Regine Sauter (FDP): Sattelfest in den Ständerat
Sie ist stets gut vorbereitet, gibt sich kompromissbereit und behält die Interessen der Wirtschaft im Fokus: Die Nationalrätin Regine Sauter ist FDP-Politikerin durch und durch. Würde sie im Oktober in den Ständerat gewählt, könnte sie noch mehr auf der Sachebene diskutieren – starke Emotionen behält sie lieber für sich.
Regine Sauter hat keine Zeit, sich für ein Interview ausserhalb ihres Büros zu treffen. Also schüttelt man sich in der Zürcher Handelskammer die Hand. In einem sterilen Raum, in dem sich sonst die Wirtschaftselite trifft, um über längere Ladenöffnungszeiten und bilaterale Abkommen zu diskutieren. Gemütlich ist anders, doch die Szenerie passt zu Sauter. Ihr geht es um die Sache, nicht um das Drumherum.
Dass die 57-Jährige nach acht Jahren im Parlament den Sprung in die kleine Kammer versuchen will, habe auch mit der Art zu tun, wie in den Gremien politisiert wird: «Im Ständerat herrscht eine andere Diskussionskultur als im Nationalrat, es geht stärker darum, tragfähige Lösungen unabhängig von der Parteizugehörigkeit zu finden.» Kein abwegiges Argument, zumal sich die Randparteien in den letzten Jahren laut Sauter oft wenig kompromissbereit zeigten.
Freisinnig und fair
Die FDP-Politikerin will nicht polarisieren. Das würde ihr nicht entsprechen. Die Werte ihrer Partei hat sie aber verinnerlicht: Sauter plädiert für Freiheit, Eigenverantwortung und die Stärkung der Wirtschaft, denn «dann geht es auch der Gesellschaft gut». So setzt sie sich zum Beispiel für eine liberalere Drogenpolitik ein; wollte 2017, dass der Bund regulierte Cannabis-Abgaben im Rahmen von Studien ermöglicht, und vor zwei Jahren reichte sie einen Vorstoss ein, damit staatsnahe Unternehmen stärker in die Pflicht genommen werden und sich nicht auf Subventionen ausruhen können.
Alle sollen das leisten, was sie können und das bekommen, was ihnen zusteht. Im Gespräch geht es mehrmals darum, dass etwas «fair sein soll».
«Ich bin niemand, der auf Twitter seine aktuelle Befindlichkeit kundtut.»
Regine Sauter
Zu ihren grössten Erfolgen im Nationalrat zählt Sauter die Reform der Altersvorsorge. Wobei sie betont, dass dies keine Einzelleistung gewesen sei: «In einer Demokratie braucht man Verbündete, im Alleingang schafft man es nicht.» Trotzdem freute sie das Ergebnis: Das Ja des Stimmvolks habe ihr gezeigt, dass die Schweiz nach wie vor «reformfähig» sei – und ebenfalls auf «Fairness» setze.
Dass das Rentensystem auch Löcher hat und vor allem Frauen auf Ergänzungsleistungen angewiesen ist, scheint Sauter kaum zu beunruhigen. Stattdessen sagt sie: «Die AHV ist institutionalisierte Solidarität.» Und etwas, worauf die Schweiz stolz sein kann.
Mit mehreren Standbeinen in den Ständerat
Sowieso sei die Sozialpolitik hierzulande bereits gut ausgebaut – mehr Effort brauche es nicht. Das zeigt auch Sauters Smartspider zu den Nationalratswahlen aus dem Jahr 2019: Beim Feld zum ausgebauten Sozialstaat punktet die Politikerin kaum. Trotzdem sagt sie von sich, dass ihr gerade sozial- und gesundheitspolitische Themen am Herzen liegen. Für zweiteres macht sie sich neben ihrem politischen Amt auch als Präsidentin von H+, dem nationalen Spitalverband, stark. Ihr sei es immer wichtig gewesen, mehrere Standbeine zu haben und nicht alles auf eine Karte zu setzen.
