Tamedia baut ab und Blocher kauft ein

Die jüngste Sparrunde von Tamedia trifft mit grosser Wucht den Lokaljournalismus und nach über 40 Jahren wird der Züritipp eingestellt. Während der Grossverlag spart, kauft die Blocher-Familie vier Zürcher Quartierzeitungen.

Tamedia Streik 2024
Als am Dienstag bekannt wurde, wo Tamedia in der Deutschschweiz abbauen will, versammelten sich einige dutzend Personen zum Protest vor dem Hauptgebäude an der Werdstrasse. (Bild: Kai Vogt)

Alle Jahre wieder kommt aus den gläsernen Bürotürmen der Grossverlage die Nachricht der nächsten Sparrunde. Die jüngste Ankündigung von Tamedia jedoch markiert einen drastischen Einschnitt – diesmal trifft es den Lokaljournalismus mit voller Härte. Die drei Redaktionen der Zürcher Regionalzeitungen, die «Zürichsee-Zeitung», der «Landbote», der «Zürcher Unterländer» werden in den Tages-Anzeiger integriert, die Chefredaktor:innen verlieren ihren Posten. Die Redaktor:innen aus diesen Bereichen werden künftig von der Zürcher Werdstrasse aus geleitet. Will heissen: Lokale Nachrichten für Winterthur, das Gebiet rund um den See und das Zürcher Unterland werden nicht mehr lokal gemacht, sie kommen alle aus 8000 Zürich. Plus, zwei der drei Druckereien der TX-Gruppe, zu welcher Tamedia gehört, werden geschlossen. Jene in Zürich Ende 2026. Mindestens 250 Stellen sind von den Massnahmen betroffen.

Und während Tamedia abbaut, wurde diese Woche bekannt, dass der Verlag der Familie von Christoph Blocher vier weitere Quartierzeitungen in Zürich aufkauft.

Medienplatz Zürich: Was läuft?

Nach über 40 Jahren Schluss beim Züritipp

Zuerst zum Abbau. Denn davon ist direkt auch die Stadt Zürich betroffen.

Nach über 40 Jahren Berichterstattung über Kultur und Stadtleben hat Tamedia beschlossen, den Züritipp als separate Beilage per Ende 2024 einzustellen. Ausgewählte Inhalte sollen künftig im Tages-Anzeiger erscheinen, heisst es.

Aus der Redaktion will sich Stand jetzt niemand zum Entscheid äussern. Vieles ist noch offen und unklar. Das Konsultationsverfahren, in welchem entschieden wird, wo im Unternehmen welche Stellen gestrichen werden, läuft derzeit noch. Seitdem publik wurde, dass der Züritipp eingestellt wird, hätten aber unzählige Beileidsbekundungen aus der Bevölkerung und auch von Kulturinstitutionen die Redaktion erreicht.

Eine solche Stimme ist Priska Amstutz, heute Leiterin Kommunikation und Marketing vom Zürcher Kunsthaus. Davor war Amstutz lange Jahre selber Journalistin, als Co-Chefredaktorin vom Tages-Anzeiger und Leiterin vom Züritipp.

«Niemand hat es bis jetzt geschafft, im Digitalen ein Angebot aufzubauen, das als wahre Alternative zur gedruckten Beilage vom Züritipp dienen kann und diese ersetzt.»

Priska Amstutz, Kommunikation Kunsthaus

«Das Ende vom Züritipp ist ein herber Verlust für die Stadt. Damit entsteht eine Lücke für Kulturinstitutionen, Gastrobetriebe und für die interessierte Bevölkerung», sagt Amstutz. Mit seinen erfahrenen Journalist:innen sei die Redaktion eine Kompetenz für alles gewesen, was im Zürcher Stadtleben relevant ist. Von der Pop- und manchmal Hochkultur, über Gastronomie bis zum urbanen Familienleben.

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Das Ende vom Züritipp sei ein herber Verlust für die Stadt, sagt Priska Amstutz. (Bild: Tsüri.ch)

Selbst eine Stadt von der Grösse Zürichs habe heute kaum mehr ein kulturjournalistisches Angebot, welches das breite Kulturprogramm aufnehmen, kuratieren und reflektieren könne. «Niemand hat es bis jetzt geschafft, im Digitalen ein Angebot aufzubauen, das als wahre Alternative zur gedruckten Beilage dienen kann und diese ersetzt. Dem Kunsthaus als Absenderin von Informationen über unsere Ausstellungen und unser Angebot wird der Züritipp wirklich fehlen», meint Amstutz.

Abbau vor allem in Region Zürich erwartet

«Mit der jüngsten Sparmassnahme produziert der wohlhabendste Verlag der Schweiz Arbeitslose, die auf dem Medienplatz Schweiz keine einfache Lage auffinden und Frühpensionierte, die keine Chance haben, ihr Berufsleben in Würde abzuschliessen», sagt Stephanie Vonarburg von der Gewerkschaft Syndicom.

