Winterrede Johanna Bleisch: «Soziale Veränderung konnte noch nie erreicht werden ohne den Druck von der Strasse» - Tsüri.ch #MirSindTsüri
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25. Januar 2024 um 12:32

Winterrede Johanna Bleisch: «Soziale Veränderung konnte noch nie erreicht werden ohne den Druck von der Strasse»

Das Debattierhaus Karl der Grosse lädt auch dieses Jahr wieder zu den «Winterreden» ein. Verstummt der Glockenschlag des Grossmünsters um 18 Uhr, beginnt vom 15. bis 26. Januar 2024 eine Winterrede. Du hast die Winterrede verpasst? Bei uns kannst du sie nachlesen!

Johanna Bleisch erzählte in ihrer Rede über ihren Aktivismus im Klimastreik. (Foto: Alexandra Li)

Hier geht's zum weiteren Programm.

Rede: Johanna Bleisch

6'000 Menschen. 6'000 Regenjacken. Und vielleicht ca. 3'000 Regenschirme. Und irgendwo mitten in diesen 6'000 Menschen, verdeckt von den 3'000 Regenschirmen, da bin ich. Ein blondes Mädchen in komplett durchnässter Regenjacke. Mit der einen Hand schiebt sie ihr Fahrrad vor sich hin und in der anderen Hand hält sie ein Schild. Auf dem Schild steht «Climate Justice Now». Sie geht neben ihren Freund*innen her. Laut schreit sie die Parolen mit und versucht sie zu verstehen, auch wenn ihr dies nicht immer gelingt. Es ist der 21. Mai 2021, der zweite Aktionstag des Strike For Future, und das kleine Mädchen steht überglücklich mitten in diesen 6'000 Menschen.

Das Mädchen ist zu diesem Zeitpunkt 13 Jahre alt. Der Strike For Future am 21. Mai 2021 ist nicht die erste Demonstration, an der sie teilnimmt. Aber es ist das erste Mal, an dem das Mädchen etwas fühlt. Sie stellt sich auf die Zehenspitzen, versucht über die Menge zu schauen und einen Blick auf die Bühne zu erhaschen. Doch sie ist zu klein, sie sieht nicht, wie viele Menschen es sind. Also kniet sie sich auf den Boden. Wow, sind das viele Schuhe. Wie viele Paare es wohl sind? Sie weiss es nicht, aber sie weiss, dass es sehr viele Menschen sein müssen. Sie kann zu diesem Zeitpunkt noch nicht alle Forderungen genau einordnen, aber sie versteht, dass 6'000 Menschen, die bei diesem grauen, nassen Wetter mit ihren 3'000 Regenschirmen zusammengekommen sind, gemeinsam etwas bedeuten.

Der Gedanke an die Kraft, die diese Menge hat, wenn sie sie bündelt, und das Kribbeln in den Fingerspitzen und im Bauch lassen sie nicht mehr los. Sie fragt sich, wie all diese Menschen wohl von der Demonstration erfahren haben, und wie man das alles überhaupt organisieren kann. Nie hätte sie zu diesem Zeitpunkt gedacht, dass sie nur ein halbes Jahr später selber zu den Menschen gehört, die Demonstrationen organisiert. Sie diskutiert mit ihren Freund*innen, gemeinsam überlegen sie viel, warum denn nichts passiert, warum die Politik schläft. Und schon bald findet sie sich an der Hardstrasse 235, dem damaligen Aktionsraum des Klimastreiks Zürich, in ihrem ersten Plenum wieder – viele Plenumssitzungen und Arbeitsgruppentreffen später, ist dieser Raum schon bald der Ort, an dem sie ihre meiste Zeit verbringt. Ihre Mitaktivist*innen werden immer mehr wie eine Familie für sie und jeden Monat kommen weitere Menschen dazu, die wie sie etwas verändern wollen. Und heute steht dieses Mädchen nun hier auf diesem Balkon und erzählt euch davon, wie sie aktiv geworden ist im Klimastreik. Und nach all diesen Jahren ist es noch immer genau dieser Ort und sind es noch immer genau diese Menschen, die mir die Kraft und Hoffnung geben, weiterzukämpfen. Natürlich gibt es Momente, in denen ich genau diese Hoffnung nicht mehr habe. Nicht mehr weiss, wofür ich eigentlich kämpfe und wo wir eigentlich hinmüssen. Doch dann denke ich wieder an diesen Moment beim Strike For Future zurück. An diesen Moment, an dem ich realisiert habe, wie viele Menschen für das gleiche Anliegen hier stehen. Und ich verstanden habe, dass diese Personen zusammen etwas bewegen und – ja – auch eine gewisse Macht haben.