Als sie 2018 von ihren Parteikolleg:innen dazu ermuntert wird, als Bundesrätin zu kandidieren, entscheidet sie sich dagegen. Sie wolle nicht zu einem hundert Prozent-Pensum in der Politik mitmischen. Dass sie vergangenen Juni nach elf Jahren als Direktorin der Zürcher Handelskammer ihren Rücktritt per Ende Jahr bekannt gegeben hat, stehe nicht im Zusammenhang mit ihren politischen Ambitionen, so Sauter: «Ich habe einfach Lust auf etwas Neues.» Was das sein wird, dazu könne sie jedoch noch nichts sagen, sie werde erst noch eine «Auslegeordnung» machen.
Ob sie wirklich nicht weiss, was auf sie zukommt, ist schwer zu glauben; ihr Lebenslauf liest sich lückenlos und als Interviewpartnerin wirkt sie sehr gut vorbereitet. Eine planlose Regine Sauter kann man sich schlecht vorstellen.
Kontrolliert, aber nicht «eisern»
Ihre kompetente Art wurde in der Vergangenheit auch von anderen Medien kommentiert – meist mit einem faden Beigeschmack. Die Tamedia-Zeitungen bezeichneten sie als «eiserne Lady». Ein Vergleich, der Sauter sauer aufstösst, weil die einstige Premierministerin Margaret Thatcher in erster Linie wegen ihrer Haltung zu einem Krieg so genannt wurde.
Zudem bediene sich der Ausdruck dem gängigen Klischee, dass Männer kontrolliert und Frauen emotional sein sollen. «Es stimmt schon, ich will kompetent sein und bin sicher niemand, der auf Twitter seine aktuelle Befindlichkeit kundtut», sagt Sauter. Emotional werde sie dann, wenn es um emotionale Sachen gehe; und diese würden sich vor allem in ihrem Privatleben abspielen.
Wie genau dieses aussieht, darüber spricht die Politikerin selten. Zu ihren beruflichen Stationen gibt sie jedoch gerne Auskunft: Aufgewachsen in einem kleinen Dorf im Zürcher Weinland, studierte Sauter zuerst Staatswissenschaften mit Vertiefung internationale Beziehungen in St. Gallen und promovierte anschliessend in Staatsrecht. Mit der Politik kommt sie schon früh in Berührung, arbeitete Mitte der 90er-Jahre als Sekretärin für die FDP Schweiz. Bevor sie zur Handelskammer kam, beriet sie Kund:innen einer Kommunikationsagentur. Eine Erfahrung, die ihr nicht nur beim jetzigen Wahlkampf zugutekommt.
Hochgefühle bei der Hochkultur
Wie sie wahrgenommen wird, ist Sauter wichtig. Während sie von Eigenlob wenig hält, ist sie sich für Eigenwerbung nicht zu schade. Seit einigen Monaten fährt die Stadtzürcherin mit einem Microlino zur Arbeit, auf dem ihr Name prangt. Ein Wahlplakat auf vier Rädern quasi.
Die Entscheidung für das elektrifizierte Kleinfahrzeug sei ihr Beitrag zum Klimaschutz, erklärt sie. «Es ist richtig und wichtig, dass alle ihre Verantwortung wahrnehmen.» Deshalb habe sie sowohl beim CO2-Gesetz als auch beim Klimaschutzgesetz Ja gestimmt. Freisinnig geprägt wie sie ist, will sie aber keine Verbote, sondern mehr Innovationsförderung; zum Beispiel was grünes Kerosin anbelangt.
Auch sie benutze das Flugzeug, wenn es anders nicht möglich sei, so Sauter. In der Regel nehme sie aber den Zug. Dass ihre Lieblingsdestination ein Nachbarland ist, kommt ihr gelegen: Der Schienenverkehr nach Italien ist gut ausgebaut. Die dortige Kultur habe es ihr angetan. «Ich bin ein Opern-Fan.» Diese Leidenschaft verfolgt sie auch gerne in Zürich. Nicht nur als Besucherin: Von 2017 bis 2022 war sie Teil des Opernhaus-Verwaltungsrates.
