Macht, Medienkrise, TX Group: Ein Konzern diktiert die Spielregeln
Tamedia baut seit Jahren Stellen ab, während der Mutterkonzern TX Group gleichzeitig anhaltend hohe Dividenden ausschüttet. Diese Unternehmenspolitik des grössten Medienkonzerns hat Folgen: für die Journalist:innen aber auch die Schweizer Gesellschaft.
Das neue Jahr beginnt Tagesanzeiger-Chefredaktorin Raphaela Birrer mit beschwingten Worten: «Wir starten in neuer Aufstellung ins 2025.» Im Editorial am 7. Januar informiert Birrer darüber, dass von nun an die Redaktion der «Sonntags-Zeitung» in den «Tagi» integriert ist und auch die bisherigen Zürcher Lokalredaktionen Teil der neuen Über-Marke «Tages-Anzeiger» sind.
Diese neue Aufstellung, die den Leser:innen «vielfältige Perspektiven» und den Redaktionen «eine bereichernde Zusammenarbeit» ermöglichen soll, ist das Resultat der bis dato umfassendsten Stellenabbau- und Restrukturierungsmassnahme des grössten Schweizer Medienkonzerns.
Diese Sparmassnahmen seien unumgänglich, hiess es bei der Ankündigung im August, denn: «Der eingeschlagene Weg sichert die Zukunft unseres Qualitätsjournalismus». So lautete die Botschaft in den Tamedia-Titeln.
Und während der Journalismus sparen muss, schenkt der Mutterkonzern TX Group jedes Jahr seinen Aktionär:innen Dividenden aus: 66 Millionen gab es 2023.
Diese Unternehmenspolitik des grössten Schweizer Medienkonzerns hat Folgen: Einerseits für die direkt Betroffenen, andererseits für den Schweizer Journalismus insgesamt.
Betroffene trauen sich nicht zu sprechen
Tsüri.ch hat mehrere ehemalige Angestellte von Tamedia angefragt, sich zu den Sparrunden und ihrer persönlichen Situation zu äussern – und traf auf Zurückhaltung und Schweigen. Bis auf einige wenige Ausnahmen will kaum jemand öffentlich und mit Namen über das Thema sprechen.
Journalist:innen, Redaktionsangestellte und Teamchefs von Tamedia - sie alle möchten anonym bleiben. Einige meinten, sie würden zwar gerne offen sprechen, es überwiege aber die Angst. «Vermutlich ist es eine schlechte Idee, die Hand zu beissen, die mich lange gefüttert hat», sagte eine Person.
Andere haben einen klaren Schlussstrich gezogen, als hätten sie Tamedia vollständig aus ihrem Leben gestrichen. Einer von ihnen ist ein ehemaliges Mitglied des mittleren Kaders einer grossen Tamedia-Zeitung.
«Es ist ein Sterbefasten, denn die Mitarbeitenden werden systematisch ausgehungert.»
ehemaliger Tamedia-Angestellter
Der ehemalige Tamedia-Angestellte erzählt anonym, wie er seine Zeit im Schweizer Medienhaus erlebt hat. 2017 kündigte er seine Stelle: «Mir wurde klar, dass bei Tamedia kein zukunftsorientiertes Schaffen möglich ist.» Es fehle an Bereitschaft, neue Ideen zu entwickeln, stattdessen werde alles auf Kosteneffizienz getrimmt. «Ich habe die Arbeit bei Tamedia mal als Sterbebegleitung beschrieben», sagt er, «doch niemand wird begleitet – es ist vielmehr Sterbefasten, denn die Mitarbeitenden werden systematisch ausgehungert.»
Viele seiner ehemaligen Kolleg:innen würden ihren Beruf noch immer lieben, aber «von jenen, mit denen ich noch in Kontakt stehe, weiss ich, dass sie sich im Hintergrund bereits neu orientieren», berichtet er. Die Unsicherheit sei zu gross, dass man bei der nächsten Sparrunde selbst an der Reihe sei und dann auf einmal vor dem Nichts stehe.