(Foto: Alexandra Li)


Je länger ich aktiv war, desto mehr habe ich gelernt von all den Menschen, die schon lange in der Bewegung tätig waren. Mir wurden die Zusammenhänge erklärt und mir wurde klar, dass ich Teil von etwas viel Grösserem bin, als ich anfangs dachte. Dass ich Teil bin von einem Netzwerk von jungen Klimaaktivist*innen, das schweizweit, europaweit, ja sogar weltweit fungiert. Und dass sich dieses Netzwerk wiederum in weitere Netzwerke einordnet. Eine Regionalgruppe hier in Zürich, die verknüpft ist mit Regionalgruppen aus einem ganzen Land, einem ganzen Kontinent und auf der ganzen Welt. Durch all diese Menschen wurde meine Sicht auf das politische Geschehen, aber auch auf die Klimakrise, mehrdimensionaler, und mir wurde beispielsweise bewusst, wie die Klimakrise mit Feminismus zusammenhängt. So erschloss sich mir auch rasch, weshalb es am Strike For Future nicht bloss Klimaparolen gab, sondern beispielsweise auch Parolen zur Geschlechtergerechtigkeit und zu klassischen gewerkschaftlichen Anliegen: Weil wir diese Kämpfe zusammendenken müssen. Denn die Klimakrise, Sexismus, Rassismus, alle weiteren Arten von Diskriminierung und Krisen, die auf sozialer Ungerechtigkeit, Abwertung und Ausgrenzung beruhen, finden am gleichen Ort ihren Ursprung. All diese Krisen gründen in unserem kapitalistischen System, das wiederum auf Ausbeutung und Leistung beruht. Also müssen wir auch genau dort ansetzen, alle gemeinsam, und all diese Kämpfe vereinen, denn so sind wir viel stärker, als wenn wir alle einzeln kämpfen, wo doch eigentlich all diesen Krisen das gleiche Problem zugrunde liegt, das wir beheben müssen. Demonstrationen mit anderen Bewegungen, globale Aktionstage werden also deshalb durchgeführt, weil sich überall Menschen einig sind, dass sich dringend etwas verändern muss, und dass es dafür den Druck der Strasse braucht. Wir müssen wegkommen von diesem kapitalistischen, ausbeuterischen System und hinkommen zu einer Gesellschaft, in der alle frei sind und die gleichen Rechte geniessen dürfen.


Am 21. Mai 2021 habe ich am Strike For Future 6'000 Paar Schuhe gesehen. Im schweizerischen Parlament gehen genau 246 Paar Schuhe ein und aus. Diese 246 Paar Schuhe gehören den Menschen, die in der Schweiz etwas verändern sollen, die dafür verantwortlich wären, die Klimakrise endlich ernst zu nehmen, der Lohnungleichheit definitiv den Riegel zu schieben, Mindestlöhne möglich zu machen, die Care-Arbeit aufzuwerten, den dritten Geschlechtseintrag einzuführen und vieles mehr. Diese 246 Paar Schuhe im Bundeshaus werden von sich aus aber nichts verändern, dies hat sich in den letzten Jahren genug oft gezeigt. Also braucht es die 6'000 Paar Schuhe und 100‘000 Schuhe mehr, damit sich endlich etwas ändert. Ich bin 16 Jahre alt, ich darf nicht abstimmen und nicht wählen. Damit bin ich nicht allein! Ein Viertel aller Menschen, die in der Schweiz leben, hat keinen Schweizer Pass, dazu kommen alle Menschen, die genauso wie ich unter achtzehn Jahre alt sind. Sie sind quasi vom realpolitischen Geschehen ausgeschlossen. Doch organisiert auf den Strassen und in Kollektiven wird niemand ausgeschlossen. Druck ausüben auf die 246 Paar Schuhe im Bundeshaus kann durch Demonstrationen, Aktionstage etc. jede Person!

