Winterrede Madeleine Marti: «Es ist wichtig, dass es Orte gibt, wo sich Lesben jeden Alters begegnen können»
Das Debattierhaus Karl der Grosse lädt auch dieses Jahr wieder zu den «Winterreden» ein. Verstummt der Glockenschlag des Grossmünsters um 18 Uhr, beginnt vom 15. bis 26. Januar 2024 eine Winterrede. Du hast die Winterrede verpasst? Bei uns kannst du sie nachlesen!
Hier geht's zum weiteren Programm.
Rede: Madeleine Marti
«Weil alte Lesben kaum wahrgenommen werden, ist es für mich wichtig, dass es auch Orte gibt, wo Lesben jeden Alters sich begegnen können.»
Guten Abend ihr Lieben
Es ist mir eine grosse Freude, dass ich als alte Lesbe eine der Winterreden halten kann, und ich danke euch für euer Kommen. Es ist mir ein grosses Glück, dass wir uns zu diesem Thema finden und austauschen können.
Als junge Lesbe hätte ich ungläubig gestaunt, wäre mir ein solch öffentliches Auftreten im Alter prophezeit worden.
Warum gerade eine Rede über alte Lesben?
Ich habe mich für diese Winterrede beworben, weil ich in dieser Öffentlichkeit alte Lesben zum Thema machen wollte. Nicht über «ältere» Lesben, was immer relativ ist – beispielsweise sind 40-Jährige älter als 20-Jährige – sondern mit «alte Lesben» meine ich all jene, die sich im letzten Drittel des Lebens befinden, also über 65 Jahre alt sind.
Ich bin heute hier, weil ich ein Leben lang für die Wahrnehmung und die gesellschaftliche Anerkennung von Lesben gekämpft habe, und ich diese Gelegenheit nutzen will, dass wir heute auch als alte Lesben wahrgenommen werden. Ich gebe zu, dass ich dabei nur über die alten Lesben bis Anfang achtzig sprechen kann, weil ich darüber hinaus keine Erfahrungen habe und weil ich auch keine Informationen zu Lesben über achtzig gefunden habe.
Und ich mache das, indem ich darüber erzähle
- welche Entwicklungen in der Gesellschaft meine bisherige Lebenszeit bestimmt haben
- wie sich die Lesbengeschichte während dieser Zeit erweitert hat.
Und ich mache das, indem ich darüber sinniere
- wie es sich mit dem «L» innerhalb des LGBTIQ*-Universums einerseits und des Feminismus andererseits verhält: Was bedeutet Intersektionalität auf lesbisch.
Welche Errungenschaften in der Gesellschaft habe ich erlebt?
Viele Frauen meiner Generation, die andere Frauen geliebt haben, haben sich nie als Lesben bezeichnet oder haben sich abgegrenzt von den Feministinnen, die politisch gekämpft haben. Andere haben sich der Zwangsheterosexualität gebeugt, manchmal wussten sie es einfach nicht anders. So hat mir eine Lesbe mit Jahrgang 1942 folgende Erinnerung gemailt, als sie die Ankündigung meiner heutigen Rede gelesen hatte:
«Als ich zirka 12 Jahre alt war, erhielten wir in der Schule eine Aufklärungsbroschüre «du sollst es wissen». Darin hiess es «als Teenager verliebst du dich vielleicht in ein Mädchen. Keine Sorge, das geht vorbei.» Also konnte ich mich sorglos ein paar Mal verlieben. Im Herbst 1961 besuchte ich die Haushaltschule und verliebte mich in Yvonne. Was ich nie vergessen werde, war meine Aussage, «ich liebe dich so sehr, ganz klar, wenn du ein Mann wärest, würde ich die Verlobung mit Valentino abbrechen.»»
Diese junge Frau hatte also mit der «Aufklärungsbroschüre» gelernt, ihre Gefühle nicht ernst zu nehmen, und sie heiratete einen Mann, von dem sie sich 12 Jahre später wieder scheiden liess, als sie sich erneut in eine Frau verliebte.
Damals gab es viele Lesben wie sie, welche geheiratet haben und Kinder kriegten, obwohl sie schon vor der Ehe lesbisches Begehren gespürt haben – und an so vielen Orten in der Welt ist die Zwangsheterosexualität noch heute alles beherrschend.
