Nach dem Rekordergebnis: Wie sich die Zürcher Grünen für die nächste Wahl aufstellen

Vor zwei Jahren erreichten die Grünen bei den Zürcher Gemeinderatswahlen ein Rekordergebnis. Mit den klima- und queerfeministisch Bewegten zog ein jugendlicher Elan in die Fraktion ein, die seither so betriebsam ist wie nie zuvor. Doch reicht das aus, um dem nationalen Trend zum grünen Stimmeneinbruch etwas entgegenzuhalten?

Anna-Béatrice Schmaltz
Co-Präsidentin der Stadtzürcher Grünen und sehr aktive Gemeinderätin: Anna-Béatrice Schmaltz. (Bild: Tsüri.ch / Simon Jacoby)

«Es gibt eine gewisse Desillusionierung, wenn man parlamentarische Politik macht», sagt Martin Busekros. «Alles dauert sehr lang, und nichts, was wir im Parlament machen können, verspricht einen quick win.»

Für quick wins sitzt Busekros wohl auch in der falschen Fraktion des Zürcher Gemeinderats. Seine Grünen haben sich Grosses vorgenommen: Sie wollen den möglichst vollständigen Ausstieg der Stadt aus fossilem Energieverbrauch, ihren Umbau zur Velostadt, eine grossflächige Entsiegelung und mehr Bäume, um ihre Bewohner:innen vor der Hitze zu schützen. Die Beschaffung eines neuen Tukans für die Stadtgärtnerei, die zwei Fraktionsmitglieder der FDP im vergangenen Jahr forderten, ist da deutlich einfacher zu bewerkstelligen. Doch mit den langsamen Prozessen der städtischen Politik kann Busekros inzwischen leben. Der Parlamentarismus sei eben die Rolle, die er für sich gefunden habe, erklärt er.

Es ist Halbzeit in der aktuellen Legislaturperiode im Gemeinderat. Die Grünen sind 2022 mit viel Enthusiasmus und einer Verjüngungskur angetreten und haben so Rekordergebnisse erzielt. Hier trifft der Enthusiasmus der Strasse auf den zähen Parlamentsbetrieb. Wie verträgt sich das? Und was macht die Zürcher Fraktion, um dem nationalen Trend zum Stimmeneinbruch bei den Grünen entgegenzuwirken?

Mit Forderung nach Zukunft erstmals drittgrösste Fraktion

In die parlamentarische Arbeit gestartet ist der damals 22-jährige Busekros bei den Gemeinderatswahlen 2022 mit einem klimaaktivistischen Hintergrund und drei weiteren jungen Mitstreiter:innen, die mit ihm erstmals in den Rat gewählt wurden: Yves Henz, Anna-Béatrice Schmaltz und Dominik Waser.

Sie alle einte ihre politische Prägung im Klimaaktivismus und Queerfeminismus, ihre Mitgliedschaft bei den Jungen Grünen und ihr Wahlslogan «Ich will Zukunft». Und sie sollten entscheidend dazu beitragen, den Grünen ein Rekordergebnis an Stimmen und erstmals die drittgrösste Fraktion im Zürcher Gemeinderat zu bescheren. Dominik Waser gelang mit seiner Stadtratskandidatur ein Achtungserfolg. Er liess unter den nicht Gewählten alle bürgerlichen Kandidat:innen hinter sich und zog gleichzeitig als bekanntestes Gesicht der Jungen ins Parlament ein.



Den Stadtrat auf Trab halten

Auch Waser zeigt sich nach zwei Jahren Parlamentsarbeit ernüchtert von der Trägheit der parlamentarischen Prozesse. «Es war mir klar, dass wir im Parlament nicht den Aktivismus ‹der Strasse› machen können», sagt er, «aber wir können versuchen, eine Dynamik reinzubringen, die den Status Quo infrage stellt. Dabei müssen wir uns allerdings mit bestimmten Rahmenbedingungen abfinden und versuchen, etwas zu erreichen.»

Was Waser mit den bestimmten Rahmenbedingungen meint: Ein Stadtrat und eine Verwaltung, die nicht mutig und entschlossen genug seien, um im entsprechenden Tempo und Umfang die Massnahmen umzusetzen, die seiner Ansicht nach nötig wären für die Erreichung des städtischen Netto-Null-Ziels.

«Ich versuche, sie anzutreiben. Druck aufzubauen, dass es schneller vorangeht.»

