Zürich setzt Einkommensgrenze für günstigen Wohnraum durch

Der Zürcher Gemeinderat hat am Mittwoch beschlossen, bei preisgünstigen Wohnungen die Lohngrenze einzuführen. Kontrolliert werden soll diese aber nur beim Einzug der Mieter:innen.

Es wird gebaut am Lochergut
Der Vorschlag der Links-Grünen und der Mitte/EVP stiess auf wenig Gegenliebe bei den konservativen Parteien und der GLP. (Bild: Tsüri.ch)

«Den Grundsatz haben bereits unsere Grosseltern gepredigt, und er ist nach wie vor richtig und umso wichtiger als zuvor», sagte Beat Oberholzer von der GLP. Damit meint er nicht das Kochen mit viel Butter, sondern das Reparieren statt Wegwerfen.

Das verlangt ein Postulat, in dem die linke Ratsmehrheit einen Schritt Richtung Netto-Null sieht, die Bürgerlichen hingegen als überbürokratisch, kostspielig und ineffizient bezeichneten.

Um was gehts?

Die Stadt Zürich soll ein dreijähriges Pilotprojekt planen, das Reparaturen fördert und ein Zeichen für die Kreislaufwirtschaft setzt (wir haben darüber berichtet).

Wer in Zürich wohnt, soll künftig bis zu 100 Franken pro Jahr für ausgeführte Reparaturen erhalten – inklusive Abholservice oder Reparatur direkt zu Hause. Eine neue Onlineplattform soll das Angebot bündeln und leicht zugänglich machen.

Acht Millionen Franken soll die Stadt dafür bereitstellen. Das Ziel: Reparaturen von Schuhen, Textilien und Elektrogeräten attraktiver zu machen – auch als Antwort auf die abgeschafften Entsorgungscoupons. Laut Simone Brander (SP) könnten mit 40'000 geförderten Reparaturen rund 960 Tonnen CO2 eingespart werden.

Beat Oberholzer (GLP) versuchte, Bedenken im Rat aus dem Weg zu räumen. Das Projekt sei kein riskantes Unterfangen, sondern ein moderater Versuch mit grossem Potenzial.

«Es lohnt sich nicht, einen Schuh mit einem Anschaffungspreis von 30 Franken für 100 Franken reparieren zu lassen.»

Sebastian Vogel (FDP)

Anders sah das Sebastian Vogel (FDP). Für ihn war die Weisung «nicht mehr zu retten». Es fehle an Klarheit, etwa darüber, ob auch ausserkantonale Reparaturen erlaubt seien oder wie der Zugang geregelt sei. Dass Steuergelder künftig jeden Schuh retten sollen, leuchtete ihm nicht ein: «Es lohnt sich nicht, einen Schuh mit einem Anschaffungspreis von 30 Franken für 100 Franken reparieren zu lassen.»

Auch Johann Widmer (SVP) sprach sich entschieden gegen das Projekt aus. «Wenn Reparieren ein tragfähiges Geschäftsmodell wäre, hätte das Gewerbe längst reagiert.» Er bezweifelte, dass gerade die Zürcher Linke geflickte Kleider tragen wolle. Der Pilotversuch sei «zum Scheitern verurteilt».

Werbung Kreislaufwirtschaft
Bereits im vergangenen Oktober rief die Kampagne des Umwelt- und Gesundheitsschutzes Zürich zum Thema Kreislaufwirtschaft auf. (Bild: Nina Graf)

Christian Häberli (AL) hielt dagegen – mit seinem Schuh in der Hand. Im Ratssaal zog er sein altes Paar aus, das er seit 20 Jahren trage und bereits fünfmal habe reparieren lassen.

Trotz aller Einwände setzte sich die Mehrheit durch. Der Rückweisungsantrag wurde mit 73 zu 45 Stimmen abgelehnt, ebenso wie die Abschreibung eines damit verknüpften Postulats. Die Ausgaben wurden mit derselben Stimmenzahl bewilligt. Auch die Möglichkeit, das Projekt nach drei Jahren um bis zu fünf weitere Jahre zu verlängern, wurde gutgeheissen.