«Die verheerende Botschaft, die Tamedia an die Leute aussendete, war: Keine Stelle ist sicher.»
Stephanie Vonarburg, Syndicom
Stephanie Vonarburg von der Gewerkschaft Syndicom hat die Konsultationsverfahren der Tamedia bei der jüngsten Sparrunde begleitet. Sie sagt: «Die verheerende Botschaft, die Tamedia an die Leute aussendete, war: Keine Stelle ist sicher. Und viele, gerade auch langjährige Medienschaffende suchten nach alternativen Optionen, weil sie kaum Zuversicht haben, in Würde bis zum Pensionierungsalter als Journalist:innen arbeiten zu können.»
Darum habe Tamedia schlussendlich einem zweijährigen Entlassungsstopp zugestimmt, was die Atmosphäre etwas verbessert habe. Die Personen konzentrierten sich auf ihre Arbeit und das Umsetzen der neuen Prozesse, je nach Region gebe es aber weiterhin viel Unzufriedenheit, so Vonarburg.
Sparprogramm betrifft auch jene, die bleiben
Die Sparrunde vom letzten Spätsommer war die zwölfte in den letzten zwanzig Jahren, wie die Republik schreibt. Zu Beginn kommunizierte Tamedia, es würden mit den Stellen bei den Druckereien fast 300 Stellen gestrichen. Die 90 abzubauenden redaktionellen Vollzeitstellen wurden schliesslich auf 55 reduziert, wovon nur 17 durch Entlassungen erfolgten. Freiwillige Abgänge, Frühpensionierungen und Pensenreduktionen begrenzten die Zahl der Kündigungen. «Die Abbaumassnahmen stellen einen riesigen Verlust an journalistischer Erfahrung und publizistischer Power dar», sagt Stephanie Vonarburg.
Letzten Sommer wechselte der langjährige Politikredakteur Markus Häfliger von der Tamedia-Bundehausredaktion in die Kommunikationsbranche. Nach seinem Abgang gab er im Branchenmagazin Schweizer Journalist:in ein Interview und fand klare Worte: «Wer behauptet, ein Abbau in dieser Grössenordnung habe keine negativen Folgen für die journalistische Qualität, hat entweder keine Ahnung von Journalismus – oder er tätigt seine Aussage wider besseres Wissen.»
«Wir sind uns der Schwere der notwendigen Massnahmen sehr bewusst, den eingeschlagenen Weg versuchen wir so sorgfältig wie möglich zu gehen.»
Christoph Burbes, Medienverantwortlicher Tamedia
Tamedia sagt: «Keine einfache Situation»
Man sei sich bewusst, dass es keine einfache Situation ist, heisst es von Seiten Tamedia. «Wir sind uns der Schwere der notwendigen Massnahmen sehr bewusst, den eingeschlagenen Weg versuchen wir so sorgfältig wie möglich zu gehen und nehmen unsere Verantwortung als Arbeitgeberin sehr ernst», schreibt Christoph Burbes, Medienverantwortlicher des Unternehmens. Mit den Sparmassnahmen reagiere man auf die Disruption, welche die Medienbranche durch die Digitalisierung, die veränderte Mediennutzung und die Veränderungen im Werbemarkt erlebe.
Doch muss Tamedia überhaupt sparen?
Journalismus muss sparen, während Aktionär:innen Millionen erhalten
Eines vorneweg: Die angesprochene Disruption ist Realität, und alle Medienhäuser stehen vor dieser Herausforderung. Tamedia jedoch nimmt eine Sonderstellung ein. Denn ihr Mutterkonzern, die TX Group, in dem das Redaktions- und das Inserategeschäft vereint ist, wie früher in jeder einzelnen Zeitung, ist kerngesund.
