«Tschüss Genderstern!»-Initiative: Den Bürgerlichen ist Sprache egal

Die Befürworter:innen der «Tschüss Genderstern»-Initiative zeigen sich besorgt um die deutsche Sprache. Dabei ist ihre Forderung nur eines: ein Rückschritt punkto Gleichstellung. Ein Kommentar.

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Mit der «Tschüss Genderstern!»-Initiative führen die Bürgerlichen einen Kampf gegen Gleichstellung, findet Redaktorin Lara Blatter. (Bild: Isabel Brun)

«Ich fühle mich als Frau von der männlichen Form angesprochen», sagte die SVP-Kantonsrätin Susanne Brunner im Interview mit Tsüri.ch.

Schön für sie. Ganz viele Menschen fühlen sich aber nicht angesprochen. 

Seit 2022 verwendet die Stadt Zürich in behördlichen Texten deshalb den Genderstern. Er soll binäre Formulierungen wie «Zürcherinnen und Zürcher» ablösen. Damit will die Stadt alle Geschlechter gleichberechtigt behandeln und ansprechen: Frauen, Männer, trans und non-binäre Personen. 

Die SVP sorgt sich nicht um Sprache

Die Initiative «Tschüss Genderstern!» aus der Feder von Susanne Brunner will das rückgängig machen und Sonderzeichen wie den Genderstern verbieten. In den Argumenten zeigt sich das Initiativ-Komitee besorgt um die Lesbarkeit und die Zukunft der deutschen Sprache. Sie wünschen sich eine «klare, verständliche und lesbare Sprache». 

«Den Befürworter:innen der Initiative geht es nicht um die Sprache. Es geht darum, non-binäre und trans Menschen unsichtbar zu machen.»

Lara Blatter

Das ist scheinheilig. Man tut so, als ob sie unter die Germanist:innen und Linguistiker:innen gingen und tatsächlich über Sprache sprechen. Das tun sie aber nicht – jedenfalls nicht im Rahmen der bevorstehenden Abstimmung. «In Wirklichkeit reden sie natürlich darüber, dass sie sich an bestimmten geschlechtlichen Identitäten oder auch sexuellen Orientierungen stören», sagt Anatol Stefanowitsch, Experte für diskriminierungsfreie Sprache, in der Republik

Das bringt es ziemlich auf den Punkt und passt zum Zeitgeist. Den Befürworter:innen der Initiative, darunter Politiker:innen von der SVP, FDP, GLP und Mitte, geht es nicht um die Sprache und Sonderzeichen. Es geht darum, non-binäre und trans Menschen unsichtbar zu machen. 

Das stützen diverse Voten und Forderungen: So warf Susanne Brunner beispielsweise Nemo nach Nemos Sieg am Eurovision Songcontest vor, den Erfolg politisch für die Einführung eines dritten Geschlechts zu nutzen. Oder auch im Gemeinderat sprachen sich bürgerliche Politiker:innen gegen Schutzunterkünfte und Wohnheime für queere Menschen aus. Erschreckend war auch die Reaktion der Zürcher SVP als im Herbst 2022 Rechtsextreme eine Lesung von Dragqueens für Kinder im Tanzhaus stürmten Veranstaltung – die Partei forderte ein Verbot der Veranstaltung.

Unsere Gesellschaft zeigt sich immer mehr von ihrer diversen Seite und alte Hierarchien werden hinterfragt. Neue Sprachformen und eine Vielfalt an Geschlechtern fernab des binären Systems Mann und Frau können verunsichern. Und diese Verunsicherung nutzt Brunner und ihre Freund:innen vom Initiativ-Komitee aus.

Damit instrumentalisieren sie die Genderstern-Debatte in ihrem Kampf gegen Gleichstellung. 

Sprache ist Ästhetik egal

Ob Wörter wie «Bäcker*innen», wie von ihren Gegner:innen geschildert, holprig, sperrig oder mühsam daherkommen, ist absolut egal. Denn Sprache hat nichts mit Ästhetik zu tun, sie hat nur ein Ziel: Wir kommunizieren über sie, wollen verstanden und gehört werden. 

