SP-Präsident: «Mit der Airbnb-Initiative ziehen wir die Schraube an»
Die Zürcher SP lanciert eine Initiative zur massiven Einschränkung von Airbnb und Business-Apartments. Im Interview spricht der Parteipräsident Oliver Heimgartner zudem über die Wahlen, die Verkehrspolitik und die Wohnkrise.
Die mächtigste Partei der Stadt ist unter Druck: Im Stadtrat muss die SP zwei Sitze verteidigen und im Parlament ist die linke Mehrheit nur hauchdünn. Ausserdem spitzt sich die Wohnkrise immer weiter zu und Zürich ist vom Prädikat Velostadt noch immer weit entfernt – trotz jahrelanger Dominanz der SP.
Im Interview stellt sich der SP-Präsident Oliver Heimgartner den Fragen von Tsüri.ch.
Letzte Woche wurde bekannt, dass die SP nach den Rücktritten von Corine Mauch und André Odermatt zwei von vier Sitzen im Stadtrat verteidigen muss. Mit welchem Profil wollt ihr die Sitze verteidigen?
Oliver Heimgartner: Wir suchen erfahrene Politiker:innen mit einem eigenen Leistungsausweis. Und es ist auch klar, dass wir ein ausgewogenes Ticket anstreben, also bei zwei Rücktritten mindestens eine Frau als neue Kandidatin präsentieren werden. Wir wollen Personen, die unsere Ideale verkörpern und die Probleme der Stadt anpacken: Beim Wohnen, beim Verkehr und in der Sozialpolitik.
Die Partei hat immer wieder deutlich linker politisiert als die eigenen Stadträt:innen, das war auch bei Mauch und Odermatt der Fall. Ist es insofern eine Erleichterung, dass die SP mit neuen Gesichtern antreten kann?
Ich finde nicht, dass wir in eine andere Richtung politisiert haben und ich bin Corine und André dankbar für ihr langjähriges Engagement für ein soziales Zürich. Als SP haben wir beispielsweise eine aktivere Bodenpolitik gefordert, worauf die Stadt in den letzten drei Jahren Wohnungen und Land im Wert von rund einer Milliarde Franken gekauft hat. Das ist einzigartig in der ganzen Schweiz!
Wie läuft der Bewerbungsprozess innerhalb der Partei ab – gehen Sie aktiv auf gewisse Personen zu?
Nein, das machen wir nicht. Bei der SP läuft es in der Regel so, dass wir die Ämter ausschreiben und sich die interessierten Mitglieder bei uns melden. Die Parteileitung nimmt im Prozess eine neutrale Rolle ein und gibt auch keine Empfehlung ab. Es ist die Delegiertenversammlung, die entscheidet, wer es aufs Ticket schafft.
Die eigentliche Hürde für Leute aus der SP, die in die Regierung wollen, ist ja die Delegiertenversammlung der SP und nicht der Urnengang.
Ich sehe das anders: Wir nominieren ein gutes Ticket und machen einen engagierten Wahlkampf, um die Bevölkerung zu überzeugen und hoffen so, die vier Sitze im Stadtrat und das Stadtpräsidium verteidigen zu können.
Da spielen sie jetzt aber die Macht der SP in Zürich runter. In der Regel ist es so, dass wer nominiert wird, quasi gewählt ist. Als Beispiel: Die FDP kann schon Stadtrat Michael Baumer als Stadtpräsident nominieren, gewählt wird er trotzdem nicht.
Aber auch bei der FDP ist es so, dass eine Person, die es nicht aufs Ticket schafft, keine reelle Chance hat, in den Stadtrat gewählt zu werden. Es ist also immer so, dass nur jene Personen in Frage kommen, die von der Partei nominiert werden. Es stimmt, dass wir ein grosses Vertrauen bei der Zürcher Bevölkerung geniessen. Da ist natürlich die Chance hoch, dass man gewählt wird, wenn man bei uns nominiert wird. Dieses Vertrauen ist für uns aber nicht selbstverständlich, sondern wir arbeiten hart dafür.
Kommen wir zu den Parlamentswahlen. Hier hat Rot-Rot-Grün die äusserst knappe Mehrheit von einem Sitz. Die FDP hat schon angekündigt, dass sie angreifen will. Inwiefern ist die rot-grüne Mehrheit in Zürich in Gefahr?
