GLP-Co-Präsidentin: «Nicht alles, was Rot-Grün macht, ist falsch»
Die GLP will mit einem zweiten Sitz in der Regierung das politische Zentrum stärken. Einen Umsturz, wie ihn die FDP fordert, unterstütze die Partei aber nicht, erklärt die Co-Präsidentin Selina Frey im Interview.
Eigentlich hätte die Mitgliederversammlung darüber entscheiden sollen, ob Serap Kahriman oder Monica Sanesi für die Stadtratswahl im März 2026 kandidiert. Doch dann kam die überraschende Nachricht: Am Dienstag gab Monica Sanesi bekannt, dass sie aus familiären Gründen verzichtet.
Jetzt strebt die Stadtzürcher GLP mit Serap Kahriman einen zweiten Sitz in der Regierung an. Neben dem bisherigen Stadtrat Andreas Hauri soll sie die junge, migrantische Bevölkerung abholen. Die Gemeinderätin kandidierte bereits 2022 für den Stadtrat – damals noch für die Jungpartei – und holte 22'000 Stimmen. Auch die Co-Präsidentin Selina Frey glaubt an Kahrimans Erfolg.
Isabel Brun: Monica Sanesi hat sich aufgrund von «unvorhersehbaren familiären Umständen» von einer möglichen Kandidatur zurückgezogen. Können Sie mehr dazu sagen?
Selina Frey: Bei Monica Sanesi hat es einen unerwarteten Krankheitsfall im familiären Umfeld gegeben und sie hat uns zeitnah darüber informiert. Wir haben sie bestärkt, zuerst die weiteren Entwicklungen abzuwarten und nicht aus dem Moment heraus zu handeln. Sie hat das sehr geschätzt und wahrgenommen, das Gefühl hat sich bei ihr dann aber in den Folgetagen bestärkt, dass der Rückzug ihrer Kandidatur der richtige Schritt ist.
Die GLP schickt jetzt also Serap Kahriman ins Rennen für einen zweiten Stadtratssitz. Wie schätzen Sie ihre Chancen beim Zürcher Stimmvolk ein?
Ihre Erfolgsaussichten sind sehr gut. Serap Kahriman bringt Erfahrung aus dem Gemeinderat, der Verwaltung und der Privatwirtschaft mit und hat bereits in der Vergangenheit gezeigt, dass sie die Wählerschaft von sich überzeugen kann. Zudem vertritt sie als junge Frau mit Migrationsgeschichte eine Bevölkerungsgruppe in Zürich, die in der Regierung nicht repräsentiert ist.
Welche Partei soll stattdessen weniger stark in der Regierung vertreten sein?
Das kommt darauf an, wer sich für die Wahlen aufstellt. Uns ist in erster Linie wichtig, dass die Stadtregierung vielfältiger wird und die Mehrheitsverhältnisse nicht schon im Vorfeld klar sind. Angesichts der Entwicklungen in unseren Nachbarländern wäre es angebracht, das politische Zentrum zu stärken – und der zunehmenden Polarisierung die Stirn zu bieten.
Zürich wird seit Jahren rot-grün regiert. Dagegen wehrt sich die FDP und tritt öffentlich als Oppositionspartei auf. Macht die GLP bei diesem Angriff mit?
Wir sind keine Oppositionspartei gegen Rot-Grün, sondern eine Fortschrittspartei für Zürich. Reine Oppositionspolitik führt nie zu neuen und langfristig wirkungsvollen Lösungen, sondern blockiert diese. Wir wollen mehr Spielraum und nicht die rot-grüne Regierung stürzen. Was es aber zwingend braucht, ist frischen Wind und neue Ansätze.
Diesen Dienst soll nun Serap Kahriman erweisen. Die Gemeinderätin ist jedoch nicht sonderlich bekannt in der Bevölkerung. Warum hat sich die GLP für eine No-Name-Kandidatin entschieden statt für eine Persönlichkeit wie zum Beispiel die Nationalrätin Corina Gredig?
Als No-Name würde ich Serap Kahriman nicht bezeichnen. Natürlich ist es immer von Vorteil, jemanden ins Rennen schicken zu können, der einen hohen Bekanntheitsgrad hat. Und es würde mich sehr freuen, wenn Corina Gredig auch wieder lokalpolitisch aktiv werden würde, wobei ich sie als Fraktionspräsidentin in Bern auch nicht missen möchte.
