«Ich fühle mich als Frau von der männlichen Form angesprochen»
Am 24. November entscheidet die Stimmbevölkerung, ob die Stadt Zürich weiterhin den Genderstern in Behördentexten benutzen darf oder nicht. Kopf der Initiative ist Susanne Brunner. Warum sie das Sonderzeichen ausradieren will, erklärt die SVP-Politikerin im Interview.
Isabel Brun: Seit 2022 verwendet die Stadt Zürich in behördlichen Texten den Genderstern. Die «Tschüss Genderstern»-Initiative will das verbieten. Laut dem Sorgenbarometer beschäftigen Themen wie Wohnen und Verkehr die Stadtbevölkerung viel stärker. Wäre es nicht sinnvoller, die Energie anderweitig zu investieren?
Susanne Brunner: Nein. Einerseits verhindert die Initiative nicht, dass wir als Gesellschaft andere Herausforderungen mit der nötigen Dringlichkeit angehen können. Andererseits erfordert ein derartiger Eingriff in die deutsche Sprache dringenden Handlungsbedarf. Es geht nicht, dass der Stadtrat nach eigenem Gutdünken entscheiden kann, wie seine Mitarbeitenden zu kommunizieren haben. Damit hat er eine rote Linie überschritten.
Es geht Ihnen also vor allem um den Punkt, dass der Stadtrat den Genderstern ohne demokratische Legitimation eingeführt haben soll? Auch wenn eine Mehrheit des Gemeinderats, der als Vertretung der Stadtbevölkerung fungiert, die Verwendung des Gendersterns befürwortete.
Fakt ist: Die Gendersprache ist nicht die Sprache der breiten Bevölkerung. Es ist eine Art Kunstsprache, die sich nicht natürlich entwickelt hat.
Wandelt sich unsere Sprache nicht ständig? Man denke nur an die vielen Anglizismen, die sich in den letzten Jahren etabliert haben.
Es stimmt, dass unsere Sprache einem natürlichen Wandel unterliegt. Es ist aber ein Unterschied, ob dieser von der Sprachgemeinschaft selbst getragen wird oder ob eine Gruppe von Fachpersonen, Universitäten und jetzt gar der Zürcher Stadtrat bestimmt, wie wir zu reden und schreiben haben.
«Die Gendersprache macht Frauen unsichtbar.»
Susanne Brunner
Aber die Stadt verlangt ja nicht von Ihnen als Privatperson, dass Sie im Gespräch mit Ihren Mitmenschen gendern.
Genau hier liegt das Problem. Es ist völlig in Ordnung, wenn Personen in privaten Whatsapp-Chats den Genderstern benutzen wollen. Wir sollen kommunizieren dürfen, wie uns der Schnabel gewachsen ist. Hellhörig müssen wir werden, wenn der Staat in die Sprache eingreift und sie zu einem politischen Instrument macht.
Die Stadt erklärt ihren Entscheid damit, dass sie auch Menschen ansprechen will, die sich weder als Mann noch als Frau identifizieren. Sollte das nicht eine Selbstverständlichkeit sein?
Dann frage ich mich, mit wie vielen Menschen der Stadtrat im Vorfeld seiner Entscheidung gesprochen hat. Ich kenne auch non-binäre oder trans Menschen, die sich durch den Genderstern nicht inkludiert fühlen. Zudem macht die Gendersprache Frauen unsichtbar.
Davon habe ich noch nie gehört. Was sind die Gründe?
Aufgrund des Sonderzeichens wird lediglich die männliche Form als Ganzes dargestellt. Das «*innen» ist nur angehängt und kein vollständiges Wort. Mal ganz davon abgesehen, dass diese Schreibweise sowieso grammatisch und orthografisch falsch ist. Das hat der Rat der deutschen Sprache mehrfach, letztmals im Dezember 2023, bestätigt. Gendersprache ist demnach keine offizielle Schreibweise.
Tatsächlich gibt es Formen, die mit dem Genderstern nicht korrekt wiedergegeben werden können. Zum Beispiel «Ärzt*innen» oder «Bäuer*innen». Was sagen Sie zur Lösung, in diesen Fällen von medizinischem Fachpersonal oder landwirtschaftlich tätigen Menschen zu sprechen?