Dominik Waser

Waser will sich nicht mit dieser Situation abfinden. Als Mitglied der Kommission für Tiefbau und Entsorgung (TED) sowie die industriellen Betriebe (DIB) legt er sich oft mit FDP-Stadtrat und DIB-Chef Michael Baumer an. Das sei seine Hauptbeschäftigung im Parlament, erläutert er: «Ich versuche, sie anzutreiben. Druck aufzubauen, dass es schneller vorangeht. Die Zeiten, in denen es ausreicht, nur die bequemen Schritte zu gehen und nicht weiter, sind längst vorbei.» Die Abwehrhaltung in Regierung und Verwaltung, die ihm bei seinem Druckaufbau entgegenschlage, frustriert ihn, wie er sagt

Domnik Waser, Gemeinderat Grüne
Wurde als Stadtratskandidat zum bekanntesten Gesicht der Jungen Grünen: Dominik Waser. (Bild: Tsüri.ch / Steffen Kolberg)

In der Klimastreik-Bewegung, aus der Waser kommt, teilt man diese Frustration. «In den letzten zwei Jahren ist viel zu wenig passiert beim Klimaschutz in Zürich», sagt Klimaaktivistin Johanna Bleisch. Sie habe den Eindruck, dass die Institutionen auf der Bremse stünden. «Die lokale Politik meint, Massnahmen wie Netto Null 2030 seien zu teuer, schafft es aber, über Nacht ein Budget für den ESC zu organisieren.»

Für Dominik Waser ist es nachvollziehbar, dass sich der Enthusiasmus über die linksgrüne Ratsmehrheit in gewissen Teilen der Stadtbevölkerung in Grenzen hält – obwohl es immer wieder ziemlich deutliche Mehrheiten für linksgrüne Vorlagen und Initiativen gibt. Er sieht das Problem klar in der Exekutive. Denn die meisten Anliegen aus dem Parlament kämen zwar durch, «aber das, was die Leute sehen, ist die langsame, wenig konsequente und mutlose Umsetzung». 

Wie Waser hat sich ein Grossteil der verjüngten Grünen-Fraktion vorgenommen, Stadtrat und Verwaltung in dieser Legislatur auf Trab zu halten. Der jugendliche Elan, der mit den Jungen ins Parlament einzog, ist in einer regen Betriebsamkeit aufgegangen. In fast 250 Vorstössen innerhalb der ersten beiden Jahre versuchten die Fraktionsmitglieder gleich an mehreren Fronten die Weichen neu zu stellen, Althergebrachtes über den Haufen zu werfen, Projekte feinzujustieren: Sei es beim Weg zu Netto-Null, bei Inklusion und Geschlechtergerechtigkeit, bei Veloständern vor Schulgebäuden. Als bliebe nur diese eine Legislaturperiode, um eine Zukunft zu schaffen, wie man sie 2022 gewollt hätte.

Trends setzen oder dem Abwärtstrend folgen

Tatsächlich könnte es sein, dass sich das Fenster für grüne Zukunftsideen bereits in zwei Jahren wieder schliesst. Die sogenannte «grüne Welle», die der Partei landesweit Rekordwerte brachte und deren Ausläufer bei der Wahl 2022 Zürich erreichten, ist abgeebbt. Bei den Nationalrats- und Kantonsratswahlen 2023 büssten die Grünen bereits wieder Stimmen ein, vielerorts ist von einer Korrektur die Rede. Die Klimabewegung, die die Welle durch ihre Massenproteste massgeblich losgetreten hatte, spielt in der Öffentlichkeit inzwischen nur noch eine Nebenrolle. Und der Queerfeminismus sieht sich mit immer aggressiverer Stimmungsmache von Rechtsaussen konfrontiert.

«Dann müssen wir uns eben darum kümmern, die Trends zu setzen.»

Martin Busekros

«Unsere Ergebnisse in den letzten Jahren hatten viel mit Dingen zu tun, auf die die Grünen selbst keinen Einfluss hatten», fasst es Waser zusammen. Das gelte sowohl für die positiven als auch für die negativen. «Meiner Meinung nach geht es voll um Trends», meint auch Martin Busekros. Angst, dass die Grünen in zwei Jahren vollends untergehen, hat keiner von beiden. «Dann müssen wir uns eben darum kümmern, die Trends zu setzen», so Busekros.

Martin Busekros, Gemeinderat Grüne
«Links bleiben, nicht unsere Prinzipien verraten», lautet das Credo von Martin Busekros. (Bild: Tsüri.ch / Steffen Kolberg)

In Zürich lägen die Themen auf der Hand, ist er überzeugt: So müsse man neu aushandeln, wem wie viel Strassenraum zusteht, und dabei unter anderem konsequent für den Abbau blauer Parkplätze zugunsten von Bäumen und Velostellplätzen einstehen. In diesem Zusammenhang werde es den Grünen bei den nächsten Wahlen sicher helfen, dass die Umsetzung der Velovorzugsrouten langsam Fahrt aufnehme, glaubt er: «Wenn die Leute am Ende die vollendeten Routen sehen und nicht nur diese grünen Streifen, die es jetzt gibt, dann kommt vielleicht etwas mehr Enthusiasmus auf.»

