«Baustellen sind einfach anders, wenn Frauen dort arbeiten»
Kurz vor der Baudemo am 17. Mai lanciert der Verein «Gemeinsam bauen wir neu» ein Handwerker:innen-Verzeichnis, das Frauen in der Branche stärken soll. Sexismus und strukturelle Benachteiligungen von nicht männlich gelesenen Personen seien nicht zu unterschätzen, sagt Mitgründerin Seraina Rohner.
Am 17. Mai findet in Zürich die Bau-Demo statt. Bauarbeiter:innen aus der ganzen Schweiz demonstrieren für längere Pausen, einen besseren Lohn, bezahlte Arbeitswege und insgesamt bessere und sicherere Arbeitsbedingungen.
Was dabei weniger im Fokus steht, ist die Geschlechterfrage. Laut Zahlen des Schweizerischen Baumeister Verbands waren 2024 nur 11.9 Prozent der Arbeiter:innen im Baugewerbe Frauen. Ihre Zahl hat zwar in den letzten Jahren zugenommen, doch die Arbeitsbedingungen für Frauen sind trotz Fachkräftemangel unattraktiv und der Beruf bleibt stark männlich geprägt.
Dem entgegenwirken will der Verein «Gemeinsam bauen wir neu», der sich seit zwei Jahren für mehr Sichtbarkeit von Frauen, inter, non-binäre, trans und agender Personen, kurz FINTA, im Bau- und Handwerksbereich einsetzt.
Dazu lancierte der Verein Anfang Mai 2025 sein bisher grösstes Projekt: das Handwerker:innen-Verzeichnis. Die Idee: FINTA-Personen können sich auf der Website selbst eintragen, Gleichgesinnte finden und sichtbarer werden für potenzielle Arbeitgeber:innen. Damit wollen sie eine Lücke füllen, denn ein solches Angebot gab es bisher nicht.
«Es geht darum zu merken, dass man nicht allein ist»
«Baustellen sind einfach anders, wenn Frauen dort arbeiten», sagt Seraina Rohner, die den Verein mitgegründet hat. Der Umgang sei ein anderer: «Es herrscht eine andere Fehlerkultur, man geht zwischenmenschlich feiner miteinander um, durchmischte Baustellen machen einfach mehr Spass, alle profitieren davon», meint die gelernte Schreinerin.
Viele FINTA-Personen würden in der Branche ähnliche Erfahrungen machen: «Es ist ein Beruf, der immer noch sehr männlich dominiert ist. Die Folge sind oft sexistische Sprüche, keine Umkleidekabinen für Frauen und grosse Lohnunterschiede», sagt Rohner.
Deshalb hätten sie im Raum Zürich vor fünf Jahren damit begonnen, Stammtische für Holzhandwerker:innen zu organisieren. «Es geht darum, Erfahrungen auszutauschen, uns zu vernetzen und zu merken, dass man damit nicht allein ist.»
2023 hätten sie sich dann als Verein organisiert, vor allem aus strukturellen Gründen. Etwa, um die verschiedenen Projekte besser koordinieren zu können oder ein Spendenkonto einzurichten.
Auch Fahrradmechaniker:innen sind im Verzeichnis
Mittlerweile sei die Gruppe stark gewachsen. Was mit zwei Schreinerinnen begann, ist heute zu einer vielfältigen Gruppe geworden. Der Fokus liege nicht mehr nur auf Holzhandwerker:innen, sondern sei breiter gefasst. Im Handwerker:innen-Verzeichnis sind neben Architekt:innen, Lehm-Fachpersonen und Bauleiter:innen auch Fahrradmechaniker:innen und Medien-Techniker:innen vertreten.
«Die Leute organisieren sich an den Stammtischen und starten eigene Projekte.»
Seraina Rohner, Mitgründerin von «Gemeinsam bauen wir neu»
«Natürlich haben wir aber auch immer wieder darüber diskutiert, was da alles dazugehört», sagt Rohner, aber «wir wollten den Begriff Handwerk lieber zu breit auslegen als zu eng».
Die Bandbreite an Berufsfeldern spiegelt sich auch an den Stammtischen wider, die jeweils einmal im Monat stattfinden. Dorthin kämen zum Teil bis zu 30 Personen. Auch gebe es bereits Holzhandwerker:innenstammtische in Bern und Basel. «Die Leute organisieren sich an den Stammtischen und starten eigene Projekte», erzählt sie.
Etwa den Ausbau eines zweiten Busses für den deutschen Verein «ROSA», der mit seinem «Rolling Safespace» an den Aussengrenzen der EU eine Anlaufstelle für Kinder und Frauen schafft. Aber auch andere Projekte, wie die Organisation einer Baustelle nur mit FINTA für den Umbau einer Ferienwohnung oder eine jährliche Retraite seien aus dem Kollektiv entstanden. Auch handwerkliche Selbstermächtigungskurse hätten sie schon organisiert. Dabei gehe es darum, Frauen das Handwerk näherzubringen, indem man zusammen einen Hocker oder Tischplatten baue.
