Wissenschaft und Journalismus: «Keine Pluspunkte, wenn Forschende mit Medien reden»

Wissenschaftliche Erkenntnisse müssen an die Öffentlichkeit. Darüber sind sich Forschende, Journalist:innen und die Bevölkerung einig. Nur gelingt das nicht immer. Warum? Kommunikationswissenschaftler Mike Steffen Schäfer über Einzelstudien, catchy Headlines und befristete Verträge in der Wissenschaft.

Schäfer
Bevor Mike Steffen Schäfer vor acht Jahren an die Universität Zürich kam, gab es hier keine Professur für Wissenschaftskommunikation. (Bild: John Flury)

Obwohl der Wunsch vorhanden ist, kommuniziert die Wissenschaft nicht wirklich offensiv mit der Bevölkerung. Weshalb? Warum werden Forschende teilweise bestraft, wenn sie ihr Wissen nach aussen tragen? Welche Rolle spielen die Medien? Und was müssen Leser:innen beachten, wenn Studien zitiert werden? Mike Steffen Schäfer, Professor für Kommunikationswissenschaft an der Universität Zürich stellt sich unseren Fragen.

Alice Britschgi: Herr Schäfer, fangen wir mit der Wissenschaft an: Welche Verantwortung tragen Wissenschaftler:innen, wenn sie mit der Öffentlichkeit kommunizieren? 

Mike Steffen Schäfer: Meine persönliche Meinung ist, dass wir Wissenschaftler:innen die Verpflichtung haben, unsere Erkenntnisse mit der Öffentlichkeit zu teilen. Nicht nur, aber auch, weil die Wissenschaft überwiegend steuerfinanziert ist. Die meisten Schweizer Forschenden teilen meine Meinung – das zeigen Studien. Es gibt da allerdings eine grosse Diskrepanz: Der Anteil an Wissenschaftler:innen, die tatsächlich nach aussen kommunizieren, ist deutlich kleiner als der Anteil an Forschenden, die das zwar wichtig finden würden, dann aber doch nicht tun.

Wie lässt sich diese Diskrepanz erklären?

An vielen Stellen fehlt die Unterstützung für Forschende, die öffentlich kommunizieren wollen. Wer in der Wissenschaft vorankommen will, steckt seine Zeit lieber in Forschung, als allzu oft mit den Medien zu reden. Denn die Kommunikation in die Gesellschaft wird innerhalb der Wissenschaft nicht ausreichend belohnt – manchmal sogar bestraft.

Bestraft?

Ja. Es gibt Leute, die die Kommunikation mit den Medien nicht gut finden. Kolleg:innen und Vorgesetzte beispielsweise. Dazu ist wichtig zu wissen, dass in der Wissenschaft, abgesehen von Professor:innen, fast alle befristeten Arbeitsverträge haben. Junge Wissenschaftler:innen müssen vorankommen. Für sie ist es rational, Dinge zu tun, die für die Karriere förderlich sind und das ist öffentliche Kommunikation nicht. Es gibt in vielen Fällen keine Pluspunkte, wenn jemand etwas für die Medien macht. Die Anreize sind nicht da. 

«Paradoxerweise scheint die Zahl der Wissenschaftsjournalist:innen auch während der Pandemie gesunken zu sein.»

Mike Steffen Schäfer, Professor für Kommunikationswissenschaft

Welche Unterstützung bräuchten Wissenschaftler:innen, um sich vermehrt öffentlich zu äussern?

Viele Wissenschaftler:innen forschen zu kontroversen Themen. Beispiele sind die Corona-Pandemie und die Klimaerwärmung. Kürzlich publizierte das weltweit grösste Wissenschaftsmagazin «Nature» eine Studie, in der Forschende, die sich öffentlich zur Corona-Pandemie geäussert haben, befragt wurden. Ein Grossteil von ihnen hat negative Beschimpfungen und Bedrohungen erhalten. Wissenschaftliche Einrichtungen und die Universitäten müssten ihre Forschenden da unterstützen, emotional aber auch rechtlich – dazu raten auch die Akademien der Wissenschaften Schweiz.