Die Jungen fehlen im neuen Fraktionspräsidium

Den Enthusiasmus muss sich auch das neue Führungsduo an der Spitze der Fraktion erst noch verdienen. Zur Halbzeit der Legislatur sind die beiden bisherigen Co-Präsidentinnen Monika Bätschmann und Selina Walgis zurückgetreten. Bätschmann, eine Grüne der ersten Stunde, die schon in den Neunziger Jahren Gemeinderätin war, gab ihr Gemeinderatsmandat ab. Walgis, die vor vier Jahren als Vertreterin der Jungen Grünen ins Parlament kam, wurde diesen Sommer Mutter und will sich laut einer Mitteilung der Fraktion zukünftig auf ihr Ratsmandat konzentrieren.

Seit Juli sind nun Sibylle Kauer und Jürg Rauser am Zug. Die beiden Mittfünfziger gehörten bisher eher zu den unauffälligen Mitgliedern ihrer Fraktion. Zudem bilden sie offensichtlich nicht verschiedene Generationen in der Fraktion ab, wie dies das Duo Bätschmann und Walgis tat. Dafür haben die Grünen wieder ein gemischtgeschlechtliches Fraktionspräsidium. «Es war uns sehr wichtig, dass auch eine Frau vertreten ist», sagt Anna-Béatrice Schmaltz.

Offenbar hat sich weder bei den Fraktions-Urgesteinen, noch bei den aktivistischen Jungen jemand um den Job gerissen. Schmaltz erklärt, das habe mit dem «üblichen Thema, das uns alle betrifft» zu tun: «Wer hat neben Job und sonstigem Engagement überhaupt Kapazität für diesen Mehraufwand?» Sie selbst jedenfalls nicht: Schmaltz gehört zu den sehr aktiven Ratsmitgliedern, die Feministin bringt regelmässig Vorstösse zu Geschlechtergerechtigkeit, Gewaltschutz oder Inklusion in den Rat ein und ist seit einem Jahr zudem Co-Präsidentin der Stadtzürcher Grünen.

Jürg Rauser, Sibylle Kauer, Grüne
Die Themen alt, der Blick nach vorn: Das neue grüne Fraktionspräsidium Jürg Rauser & Sibylle Kauer. (Bild: Grüne Fraktion Zürich / Urs Riklin)

Auch die anderen Jungen in der Fraktion geben an, der Mehraufwand und andere Verpflichtungen hätten sie von einer Kandidatur abgehalten. Für das neue Präsidiumsduo gibt es offiziell nur lobende Worte. Busekros lobt Rausers Organisationstalent und Kauers Einsatz für die grünen Kernthemen. Schmaltz sagt, es sei toll, dass sich Sibylle Kauer und Jürg Rauser die Zeit nähmen. Sie brächten vielfältige Expertise mit, verbänden grüne und soziale Themen.

«Zwei erfahrende Ratsmitglieder machen wichtige administrative Arbeit, damit die Jungen weiter laut sein können.»

Anna-Béatrice Schmaltz

Anna-Béatrice Schmaltz sieht die Besetzung ohne die Jungen sogar als Vorteil. «Man kann es auch so sehen, dass hier zwei erfahrene Ratsmitglieder unter anderem auch wichtige administrative und repräsentative Aufgaben übernehmen, damit die Jungen weiter laut sein und Vorstösse einreichen können», sagt sie.

Am wichtigsten ist die linke Mehrheit

Inhaltlich beschäftigen sowohl Rauser als auch Kauer «immer noch die alten Themen, leider», wie es Rauser ausdrückt. Beide nennen zum Beispiel Netto-Null, Grünräume und Bildung als wichtige thematische Schwerpunkte für den Rest der Legislatur. Eine Strategie für die nächsten Gemeinderatswahlen sei man derzeit am aufgleisen, versichert Rauser. In erster Linie gehe es darum, aufzuzeigen, dass die Grünen bei Themen wie Wohnen und Verkehr, die die Stadtbevölkerung am meisten bewegen, eigene Akzente setzten und eigene Lösungen anböten.

Auch unter den Jungen hat niemand vor, in den nächsten zwei Jahren inhaltliche Veränderungen vorzunehmen. Strategien, um einem drohenden Stimmverlust bei den nächsten Wahlen vorzubeugen, hat man derzeit nicht wirklich. «Links bleiben, nicht unsere Prinzipien verraten, klar kommunizieren, was wir parlamentarisch erreichen können und was nicht», ist das Credo von Martin Busekros.

Tatsächlich drückt er damit auch die grösste Sorge unter den Jungen Grünen im Parlament aus: Dass Zürich links bleibt. Denn wichtiger als der eine Prozentpunkt mehr oder weniger für die Grünen bei den nächsten Wahlen erscheint ihnen allen, dass die derzeit hauchdünne linke Mehrheit im Rat bestehen bleibt. Wenn diese Mehrheit nicht mehr da sei, «dann können wir sehr, sehr viel weniger erreichen als jetzt – und das will keine:r», sagt Dominik Waser: «Sei es im Verkehrsbereich, bei Netto-Null und bei allem anderen.»

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