Man kann sich Sauter gut im pompösen Saal vorstellen, unter der Elite. Doch wird sie es auch schaffen, den Rest des Stimmvolks zu überzeugen? Ist sie nahbar genug?
Aktuell sieht es um ihre Position nicht allzu schlecht – zumindest unter der NZZ-Leserschaft. Laut einer Umfrage der Zeitung von Mitte September liegt Sauter auf Platz drei, hinter Daniel Jositsch (SP) und Gregor Rutz (SVP). Vor einigen Wochen musste sie sich noch mit dem vierten Rang hinter Mitte-Kandidat Philipp Kutter begnügen. Die FDP-Politikerin scheint also einen erfolgreichen Wahlkampf zu machen. Ohne viel Tamtam, immer das Ziel vor Augen: Nachfolgerin ihres Parteikollegen Ruedi Noser zu werden.
Auf die Frage, was sie als Ständerätin anders machen würde als Noser, antwortet sie wenig überraschend diplomatisch: «Er hat es auf seine Art gemacht, ich würde es auf meine Art machen.» Ihre Art mag abgeklärt und kalt wirken, doch mit Sauter kauft man nicht die Katze im Sack. Man weiss, was einen erwartet, sollte sie in den Ständerat gewählt werden: Zürcher Freisinn – ohne viel Schnickschnack.
Jetzt noch ein paar schnelle Fragen zum Schluss, die wir allen Kandidierenden stellen:
Wen haben Sie zuletzt angerufen?
Ein Journalist von 20 Minuten. Er hatte Fragen zum Gesundheitswesen, die ich ihm in meiner Rolle als Präsidentin von H+ beantwortet habe.
Was ist der feministischste Akt, den Sie je vollbracht haben?
Wohl keiner. Ich bin keine Feministin.
Gummischrot ja oder nein?
Wenn es nötig ist, ja.
Wenn es immer heisser wird, bauen Sie sich eine Klimaanlage in Ihrem Zuhause und einen Pool im Garten ein?
Weder noch. Meine Wohnung hat keinen Garten und eine Klimaanlage finde ich unangenehm. Querlüften lautet die Devise.
Kann Zürich besser mit mehr oder weniger EU?
Mit «genau richtig» EU kann Zürich.
Über 1,5 Millionen Zürcher:innen sind im Ständerat genauso stark vertreten wie weniger als 40’000 Urner:innen. Sollte sich das ändern?
Nein. Das System tut der Schweiz gut. Klar, manchmal ärgert es einen, aber es führt auch dazu, dass man darauf bedacht ist, gute Lösungen auszuarbeiten.
Welches Vorurteil über Zürcher:innen ist wahr?
Wir sind sehr unhöflich im Strassenverkehr.
Wie viel kostet Ihr Wahlkampf?
Rund 400’000 Franken.
Wahlen 2023: Das sind die Ständeratskandidierenden |
Am 22. Oktober wählt die Schweiz ein neues Parlament. Bei den Ständeratswahlen in Zürich dreht sich vieles um die Frage, wer den freiwerdenden Sitz von Ruedi Noser (FDP) übernimmt. Wir haben die sechs Kandidat:innen der grossen Parteien getroffen und porträtiert. Wieso wollen sie Zürich in Bern vertreten? Was ist ihr feministischster Akt? Und wie hoch ist ihr Wahlkampfbudget? Die Antworten auf diese Fragen findest du in den Porträts.
Auch haben wir einen Blick auf das Stimmverhalten der sechs Politiker:innen im Hinblick auf die Wohnungsnot geworfen: Nur zwei Kandidierende machen Politik für Mietende. Die Analyse findest du hier. |