Was wünscht sich die Bevölkerung von der Wissenschaft?

Die Bevölkerungsbefragungen des «WissensCHaftsbarometer Schweiz» zeigen, dass auch die Bevölkerung will, dass die Wissenschaft sich öffentlich erklärt. Die Pandemie hat dieses Bedürfnis sogar noch verstärkt. Wenn Menschen das Gefühl haben, dass sie stark betroffen sind von einem wissenschaftlichen Thema – zum Beispiel wegen einer Krankheit –, dann steigt ihr Interesse an der Wissenschaft. Eine Befragung zu Covid-19 zeigt, dass zwei Drittel der Schweizer:innen möchten, dass sich die Wissenschaft auch politisch äussert. Das ist angekommen in der Wissenschaft. Wenn man die letzten Jahre anschaut, dann sieht man, dass sich heute mehr Wissenschaftler:innen zu Wort melden als früher. 

Kommen wir zu den Medien. Welche Verantwortung tragen sie in der Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse? Was sind die Aufgaben von uns Journalist:innen?

Das ist nicht so einfach zu beantworten, weil die Medien sehr divers sind. Wenn wir nur von Journalist:innen reden, ist die Aufgabe zumindest abstrakt klar: Sie sind Vermittler:innen und sollen grundsätzlich über wissenschaftliche Themen berichten, die gesellschaftlich relevant sind. Korrekt, sachgerecht, nicht übertrieben. Das ist aber nicht immer einfach in letzter Zeit.

Warum?

Weil die Schweizer Medien in einer Krise sind. Die Abonnent:innenzahlen und Einnahmen sinken. Werbegelder und Kund:innen bewegen sich zu Tech-Plattformen. Vor 20 Jahren war das anders. Es gibt also grundsätzlich weniger Ressourcen. Paradoxerweise scheint die Zahl der Wissenschaftsjournalist:innen auch während der Pandemie gesunken zu sein. Nur einzelne Medienhäuser bauen aus. Jetzt muss man den Trend beobachten. Grundsätzlich ist klar: Mit weniger Zeit und mehr Kanälen ist es schwierig, die Qualität zu halten. Der Kampf um Aufmerksamkeit ist härter geworden. Journalist:innen müssen dafür sorgen, dass die Leute klicken. Sie müssen dazu auch zuspitzen, catchy Headlines schreiben, emotionalisieren, vielleicht sogar polarisieren – das hilft nicht dabei, sachgerecht und nüchtern zu berichten.

Da sind wir an einem spannenden Punkt. Der Journalismus funktioniert schnell, die Wissenschaft eher langsam. Journalist:innen müssen sich kurz halten, Wissenschaftler:innen sollen ihre Methoden ausführlich darlegen. Stehen sich da unvereinbare Gegensätze gegenüber?

Nicht unbedingt. Grundsätzlich muss man sagen, dass es nach wie vor guten Wissenschaftsjournalismus in der Schweiz gibt. Beispiele sind die SRG und die NZZ. Aber der Trend zu catchy Headlines macht die Beziehung zwischen Wissenschaft und Journalismus natürlich schwierig. Wobei man sagen muss, dass sich diesen Trend auch Hochschulen zum Teil zu Nutze machen – das ist nicht immer gut.

«Diese Art der Berichterstattung bringt eigentlich nicht viel, weil einzelne Studien immer nur Momentaufnahmen sind.»

Mike Steffen Schäfer, Professor für Kommunikationswissenschaft

Wie meinen Sie das?

Die Hochschulen professionalisieren ihre strategische Kommunikation. Die Kommunikationsabteilungen sind in den letzten Jahren massiv gewachsen. Häufig sind es ehemalige Journalist:innen, die dort arbeiten. Wenn man man Studien mit den Pressemitteilungen der Universitäten vergleicht, sieht man, dass schon aufseiten der Forschungseinrichtungen zugespitzt wird – das ist nicht immer gut. Denn mit wenig Ressourcen ist es für die Medienhäuser praktisch, das Aufgearbeitete einfach zu übernehmen. Die Zuspitzung der wissenschaftlichen Fakten ist also ein Stück weit ein Problem der Unis. 