Diese Abstimmung mag auf den ersten Blick kleinlich sein, wo sie doch nur auf die Kommunikation der Zürcher Stadtverwaltung abzielt. Doch sie legt einen weiteren Grundstein für Hetze gegen non-binäre und trans Menschen.

Spricht mich die Stadt Zürich mit «Bürger*in» an, nützt das Frauen und non-binären Personen vordergründig wenig punkto Gleichstellung, wenn sie weniger Lohn aufgrund ihres Geschlechts bekommen oder sexualisierter Gewalt ausgesetzt sind. Geschlechtergerechtigkeit ist eine gesellschaftspolitische Aufgabe, die nicht allein durch sprachliche Regeln gelöst werden kann. Klar. 

Aber Sprache hat einen enormen Einfluss auf unser Denken und unsere Wahrnehmung der Welt. Und diesen dürfen wir nicht unterschätzen. Solange Bauarbeiter unsere Strassen bauen und Lehrerinnen Kinder unterrichten, bleiben konservative Rollenbilder bestehen. Und schon kleine Kinder wissen beispielsweise, welche Berufe einst für sie vorgesehen sind und wer in der gesellschaftlichen Hierarchie oben ist und wer unten. Geschweige davon, dass unsere non-binären Zeitgenoss:innen gänzlich unsichtbar bleiben. 

Wer nicht zur Sprache kommt, wird gedanklich ausgeblendet, dies belegen auch diverse Studien. Frauen und non-binäre Personen «mitzumeinen» reicht also nicht. 

Sprache, die nur Männer sichtbar macht, hat reale Konsequenzen – nicht nur für Frauen und nicht-binäre Menschen. Und darum ist es wichtig, dass Zürich ein Zeichen setzt. Ein Zeichen für die Akzeptanz des Gendersterns und somit die Akzeptanz von vielen Mitmenschen. 

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2023-04-24 Portrait Lara

Bevor Lara zum Journalismus kam, hat sie eine Lehre als Innendekorateurin nicht abgeschlossen, die Handelsmittelschule gemacht, in der Gastro gearbeitet und in der Immobilienbranche Luft geschnuppert. Durch ein Praktikum beim Radio Rasa in Schaffhausen fand sie zum Journalismus. Daraufhin folgte ein Kommunikations-Studium an der ZHAW, gefolgt von einem Praktikum bei Tsüri.ch und eines beim Tages-Anzeiger. Seit 2020 schreibt Lara für Tsüri.ch, seit 2023 ist sie in der Geschäftsleitung. 

Das mache ich bei Tsüri.ch:

Schauen, dass es allen im Team gut geht, gelegentlich etwas Optimismus verstreuen, recherchieren, schreiben und dich wecken – mit dem täglichen Briefing.

Das mache ich ausserhalb von Tsüri.ch:

Rumstudieren und sinnieren über Politik, die Welt und ihre Bewohner:innen. Das Leben mit meinen Freund:innen geniessen. Zudem lese ich weniger Bücher, als ich gerne würde, und verbringe mehr Zeit online, als mir lieb ist.

Über diese Themen schreibe ich am liebsten:

Über Politik, Kultur, Feminismus. Ja eigentlich über so einiges. Und egal, wie man es dreht oder wendet: Schlussendlich ist immer alles politisch.

Darum bin ich Journalistin:

Es gibt so viele spannende Geschichten, die erzählt werden müssen. Oder auch Dinge, wo wir genauer hinschauen sollten. Ich will Debatten aufzeigen, Sachverhalte verständlich machen und so das Stadtgeschehen in Zürich in Worte fassen und zugänglich machen. Und: Ich schreibe gerne.

Das mag ich an Zürich am meisten:

Ich mag den Helvetiaplatz, den süssen Duft vom Swissmill-Silo, den Bücherladen Paranoia City und die Badenerstrasse bei Sonnenuntergang.