Ich sehe das als grosse Gefahr. Die Zusammensetzung im Parlament ist jetzt schon extrem knapp, wir haben nur einen Sitz mehr als die Bürgerlichen und es kommt somit auf jede Stimme an. Ausgabenbeschlüsse benötigen zudem nicht nur eine Mehrheit, sondern mindestens 63 Ja-Stimmen, auch wenn auf der Gegenseite nur 52 Bürgerliche an die Ratssitzung kommen. Bei der Budgetberatung dürfen wir auf der rot-grünen Seite also nicht einmal eine Absenz haben, sonst können wir Mehrausgaben wie beispielsweise Abschreibungsbeiträge für bezahlbaren Wohnraum nicht mehr beschliessen. Für die Zürcher Bevölkerung sehe ich das als grosses Problem, wenn die rot-grüne Mehrheit kippen würde. Die GLP würde mit den Rechten in der Wohnbaupolitik und in der Sozialpolitik komplett eine andere Linie fahren.
«Für die Zürcher Bevölkerung sehe ich das als grosses Problem, wenn die rot-grüne Mehrheit kippen würde»
Die GLP stimmt im Gemeinderat oft mit den Linken und auch die Abstimmungsempfehlungen sind oft gleich.
Beim Mindestlohn waren sie auf der bürgerlichen Seite, bei unserer städtischen Wohninitiative, wo es darum ging, die städtischen Stiftungen mit zusätzlichem Eigenkapital zu stärken, ebenfalls. Man muss sich schon bewusst sein, wenn die rot-grüne Mehrheit kippt, wird Zürich eine sehr viel kältere Politik machen gegenüber Minderheiten, gegenüber finanziell Schwachgestellten, gegenüber dem Mittelstand und viel, viel weniger vorankommen im Kampf gegen die Immobilienkonzerne und für mehr bezahlbare Wohnungen. Deswegen ist es sehr wichtig, dass wir die linke Mehrheit verteidigen.
Gemäss FDP-Präsident Përparim Avdili ist aber ein Kipppunkt erreicht. Er sieht das Ende der rot-grünen Mehrheit in Zürich und bläst zum Angriff. Teilen Sie seine Analyse?
Ich sehe überhaupt keinen Kipppunkt und weiss auch nicht, wie er zu seiner Aussage kommt. Ich verstehe aber alle Leute, die sagen «Ihr seid seit so vielen Jahren an der Macht. Warum hat es immer noch zu wenig bezahlbaren Wohnraum?» Wir müssen selbstkritisch anerkennen, dass die Stadt nach der Annahme des Drittelsziels 2011 sofort viel aktiver hätte damit beginnen müssen, Wohnraum zu kaufen und für die Allgemeinheit zu sichern. Wir machen diesen und viele weitere Schritte erst jetzt und ich bin mir sicher, diese Politik wird Früchte tragen. Ich kann also nachvollziehen, wenn die Leute enttäuscht sind. Doch die FDP ist überhaupt keine Lösung. Er [Avdili, Anm.] hat ja kein Gegenangebot, das der Bevölkerung etwas bringt. Sein Angebot ist ein Gentrifizierungsturbo. Die Politik der FDP wird dazu führen, dass noch viel mehr Menschen ihr Zuhause verlieren. Eine solche Politik haben die Zürcher:innen noch nie unterstützt. Ich sehe keinen Kipppunkt.
Für Sie ist auch die verlorene Abstimmung zur Lohnerhöhung für die Gemeinderät:innen kein Zeichen, dass die SP den Bezug zur Bevölkerung verloren hat?
Überhaupt nicht. Die Bevölkerung unterstützt ja alle unsere politischen Ziele. Die Entschädigungsvorlage war eine sehr technische Abstimmung, bei der es um den Lohn des Gemeinderats ging. Das ist ja nicht das Kerngeschäft der SP. In unseren politischen Schwerpunkten, der Wohnbaupolitik, der Sozialpolitik, der Bildungs- und Gleichstellungspolitik werden alle unsere Vorschläge von der Zürcher Bevölkerung unterstützt. Mir würde es Sorgen machen, wenn wir dort keine Mehrheiten hätten. Doch das zeichnet sich ja überhaupt nicht ab.