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Es ist nicht immer einfach, die Hoffnung zu bewahren und nicht zu resignieren. Oft genug vergesse ich, wofür ich eigentlich kämpfe, weil mir alles so sinnlos erscheint. Weil sich Klimakatastrophe an Klimakatastrophe, Krieg an Krieg und Feminizid an Feminizid reiht. Und weil die Träger*innen der 246 Paar Schuhe im Bundeshaus, aber auch die politischen Verantwortlichen in den Kantonen und Gemeinden, immer noch viel zu wenig tun. Viele, weil sie nicht wollen. Manche, weil sie sich des Ernstes der Lage noch immer nicht bewusst sind. Und andere, weil sie nicht können, da die rechten Lobbys viel zu mächtig und konservative Mehrheiten in unserem Land die Regel sind.

Wenn ich auf dem Weg in die Schule noch schnell die News checke oder das Morgenmemo vom Indiez höre, zieht sich in mir alles zusammen. Was ich höre und lese, sind fast nur Schlagzeilen über Zerstörung, Hass und Ungerechtigkeit. Oft ist es schwer, Worte dafür zu finden, wie es ist, in einer Zeit aufzuwachsen, in der klar ist, dass die Klimakrise die existenziell bedrohlichste Krise ist, die es je gab. In der ich nicht in die Zukunft schauen und mich freuen kann. Ich weiss nur, dass ich mich oft leer fühle, wenn ich über meine Zukunft nachdenke. Und ich bin mir mehr als bewusst, dass ich – als Jugendliche in der Schweiz und in der Stadt Zürich – im Vergleich mit meinen Gleichaltrigen rund um den Globus noch immer unglaublich privilegiert bin.

Ich liebe Zürich, meine Stadt. Aber manchmal ertappe ich mich, wie ich sorgenvoll auf die Stadt blicke – und darin all die Zusammenhänge erkenne, die unseren Kampf gegen die Klimakrise so wichtig machen. Es ist verstörend, dass ich nicht einfach mit meinen Freund*innen davon träumen kann, dass wir später gemeinsam in eine WG ziehen können, sondern dass wir uns dann jedes Mal gegenseitig daran erinnern müssen, dass es kaum mehr bezahlbaren Wohnraum gibt. Zürich ist die Stadt, in der ich gross geworden bin. Die Stadt, in der ich gelernt habe, zu träumen. Aber Zürich ist auch die Stadt, in der ich Angst habe, das Träumen wieder zu verlernen, weil es weh tut zu träumen, wenn gleichzeitig alle Träume platzen.

Ich bin mit diesen Gefühlen der Hoffnungslosigkeit nicht alleine, vielen meiner Freund*innen geht es genauso, wenn sie Zeitung lesen. Natürlich zeigt sich diese Hoffnungslosigkeit nicht bei allen gleich, natürlich habe ich auch sehr gute Freund*innen, die diese Hoffnungslosigkeit nicht gleich oft verspüren, weil sie ihr so gut wie es nur geht aus dem Weg gehen. Auf irgendeine Art und Weise spüren jedoch alle, dass wir umgeben von Krisen aufwachsen, und dass sich dringend etwas verändern muss. Oft genug sagen mir meine Schulfreund*innen, nach der 4. Prüfung in einer Woche, dass sie gar nicht mehr wissen würden, wofür sie das alles tun, und ihnen das alles manchmal sinnlos vorkomme.

(Foto: Alexandra Li)

Letzthin hatte ich ein Gespräch mit einer guten Freundin darüber, dass unserer Generation häufig vorgeworfen wird, wir seien uninteressiert am politischen Geschehen und würden uns kaum mit dem, was um uns geschieht, auseinandersetzen. Natürlich gibt es viele Jugendliche, die nicht jeden Morgen Zeitung lesen, aber der grösste Teil meines Umfelds informiert sich auf irgendeine Art und Weise. Und hat sich schon mal irgendwer gefragt, wieso sich nicht alle Jugendlichen informieren? Hat sich schon mal jemand überlegt, wie es wohl ist, wenn man jedes Mal, wenn man in die Zeitung blickt, als Erstes liest, dass die eigene Zukunft quasi dahin ist? Wir wissen ja leider auch, wie sehr junge Menschen heute leiden unter dem Blick auf die Welt – eine Tatsache, die sich ja leider auch in der Auslastung der psychiatrischen Kliniken für junge Menschen niederschlägt. Natürlich ist das eine etwas egoistische Sicht, oder besser gesagt, natürlich ist es ein Privileg, auszusuchen, ob man sich mit den Krisen unserer Zeit beschäftigen will oder nicht. An anderen Orten der Welt, an denen Krieg herrscht oder Menschen schon heute aufgrund der Klimakrise fliehen müssen, können sich die Jugendlichen nicht aussuchen, ob sie sich mit diesen Themen befassen wollen. Wir hier haben das Privileg zu wählen, ob wir uns informieren möchten oder nicht. Es ist sehr wichtig, dass wir uns informieren, denn nur so können wir uns eine Meinung bilden, und nur durch diese Meinung schaffen wir es, Teil der 100'000 Paar Schuhe zu werden, die es unbedingt braucht, damit sich etwas bewegt. Aber es ist wichtig, dass wir, und vor allem die Generationen vor uns, sich bewusst sind, dass es nicht einfach ist, jeden Morgen in der Zeitung zu lesen, wie bedenklich es um unsere Welt steht und dass unsere Zukunft wohl eher einer brennenden als einer blauen Kugel gleicht.

