Grünen-Co-Präsidentin: «Manchmal frage ich mich auch: Wieso geht das nicht schneller?»
Die Grünen hätten Chancen auf einen dritten Stadtratssitz, doch ob sie wollen, ist noch offen. Im Interview erklärt Co-Präsidentin Anna-Béatrice Schmaltz, warum ihre Partei lieber die gesamte Linke stärkt, als selbst das Präsidium anzugreifen.
Sie sind die Partei mit dem drittgrössten Wähler:innenanteil und stehen doch oft im Schatten der übermächtigen SP. Bei den letzten Wahlen wäre den Grünen mit der Stadtratskandidatur des damals noch unbekannten Dominik Waser fast ein Coup gelungen. Doch jetzt, wo es zwei Regierungsposten und ein vakantes Präsidium zu besetzen gibt, ist noch offen, ob sie mit einer dritten Kandidatur angreifen.
Anna-Béatrice Schmaltz ist Co-Präsidentin der städtischen Grünen. Im Interview mit tsüri.ch erklärt sie, warum die Grünen ihrer Meinung nach eine ganzheitlichere Politik machen als die SP und weshalb die Partei dennoch lieber die gesamte Linke stärkt, statt selbst das Präsidium anzugreifen.
Nina Graf: Hätten Sie vor drei Jahren einen bekannteren Kandidaten als Dominik Waser aufgestellt, wäre der Angriff auf einen dritten Sitz im Stadtrat vermutlich geglückt. Angesichts der aktuellen Vakanzen hätte eine ernsthafte dritte Kandidatur für 2026 wohl reelle Chancen. Haben Sie Ihre Strategie angepasst?
Anna-Béatrice Schmaltz: Wir haben vor drei Jahren einen starken Wahlkampf geführt, die FDP musste zittern, der Sitz blieb auf der linken Seite. Das ist die Hauptsache. Ich möchte festhalten: Dominik Waser war eine ernsthafte Kandidatur. Nur weil wir eine junge, noch wenig bekannte Person nominiert haben, heisst das nicht, dass es eine Kandidatur zur Show war.
Ob wir dieses Jahr eine dritte Kandidatur lancieren, entscheiden wir an der Vorstandssitzung in zwei Wochen.
Das heisst, es ist noch komplett offen, ob Sie einen dritten Sitz holen wollen? Trotz guter Ausgangslage?
Bei den Grünen entscheide nicht ich als Co-Präsidentin nach dem Prinzip «So machen wir das» und präsentiere dann einen Namen. Wir legen Wert auf basisdemokratische Entscheide, bei uns entscheidet der Vorstand und dann abschliessend die Mitgliederversammlung.
Sicher wieder antreten werden die beiden bisherigen grünen Stadträt:innen.
Mit Karin Rykart und Daniel Leupi haben wir zwei erfahrene Kandidat:innen mit einem sehr guten Leistungsausweis und grossem Gestaltungswillen. Ihre Kandidaturen versprechen Kontinuität.
Apropos Leistungsausweis: Dass Karin Rykart als linke Polizeivorsteherin von den Bürgerlichen kritisiert wird, folgt schon fast einem Naturgesetz. Doch bei Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstrant:innen gibt es auch Kritik aus linken aktivistischen Kreisen – also von der grünen Klientel. Wie stark ist Rykarts Rückhalt in der Partei?
Wir sehen, dass Karin Rykart Themen wie Polizeigewalt und Repression aufgreift, die Anliegen ernst nimmt und auch bei Kritik immer ein offenes Ohr hat.
Ich habe den Eindruck, dass sie besonders im Fokus steht, weil sie eine Frau ist. Ich bezweifle, dass man alle Herausforderungen eines Departements auf angebliche Führungsschwäche zurückführen würde, wäre ein Mann an der Spitze – so, wie das die Bürgerlichen jeweils tun.