2023 hat die TX Group einen Gewinn von 144 Millionen erzielt. Ein guter Indikator für den Gesundheitszustand des Unternehmens sind aber insbesondere die Dividenden, welche die Aktionär:innen des Verlagshauses ausbezahlt bekommen und aus dem Unternehmen abfliessen.
In den letzten sechs Jahren liess Verwaltungsratspräsident Pietro Supino 277 Millionen Franken an Gewinnbeteiligungen an die Aktionär:innen ausschütten. Einzig im Corona-Jahr 2020 wurden keine Dividenden ausbezahlt – 2021 dafür dann 78 Millionen, was mehr als doppelt so viel ist, wie die Auszahlung in 2019.
Am meisten profitiert die Verlegerfamilie Coninx selbst, die 69,1 Prozent der Aktien hält.
Rosige Aussichten für die Aktionär:innen
«Die einzige Konstante im permanenten Schweizer Medienwandel ist und bleibt die Zahl 4.50», stand vor sieben Jahren in der WOZ. Auf diesen Betrag belaufe sich die Dividendenzahlung pro Aktie seit Jahren. Mittlerweile schenkt eine Aktie noch mehr ein. Disruption hin oder her. 2023 wurde zusätzlich zur ordentlichen Dividende eine Sonderdividende ausbezahlt – insgesamt gab es 6,20 Franken pro Aktie.
Letzten November verkündete das Unternehmen, man wolle die ordentliche Dividende (heute 2 Franken) für 2024, 2025 und 2026 «auf alle Fälle» verdoppeln. Zeichen einer stabilen Finanzlage. Sonderdividenden können bei gutem Geschäft immer noch zusätzlich ausbezahlt werden.
Wie hoch der Gewinn für die Aktionär:innen für das Jahr 2024 effektiv dann ausfallen wird, bleibt abzuwarten, die Zahl hat der Verwaltungsrat noch nicht kommuniziert.
Doch die Aussichten sind … rosig: Die letzten Halbjahreszahlen zeigten, dass der Konzern seinen Betriebsertrag verbessern, den Eigenfinanzierungsgrad steigern und die Gewinnmarge erhöhen konnte. Erst letzten Herbst erhielt die TX Group von der Tochtergesellschaft Swiss Marketplace Group SMG eine Sonderausschüttung in Höhe von 71 Millionen Franken.
«Wenn es das Ziel ist, die Portemonnaies der Familie Coninx Jahr für Jahr von neuem mit grossen Beträgen zu füllen, ergibt es Sinn, den Journalismus im Konzern zu marginalisieren.»
Dennis Bühler, Medienredaktor
Die ertragreichen Bereiche wurden ausgegliedert
Für Dennis Bühler, Medienredaktor der Republik und Co-Autor der zwölfteiligen Recherche «Tamedia Papers» ist klar: «Die TX Group floriert.» Die Frage, ob Tamedia sparen müsse, laute eigentlich: «Welches Ziel verfolgt das Unternehmen?», so Bühler. «Wenn es das Ziel ist, die Portemonnaies der weitverzweigten Familie Coninx Jahr für Jahr von neuem mit grossen Beträgen zu füllen, ergibt es Sinn, den Journalismus im Konzern zu marginalisieren, denn damit ist heutzutage kein grosser Gewinn zu erzielen.»
«Tamedia ist ein eigenständiges, privatwirtschaftliches Unternehmen und muss sich unabhängig von der Gruppe wirtschaftlich nachhaltig aufstellen.»
Karole Verlage Frei, Head of Communications der TX Group
Warum also wird gespart? Wegen der Entscheidung des Verlegers, dass sich Journalismus in der TX Group selbst finanzieren muss. Eine Querfinanzierung durch beispielsweise das brummende E-Commerce-Geschäft ist ausgeschlossen.
Und das Verlagshaus macht keine Anzeichen, von dieser Praxis abzuweichen. Auf Nachfrage schreibt Karole Verlage Frei, Head of Communications der TX Group: «Tamedia ist ein eigenständiges, privatwirtschaftliches Unternehmen und muss sich unabhängig von der Gruppe wirtschaftlich nachhaltig aufstellen.»
