FDP-Präsident im Interview: «Werden das Stadtpräsidium angreifen»
Die FDP will die rot-grüne Mehrheit kippen und greift das Stadtpräsidium an. Präsident Përparim Avdili spricht im Interview über seine persönlichen Ambitionen, die Wohnkrise und woher er seinen Optimismus nimmt.
Përparim Avdili, der Oppositionsführer, steht vor seinen Parteimitgliedern und ruft in den Saal: «Neues Jahr, altes Pech, Zürich wird immer noch von Linksgrün regiert.» Er ist Präsident der Zürcher FDP und damit Chef der zweitgrössten Partei in der Stadt.
Und Avdili ist wild entschlossen, die politische Landschaft bei den Wahlen im März 2026 umzupflügen: Im Gemeinderat soll die Mehrheit von SP, AL und Grünen gekippt werden, ausserdem soll die FDP im Stadtrat einen dritten Sitz und zusätzlich das Stadtpräsidium erobern.
Dieser Politikwechsel sei notwendig, damit Zürich nicht zu einem «mittelalterlichen Dorf» verkomme, sagt Avdili. Denn die linksdominierte Politik führe zu Verkehrschaos und Wohnungsnot.
Simon Jacoby: An Parteiveranstaltungen und im Parlament sprechen Sie davon, bei den nächsten Wahlen die linksgrüne Mehrheit kippen zu wollen. Wie soll dies gelingen?
Përparim Avdili: Die rot-grüne Mehrheit regiert durch, im Stadtrat und im Parlament. Dies ist nicht nur für uns von der FDP ein Problem, sondern für die ganze Stadt: Wir haben einen Einheitsbrei, bestehend aus drei Parteien, welche die ideologische Stossrichtung vorgeben. Andere Lösungen sind aktuell gar nicht möglich. Immerhin stört die AL manchmal den rot-grünen Gottesdienst, weicht aber in den wichtigen Punkten nicht von der Mehrheitsmeinung ab. Damit wir politisch mehr gestalten können, ist es notwendig, dass die Mehrheit kippt.
«Ich bin ein politischer Überzeugungstäter und mache Politik, um zu gestalten. Dazu gehört auch eine starke FDP-Vertretung im Stadtrat.»
Përparim Avdili, Präsident FDP Zürich
Träumen Sie auch von einem bürgerlichen Block, inklusive der GLP?
Nein, die GLP stimmt manchmal mit uns und manchmal mit den Linken. Wir wollen, dass um Lösungen gekämpft werden muss und die Abstimmungsergebnisse nicht schon von Anfang an klar sind. Wir wollen ein Parlament mit verschiedenen Parteien, wo verschiedene Mehrheiten möglich sind und somit Kompromisse verhandelt werden müssen. Dafür braucht es neu andere Mehrheiten.
Aktuell haben Sie zwei Stadträte, aber es wird gemunkelt, dass Sie einen dritten wollen.
Das ist kein Geheimnis. Wir von der FDP haben einen Führungs- und Geltungsanspruch – das geht nur mit einer grösseren Vertretung in der Regierung und im Parlament. Das heisst, wir werden nun auch die Möglichkeit mit drei Kandidierenden prüfen und das Stadtpräsidium in jedem Fall angreifen. Egal, ob Corine Mauch nochmals kandidiert oder nicht.
Bei den letzten Wahlen haben Sie die beiden Sitze von Michael Baumer und Filippo Leutenegger nur knapp verteidigen können. Seit letzter Woche ist bekannt, dass Leutenegger nicht mehr kandidieren wird. Nun wollen Sie einen dritten Sitz und das Stadtpräsidium. Wer soll diese Sensation möglich machen? Sie selbst?
Ich bin ein politischer Überzeugungstäter und mache Politik, um zu gestalten. Dazu gehört auch eine starke FDP-Vertretung im Stadtrat. Die Findungskommission der Partei prüft aktuell noch verschiedene Kandidaturen. Die Kandidierenden müssen eine gewisse Bekanntheit mitbringen und auch für nicht-FDP Wählende eine wählbare Alternative sein.
«Wir machen Politik für jene Menschen, die am Morgen den Wecker stellen, um arbeiten zu gehen.»