Ich selbst gehöre zu den lesbischen Frauen, die das Glück hatten, zur Zeit der neu entstehenden Frauenbewegung und in einem eher städtischen Umfeld erwachsen zu werden. Ich konnte mich an Frauen orientieren, die sich wie ich als feministisch und lesbisch verstanden. Davon kann ich berichten. Wir Feministinnen haben in den letzten vierzig Jahren viel gesellschaftliche Veränderung in der Schweiz mitbewirkt.
Besonders wichtig für lesbische Frauen ist eine berufliche Ausbildung, die finanzielle Selbständigkeit erlaubt. Und hier ist wirklich erfreulich, dass der Bildungsstand der Frauen in den letzten vierzig Jahren entscheidend gestiegen ist. Waren es vor vierzig Jahren – also als ich jung war – nur 10% aller Frauen, die einen Hochschulabschluss machen konnten, so sind es heute 40%, die eine Universität oder Fachhochschule abschliessen. Vor vierzig Jahren hat fast jede 3. Frau (nämlich 29%) ihre Ausbildung ohne Berufsausbildung beendet, heute sind das nur noch 9%, die keine Berufslehre abschliessen können.
Für lesbische Frauen sind seit meiner Jugend wichtige neue Rechte dazu gekommen:
1. Lesben haben das Recht, einander zu heiraten und damit eine staatlich legitimierte Verbindung zueinander einzugehen. So kann eine Frau beispielsweise das Erbe an die Partnerin weitergeben, statt irgendwelchen Familienangehörigen.
2. Lesbische Paare dürfen – teure – Samenbanken in der Schweiz nutzen.
Von gleichberechtigt sind wir allerdings in verschiedenen Punkten noch entfernt:
1. Punkto Elternschaft: Kinder, welche in lesbischen Ehen durch private Spermienspenden gezeugt werden, müssen immer noch von der zweiten Mutter aufwändig adoptiert werden.
2. Punkto Arbeitsleben: Die Unterschiede im Lohn zwischen Frauen und Männern sind zwar verringert worden, allerdings sind sie immer noch gross und unerklärbar. Und mit höherem Alter und höherer beruflicher Stellung werden die Unterschiede zwischen Männern und Frauen noch grösser.
3. Punkto Rente: Alte Frauen haben ein viel geringeres Einkommen durch die Renten als alte Männer. Heute beträgt in Zürich das mittlere Einkommen für Frauen über 65 Jahre nur 60% von jenem der Männer. Und einkommensschwache Menschen haben längst nicht immer Vermögen zur Verfügung, mit dem sie ihren Lebensstandard verbessern könnten. Entsprechen bleibt für alte Frauen nach Bezahlung von Miete, Krankenkasse, Arztkosten und Steuern nur wenig Geld. Wie genau alte Frauen und insbesondere alte Lesben mit sehr wenig Geld in der Schweiz leben, darüber gibt es jedoch keine mir bekannten Untersuchungen und wir wissen auch nicht, wie viele es betrifft.
Wie hat sich die Gesellschaft verändert?
Insgesamt hat sich unsere Gesellschaft während meiner Lebenszeit stark verändert, ist bunter und vielfältiger geworden. Wussten wie die zitierte Frau vor fünfzig Jahre sehr viele Menschen nicht einmal, dass es nebst «Frauen» und «Männern» auch «homosexuelle Frauen» und «homosexuelle Männer» gibt, so ist heute die Buchstabenkombination «LGBTIQ*», ein Sammel-Begriff für «Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans, Inter und Queer», schon ziemlich zum Grundwissen geworden. Ebenso wird der Begriff «Queer» als knackiger Oberbegriff für alle sexuellen Orientierungen und Geschlechtsidentitäten eingesetzt.
Die Zwangsheterosexualität ist damit gründlich ent-normalisiert, wenigstens, was den liberalen Teil der Gesellschaft betrifft. Nicht weniger spektakulär als die Vielfalt aufgrund der sexuellen Orientierung ist jedoch die Vielfalt von Menschen mit und ohne Migrationshintergrund und mit unterschiedlichen Hautfarben – auch das sah in meiner Jugend noch ganz anders aus, nämlich fast ausschliesslich weiss.