«Wichtiger [als das Stadtpräsidium] ist für uns, die linke Mehrheit im Gemeinderat und im Stadtrat zu halten»
Anna-Béatrice Schmaltz, Co-Präsidentin Grüne
Mit dem Finanzvorsteher Daniel Leupi hatten sie einen Kandidaten, dem gute Chancen auf das Stadtpräsidium eingeräumt wurden. Bedauern sie es nicht, dass er sich frühzeitig aus dem Rennen zurückgezogen hat?
Solche Entscheide sprechen wir immer ab, daher war das keine Überraschung. Wir erheben aktuell keinen Anspruch auf das Präsidium. Viel wichtiger ist für uns, dass wir die linke Mehrheit in Gemeinderat und Stadtrat halten und so eine solidarische und ökologische Politik weiterführen können. Wir sind gespannt auf die Kandidaturen der SP.
Müssten Sie hier nicht angriffiger vorgehen?
Sicher ist, dass wir im Stadtratsrennen keinen linken Sitz angreifen. Für uns hat vor allem Priorität, dass wir die linke Mehrheit behalten und stärken.
Das ist zwar sehr kollegial, andererseits besteht so auch das Risiko, neben der grossen SP unterzugehen.
Wir gehen nicht unter, sondern sorgen dafür, dass die Stadt eine konsequente, soziale und klimagerechte Politik verfolgt. Zürich braucht eine starke Linke, um vorwärts zu kommen.
National stehen die Vorzeichen schlecht: Nach der grossen, grünen Welle hat sich der Trend gekehrt, die Grünen verlieren. Wie wollen Sie sicherstellen, dass das den Stadtzürcher Grünen bei den nächsten Wahlen nicht auch passiert?
Es braucht die Grünen in Zürich mehr denn je, gerade im Zusammenspiel von solidarischen und ökologischen Themen. Wir werden den Wahlkampf nutzen, um aufzuzeigen, wie eine Stadt aussehen kann, die konsequenten Klimaschutz, mit bezahlbarem Wohnraum, Grün- und Erholungsräumen sowie einer nachhaltigen Mobilität verbindet. Wie Gleichstellung, Inklusion und eine feministische Stadtplanung wirkliche Sicherheit für die Menschen schaffen kann. Ich bin überzeugt, dass wir damit die Bedürfnisse der Menschen ansprechen.
Die SP setzt aber auch auf soziale Themen und Klimaschutz.
Ja, doch beim Thema Klima wird uns weiterhin die grösste Kompetenz zugesprochen und wir Grünen haben den ganzheitlicheren Blick. Für uns sind soziale Gerechtigkeit und Klimaschutz zwei untrennbare Anliegen, die erst in der Kombination zukunftsfähige Lösungen bieten. In dieser Hinsicht sind wir die konsequenteste Partei in dieser Stadt. Selbstverständlich arbeitet die SP auch an grünen Themen, alles andere wäre falsch.
Antidiskriminierung, Gewaltfreiheit, ökologische Belange – das betrachten wir umfassender und konsequenter als die SP.
Sie betonen, eine starke Linke sei wichtig für Zürich. Doch trotz linker Zusammenarbeit und Mehrheit in Regierung und Parlament kommt die Stadt bei der grössten Sorge der Bevölkerung, dem Wohnen, kaum voran.
Der Prozess geht zu langsam, dieser Meinung bin ich auch. Tatsächlich haben wir aber schon viel erreicht und werden diese Arbeit weiterführen. Unter Daniel Leupi kauft die Stadt Liegenschaften für mehrere hundert Millionen pro Jahr. Die Grünen haben damit auf Exekutivebene jemanden, der das Thema an die Hand nimmt. Und im Gemeinderat setzen wir uns als Partei konsequent für mehr Genossenschaftswohnungen, mehr gemeinnützigen Wohnbau, ohne dabei die ökologischen Aspekte zu vergessen.
Das ist ein Erfolgsrezept. Ohne die linke Mehrheit wäre die Stadt eine völlig andere – eine mit noch weniger bezahlbaren Wohnungen.