Përparim Avdili, Präsident FDP Zürich
Als zweitgrösste Partei der Stadt sind Sie fast immer in der Minderheit. Warum macht die FDP keine konsequente Oppositionspolitik und zieht sich aus dem Stadtrat zurück?
Um damit den Andern das Feld überlassen? Nein, so einfach wollen wir es denen nicht machen. Wir wollen Verantwortung übernehmen, das ist seit der Gründung des Schweizerischen Bundesstaates Teil der FDP. Wir sind die Einzigen, die den Wählenden eine ernsthafte Alternative für einen Politikwechsel in der Stadt anbieten können.
Wie sieht diese Alternative aus?
Wir machen Politik für jene Menschen, die am Morgen den Wecker stellen, um arbeiten zu gehen. Das kann vielfältig sein: im Grosskonzern, im Kleingewerbe, aber auch im öffentlichen Sektor. Wir wollen das Ausgabenwachstum senken, den Regulierungswahn, das ideologisch verursachte Verkehrschaos stoppen, mehr Wohnraum für alle schaffen und den Menschen den Spass am Leben nicht verderben.
Die Ausgaben wachsen zwar, aber die Stadt Zürich schliesst zuverlässig im Plus ab.
Ja, der Stadtrat schneidet immer besser ab als budgetiert war. Das Budget jedoch wird jedes Jahr erhöht und hat für 2025 einen Rekordwert mit elf Milliarden Franken erreicht. Mit einer neuen Mehrheit im Gemeinderat würden wir die Steuern sofort senken, die gute finanzielle Lage der Stadt erlaubt dies. Wir setzen uns ein für eine eigenverantwortliche und freiheitliches Handeln, denn wir wollen in einer weltoffenen Grossstadt leben, die wirtschaftlich floriert, dynamisch und vielfältig ist. Wir wollen uns nicht zu einem Dorf im Mittelalter zurückentwickeln.
Was sie beschreiben, klingt nach der Politik des SP-dominierten Stadtrates, der mittels Standortmarketing internationale Firmen nach Zürich lockt. Dass die politische Mehrheit Zürich zu einem Dorf zurückentwickeln will, scheint unrealistisch.
Der Geist und die Identität von Zürich als Grosstadt und auch als Wirtschafts- und Kulturzentrum für alle Menschen konnte man nicht stärken. Die Politik der Stadtpräsidentin und des Stadtrates ist in vielerlei Hinsicht gescheitert – zum Beispiel mit der chaotischen Verkehrspolitik oder dem fehlenden Wohnraum. Auch verstehe ich immer noch nicht, warum das Züri Fäscht gecancelt wurde. So läuft es heute überall: Man reguliert und schränkt so stark ein, dass die Leute sich erzwungenermassen zurückziehen. Der Staat darf nicht jenen das Leben verunmöglichen, die mit eigenen Mitteln etwas machen wollen.
Ihre Analyse ist klar: Es muss sich etwas ändern. Aber die Bürgerlichen gewinnen praktisch nie an der Urne – die Richtpläne, die Wohnbaupolitik und die Veloförderung wurden von einer grossen Mehrheit des Stimmvolkes angenommen. Es gibt keine Anzeichen dafür, dass die Zürcher:innen eine bürgerliche Wende wünschen. Woher nehmen Sie also den Optimismus, dass dies bei den Wahlen gelingen wird?
Die Menschen in der Schweiz stimmen meist sehr regierungs- und mehrheitstreu ab, das heisst, sie folgen den Empfehlungen von Regierung und Parlament, weil diese sich etwas überlegt haben. Es gibt aber auch eine andere Entwicklung, dass die Leute merken, dass Rot-Grün mit ihrem Latein am Ende ist. Das Rezept, einfach immer mehr Geld ins System zu pumpen, funktioniert einfach nicht. Kürzlich konnten wir die Erhöhung der Gemeinderatslöhne verhindern und bald kommen die höheren Parkgebühren zur Abstimmung – auch das werden wir gewinnen.
Der Handlungsspielraum der Stadt ist beispielsweise in Bezug auf den Verkehr und die fehlenden Wohnungen sehr begrenzt, vieles wird auf Kantons- oder Bundesebene entschieden.