Die Stimmung auf den Redaktionen nehme sie als sehr besorgt, teilweise auch verärgert und wütend wahr. «Gleichzeitig ist auch eine gewisse Resignation beim Personal spürbar, da sie sich diesen immer wiederkehrenden Massenentlassungen gegenüber machtlos fühlen.»

«Tatsächlich werden in den Redaktionen insgesamt doch 90 Vollzeitstellen fehlen, weil Tamedia auch freiwillige Abgänge nicht ersetzen will.»

Stephanie Vonarburg, Gewerkschaft Syndicom

Die zuerst angekündigte Zahl von 90 100-Prozent-Stellen die auf den Redaktionen gekürzt wird, wurde diese Woche auf 55 reduziert. Vonarburg ordnet diese Nachricht ein: «Tatsächlich werden in den Redaktionen insgesamt doch 90 Vollzeitstellen fehlen, weil Tamedia auch «freiwillige» Abgänge nicht ersetzen will.»

Von den 55 Posten heisst es, würden 30 die Deutschschweiz betreffen und 25 die Romandie. Auf Anfrage vermeldet Tamedia, man könne sich nicht zu laufenden Konsultationsverfahren äussern. Vonarburg geht davon aus, dass ein Grossteil des Personalabbaus in der Deutschschweiz im Raum Zürich anfallen werden, da in Bern mit der Fusion der BZ und der Berner Zeitung vor drei Jahren die grössten dort Umstrukturierungen bereits stattgefunden haben.

Stephanie Vonarburg
Stephanie Vonarburg begleitet mit Syndicom die Konsultationsverfahren der Tamedia. (Bild: zvg / Fotografie Stampfli)

Am stärksten betroffen ist darüber hinaus die Produktion. Tamedia will zwei ihrer drei Druckereien schliessen. Im Druckerzentrum an der Bubenbergstrasse in Zürich seien über hundert Personen betroffen. «Die Angestellten, die hier arbeiten, haben je nachdem eine sehr schwierige Perspektive. Hier hat ein Unternehmen, das einen solch einschneidenden Entscheid trifft, eine grosse Verantwortung, ihnen mit Weiterbildungen, Umschulungen und Abgangsentschädigungen eine berufliche Zukunft zu bieten», sagt Vonarburg.

Aufschrei in Zürich bleibt aus

In der Romandie merke man, wie nicht nur die Belegschaft, sondern auch die Politik sich auf die Hinterbeine stelle und Tamedia zum Umdenken auffordere. Ob das in dieser Deutlichkeit auch in Zürich und Region geschehen werde, das ist für die Gewerkschafterin noch offen. Oder aber ob man sich mit den einschneiden Umstrukturierungen bereits abgefunden hätte. «Das wäre aber sehr bedenklich», sagt Vonarburg. Auch Politik, Zivilgesellschaft und Gemeinden bräuchten eine lebendige Medienlandschaft.

Zumindest aber die Nachricht vom Ende des Züritipps hat die politischen Gemüter bewegt: Jacqueline Fehr (SP) liess im Regionaljournal diese Woche verlauten, dass Zürcher Städte und Gemeinden die Lancierung einer eigenen Kulturplattform prüfen würden. Es ist jedoch offen, ob diese überhaupt realisiert werden kann.

Tamedia geht, Blocher breitet sich aus

Und während die Grossverlage mit ihren alten Modellen anstehen und abbauen, springen andere in die Lücke: Ein Tag nach der Bekanntgabe, wo genau Tamedia im Lokalen einsparen will, wurde bekannt, dass die Zeitungshaus AG vier Stadtzürcher Quartierzeitungen aufgekauft hat. Die Zeitungshaus AG ist der Verlag der Familie von SVP-Übervater Christoph Blocher.

Dieser hat sich in den letzten Jahren schweizweit im Lokalmediengeschäft breit gemacht. In Zürich kaufte er das Tagblatt, das amtliche Publikationsorgan der Stadt Zürich, auf. In dieses sollen nun auch die neuen Quartierzeitungen integriert werden.  Solche Entwicklungen erstaunen Matthias Künzler, Professor für Medienwissenschaft nicht. «Hier sehen wir, wer heutzutage noch in Medien investiert. Das sind entweder private Initiativen, wie zum Beispiel die Republik, die mit einem Crowdfunding einsteigen, oder dann aber Akteur:innen mit einem politischen Interesse.» 

Künzler hat mit seinem Team den Lokaljournalismus schweizweit untersucht und herausgefunden, dass in den letzten zehn Jahren ein Viertel der Lokaltitel eingegangen ist. Dieser Prozess verlief aber schleichend, im Gegensatz zum nun angekündigten Abbau.