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Kommentare

Franziska Schmid
12. November 2024 um 06:30

Es geht um Gewohnheiten

Liebe Lara Ich stimme dir in allen Punkten ausser in einem zu: Natürlich hat Sprache was mit Ästhetik zu tun. Wir nutzen Sprache auch für Kunst - wie sonst könnten wir ein gutes von einem schlechten Gedicht unterscheiden? Wie einen eleganten, journalistischen Text von einem Text in einer Werbebroschüre? Für mich geht’s drum viel mehr um Gewohnheiten. Sprache ist lebendig. Formen, die noch vor 30 Jahren völlig gebräuchlich waren, tönen heute fremd in unsern Ohren. Ich kann mich tatsächlich noch daran erinnern, dass wir unserer Lehrerin „Fräulein“ gesagt haben. Wer würde das heute - zum Glück! - noch machen? Meine Erfahrung: Wenn man nur einige Woche konsequent den Genderstern verwendet - oder sonst wie gendert - dann kommt einem alles andere seltsam vor. Es müsste also eher heissen: Tschüss, alte Gewohnheit! :-)

Martin Steiner
12. November 2024 um 20:11

Wunschdenken...

Ich freu mich schon auf den 24ten November, wenn diese Initiative wuchtig angenommen wird (sogar in den Kreisen 4 & 5). Wird von euch dann ein Umdenken kommen, vermutlich nicht. Janu, selber schuld. Und ihr Journalistinnen müsstet euch schämen. Jeder Arzt, welcher bewusst falsche Behandlungen vornimmt, aus ideologischen Gründen am falschen Organ rumschneidet oder mit Absicht ein falsches Medikament verschreibt, verliert umgehend (zum Glück) die Zulassung. Und ihr, welche diese Sprache studiert habt, mit Sprache arbeitet, verhunzt diese bewusst, schreibt bewusst grammatikalisch falsche Sätze von denen man Augenkrebs bekommt. Einfach weil ihr dieser Überzeugung seid. Sorry, Berufswahl verfehlt! Einfach nicht jammern wenn euer Berufsstand immer mehr in der Bedeutungslosigkeit versinkt....

Ivana Jakov
13. November 2024 um 21:11

Brutal Liberal

Liebe non-binär, trans und * Mensch:innen Vielleicht habt ihr es noch nicht gemerkt, aber es interessiert niemanden, als was ihr euch heute identifiziert, mit wem ihr in die Kiste hüpft und was ihr da für Praktiken ausübt. Ganz ehrlich: Interessiert keine Sau. Ihr müsst es auch nicht immer wieder betonen. Macht, was ihr wollt! Das grosse - für euch vielleicht noch - Geheimnis hinter der Sichtbarkeit liegt darin, dass Menschen am Morgen aufstehen und sich fragen: "Was kann ich heute dafür tun, dass diese Gesellschaft eine lebenswertere für viele wird?" Und dass diese Menschen dann die Ärmel hochkrempeln und leisten: Experimentieren, forschen, bauen, scheitern, aufstehen. _Das_ verschafft Respekt! Ja, es ist anstrengend und man ist am Abend müde, aber wisst ihr was: Millionen von Plain Vanilla Hettis machen genau das! Also: Vergesst den Doppelpunkt! Vergesst den Stern! Ist völlig irrelevant. Werdet ein tatkräftiger Teil dieser Gesellschaft und der Respekt wird euch zufliegen!

Osi
14. November 2024 um 08:55

Sprache verhunzen

Tut mir leid, für mich ist das einfach eine Verhunzung der deutschen Sprache. Texte werden unlesbar, der Sprachfluss leidet und man muss zum Teil mehrmals lesen, um den Sinn zu verstehen (wenn z.B. von "Bewohnenden" oder "Hunde haltenden" die Rede ist). Hört auf damit. Und wer sagt, dass sich die Mehrheit vom Binnenstern angesprochen fühlt? Ich fühle mich exkludiert. Was machen wir nun?

Markus
14. November 2024 um 18:14

Danke für den schönen Beitrag.

Liebe Zürcher, liebe Zürcherinnen und liebe Nonbinäre Menschen in Zürich. Die Menschen von der SVP mögen keine anderen Probleme mehr zu haben, als ein Sonderzeichen, was vielen Leuten im Alltag eine Freude oder eine Erleichterung bedeuten würde. Herr Susanne Brunner kann sich gerne ebenfalls nennen wie er möchte. Mir kommt es aber ein bisschen komisch vor. Ich habe im Alltag meistens nicht so viel Zeit und möchte gerne alle Menschen ansprechen, daher werde ich auch bei einem Verbot von der SVP den Stern oder einen Doppelpunkt benutzen. Liebe Grüsse Markus