Die Stadt Zürich könnte die Baubewilligungsverfahren massiv verschlanken und die Verdichtung nach innen und in die Höhe pushen. Ausserdem muss der geförderte Wohnraum gerechter verteilt werden. Wir wissen, dass in städtisch geförderten Wohnungen viele Menschen leben, die keinen sozioökonomischen Anspruch darauf haben. Ich kann mir nicht erklären, warum eine derart asoziale Politik gemacht wird. Diese Unterstützungen werden von allen Steuerzahlenden der Stadt ermöglicht, kommt aber nicht immer denen zugute, die einen Anspruch darauf haben.
Heisst das, Sie unterstützen staatliche Wohnungen, wenn diese konsequenter den Ärmeren zugutekommen?
Solange es staatlichen Wohnraum gibt, muss man konsequent durchgreifen. Viel besser wäre es, wenn man nicht die Wohnungen subventioniert, sondern die Menschen unterstützt. Also wenn sich jemand eine Wohnung nicht leisten kann, wird die Miete vom Staat unterstützt.
Bei dieser sogenannten Subjektförderung fliesst das Geld vom Staat direkt in die Tasche der Hauseigentümer:innen.
Mit dieser Unterstützung könnten wir viel einfacher sicherstellen, dass wirklich nur Betroffene das Geld bekommen, wie zum Beispiel bei der Prämienverbilligung. Es ist nicht Aufgabe des Staates, Wohnraum zur Verfügung zu stellen.
«Der Wohnraum wird auch teurer, weil der Anspruch der Mieter:innen steigt – schöner, grösser und besser.»
Përparim Avdili, Präsident FDP Zürich
Die Wohnkrise besteht aus zwei Aspekten: zu wenige Wohnungen und zu hohe Mieten. Wenn die Regulierungen gesenkt und mehr Wohnungen gebaut werden, bedeutet das nicht, dass auch die Mieten sinken werden. In den letzten Jahren hatte die Schweiz in verschiedenen Gemeinden grosse Leerstände und auch die Zinsen waren tief. Trotz guter Bedingungen und eines hohen Angebots sind die Mieten weiter gestiegen. Was sind Ihre Rezepte, um die Mieten niedrig zu halten?
Wir müssen mehr bauen und das Angebot vergrössern, damit sinken auch die Mieten. Die Preise auf dem freien Markt ergeben sich aus Angebot und Nachfrage. An Orten, wo die Nachfrage tiefer ist, zum Beispiel in St.Gallen oder im Fricktal, sind die Mieten viel niedriger als bei uns. Die Stadt Zürich ist attraktiv, es ist spannend und toll hier zu leben, darum ist die Nachfrage nach Wohnungen in der Stadt so gross – ich liebe meine Stadt. Ein anderer Punkt: Wir sprechen immer von bezahlbaren Wohnungen, aber dies ist relativ. Für mich ist etwas anderes bezahlbar als für eine fünfköpfige Familie mit einem Einkommen.
In Schwamendingen wurde kürzlich einer ganzen Siedlung gekündigt und nun sind mehr als 700 Mieter:innen in Altstetten betroffen. Solche Beispiele gibt es immer mehr: günstiger Wohnraum verschwindet. Danach sind die Mieten viel höher und wer früher dort gewohnt hat, kann sich die Wohnung nicht mehr leisten. Das vertreibt Menschen, die oft in der Grundversorgung wie Pflege oder Reinigung arbeiten, aus der Stadt. Hat es für diese Menschen in Zürich keinen Platz mehr?
Ja, das ist ein Problem, aber die Wohnungen sind sanierungsbedürftig und werden darum abgerissen. Der Wohnraum wird auch teurer, weil der Anspruch der Mieter steigt – schöner, grösser und besser.
Die Menschen wollen hauptsächlich eine Wohnung, die sie sich leisten können. Nochmals: Was geschieht mit den Menschen aus Schwamendingen und Altstetten, wenn sie sich die Mieten nicht mehr leisten können?
