«Tschüss Genderstern!»-Initiative: Den Bürgerlichen ist Sprache egal
Die Befürworter:innen der «Tschüss Genderstern»-Initiative zeigen sich besorgt um die deutsche Sprache. Dabei ist ihre Forderung nur eines: ein Rückschritt punkto Gleichstellung. Ein Kommentar.
«Ich fühle mich als Frau von der männlichen Form angesprochen», sagte die SVP-Kantonsrätin Susanne Brunner im Interview mit Tsüri.ch.
Schön für sie. Ganz viele Menschen fühlen sich aber nicht angesprochen.
Seit 2022 verwendet die Stadt Zürich in behördlichen Texten deshalb den Genderstern. Er soll binäre Formulierungen wie «Zürcherinnen und Zürcher» ablösen. Damit will die Stadt alle Geschlechter gleichberechtigt behandeln und ansprechen: Frauen, Männer, trans und non-binäre Personen.
Die SVP sorgt sich nicht um Sprache
Die Initiative «Tschüss Genderstern!» aus der Feder von Susanne Brunner will das rückgängig machen und Sonderzeichen wie den Genderstern verbieten. In den Argumenten zeigt sich das Initiativ-Komitee besorgt um die Lesbarkeit und die Zukunft der deutschen Sprache. Sie wünschen sich eine «klare, verständliche und lesbare Sprache».
«Den Befürworter:innen der Initiative geht es nicht um die Sprache. Es geht darum, non-binäre und trans Menschen unsichtbar zu machen.»
Lara Blatter
Das ist scheinheilig. Man tut so, als ob sie unter die Germanist:innen und Linguistiker:innen gingen und tatsächlich über Sprache sprechen. Das tun sie aber nicht – jedenfalls nicht im Rahmen der bevorstehenden Abstimmung. «In Wirklichkeit reden sie natürlich darüber, dass sie sich an bestimmten geschlechtlichen Identitäten oder auch sexuellen Orientierungen stören», sagt Anatol Stefanowitsch, Experte für diskriminierungsfreie Sprache, in der Republik.
Das bringt es ziemlich auf den Punkt und passt zum Zeitgeist. Den Befürworter:innen der Initiative, darunter Politiker:innen von der SVP, FDP, GLP und Mitte, geht es nicht um die Sprache und Sonderzeichen. Es geht darum, non-binäre und trans Menschen unsichtbar zu machen.
Das stützen diverse Voten und Forderungen: So warf Susanne Brunner beispielsweise Nemo nach Nemos Sieg am Eurovision Songcontest vor, den Erfolg politisch für die Einführung eines dritten Geschlechts zu nutzen. Oder auch im Gemeinderat sprachen sich bürgerliche Politiker:innen gegen Schutzunterkünfte und Wohnheime für queere Menschen aus. Erschreckend war auch die Reaktion der Zürcher SVP als im Herbst 2022 Rechtsextreme eine Lesung von Dragqueens für Kinder im Tanzhaus stürmten Veranstaltung – die Partei forderte ein Verbot der Veranstaltung.
Unsere Gesellschaft zeigt sich immer mehr von ihrer diversen Seite und alte Hierarchien werden hinterfragt. Neue Sprachformen und eine Vielfalt an Geschlechtern fernab des binären Systems Mann und Frau können verunsichern. Und diese Verunsicherung nutzt Brunner und ihre Freund:innen vom Initiativ-Komitee aus.
Damit instrumentalisieren sie die Genderstern-Debatte in ihrem Kampf gegen Gleichstellung.
Sprache ist Ästhetik egal
Ob Wörter wie «Bäcker*innen», wie von ihren Gegner:innen geschildert, holprig, sperrig oder mühsam daherkommen, ist absolut egal. Denn Sprache hat nichts mit Ästhetik zu tun, sie hat nur ein Ziel: Wir kommunizieren über sie, wollen verstanden und gehört werden.
Diese Abstimmung mag auf den ersten Blick kleinlich sein, wo sie doch nur auf die Kommunikation der Zürcher Stadtverwaltung abzielt. Doch sie legt einen weiteren Grundstein für Hetze gegen non-binäre und trans Menschen.
Spricht mich die Stadt Zürich mit «Bürger*in» an, nützt das Frauen und non-binären Personen vordergründig wenig punkto Gleichstellung, wenn sie weniger Lohn aufgrund ihres Geschlechts bekommen oder sexualisierter Gewalt ausgesetzt sind. Geschlechtergerechtigkeit ist eine gesellschaftspolitische Aufgabe, die nicht allein durch sprachliche Regeln gelöst werden kann. Klar.
Aber Sprache hat einen enormen Einfluss auf unser Denken und unsere Wahrnehmung der Welt. Und diesen dürfen wir nicht unterschätzen. Solange Bauarbeiter unsere Strassen bauen und Lehrerinnen Kinder unterrichten, bleiben konservative Rollenbilder bestehen. Und schon kleine Kinder wissen beispielsweise, welche Berufe einst für sie vorgesehen sind und wer in der gesellschaftlichen Hierarchie oben ist und wer unten. Geschweige davon, dass unsere non-binären Zeitgenoss:innen gänzlich unsichtbar bleiben.
Wer nicht zur Sprache kommt, wird gedanklich ausgeblendet, dies belegen auch diverse Studien. Frauen und non-binäre Personen «mitzumeinen» reicht also nicht.
Sprache, die nur Männer sichtbar macht, hat reale Konsequenzen – nicht nur für Frauen und nicht-binäre Menschen. Und darum ist es wichtig, dass Zürich ein Zeichen setzt. Ein Zeichen für die Akzeptanz des Gendersterns und somit die Akzeptanz von vielen Mitmenschen.
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