Wir legen den Fokus jedoch nicht nur auf eine Person, sondern stellen uns breit auf. Bei unserer Vorauswahl stand deshalb die politische Expertise und das Potenzial im Vordergrund.
«Wir mögen Kompromisse, das ist so, aber wir sind keine Kompromisspartei.»
Selina Frey, Co-Präsidentin GLP Stadt Zürich
Andreas Hauri wird ebenfalls erneut kandidieren. Der Gesundheitsvorsteher gilt als kompetent und akzeptiert. 2022 wurde er mit über 40’000 Stimmen von der Zürcher Stimmbevölkerung wiedergewählt. Die ideale Nachfolge der abtretenden Stadtpräsidentin Corine Mauch?
Für Andreas Hauri ist die Entscheidung noch nicht final gefallen. Ihm ist es wichtig, zu wissen, wie sich das Kandidat:innenfeld zusammensetzen wird, um beurteilen zu können, ob er die richtige Person für das Präsidium ist. Und aktuell ist darüber noch zu wenig bekannt.
Eine zaghafte Taktik.
Seine Vorgehensweise entspricht der grundsätzlichen Haltung der GLP. Es geht unseren Politiker:innen um die Sache, nicht darum, sich als Einzelperson zu profilieren.
Eine Einzelperson der Stadtzürcher GLP stand vergangenen Sommer unfreiwillig im Fokus: Sanija Ameti schoss auf ein Jesusbild und löste damit eine Welle der Empörung aus. Die Stadtzürcher Fraktion bekundete offiziell ihre Unterstützung, trotzdem verliess Ameti die Partei Anfang 2025. Hat diese Erfahrung die GLP verändert?
Nein, wir sind immer noch dieselbe Partei, mit denselben Positionen. Aber es war für alle Beteiligten eine herausfordernde, anstrengende Zeit. Deshalb bin ich stolz darauf, wie wir mit der Situation umgegangen sind. Wir haben es geschafft, unseren Werten treu zu bleiben, obwohl auch wir als Partei Kritik erfahren mussten.
Glauben Sie, das Geschehene könnte negative Auswirkungen auf die Wahlen 2026 haben?
Dieses Thema ist für uns abgeschlossen. Es gibt nichts Neues dazu zu sagen und Sanija Ameti hat es verdient, dass sie das auch mal hinter sich lassen kann. Menschen stimmen für uns, weil sie unsere Politik befürworten – das ist auch unser Hauptziel und Fokus.
Die GLP politisiert weder am rechten noch am linken Rand, ihr Profil wirkt nicht besonders trennscharf. Auch im Gemeinderat sympathisieren Sie mal mit der SP, mal mit der FDP. Ist die GLP eine Kompromisspartei?
Wir mögen Kompromisse, das ist so, aber wir sind keine Kompromisspartei. Uns geht es darum, die bestmögliche Lösung für alle zu finden und dabei auf jene Rücksicht zu nehmen, die unsere Unterstützung am ehesten brauchen. Dafür muss man manchmal einen über den Tellerrand hinausdenken. Das bedeutet aber nicht, dass wir nicht auch Haltung zeigen.
Als Partei in der politischen Mitte ist die GLP nicht gerade bekannt dafür, klare Positionen zu vertreten.
Gegen aussen ist das nicht ganz leicht erkennbar, das stimmt. Das mag wohl manchmal unglücklich wirken. Aber wer sich unsere Politik genauer anschaut, wird schnell merken, dass wir im Grundsatz eine klare Linie verfolgen.
Wir wollen ganzheitliche Lösungen, die ökologisch, ökonomisch und sozial nachhaltig sind. So setzen wir uns beispielsweise für tiefere Fremdbetreuungskosten ein oder dafür, dass knapper bezahlbarer Wohnraum zuerst die Bedürftigsten erreicht. Auch fordern wir mehr Ladestationen für Elektroautos und glauben, dass es möglich ist, Steuern allgemein verträglich zu senken.
Die heilige Dreifaltigkeit der sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Nachhaltigkeit scheint in der Realität praktisch unerreichbar. Zum Beispiel bei der Sanierung von Wohnraum: So führt der Einbau von klimaneutralen Heizsystemen dazu, dass die Mieten steigen.
Kurzfristig ist das so, ja. Doch auf lange Sicht gesehen, ist diese Massnahme sinnvoll und notwendig – vor allem hinsichtlich unseres Klimaziels, das von der Stimmbevölkerung beschlossen wurde.