Wir müssen mehr Wohnraum schaffen und jene Menschen, die bedürftig sind, Unterstützung anbieten. In erster Linie müssen aber für die Immobilienbesitzende Anreize geschaffen werden, damit diese mehr bauen können. Es gibt ein Bedürfnis, das Kapital zu investieren, dabei darf der Staat nicht im Wege stehen. Es ist offensichtlich, dass die aktuellen Rezepte der rot-grünen Mehrheit das Problem verschlimmert und nicht verbessert haben.
Gemäss Bevölkerungsbefragung ist neben der Wohnungsnot die Mobilität die grösste Sorge der Zürcher:innen. Sie sprechen von Verkehrschaos und geben der rot-grünen Regierung die Schuld. Fakt ist aber auch, dass die Stimmbevölkerung mehrfach für mehr Velowege, weniger Parkplätze und mehr Grünraum abgestimmt hat und sich die FDP mit allen juristischen Mitteln gegen diese demokratischen Entscheide wehrt. Warum?
Es steht allen frei, mit Rekursen und Einsprachen gegen die städtischen Projekte vorzugehen. Dieser Rechtsweg ist ebenfalls demokratisch legitimiert. Der neue Verkehrsrichtplan ist falsch und auch das Konzept der Velovorzugsrouten ist nicht fertig gedacht. Natürlich braucht es sichere Velowege, damit die Menschen schnell und sicher von A nach B kommen. Das Chaos auf den Strassen ist übrigens das Versagen der linken Regierung. Jetzt will man im Eiltempo etwas korrigieren, was man die letzten Jahrzehnte verschlafen hat– politischer Aktivismus, statt nachhaltiger Planung.
Sie sagen, es brauche Velowege, aber mit einem anderen Konzept. Der Strassenraum ist knapp, er muss umverteilt werden. Wie wollen Sie dies lösen?
Der Stadtrat bemüht sich gar nicht erst, andere Lösungen zu finden. Man zielt immer nur auf den motorisierten Verkehr – der Hass gegenüber dem Auto ist grösser als die Liebe zum Velo. Aber Zürich ist weder eine Velo- noch eine Autostadt. Bei uns muss der öffentliche Verkehr im Zentrum stehen. Wir müssen ein besseres Netz schaffen, um die Menschen vom Auto in den ÖV zu bringen.
Woher wollen Sie den Platz für mehr Velowege nehmen, wenn nicht von den Autospuren?
Es braucht Strassen, die einzelnen Verkehrsteilnehmenden exklusiv zur Verfügung stehen. Mischzonen wie auf der Baslerstrasse, die eigentlich eine Velovorzugsroute ist, ergeben keinen Sinn. Und umgekehrt haben wir auf der Badenerstrasse auch immer noch einen Velostreifen, obwohl diese Strasse für den motorisierten Verkehr gedacht ist.
Das heisst, wenn beispielsweise der Velostreifen auf der Badenerstrasse aufgehoben würde, würden Sie die Rekurse gegen die Velorouten in Höngg und Wollishofen zurückziehen?
Solche exklusiven Strassen müssten der Grundsatz sein, aber natürlich muss man immer die Einzelfälle beurteilen. Ich verstehe nicht, warum man aus ideologischen Gründen solch ein Verkehrschaos ausgelöst hat. Unsere Stadt eignet sich nicht als Velostadt, nur schon aus topologischen Gründen, dafür ist es einfach viel zu hügelig. Ich selbst bin ein Schönwetter-Velofahrer – und so geht es den meisten Menschen hier. Also müssen wir voll auf den ÖV setzen und diesen weiter ausbauen.
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An der Universität Zürich hat Simon Politikwissenschaften und Publizistik studiert. Nach einem Praktikum bei Watson machte er sich selbstständig und hat zusammen mit einer Gruppe von motivierten Journalist:innen 2015 Tsüri.ch gegründet und vorangetrieben. Seit 2023 teilt er die Geschäftsleitung mit Elio und Lara. Sein Engagement für die Branche geht über die Stadtgrenze hinaus: Er ist Gründungsmitglied und Co-Präsident des Verbands Medien mit Zukunft und macht sich dort für die Zukunft dieser Branche stark. Zudem ist er Vize-Präsident des Gönnervereins für den Presserat und Jury-Mitglied des Zürcher Journalistenpreises. 2024 wurde er zum Lokaljournalist des Jahres gewählt.