Weshalb spitzen die Kommunikationsabteilungen der Universitäten wissenschaftliche Erkenntnisse schon in Pressemitteilungen zu?

Aus denselben Gründen wie das die Journalist:innen tun: Weil sie die Studien aus dem eigenen Haus pushen und ihnen Aufmerksamkeit sichern wollen. Dabei gibt es in meinen Augen schon jetzt zu viel Berichterstattung über einzelne Studien nach dem Motto: «Eine neue Studie aus den USA hat herausgefunden…» Diese Art der Berichterstattung bringt eigentlich nicht viel, weil einzelne Studien immer nur Momentaufnahmen sind. Im schlimmsten Fall verunsichern solche Berichte sogar die Bevölkerung, weil Menschen dann denken: «Die Wissenschaft sagt ja ständig etwas anderes.»

Welche Berichterstattung über wissenschaftliche Themen wäre stattdessen sinnvoll?

Eigentlich müssten die Redaktionen sagen: Wir haben hier eine gesellschaftliche Frage. Was wissen wir denn insgesamt aus der Wissenschaft dazu? Und ihren Leser:innen dann den entsprechenden wissenschaftlichen Sachstand vorstellen. Diese Art von Expertise ist in den Medienhäusern jedoch oft nicht mehr vorhanden. Aber auch die wissenschaftliche Community müsste etwas dazu beitragen; viel mehr Sachstände zusammentragen – zum Klimawandel gibt es das beispielsweise schon – und diese der Öffentlichkeit kommunizieren.

Worauf sollte man als Leser:in achten, wenn auf einer Plattform – oder auch in einem Zeitungsartikel – eine wissenschaftliche Studie zitiert wird? 

Als Leser:in hat man zwei Optionen. Entweder, man macht sich selber schlau; überprüft die wissenschaftlichen Quellen, liest andere Berichte über dieselbe Studie. Das macht nur ein Promilleanteil der Bevölkerung, weil es sehr aufwendig ist. Die zweite Option ist, sich auf vertrauenswürdige Vermittler:innen zu verlassen. So muss man nur einmal überprüfen, ob ein Medium glaubwürdig ist oder nicht und vertraut dann gewissermassen der Auswahl der Journalist:innen beziehungsweise der Kurator:innen der Plattform.

Haben Sie weitere Tipps für Personen, die sich wissenschaftlich informieren möchten?

Meine Tipps sind: Nicht nur ein Medium lesen. Texten über einzelne Studien nicht so sehr glauben. Studien untereinander vergleichen. Selbst recherchieren – in glaubwürdigen Quellen. Und nicht zuletzt mit Leuten über das Gelesene sprechen.

Und was raten Sie Journalist:innen, die in der heutigen Situation wissenschaftliche Inhalte vermitteln möchten?

Das kann man entweder sehr lang oder sehr kurz beantworten. Die Kurzversion lautet: Es braucht mehr Ressourcen. Das Problem ist ja nicht, dass Journalist:innen heute schlecht sind, sondern dass die Bedingungen, unter denen sie arbeiten, echt schwierig sind. Auch gute Leute können unter schwierigen Bedingen keine Bestleistungen erbringen. Wenn sich strukturell nichts ändert, ändert sich auch der Output nicht.

Fokus Journalismus

Der Journalismus kriselt, wir reden darüber! Während des Monats April setzen wir uns intensiv mit dem Journalismus auseinander. Dabei beleuchten wir Themen wie die Gleichstellung im Journalismus, die Rolle von Diversität im Journalismus bei der Integration (und inwiefern es sie überhaupt gibt) und die Grenzen zwischen Klimajournalismus und Aktivismus. Im Rahmen des Fokusmonats finden eine Pitch-Night sowie drei thematische Podiumsveranstaltungen statt. 

Alle Infos findest du auf tsri.ch/journalismus

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