«Wir wollen die Schweiz auch künftig mit unabhängigem Qualitätsjournalismus bedienen können, können das aber nur, wenn wir als Tamedia wirtschaftlich nachhaltig aufgestellt sind.»

Simon Bärtschi, publizistischer Leiter Tamedia

Sieht sich Tamedia als grösster Schweizer Verlag nicht in der Verantwortung, solchen Entwicklungen entgegenzuwirken und eine neutrale Berichterstattung im Lokalen zu gewährleisten?

«Aber genau das tun wir doch mit unserem Weg: Wir wollen die Schweiz auch künftig mit unabhängigem Qualitätsjournalismus bedienen können, können das aber nur, wenn wir als Tamedia wirtschaftlich nachhaltig aufgestellt sind», sagt Simon Bärtschi, publizistischer Leiter von Tamedia auf Anfrage. Man würde alles daran setzen, auch künftig für einen guten Journalismus in der Schweiz zu sorgen. National wie regional und lokal.

Abbau im Journalismus, trotz Gewinn für Aktionär:innen

Abgebaut ist schnell. Was Zeit braucht, ist das Etablieren von vertrauenswürdigen Marken und der Aufbau einer Redaktion, die vor Ort verankert ist. Dass Tamedia mit diesem jüngsten Sparprogramm lokale Zeitungsmarken mit Tradition und Geschichte abbaut und gleichzeitig die Stärkung vom lokalen Qualitätsjournalismus verspricht, das kann durchaus irritieren.

Aber den Widerspruch von Stärkung durch Ausdünnung beiseite gelassen.

An dieser Stelle muss auch festgehalten werden: Dem Mutterunternehmen von Tamedia, der TX-Group geht es trotz Medienkrise keineswegs schlecht. Im Gegenteil. Laut der Republik ist es kerngesund und macht weiterhin Gewinn, etwa durch Inserateportale, die vom Zeitungswesen ausgegliedert sind. Doch die Prämisse der TX-Gruppe lautet: Journalismus muss sich selbst finanzieren. So fliessen die Gewinne zu den Aktionär:innen und nicht in den Journalismus. Zuletzt waren es 65,7 Millionen Franken – fast die Hälfte des erzielten Jahresgewinns.

Unter dieser Prämisse noch mehr Abbau erwartet

Angesichts der kleinen Märkte, der hohen Fixkosten, der Veränderungen in der Mediennutzung, der sinkenden Zahlungsbereitschaft etcetera etcetera, kann man sich auch fragen, ob Lokaljournalismus in dieser Form und unter dieser Prämisse überhaupt jemals wieder finanziell rentabel sein wird.

«Nein», lautet die Antwort von Matthias Künzler. Früher sei Lokaljournalismus einmal einträglich gewesen. Aber durch den massiven Werberückgang (in den letzten 20 Jahren bei regionalen Tageszeitungen - 80 Prozent, bei Lokalzeitungen -48 Prozent), seien diese Zeiten vorbei. Und: «Die Talsohle ist nicht erreicht, wir werden noch mehr Abbau erleben.»

«Mit dem Abbau versucht die TX-Gruppe, ihren Gewinn zu halten.»

Matthias Künzler, Professor für Medienwissenschaft

Die jüngsten Abbaumassnahmen von Tamedia würden erneut zeigen, dass der Markt schrumpft und sich mit Werbung immer weniger Geld verdienen lässt. «Mit dem Abbau versucht die TX-Gruppe, ihren Gewinn zu halten», sagt Künzler.

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Kürzungen und Einsparungen seien ein Problem, wenn sie dadurch die lokale Berichterstattung ausdünnen. (Bild: tsüri.ch)

Zum Schluss bleibt noch die Frage, ob die wirtschaftliche Rentabilität wirklich die einzige Maxime sein darf, wenn es um die journalistische Abdeckung einer Region geht. «In einer Marktwirtschaft, wo jedes Unternehmen seine Ziele selbst wählen darf, ja. Und Tamedia hat anscheinend ihre Gewinnquote als Ziel», sagt Matthias Künzler. Aber: «Von einem normativ-demokratischem Standpunkt aus aber würde ich sagen Nein.» Solche Kürzungen und Einsparungen seien ein Problem, wenn sie dadurch die lokale Berichterstattung ausdünnen.

Denn Demokratie, die Politik, die Bevölkerung braucht Lokaljournalismus. Für die politische Beteiligung, für die informierte Debatte, für den Zusammenhalt vor Ort.

«Deswegen», so Künzler, «wäre es zu begrüssen, wenn aus der Politik und aus der Bevölkerung eine Initiative käme, jene Medien zu unterstützen, die nicht an kommerzielle Interessen gebunden sind». 

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