«Zürich soll keine reine Velostadt werden.»
Selina Frey, Co-Präsidentin GLP Stadt Zürich
Damit Hauseigentümer:innen, und am Schluss auch Mieter:innen, entlastet werden, setzt sich die GLP für Fördermittel und Beratungsangebote ein. Denn eine vorausschauende Planung und Etappierung sind wichtig. Wartet man darauf, bis die Umsetzung auf einen Schlag kommt, wird es um ein Vielfaches teurer und schwieriger. Um die Stadt nachhaltig umzubauen, müssen wir die jetzigen Schienen verlassen.
Mit den jetzigen Schienen meinen Sie die rot-grüne Wohnpolitik?
Ja, die SP und die Grünen wollen den gemeinnützigen Wohnbau fördern, kommen aber mit ihren Rezepten nicht weiter. Seit mehreren Jahren stagniert die Entwicklung unserer Stadt; die Mieten steigen stetig an, die Wohnungsknappheit wird immer grösser. Wir sind der Meinung, dass es neue Ideen und Innovationen braucht, um das Problem anzugehen.
Aber Sie unterstützen auch linke Vorstösse, wie beispielsweise den Wohnungsfonds.
Nicht alles, was Rot-Grün macht, ist falsch. Es braucht Mittel, um die aktuellen Herausforderungen für die Bedürftigen abzufedern. Aber wir müssen auch in die Zukunft schauen.
Bei Abstimmungen haben Wohnthemen immer hohe Zustimmung: Alle erhoffen sich danach, dass die Mieten sinken. Aber das jetzige Vorgehen lässt den Mittelstand aussen vor. Deshalb braucht es mehr Ansätze. Wie zum Beispiel die Aufstockungsinitiattive, die wir zusammen mit der FDP lanciert haben.
Haben Sie noch andere Vorschläge?
Ich persönlich finde es wichtig, dass wir verschiedene Probleme nicht separat angehen würden. So sollte man beispielsweise den Fachkräftemangel stärker mit dem Wohnthema verknüpfen. Arbeitnehmende in systemrelevanten Berufen wie der Pflege oder Lehrberufen, die wir zwingend benötigen, sollen auch in der Zukunft bezahlbaren Wohnraum in der Stadt finden. Es ist wichtig, solche Zusammenhänge zu verstehen, statt Angst vor der Zuwanderung zu schüren.
Wie sähe eine Stadt aus, die von der GLP regiert würde?
Zürich wäre eine sehr innovative Stadt. Einiges wäre vielleicht ähnlich wie heute. Wie zum Beispiel die Velowege, die in den letzten Jahren umgesetzt wurden oder der Versuch, mehr Grün in die Betonwüsten zu bringen.
Aber es hätte mehr Platz für neue Ideen, die durch den technologischen Fortschritt ermöglicht werden. Beispielsweise würde mehr Geld in die Unterstützung von Start-up oder in die Weiterentwicklung der E-Mobilität fliessen.
Aber Innovation alleine macht Zürich noch nicht zur Velostadt.
Zürich soll auch keine reine Velostadt werden.
Sondern eine Autostadt?
Nein, wir wollen eine Mobilitätsstadt, in der alle Formen des Verkehrs gleichermassen Platz finden: Egal, ob man zu Fuss, mit dem ÖV, dem Auto oder Velo unterwegs ist. Aktuell haben wir viele Vorstösse eingereicht, um das Velofahren in der Stadt sicherer zu machen. Noch ist das Verkehrsmittel stark benachteiligt.
Aber wir können nicht einfach alle Strassen für Velofahrer:innen umbauen und dafür steht man mit dem Auto jeden Morgen stundenlang im Stau. Das führt bei den Betroffenen zu grossem Frust. Wir sind der Meinung, dass alle Akteur:innen abgeholt und mitgedacht werden müssen, wenn wir Zürich für die Zukunft wappnen wollen.
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Ausbildung zur tiermedizinischen Praxisassistentin bei der Tierklinik Obergrund Luzern. Danach zweiter Bildungsweg via Kommunikationsstudium an der ZHAW. Praktikum bei Tsüri.ch 2019, dabei das Herz an den Lokaljournalismus verloren und in Zürich geblieben. Seit Anfang 2025 in der Rolle als Redaktionsleiterin. Zudem Teilzeit im Sozialmarketing bei Interprise angestellt.