Insgesamt fühle ich mich in dieser heutigen vielfältigeren Gesellschaft viel wohler und teilhaftiger, als dies vor vierzig Jahren der Fall war.
Welche lesbischen Spuren gibt es in der Geschichte?
Als ich Ende der 1970er-Jahre in Baden erwachsen wurde, hatte ich, wie bereits gesagt, grosses Glück: Es gab die Frauenbewegung und es gab – inspiriert aus den USA und Deutschland – erste Lesbengruppen in Zürich, so den «Frauenbuchladen» an der Stocker-Strasse, die Disco «Rapunzel» im STuZ an der Leonhardstrasse und die Zürcher Zeitschrift «Lesbenfront».
Wir jungen frauenbewegten Lesben glaubten, dass wir in der Schweiz die ersten waren, die mit offener lesbischer Identität leben wollten. Wir wussten nichts davon, dass sich lesbische Frauen bereits Ende der 1960er-Jahre im Zürcher Conti-Club der schwulen Männer getroffen und gefeiert haben.
Als dann Mitte der achtziger Jahre die Soziologin und Lesbenforscherin Ilse Kokula in Berlin erste Spuren zu lesbischen Frauen in der Schweiz fand, waren wir verblüfft und begeistert: Bereits 1931 hatten einige mutige Frauen in Zürich den «Damenclub Amicitia» gegründet und zusammen mit den Männern die Zeitschrift «Freundschaftsbanner» herausgebracht. In der HAZ (Homosexuelle Arbeitsgruppe Zürich) war die Zeitschrift archiviert worden und das Protokollbuch der gemeinsamen Vereinigung war von einem schwulen Mann aufbewahrt worden. Um die Aufarbeitung dieser lesbischen Geschichte zu ermöglichen, gründeten wir 1987 den Sappho-Verein.
Die lesbische Geschichte wird allmählich noch etwas grösser: Vor fast einem Jahrzehnt hat die Schweizer Historikerin Corinne Rufli ihr Buch mit Porträts «frauenliebender Frauen über siebzig» veröffentlicht. Damit hat sie erstmals lesbische Frauen ihre Geschichte erzählen lassen, die nach 1930 geboren und in den 1950er/1960er-Jahren erwachsen wurden. Sie hat diese Frauen an den gut besuchten Gesprächsabenden mitbeteiligt. Im Gefolge dieser Veranstaltungen erschienen in den Medien erstmals einige Artikel auch zu diesen Frauen, alten Lesben also, die sich allerdings teilweise lieber als «frauenliebend» bezeichnen.
Es gibt jedoch noch viel Luft nach oben, im Wissen um die Geschichte lesbischer Existenz. In unserem «L-wiki.ch», dem Lesben-Wiki zur Schweiz, versuchen wir, möglichst viele lesbische Aktivistinnen und Lesben-Organisationen zu dokumentieren und bekannt zu machen. Und nun ist sogar in der NZZ am Sonntag ein grosser Artikel zum 80. Geburtstag von Luise F. Pusch erschienen, die im deutschsprachigen Raum die feministische Sprachwissenschaft mitbegründet hat und mit dem Kalender «Berühmte Frauen», der Datenbank fembio.org und zahlreichen Porträtbüchern auch viele Biografien von Lesben publiziert hat. Im September wird sie im Comedyhaus dieses Werk vorstellen.
Welche Erfahrung der doppelten Diskriminierung haben Lesben gemacht?
Für feministische Lesben, die sich seit den 1970er-Jahren für eine gerechtere Gesellschaft eingesetzt haben, war die Überkreuzung der Diskriminierung als Frau und als Homosexuelle eine grundlegende Erfahrung.
Als Frau wurden wir normalweise automatisch auf eine Geschlechtsrolle reduziert, die Ehefrau und Mutter sein sollte, nicht aber berufstätig, finanziell unabhängig und sexuell selbstbestimmt. Im beruflichen Bereich erhielten wir bei attraktiven Stellen viel weniger Chancen als Männer, auch als schwule Männer, und gleicher Lohn für gleiche Arbeit war damals noch weit entfernt. Im Schnitt erhielten die Männer die Hälfte mehr Lohn als die Frauen.