Selbst die FDP, die das Projekt scharf kritisierte, verabschiedete sich mit einem Schuss Hoffnung: Man drücke dem Entsorgungsdepartement die Daumen – vielleicht werde der Reparaturgutschein ja doch eine Erfolgsgeschichte.

Kaum war das Geschäft abgeschlossen, wurde es unruhig im Saal. Die Sandwiches waren ausgegangen (man munkelt, es seien Sprüngli-Sandwiches)!

Ratspräsident Christian Huser (FDP) bat, die nachgelieferten Brötchen jenen zu überlassen, die noch keines hatten. Gut zwei Dutzend Ratsmitglieder verliessen den Saal. Der Rest diskutierte im halbleeren Saal weiter. Und zwar über die Finanzierung der Rad-WM.

Stadt soll Defizit der Rad-WM übernehmen

Die Stadt Zürich soll das Defizit der letztjährigen Rad- und Para-Cycling-Weltmeisterschaften übernehmen. Laut einem Bericht der Beratungsfirma Deloitte und der offiziellen Weisung des Stadtrats beläuft sich das Minus auf rund 2,86 Millionen Franken.

Die grosse Frage lautet: Wer ist schuld, wer trägt die Verantwortung?

Zu wenige Sponsor:innen, die Nachwirkungen von Covid, ein überfordertes Organisationskomitee, schlechtes Wetter – die Liste der Gründe war lang.

Schon 2019 hatte Zürich der Austragung der Rad-WM 7,85 Millionen Franken zugesichert. Dass die Stadt nun zusätzlich auf die Rückzahlung eines Darlehens verzichten, das Defizit decken und Einnahmeausfälle hinnehmen soll, ging den bürgerlichen Ratsmitgliedern zu weit.

Martin Bürki (FDP) sprach von einem «Desaster». Die Bereitschaft, Verluste zu übernehmen, sende das falsche Signal: Veranstalter:innen könnten also künftig darauf hoffen, dass die Stadt bei Defiziten einspringt. Für Bürki ist das ein klassischer Fall von «moral hazard», ein moralisches Risiko.

«So, wie’s gloffe isch, gaht das nöd.»

Stadtrat Raphael Golta (SP)

Sven Sobernheim von der GLP bezeichnete das Vorhaben zwar auch als «keine gute Lösung», doch es sei «die bestmögliche».

Stadtrat Raphael Golta (SP) räumte Fehler ein: «So, wie’s gloffe isch, gaht das nöd.» Trotzdem plädierte er für den Kredit. Die Stadt müsse Verantwortung übernehmen, um zu verhindern, dass das Gewerbe auf der Rechnung sitzen bleibe.

Am Ende lehnte der Rat den Rückweisungsantrag der SVP mit 103 zu 14 Stimmen klar ab. Damit übernimmt die Stadt Zürich das Defizit der Rad- und Para-Cycling-Weltmeisterschaften 2024.

Einkommensgrenze bei günstigem Wohnraum

Und dann wurde sogar über Elon Musk und Roger Federer gesprochen. Diese hätten nämlich Freude an der neuen Regelung des Paragrafen 49b des kantonalen Planungs- und Baugesetzes (PBG), sagten die Bürgerlichen. Daniel Leupi von den Grünen war sich indes sicher: Elon Musk und Roger Federer wollen Fläche haben, keine kleine Wohnung.

Aber von Anfang an.

Es ging gestern Abend um den viel diskutierten Paragrafen  49b im kantonalen Planungs- und Baugesetzes (PBG) und die Frage: Wer soll künftig in preisgünstigen Wohnungen leben dürfen?

Der Paragraf verlangt, dass bei Um- oder Aufzonungen von Bauzonen ein bestimmter Anteil der neu geschaffenen Wohnfläche für preisgünstigen Wohnraum reserviert werden muss.