Dieser Widerspruch zwischen Millionen-Dividenden und Sparprogramm sorgt immer wieder für Unverständnis.
Rückblick auf die Abstimmung über das Medienförderungsgesetz 2021, das auch Onlinemedien Fördergelder zugesprochen hätte. Ein zentrales Argument der Gegner lautete «Kein Steuergeld für Medienmilliardäre» - die Stimmbevölkerung erteilte der Vorlage schlussendlich mit 54,6 Prozent Nein-Stimmen eine Abfuhr.
Eine Frage der Priorität
Rentabilität dürfe für ein Verlagshaus nicht die einzige Maxime sein, meint Dennis Bühler. Tamedia (wie die TX Group bis 2020 hiess) hat ihren Ursprung in der Gründung des Tages-Anzeigers 1893. Über die Jahrzehnte wurde der «Tagi» zur grössten Schweizer Tageszeitung, während das dahinterstehende Verlagshaus durch die Gründung neuer und den Aufkauf fremder Medientitel an die Spitze des Schweizer Verlagsmarktes aufstieg. Pietro Supino vertritt die fünfte Generation der Gründerfamilie an der Spitze des Unternehmens.
«Die TX Group muss sich ihrer verlegerischen Verantwortung bewusst werden, die sie in dieser Rolle für die Demokratie und eine informierte Bevölkerung trägt – eine Rolle, die sie sich selbst geschaffen hat», sagt Bühler.
*Tsüri.ch sprach sich für das Fördermodell aus.
Abhängigkeit verhindert Kritik, Uneinsichtigkeit blockiert Journalismus
Für Bühler gründet die fehlende Kritik an Tamedia vor allem in der Medienkonzentration der Schweiz: «Tamedia ist in allen Schweizer Grossstädten der Platzhirsch.» Wer im Journalismus bleiben oder sich die Chance für eine spätere Wiedereinstellung nicht verscherzen will, traue sich in der Regel nicht, das Unternehmen öffentlich zu kritisieren. «Man will bei Tamedia nicht in Ungnade fallen. Egal, wie verletzt man von ihr wurde», so Bühler.
Gleichzeitig fehle in der breiten Bevölkerung noch immer das Bewusstsein dafür, dass die Medien in einer systemischen Krise stecken, meint Bühler. «Dabei wäre es angesichts der vielfältigen Herausforderungen im Journalismus dringend notwendig, die Medienschaffenden und auch die Grossverlage würden klar konstatieren: So wie es aktuell läuft, sind wir auf Dauer nicht überlebensfähig.»
Gewerkschafterin Stephanie Vonarburg sagt: «Manchmal denke ich, dass mit einem stärkeren kollektiven Widerstand auch die Politik und die Wirtschaft mehr wachgerüttelt und eine neue Journalismus-Förderung endlich aufgegleist werden könnte.»
Ein Konzern hat die Medienbranche fest im Griff
Aber solange niemand wachgerüttelt ist, kann der Konzern seinen Journalismus-Abbau und die ständige Verschlechterung der Medienvielfalt mit solchen Aussagen erklären: «Der eingeschlagene Weg sichert die Zukunft unseres Qualitätsjournalismus.»
Solange die TX Group nicht einsieht oder eingestehen will, dass Einsparungen den Journalismus nicht stärken, blockieren sie eine notwendige progressive Medienpolitik. Statt Lösungen zu ermöglichen, wird ein System zementiert, in dem Journalismus weiter geschwächt wird – mit Folgen für die demokratische Öffentlichkeit.
Niemand bezweifelt, dass Journalismus in seiner aktuellen Form wirtschaftlich kaum rentiert. Doch als grösster Verlag der Schweiz trägt die TX Group eine Verantwortung, die über die Bedürfnisse der eigenen Aktionär:innen hinausgeht.
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