Berufsverband erhebt keine Zahlen zu Aussteigerinnen
Der Verein sei auch ein Zufluchtsort, meint Rohner. Es gebe viele FINTA-Personen in der Branche, die den Beruf nach Abschluss der Ausbildung wieder verlassen würden, sagt sie. «Nicht, weil ihnen das Handwerk nicht gefällt, sondern wegen dem Arbeitsklima.»
Rohners Wahrnehmung stützen Zahlen, welche die Gewerkschaft Unia 2023 erhoben hat: Mehr als die Hälfte der 300 befragten Teilnehmerinnen bestätigte, im Beruf Mobbing und sexuelle Belästigung erfahren zu haben. Ein Viertel berichtete ausserdem, bei der Arbeit bereits sexualisierte Gewalt erfahren zu haben.
Wie viele Frauen aus diesem Grund jedoch die Branche verlassen, dazu gibt es keine Erhebungen. Auch nicht unter einzelnen Berufsverbänden. Immerhin: Wie der Verband Schweizerischer Schreinermeister und Möbelfabrikanten (VSSM) auf Anfrage mitteilt, plant er diese Daten in Zukunft zu erheben. Auch wie viele Frauen eine Schreiner:innen-Ausbildung machen, untersucht der Verband noch nicht lange. Von 2019 auf 2023 sei die Zahl aber von 13 Prozent auf 19 Prozent gestiegen.
Rohner kritisiert dieses Verhalten ihres Berufsverbands: «Es geht zwar voran, aber auch nur langsam.» So hätte ihr Verein den Verband zwar dazu aufgefordert, ihr Logo «Der Schreiner. Ihr Macher» zu ändern, dies sei aber bisher noch nicht passiert. Dies bestätigt auch der VSSM: «Wir machen uns laufend Gedanken zu unserer Mitgliedermarke. Aktuell sind aber keine Bestrebungen da, diese anzupassen», heisst es auf Anfrage.
Sexismus beginnt schon in der Ausbildung
Für Rohner ein Mitgrund, weshalb so wenige FINTA-Personen in der Branche arbeiten würden. «Gerade in der Lehre sind Sexismus und Mobbing nicht zu unterschätzen.» Viele der strukturellen Probleme würden schon dort beginnen. So gibt es laut der Schreinerin noch immer Betriebe, die auf ihrer Website schreiben, dass sie keine Lehrtochter anstellen würden. «Als Begründung kommen dann Sachen wie etwa, dass sie keine Frauentoilette haben», meint sie. Zudem seien Ausbildner:innen in den Berufsschulen und den überbetrieblichen Kursen selten FINTA-Personen. «Ich habe noch nie von einer Frau gehört, die in so einem Berufszentrum, wo die überbetrieblichen Kurse stattfinden, arbeitet – ausser im Sekretariat.»
Nicole Niedermüller von der Unia sieht gerade in Ausbildungsstätten viel Handlungsbedarf: «In der Lehre befindet man sich in einer vulnerablen Position.» Die Arbeitgeber:innen sind ihrer Ansicht nach in der Pflicht, dafür zu sorgen, dass keine:r der Mitarbeiter:innen belästigt werden. Sei dies nicht der Fall, empfiehlt Niedermüller den Betroffenen, sich an die Unia oder eine andere Anlaufstelle zu wenden.
Das sieht auch Rohner so. Um zu wissen, welche Möglichkeiten man habe, sei es umso wichtiger, sich bereits in der Lehre zu vernetzen. So ist Ende April auch ein Zürcher Ableger des Lernenden-Kollektivs «Scorpio» entstanden. Mit diesem Ableger hätten sie auch an der 1.-Mai-Demo in Zürich teilgenommen, so Rohner. Auch an der kommenden Bau-Demo werde der Block mitmarschieren.
Beim Verein «Gemeinsam bauen wir neu» hingegen konzentrieren sich die Mitglieder auf den feministischen Streik am 14. Juni. «Frauen auf dem Bau gibt es und wir wollen Arbeitsbedingungen ohne Sexismus.»
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Medien. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Mittlerweile sind 2000 Menschen dabei und ermöglichen damit den Tsüri-Blick aufs Geschehen in unserer Stadt. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 2500 – und mit deiner Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für Tsüri.ch und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 8 Franken bist du dabei! Natürlich jederzeit kündbar!
Sofies Begeisterung für die Medienbranche zeigt sich in ihren diversen Projekten: Sie leitete den Zeitungs-Kurs im Ferienlager, für die Jungen Jorunalist:innen Schweiz organisiert sie seit mehreren Jahren das Medienfestival «Journalismus Jetzt» mit. Teilzeit studiert sie an der ZHAW Kommunikation. Zu Tsüri.ch kam sie zunächst 2022 als Civic Media Praktikantin. 2024 kehrte sie dann als Projektleiterin und Briefing-Autorin zurück und momentan macht sie als erste Person ihr zweites Tsüri-Praktikum.