Für uns im Klimastreik heisst das, dass wir unsere Überzeugungen auch weiterhin auf die Strassen tragen, selbstverständlich schon diesen Frühling beim globalen Klimastreik wieder! Es heisst aber auch, dass wir konkrete Forderungen ausarbeiten und diese umsetzen! Dazu rufe ich euch gerne auf! Kommt mit euren Anliegen, euren Ideen, euren Forderungen auf uns zu, in unserem neuen Projekt finden alle Menschen, die für eine gerechtere, nicht auf Ausbeutung beruhende Welt kämpfen, einen Platz! Um euch einen Einblick darin zu geben, was wir mit solchen Forderungen meinen, möchte ich euch nun drei Forderungen, die der Klimastreik in diesem Rahmen stellt und Teil des kantonalen Aktionsplans für Netto Null 2030 des Klimastreiks sind, vorstellen:

• Punkt eins: Wir forden für den Kanton Zürich ein Klimaticket für maximal 100 Franken pro Jahr, mit welchem sämtliche öffentliche Verkehrsmittel, inklusive sharing Angebote wie PubliBike und Mobility genutzt werden können.

• Punkt zwei: Es braucht Gegenwartslektionen an den Schulen, das heisst, dass der Kanton Zürich Ursachen und Bekämpfung derzeitiger, gesellschaftlicher Probleme wie der Klimakrise mit “Gegenwartslektionen” prioritär im kantonalen Lehrplan verankert. Der Unterricht soll den verschiedenen Stufen angepasst werden.

• Punkt zwei: Es ist dringen, dass der Kanton Zürich ein sofortiges Landeverbot für Privatjets und ein Verbot für andere Formen der Luxus-Fliegerei erlässt.


Uns als Klimastreik wird oft vorgeworfen, unser Aktivismus erschöpfe sich in Demonstrationen, die gar nichts bringen. Umso wichtiger ist es uns, dass wir den Kampf auf der Strasse auch mit solchen konkreten, politischen Forderungen verknüpfen.


Trotz der grossen Motivation, die ich aus der gemeinsamen Arbeit an solchen Forderungen ziehe, kostet es auch mich, ich habe es gesagt, häufig Überwindung, am Morgen in die News zu schauen, weil ich nicht immer die Kraft dazu habe, in der Hoffnungslosigkeit dieser Schlagzeilen zu versinken. Und trotzdem tue ich es Tag für Tag, weil ich gerne informiert bin, weil ich gerne meine eigene Meinung haben will. Weil ich gelernt habe, wie viel Wert die eigene Meinung hat. Menschen, die eine eigene Meinung haben, dazu stehen und dafür kämpfen wollen, sind am Ende die Menschen, die Teil der 6'000 Paar Schuhe sind. Wenn ich mal keine Kraft habe, in die News zu schauen, oder es (leider) bereits getan habe und mich nicht mehr aus Verzweiflung und Angst retten kann, hilft es mir, mir in Erinnerung zu rufen, dass mir nur ein Paar der 10‘000 oder 100’000 Paar Schuhe gehören, und dass es draussen noch 999‘999 Paar weitere Schuhe gibt. Dann hilft es mir zu sagen, dass es diese 999‘999 Paar Schuhe und mein Paar Schuhe und alle weiteren Paare, die ich im Bus, in dem ich gerade sitze, sehe, braucht. Denn es braucht uns alle! Was wir im Moment dringend brauchen, ist soziale Veränderung, und diese konnte noch nie erreicht werden ohne den Druck von der Strasse und ohne den Druck der Zivilbevölkerung. Das sieht man auch in der Geschichte. Dass viele Schuhe, die gemeinsam und für ein Ziel auf die Strasse gehen, viel bewegen können, hat sich auch historisch bestätigt.