Wir kämpften zusammen mit den heterosexuellen Feministinnen gegen solche Diskriminierungen, und darüber hinaus waren wir mit ihnen solidarisch im Kampf für das Recht auf Abtreibung und die Mutterschaftsversicherung und ein partnerschaftliches Eherecht.
Zusammen mit den schwulen Männern kämpften wir andererseits für die Abschaffung des Homo-Registers bei der Polizei.
Und auf beiden Seiten versuchten wir sichtbar zu werden mit Parolen wie: «Frauenliebe ist unsere Stärke» – «Zum Glück sind mir nöd schtinknormal» – «Gegen den Zwang zur Heterosexualität».
Wir waren im Zentrum der beiden Diskriminierungslinien Patriarchat und heterosexuelle Normalität – und machten damit die typischen Erfahrungen mit dem, was heute unter «Intersektionalität» besprochen wird, der Überschneidung verschiedener Diskriminierungslinien. Wir sahen uns immer wieder zwischen Stuhl und Bank.
Dazu ein persönliches Beispiel von mir: Als ich nach dem Studium den Berufseinstieg suchte, wurde ich selbstverständlich als junge Frau gesehen, die potentiell Mutter werden und weniger voll erwerbstätig sein würde oder ganz aus dem Beruf aussteigen würde. Mein Kollege dagegen wurde als zukünftiger Vater gesehen, der für seine Familie sorgen muss – und so wurde er gewählt und nicht ich.
Mein Lesbischsein war tabu – und ich hätte es auch nicht als positiven Faktor für das Verweilen im Beruf einbringen können.
Meist entschieden sich die Arbeitgeber für die jungen Männer, nicht für die Frauen. Von diesem Geschlechterrollen-Bild profitierten auch schwule Männer: Deklarierten sie ihre sexuelle Ausrichtung nicht, hatten sie keine Nachteile zu befürchten – anders als wir Lesben, die unser Frausein nicht verstecken konnten.
Heute entscheiden sich auch Lesben-Paare dafür, Kinder zu gebären und aufzuziehen. Und auch einige Männer entscheiden sich dafür, die Erwerbsarbeit zugunsten der Kinderbetreuung zu reduzieren.
Wenn heute von der «Intersektionalität» der Diskriminierung gesprochen wird, also von der Schnittstelle mehrerer Diskriminierungserfahrungen wie jene aufgrund des Geschlechts, der sexuellen Orientierung, der familiären Herkunft, der Klassenzugehörigkeit, der Migrationserfahrung, der Hautfarbe – dann bringen wir eine Sensibilität mit, von der wir jahrelange Erfahrungen habe. Erfahrungen, die wir auch gerne weitergeben.
Wie geht es mir heute als eher mit LGBTIQ* denn als lesbisch gelabelt?
Es ist wunderbar, dass mit Queer und LGBTIQ* nun auch Menschen ihre geschlechtlichen Identitäten, die bisher überhaupt keine öffentliche Repräsentation hatten, ihre Existenz leben können und ihre Wahrnehmung einfordern. Wird das Ganze mit «queer-feministisch» dann auch noch frauenfreundlich gehandelt, ist das grossartig vielversprechend – aber einiges, was ich da sehe, lässt mir Zweifel am feministischen Bewusstsein aufgekommen. Nebst vielen tollen Aktivitäten gibt es für mich auch befremdende Phänomene. So etwa folgende zwei Punkte:
Punkt 1: Das L für lesbisch geht unter.
Auch wenn im Begriff «LGBTIQ*» das «L» für lesbisch am Anfang steht: Wer darunter in den Medien repräsentiert wird, sind nicht die Lesben, und in den Veranstaltungen kommen die Lesben in den Programmen nicht selten gar nicht vor, werden auch von grossen bekannten queeren Vereinigungen oft einfach vergessen.
