Tiefe Löhne, Belästigungen, Zeitdruck: Die prekären Arbeitsbedingungen der Frauen
Frauen sind häufiger in Tieflohnbranchen tätig als Männer. Neben den schlechten Löhnen gibt es aber eine Reihe weiterer Faktoren, die den Arbeitsalltag weiblich gelesener Angestellten prekär machen. Drei Betroffene aus der Gastronomiebranche, der Kinderbetreuung und dem Baugewerbe erzählen.
In der Gastronomie und im Aktivismus zuhause: Beatriz Wege
Wenn Beatriz Wege über Ungerechtigkeit spricht, drückt ihr Temperament durch. Nicht laut, aber bestimmt erklärt sie, warum ihr die ungleiche Behandlung von Männern und Frauen in ihrer Branche gegen den Strich geht. Der Job als Servicekraft sei herausfordernd: Lange Präsenzzeiten treffen auf mühsame Gäste, körperliche Arbeit und einen tiefen Lohn. Bei ihrer ersten Anstellung in einem italienischen Restaurant in Zürich habe Wege 19 Franken auf die Stunde erhalten – ohne Abzüge. «In anderen Ländern ist das vielleicht ein guter Lohn, aber im teuren Zürich lebt es sich damit eher schlecht als recht», so die heute 31-Jährige.
In Brasilien aufgewachsen, studierte sie Soziologie und wanderte vor vier Jahren zu ihrem Partner in die Schweiz aus. Es war auch die Zeit, als der rechtspopulistische Präsident Jair Bolsonaro an die Macht kam. Der Rechtsrutsch in der Regierung sei zwar nicht der Grund für ihre Ausreise gewesen, trotzdem zitiert Wege das Motto der zivilen Militärdiktatur, die bis Mitte der 80er in ihrer Heimat herrschte: Liebe es oder verlasse es.
«Die, die können, gehen irgendwann.»
Beatriz Wege
Ein zweites Mal gehen will sie aber nicht. Sie will kämpfen. Für sich, aber vor allem für alle anderen, die sich in derselben Situation befinden. «Wenn ich die Branche wechsle, ändert das nichts. Die Arbeitgeber:innen würden weiterhin Frauen ausnutzen, sie zu schlechten Bedingungen im Stundenlohn arbeiten lassen, während ihre männlichen Kollegen in der Küche einen festen Arbeitsvertrag haben.» Das Problem sei nicht das Individuum, sondern das System.
Darüber diskutierte sie auch schon mit dem Vizepräsidenten von Gastro Suisse. Dieser habe am Treffen jedoch keine Anstalten gemacht, Veränderungen zuzulassen, erinnert sich Wege. «Ihm zufolge ist die Arbeit in der Gastronomie halt einfach so, wie sie ist – und wer sich für die Branche entscheidet, hat eine Wahl getroffen.» Getreu dem Motto: Entweder man liebt sie oder verlässt sie. Seine Aussage, dass sie ihre Arbeit nicht leidenschaftlich gerne mache, weil sie Kritik übe, dementiert die junge Frau. Im Gegenteil: Sie mag den Beruf und ist gerne Gastgeberin. Aber der Preis dafür, dieser Leidenschaft nachzugehen, sei zu hoch.
Nicht umsonst leide die Branche unter einem Fachkräftemangel. Wege selbst habe viele Kolleg:innen kommen und gehen sehen: «Die, die können, gehen irgendwann.» Oder zumindest dann, wenn sie fertig mit ihrem Studium seien. Auch sie habe nach einiger Zeit im Restaurant einen Wechsel versucht und ein Praktikum in der Sozialen Arbeit absolviert. In diesem Bereich würde sie gerne arbeiten, fand bisher jedoch keine passende Anstellung.
Und so produziert sie heute Glacé in verschiedenen Filialen in Zürich – noch immer im Stundenlohn, aber immerhin für 24 Franken pro Stunde. Für Wege ist klar: Ändert sich nichts an den Arbeitsbedingungen in der Gastrobranche, wird es früher oder später einen Knall geben. Um diesen abzuwenden, geht sie am 14. Juni auf die Strasse: «Wir brauchen endlich kollektive Lösungen und faire Löhne!»
Knochenjob zwischen Kinderlachen und Kleider falten: Mary Narváez
Obwohl Mary Narváez über 50 Jahre alt ist, hat sie etwas Kindliches, Nahbares an sich. Ihre Art und ihr Lachen stecken an. Vielleicht hat es damit zu tun, dass sie täglich von Kindern umgeben ist. Doch so fröhlich Narváez am Tag des Gesprächs auch wirkt, ihre Arbeit als Babysitterin ist kein Zuckerschlecken.
Da wäre zum einen der niedrige Lohn: 3600 Franken brutto verdient Narváez bei einer privaten Familie pro Monat. Fünf Tage die Woche betreut sie dort ein Kleinkind und erledigt gelegentliche Hausarbeiten. Zum anderen die befristeten Arbeitsverhältnisse mit ihren Tücken und die Gefahr, von Arbeitgeber:innen ausgenutzt zu werden. Also mehr oder andere Arbeiten erledigen zu müssen, als im Vertrag festgehalten wäre.
Es sei schon oft vorgekommen, dass sie nur für die Kinderbetreuung bezahlt wurde, jedoch immer mehr Haushaltsaufgaben bis hin zu Gartenarbeiten übernehmen sollte, erzählt Narváez: «Ich musste meinen Arbeitgeber:innen erklären, dass ich nicht alles machen kann – entweder liegt meine Aufmerksamkeit auf dem Kind oder den Arbeiten im und ums Haus.»