Gerade in der grössten Sorge der Bevölkerung zur Mobilität und Wohnen sieht man aber, dass eine Mehrheit in Volk, Gemeinderat und Regierung nicht reicht, um diese Probleme zu lösen. Inwiefern sind denn eure Instrumente zielführend in diesen Bereichen?
Ich will nicht sagen, dass es super läuft; in vielen Bereichen bewegen sich die Dinge viel zu langsam und Volksentscheide werden viel zu lasch umgesetzt.
Aber es ist ja eure Regierung, die hier am Drücker ist.
Ja, aber wir kämpfen mit zwei grossen Herausforderungen. Die eine ist, dass Volksentscheide wegen Rekursen nicht umgesetzt werden können: Es sind über 20 Kilometer sichere Velorouten fertig geplant, die wegen Rekursen aus dem FDP-Umfeld nicht umgesetzt werden können. Dasselbe Problem haben wir auch beim Mindestlohn, von dem 17’000 Arbeiter:innen in Zürich profitieren würden. Die zweite Herausforderung ist, dass uns FDP und SVP auf Kantons- und Bundesebene Steine in den Weg legen. Sie wollen der Stadt kein Vorkaufsrecht oder Wohnschutzgesetz ermöglichen, um mehr bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Und wir führen ständige Abwehrkämpfe. Beispielsweise im September die Abstimmung über die Tempo-50-Initiative, die dem Stadtrat verbieten will, Tempo-30 einzuführen. Das würde die Verkehrspolitik in Zürich um Jahrzehnte zurückwerfen.
Also müssen die Zürcher:innen einfach abwarten und hoffen?
An den Rechtsverfahren sieht man aus meiner Sicht auch, dass wir keine zögerliche Politik machen, sondern versuchen, den Auftrag unserer Wähler:innen umzusetzen, auch wenn mal etwas vor Gericht landet. Ich möchte, dass die Stadt alle ihre Kompetenzen nutzt, um die Probleme beim Wohnen, im Verkehr oder in der Sozialpolitik zu lösen. Doch wir leben in einem Rechtsstaat, also bleibt uns aktuell nichts anderes übrig, als abzuwarten, bis die Gerichte entschieden haben. Mich nervt es wirklich auch, dass es nicht schneller vorwärts geht.
Meine These ist, dass, weil es nicht schneller vorwärtsgeht, die SP jedes Jahr eine neue Initiative lanciert, damit die Leute das Gefühl haben: «Die kümmern sich um uns.»
(Lacht) Nein, so ist das nicht. Wir lancieren auch keine Initiativen rein für die Symbolik. Das Drittelsziel im Wohnbau ist die Richtschnur und alles, was wir machen, sind konkrete Massnahmen, die darauf hinarbeiten. Auf kantonaler Ebene sind das die Wohnschutz- und die Vorkaufsrechtsinitiative und auf städtischer Ebene lancieren wir jetzt die Airbnb-Initiative.
Mit dieser wollt ihr Airbnbs und andere Anbieter:innen von Business-Apartments massiv einschränken. Neu sollen Wohnungen nur noch 90 Tage im Jahr so vermietet werden dürfen. Doch der Gemeinderat hat bereits 2021 entschieden, diese Geschäftspraktik zu unterbinden, aktuell befindet das Bundesgericht darüber. Also doch Symbolpolitik? Oder warum wartet die SP nicht den Gerichtsentscheid ab?
Die Regelung aus dem Gemeinderat, damals eingebracht von der AL, ist sehr sinnvoll. Aber sie umfasst nur etwa die Hälfte aller Business-Apartments und Airbnb-Wohnungen. Mit unserer Initiative drehen wir die Schraube in der ganzen Stadt an.
Trotzdem: Im Wahlkampfjahr gegen Airbnb, den internationalen Tech- und Gentrifizierungskonzern zu kämpfen, bietet sich sehr an.
Natürlich löst diese Initiative nicht die ganze Wohnkrise, sie ist aber ein wichtiges Puzzleteil wie viele andere unserer Vorschläge auch. In Zürich stehen an einem Stichtag nur 169 Wohnungen leer. Wenn die rund 5500 Wohnungen, die aktuell über Airbnb & Co. vermietet werden, für die vielen Wohnungssuchenden verfügbar wären, dann wäre das schon relativ viel!