So finde ich z.B. im Leitfaden «Was gilt – LGBTI meine Rechte» der Städte Bern und Zürich den Begriff «Lesben» schon gar nicht mehr wieder: «Lesben» und «Frauen» werden begrifflich ganz vermieden. Und auch «lesbisch» wird unter Vermeidung von «Frau» definiert, nämlich so:
- «Fühlt sich eine Person vom gleichen Geschlecht angezogen, wird sie als lesbisch, schwul oder bisexuell bezeichnet.»
- und: «In dieser Broschüre verwenden wir für Menschen, die sich in Menschen des eigenen (amtlichen) Geschlechts verlieben, die Begriffe «lesbisch» und «schwul».»
Ich bin jedoch nicht nur «eine Person» und «ein Mensch», sondern besonders auch «eine Frau». Ich bin nicht «vom gleichen Geschlecht angezogen» oder verliebe mich in «Menschen des eigenen (amtlichen) Geschlechts», sondern ich verliebe mich als «Lesbe», als «Frau» in eine Frau. Die Verwendung von Sprache ist auch politisch.
Ich bin überzeugt: Wir brauchen auch heute noch eine Kategorie, oder moderner ausgedrückt ein Label, genau auch für Frauen, die Frauen lieben und begehren. «Lesben» oder «lesbische Frauen» sind notwendige Begriffe, wir müssen sie nutzen können, um auf spezifische Diskriminierungen aufmerksam zu machen, um unsere Rechte einzufordern, um unsere spezifische Geschichte zu erforschen – und damit eine Basis zu haben für die Identität, die wir heute haben.
Punkt 2: Die Bedürfnisse von uns Frauen werden manchmal neu missachtet.
Als alte Frau schätze ich ein sauberes WC mit Vorraum für Frauen. Diesen geschützten Raum im Restaurant, im Kino oder wo auch immer, möchte ich uns nicht nehmen lassen. Damit will ich nicht in Frage stellen, dass es nötig ist, «All-Gender-Toiletten» anzubieten. Aber es würde doch genügen, die Männer-Toiletten und Pissoirs zu «All-Gender-Toiletten» umzufunktionieren – Männer wären da selbstverständlich mitgemeint.
An welchen Orten treffen sich nun Lesben?
Heute gibt es in Zürich keine Frauenzentren mehr, weil die öffentlichen Gelder dafür gestrichen wurden. Es gibt jedoch kleinere, privat finanzierte Räume wie den «Frau*m» an der Mattengasse und den «rote Raum» an der Bremgartnerstrasse, das Regenbogenhaus für Queers. Noch bin ich gesund und beweglich und freue mich über all die Orte, wo ich andere Lesben, Feministinnen und Queers treffen kann. Auf unserer Website «lesbengeschichte.ch» werden wir dazu eine Liste von solchen Orten veröffentlichen.
Und wenn ich die meisten dieser Orte einmal nicht mehr besuchen kann – dann wünsche ich mir, dass ich doch lesbisch identifiziert bleiben kann: Wenn ich dereinst in ein Altersheim komme, so möchte ich von den Pflegenden nicht nach Mann und Kindern gefragt werden, sondern als alte Lesbe respektiert werden. Und liebevoll gepflegt.
Zum Schluss noch Christa Reinig
Abschliessen möchte ich, als Literaturwissenschaftlerin, nun mit meiner Lieblingsautorin Christa Reinig, die erst mit fünfzig Jahren ihr Lesbischsein hat offen zeigen können, das war im Jahr 1986. Als alte Frau von 60 Jahren hat sie den wunderbaren Gedichtband «Müssiggang ist aller Liebe Anfang» veröffentlicht, in dem sie ein Jahr lang jeden Tag ein Gedicht für ihre Freundin geschrieben hat.
Zum Beispiel diese drei Gedichte vom 19. bis 21. April:
- dass wir gegen alle und alles uns lieben, macht uns stärker als alle und alles
- schön fühlt sichs an im baumwollhemd, schöner im seidenhemd, am schönsten haut an haut
- gestern hast du bäume ausgerissen. heute bewache ich deinen atem, blatt um blatt richtet sich auf
In diesem Sinne: Lasst uns drinnen an der Wärme was zu uns nehmen und uns miteinander feiern! Ich freue mich darauf – und danke euch fürs Zuhören!
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