterung für die Medienbranche zeigt sich in ihren diversen Projekten: Sie leitete den Zeitungs-Kurs im Ferienlager, für die Jungen Jorunalist:innen Schweiz organisiert sie seit mehreren Jahren das Medienfestival «Journalismus Jetzt» mit. Teilzeit studiert sie an der ZHAW Kommunikation. Zu Tsüri.ch kam sie zunächst 2022 als Civic Media Praktikantin. 2024 kehrte sie dann als Projektleiterin und Briefing-Autorin zurück und momentan macht sie als erste Person ihr zweites Tsüri-Praktikum.

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