Die Wohnkrise besteht aus zu wenigen Wohnungen und zu hohen Mieten. Kritisiert wird oft, dass es zu viele Regulierungen gibt, um schneller bauen zu können. Was sind eure Rezepte, um die Bautätigkeit in der Stadt zu beschleunigen?
Aktuell wird zwar viel gebaut, aber von den Falschen. Denn nach dem Bauen sind die neuen Wohnungen doppelt so teuer und die Leute werden aus ihrem Quartier verdrängt. Die FDP-Lösung, also weniger Regulierungen, würde den Immobilienbesitzer:innen noch mehr Profit ermöglichen und den Gentrifizierungsturbo zünden. Diese Entwicklung lehne ich kategorisch ab.
Kommen wir zum Schluss noch zur Mobilität, die zweite grosse Sorge der Zürcher Bevölkerung. Auch dieses Departement ist in SP-Hand und es geht mit den Velowegen überhaupt nicht vorwärts – die Autos stauen sich täglich auf den Vorzugsrouten.
Die Stadt wird noch einige Verbesserungen anbringen, um diese Vorzugsrouten vom motorisierten Verkehr zu befreien. Im Moment ist der Durchgangsverkehr tatsächlich noch ein Problem. Aber die Routen sind beliebt, die Zahlen beweisen dies. Unsere Stadträtin Simone Brander möchte gerne vorwärts machen, aber ihre Pläne werden von Rekursen verhindert.
«Es wird teurer für das Auto, aber günstiger für den ÖV»
Also plant die SP keine Durchsetzungsinitiative für autofreie Velowege?
Nein, denn es gibt keine Anzeichen, dass die Umsetzung der Velorouten keine Priorität hat bei der Stadt. Die Situation ist aber unbefriedigend, denn wenn die Leute fragen, wo die Velowege sind, können wir nur sagen: Die sind vor Gericht blockiert. Aber was können wir machen, ausser an die FDP zu appellieren, nicht ständig Volksentscheide vor Gericht zu ziehen?
Damit mehr Velowege realisiert werden können, muss das Auto Platz abgeben. Zudem sollen die Parkplätze in der blauen Zone massiv teurer werden. Werden damit nicht ganz normale Menschen bestraft, die für die Arbeit ein Auto brauchen?
Neu sollen jene, die richtig grosse Autos haben, deutlich mehr für den Parkplatz bezahlen. Das finde ich absolut richtig. Gleichzeitig ist auch sehr wichtig, dass wenn man Dinge für den Klimaschutz verteuert, andere Dinge vergünstigt werden. Vom Timing her ist es darum ideal, dass wir im September gleichzeitig über unsere 365-Franken VBZ-Jahresabo-Initiative und über die Parkplätze abstimmen. Wir wollen, dass der Mittelstand nicht stärker belastet wird: Es wird teurer für das Auto, aber günstiger für den ÖV. Das ist unser Angebot an die Zürcher Bevölkerung und ich glaube auch, dass das unterstützt wird.
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An der Universität Zürich hat Simon Politikwissenschaften und Publizistik studiert. Nach einem Praktikum bei Watson machte er sich selbstständig und hat zusammen mit einer Gruppe von motivierten Journalist:innen 2015 Tsüri.ch gegründet und vorangetrieben. Seit 2023 teilt er die Geschäftsleitung mit Elio und Lara. Sein Engagement für die Branche geht über die Stadtgrenze hinaus: Er ist Gründungsmitglied und Co-Präsident des Verbands Medien mit Zukunft und macht sich dort für die Zukunft dieser Branche stark. Zudem ist er Vize-Präsident des Gönnervereins für den Presserat und Jury-Mitglied des Zürcher Journalistenpreises. 2024 wurde er zum Lokaljournalist des Jahres gewählt.
Nina musste als Kind mit ihrer Familie zu oft umziehen und wahrscheinlich ist das der Grund, warum sie sich dem Lokaljournalismus verschrieben hat. Sie schrieb als freie Journalistin für die Zürichsee Zeitung, Bajour und jetzt für Tsüri.ch. Nina studierte Geschichte, Literatur- und Medienwissenschaft an den Universitäten in Fribourg und Basel und verbrachte kurze Zeit in der Medienforschung, wo sie unter anderem auch wieder Lokaljournalismus untersuchte. Seit 2021 ist Nina Mitglied der Geschäftsleitung bei We.Publish.