Festgehalten ist dieses Rezept im Ziel der Stadt, wonach ein Drittel der Wohnungen gemeinnützig sein soll - in der Realität sind wir aber noch weit davon entfernt. Wir kämpfen gegen ein System, das inhärent falsch ist. Auf der städtischen Ebene versuchen wir dem mit den genannten Konzepten entgegenzuwirken. Gleichzeitig ist es wichtig anzuerkennen, dass das Problem nicht alleine städtisch gelöst werden kann. Es ist auch ein kantonales und nationales Thema. Dazu haben die Grünen die kantonale «Wohnungsinitiative» eingereicht.
Sie geben das Problem also weiter? Nein, wir engagieren uns als Partei auf allen Ebenen. Aber ich verstehe das Unverständnis in der Bevölkerung. Manchmal frage ich mich auch: Wieso geht das nicht schneller, wieso kann man hier nicht mehr tun?
«Es ist es eine Gratwanderung zwischen Geduld zeigen und den Vorwärtsdrang beibehalten»
Anna-Béatrice Schmaltz, Co-Präsidentin Grüne
Dasselbe gilt bei der Mobilität, der zweiten Sorge der Bevölkerung. Auch hier läuft es trotz linker Mehrheit zäh, Stichwort Tempo 30 oder Velovorzugsrouten.
FDP und SVP versuchen durch kantonale Initiativen den Ausbau von Tempo 30 zu verunmöglichen. Es gibt zudem auch diverse Rekurse, aus dem FDP-Umfeld, gegen Velovorzugsrouten. Das sind die Hauptgründe, warum es nicht weitergeht. Die Grünen haben auf parlamentarischer Ebene diverse Vorstösse eingereicht, sei dies zum Thema Velowege oder Fussgänger:innensicherheit, wir haben eine aktive AG Velo, mit der die Anliegen der Basis direkt in unsere politische Arbeit einfliessen. Doch der demokratische Weg braucht Geduld.
Diese Aussage erstaunt: Sie selbst gehören ja auch zu jener neuen grünen Generation im Parlament, die stark aktivistisch geprägt ist. Der Aufruf nach Geduld klingt nach einer gewissen Ernüchterung oder vielleicht auch Anpassung an den Regelbetrieb. Besteht bei da nicht die Gefahr, die sozialen Bewegungen als Wählerbasis zu verlieren?
Viele unserer Anliegen sind sehr dringend, daher ist es eine Gratwanderung zwischen Geduld zeigen und den Vorwärtsdrang beibehalten. Die sozialen Bewegungen haben die Rolle, dass sie Druck machen. Wir haben bei den Grünen auch Aktivist:innen als Mitglieder. Ihre Anliegen fliessen in unsere Politik ein und gleichzeitig sehen sie auch, dass wir dran sind und dran bleiben. Doch auch ihnen ist bewusst, dass demokratische Prozesse länger dauern.
Die nächsten Wahlen wären da eine Gelegenheit für die Grünen, mit einer jungen Kandidatur anzutreten und alles aufzumischen. Die Kritik, dass die Regierung träge sei, kommt ja auch aus ihren Reihen.
Die Strategie kann auch sein, dass wir auf die Gemeinderatswahlen setzen und dem Zürcher Stimmvolk hier eine starke Auswahl bieten. Das wird die Entscheidung des Vorstands und der Mitgliederversammlung zeigen. Wir mischen die Zürcher Politik seit Jahren auf. Das werden wir mit einem starken Gemeinderatswahlkampf zeigen.
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Aufgewachsen am linken Zürichseeufer, Studium der Geschichte, Literatur- und Medienwissenschaft an den Universitäten Freiburg (CH) und Basel. Sie machte ein Praktikum beim SRF Kassensturz und begann während dem Studium als Journalistin bei der Zürichsee-Zeitung. Als wissenschaftliche Mitarbeiterin untersuchte sie Innovationen im Lokaljournalismus in einem SNF-Forschungsprojekt, wechselte dann von der Forschung in die Praxis und ist seit 2021 Mitglied der Geschäftsleitung von We.Publish. Seit 2023 schreibt Nina als Redaktorin für Tsüri.ch.