Doch ihr Durchsetzungsvermögen bringt sie nicht immer weiter: So habe ihr jetziger Arbeitgeber auf die Forderung nach mehr Lohn gemeint, dass dieser bereits rechtens sei. Dabei bringt die 54-Jährige viel Erfahrung mit: In ihrer Laufbahn hat sie schon unzählige Kinder aufwachsen sehen; nicht nur ihre eigenen beiden Söhne.
«Ich will mich äussern und für meine Rechte einstehen können.»
Mary Narváez
Dass ihre Arbeit in der Gesellschaft so wenig Wertschätzung erhält, stimmt Narvaez traurig: «Kinder zu betreuen bedeutet viel mehr, als mit ihnen zu spielen oder die Windeln zu wechseln. Ich erziehe sie, gebe ihnen Werte mit auf den Weg.» Trotz der schwierigen Arbeitsbedingungen liebt sie ihren Job mit den Kindern. Mit einigen ihrer Schützlinge bleibt sie auch nach Ablauf des Anstellungsverhältnisses in Kontakt. Erst vor kurzem habe sie einen autistischen Jungen wieder getroffen, den sie einst betreut hatte. Sie hätten eine spezielle Verbindung gehabt, erzählt Narváez und strahlt.
Auch von jenem Mädchen, das sie aktuell betreut, wird sie sich verabschieden müssen. Mit dem baldigen Besuch der Kindertagesstätte läuft Narváez’ Vertrag aus. Zwei Jahre lang arbeitete sie für die Familie; pendelte jeden Tag von Hausen am Albis nach Zürich, weil sie sich mit ihrem Lohn in der Stadt keine Wohnung leisten konnte.
Nun werde sie wahrscheinlich in die Reinigung wechseln, so Narváez. Dort seien die Arbeitsbedingungen zwar ebenfalls prekär, aber der Stress, alle paar Jahre eine neue Stelle zu suchen, würde wegfallen. Und vielleicht würde sie dann endlich ihr Deutsch verbessern können. Dafür habe sie in den sieben Jahren, in denen die Kolumbianerin in der Schweiz lebt, kaum Zeit gehabt. «Ich will mich äussern und für meine Rechte einstehen können.» Vorspuren, damit es die jüngeren Frauen künftig einfacher haben als sie.
Doppelt diskriminiert auf dem Bau: Domenica Priore
Früher war Domenica Priore verschlossen, mied Kontakte, wurde nur selten laut. Heute erhebt sie ihre Stimme, wenn sie oder andere in ihrem Umfeld unfair behandelt werden. Und das ist bei ihrer Arbeit als leitende Sanitärinstallateurin auch regelmässig nötig – vor allem seit ihrem Coming-out als lesbische trans Frau. «Ich kenne beide Seiten: Meine ersten 20 Jahre arbeitete ich als Mann auf dem Bau», so Priore.
Mit dem Schritt, künftig als weiblich gelesene Person zu leben, habe sie nicht nur ihre Schale abgelegt, sondern auch realisiert, wie stark Frauen unter den Umständen in ihrer Branche leiden. Angefangen bei der Infrastruktur: So sucht man auf Baustellen Toiletten mit fliessendem Wasser oder geschlechterspezifische Umkleiden oft vergebens. Dinge, die anderswo Standard sind.
«Wer will schon in derart unattraktiven Arbeitsbedingungen beschäftigt sein?»
Domenica Priore
Während das eine fehlt, gehört anderes zum Alltag: Sexismus, Rassismus, Homo- und Transfeindlichkeit zum Beispiel. Dabei würden die meisten Belästigungen nicht aus den eigenen Reihen, sondern von Arbeiter:innen fremder Firmen oder gar Kund:innen kommen. Deshalb fordert Priore, dass sich Arbeitgeber:innen stärker für ihre Angestellten einsetzen und Auftraggeber:innen, die diskriminieren, konsequent aus den Listen streichen sollen. Doch solche Kontrollen würden schlicht fehlen.
Ihr Fall zeigt: Prekäre Arbeitsbedingungen hängen nicht immer mit einem tiefen Lohn oder befristeten Anstellungsverhältnissen zusammen. Lohnungleichheit ist aber auch im Baugewerbe üblich: 6000 Franken brutto bekommt Priore auf hundert Prozent – 2000 Franken weniger als ihre männlichen Kollegen auf der gleichen Position verdienen würden, wie sie sagt. Ihre jetzige Funktion als Teamleiterin hat sie noch als männlich gelesener Mitarbeiter erreicht. Danach wäre das nicht mehr möglich gewesen, ist sich die Gebäudetechnikerin sicher.
«Dabei würde es angesichts des Fachkräftemangels in der Baubranche Sinn machen, dass Firmen mehr Frauen einstellen», sagt Priore. Der Zeitdruck habe nämlich in den letzten Jahren enorm zugenommen, weil zu wenig Arbeitskräfte auf zu viel Arbeit kommen würden. Die Lösung könnte darin liegen, den Fokus auf neue Mitarbeiterinnen zu legen, «doch wer will schon in derart unattraktiven Arbeitsbedingungen beschäftigt sein?», fragt Priore rhetorisch.
Trotz der schwierigen Umstände ihrer Branche scheint die 55-Jährige die Hoffnung noch nicht aufgegeben zu haben: «Die politische Arbeit im feministischen Streik, in der queeren Szene und in einer Gewerkschaft geben mir viel Kraft.» Kraft, die sie für den Kampf um Gleichstellung gut gebrauchen kann. Damit es die spätere Generation einmal leichter haben wird.