Doch die Detailfragen sorgen regelmässig für politische Auseinandersetzungen. Noch im Januar letzten Jahres hatte die links-grüne Ratsmehrheit die Einkommenslimite aufgehoben, was bedeutete: Auch Menschen mit sehr hohem Einkommen könnten in solchen Wohnungen leben – sofern sie das wollten. Das passte vielen nicht (wir berichteten).

«Dafür ist 49b ein extrem wichtiges, wenn auch nicht das einzige Instrument.»

Anjushka Früh (SP)

Am Mittwoch gab es nun eine Kehrtwende. Doch bis dahin war es ein langer Weg mit einer Reihe von Änderungsanträgen. Ich erspar dir die langweiligen Details und komme direkt zum Filet.

Emanuel Tschannen (FDP) etwa sagte, mit der fehlenden Einkommensgrenze könne selbst ein Elon Musk in einer günstigen Wohnung in Zürich wohnen. «Stimmt nicht», rief es von der linken Seite, «der hat zu viele Kinder». Patrik Maillard (AL) entgegnete darauf, auch Roger Federer oder ein Bundesrat würden wohl lieber mehr Zimmer haben, als die Stadt üblicherweise vorsieht. Und Daniel Leupi (Grüne) bemerkte, dass Musk und Federer wohl lieber Fläche wollten, statt eine kleine Wohnung.

Anjushka Früh (SP) verteidigte den Paragrafen als eines der wichtigsten Instrumente im Kampf gegen die Wohnkrise – «wenn auch nicht das einzige».

Martin Busekros (Grüne) wiederum warnte davor, mit der Wiedereinführung der Einkommensgrenze zu viel Bürokratie zu produzieren.

Am Ende einigten sich die Ratsmitglieder schliesslich darauf, wieder eine Einkommenslimite einzuführen.

Ratspräsident Christian Huser (FPD) bedankte sich am Schluss für die Geduld im Saal und dafür, dass die Debatte «wirklich schön anständig gegangen ist». Naja.

Weitere Themen aus dem Gemeinderat

Fristverlängerung für klimagerechtes Wohnprojekt: SP, Grüne und GLP forderten 2022, dass die Stadt ein Grundstück im Baurecht an eine «klimagerechte Genossenschaft» vergibt. Diese soll ein Reallabor für nachhaltiges Wohnen schaffen, mit ökologischem Wohnbau, Klima-Zentrum und wissenschaftlicher Begleitung. Als möglicher Standort ist die Thurgauerstrasse im Gespräch. Laut Stadtrat Daniel Leupi laufen bereits Verhandlungen, doch es brauche mehr Zeit, um die Vorstellungen aller Beteiligten abzugleichen. Der Rat verlängerte die Frist, das Projekt bleibt auf Kurs. Ein Rückkommensantrag der AL scheiterte deutlich.

Gebühren für Velostationen: Für Diskussionen sorgte die neue Gebührenverordnung für die städtischen Velostationen. Streitpunkt war vor allem die Definition und Gebührenregelung für Schliessfächer und Ladestationen. Am Ende lehnte der Rat einen Änderungsantrag der Redaktionskommission ab und beschloss die Vorlage in der ursprünglichen Fassung. Neu ist: Für das Laden von E-Bike-Akkus und die Nutzung von Schliessfächern werden künftig Gebühren erhoben. Die Verordnung wurde sprachlich präzisiert und tritt rückwirkend auf den 1. Januar 2024 in Kraft.

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Bachelorstudium der Psychologie an der Universität Zürich und Masterstudium in Politischer Kommunikation an der Universität von Amsterdam. Einstieg in den Journalismus als Redaktionspraktikantin bei Tsüri.ch. Danach folgten Praktika bei der SRF Rundschau und dem Beobachter, anschliessend ein einjähriges Volontariat bei der Neuen Zürcher Zeitung. Nach einigen Monaten als freie Journalistin für den Beobachter und die «Zeitung» der Gessnerallee seit 2025 als Redaktorin zurück bei Tsüri.ch.

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