Das sehen wir beispielsweise am Frauenstimmrecht. Zum Glück ist es hier in der Schweiz heute normal, dass Frauen mit Schweizer Pass abstimmen und wählen dürfen, doch das war nicht immer so. Erst seit 52, bald 53 Jahren gibt es das Frauenstimmrecht in der Schweiz, wobei ein Kanton nochmals 20 Jahre länger gebraucht hat, um es einzuführen. Das mag eine vage These sein, aber wer weiss, ob wir heute das Frauenstimmrecht hätten in der Schweiz, wären nicht im 20. Jahrhundert Tausende Frauen auf die Strassen gegangen, sich organisiert hätten, Flyer verteilt hätten. Die Kraft der Strasse zeigte sich auch noch an so vielen anderen Orten – für mich, auch wenn ich es selber nicht erlebt habe, besonders eindrücklich auch beim Ende der DDR: Menschen organisierten sich, schlossen sich zusammen, gingen jeden Montag in Leipzig gemeinsam auf die Strassen, gaben einander Kraft und Mut und schützten sich gegenseitig vor der enormen individuellen Bedrohung und Verletzbarkeit. So zeigten sie Menschen in anderen Städten, dass man Aufstände anstossen und Aufsehen erregen kann, wenn man sich nur zusammenschliesst. Also begannen Menschen auch in anderen Städten auf die Strassen zu gehen. Bis der Druck der Strasse so hoch war, dass er dazu beitrug, dass die Mauer fiel. Vieles in unserer Welt wäre heute nicht so, hätten sich nicht Menschen zusammengeschlossen, weil ihnen etwas nicht passte, weil ihnen etwas fehlte oder weil sie eine Vision davon hatten, wie die Welt so viel besser und gerechter sein könnte.



Ja, es ist nicht leicht, die Hoffnung zu bewahren. Gerade Menschen aus meiner Generation, meinen Freund*innen und Bekannten sage ich, wenn sie mich fragen: Glaubt mir, auch ich kenne die Hoffnungslosigkeit angesichts der Schlagzeilen am Morgen früh. Aber ich sage auch: Ich kämpfe noch. Weil ich weiss, dass es etwas bringt. Weil sich das Kribbeln im Bauch und meinen Händen, das ich am 21. Mai 2021 das erste Mal gefühlt habe, sich in diesen Jahren ausgebreitet hat zu einem Feuer, das in mir brennt. Ein Feuer aus Wut, Verzweiflung, Trauer, vor allem aber auch ein Feuer des Willens, etwas zu verändern in dieser Zeit. Denn dafür ist es nicht, ist es nie zu spät. Und diese Flammen lodern noch. An Tagen, an denen ich nahe an der Resignation bin, sind die Flammen klein, doch dann spreche ich wieder mit meinen Mitaktivist*innen oder sehe 6'000 oder mehr Paar Schuhe an einer nächsten Demonstration, und die Flammen werden wieder gross. Ich weiss dann wieder, dass ich nicht die Einzige bin, die dieses Kribbeln oder dieses Feuer spürt, und dass es die 6'000 Paar Schuhe und Bewegungen wie den Klimastreik dringend braucht. Und dann hilft mir stets auch das Wissen darum, dass die Geschichte in der Schweiz und weltweit voll ist von Beispielen – ich konnte nur zwei davon nennen –, die zeigen, dass es eben der Druck der Strasse ist – der Druck der Träger*innen all der Schuhe, die nicht lockerlassen –, dieser Druck den sozialen Fortschritt möglich macht und echte Veränderungen anstösst. Und so rufe ich Euch heute voller Überzeugung zu: Halten wir diesen Druck aufrecht, geht auf die Strasse, engagiert euch in Bewegungen, wie dem Klimastreik, zeigen wir, dass wir auch ambitionierte Ziele erreichen, wenn wir es wirklich wollen. Denn was wir brauchen, ist letztlich nicht weniger als das, was die Philosophin Eva von Redecker in einem ihrer Bücher eine «Revolution für das Leben» genannt hat. Das ist so wenig – und doch so viel. Dafür kämpfe ich in meinem Aktivismus, und das erreichen wir, wenn wir mit all unseren Schuhen zusammenstehen und laut bleiben.

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