Das ist keine leichte, verständliche Sprache, wie sie die Stadt nutzen soll. Der Stadtrat hat im Jahr 2017 angekündigt, bei Behördentexten in Richtung leichte Sprache zu gehen, um besser verstanden zu werden. Nun macht er mit dem Genderstern das Gegenteil.
Mit anderen Worten: Sie wünschen sich das generische Maskulinum zurück.
Nein, das stimmt nicht. Die Initiative will nur, dass die Stadt wieder ohne Sonderzeichen kommuniziert, wie dies vor 2022 der Fall war. Das Reglement zur geschlechtergerechten Sprache gibt es schon seit 1996 und es hat bisher gut funktioniert.
In den letzten drei Jahrzehnten hat sich unsere Gesellschaft aber stark verändert. Wäre es nicht an der Zeit, dieses Reglement zu überarbeiten?
Mit dieser Frage müsste man sich zu einem späteren Zeitpunkt beschäftigen. Was ich aber an dieser Stelle betonen möchte: Die Gleichstellung von Frau und Mann haben wir nicht dadurch erreicht, dass wir angefangen haben, anders zu sprechen und zu schreiben. Wir haben das nur mit der Änderung der Verfassung und von Gesetzen erreicht. Die angestrebte sprachliche Inklusion ist ein Trugschluss. Man müsste jede einzelne Person der Sprachgemeinschaft befragen, ob ihr diese oder jene Form zusagt – das ist schlicht unmöglich.
Verschiedene Untersuchungen zeichnen ein anderes Bild. Etliche Studien zeigen zum einen, dass sich Frauen durch das generische Maskulinum nicht repräsentiert fühlen und zum anderen, dass die geschlechtergerechte Sprache nicht zu Verständnisschwierigkeiten führt.
Das sind aber keine sprachwissenschaftlichen Untersuchungen, sondern Umfragen. Das ist nicht dasselbe.
«Das Generikum ist die einfachste Form, die niemanden ausschliesst.»
Susanne Brunner
Warum nicht? Zumal es durchaus Sprachwissenschaftler:innen gibt, die im Gendern Vorteile sehen.
Sprache gehört nicht der Wissenschaft allein. Mit der Initiative «Tschüss Genderstern!» hat die Stadtbevölkerung die Möglichkeit, als erste und einzige im deutschen Sprachraum an der Urne zur Gendersprache Stellung zu nehmen. Dies ist ein demokratischer Meilenstein.
Fühlen Sie sich persönlich angesprochen, wenn in behördlichen Texten von «Fussgängern» oder «Autofahrern» die Rede ist?
Natürlich! Ich sehe das nicht so eng, deshalb plädiere ich auch für einen entspannteren Umgang damit. Ich selbst verwende manchmal die Doppelform «Anwohnerinnen und Anwohner», dann wieder das generische Maskulinum «Bewohner» oder «Touristen». Das finde ich den richtigen Weg. Letztendlich ist das Generikum die einfachste, klarste und eleganteste Form, die niemanden ausschliesst.
Wenn Sie sich einen entspannteren Umgang mit der Sprache wünschen, könnte man auch argumentieren, dass Sie den Genderstern in Behördentexten akzeptieren sollten. Zumal Ihre Partei, die SVP, nicht dafür bekannt ist, Verbote zu verhängen. Der SVP-Nationalrat Benjamin Fischer wollte gar den Hitlergruss weiterhin erlauben, weil ein Verbot dessen die Meinungsfreiheit einschränke.
Erstens: Unsere Initiative ist keine SVP-Initiative. Wir sind ein überparteiliches Komitee. Und zweitens: Es geht mir darum, dass diese Schreibweise nicht von der Sprachgemeinschaft eingeführt, sondern von einer staatlichen Institution erzwungen wurde. Die Vorlage korrigiert lediglich, was in der Vergangenheit falsch gelaufen ist.
Und wenn die Stimmbevölkerung am 24. November Ihre Vorlage ablehnt?
Dann muss ich akzeptieren, dass die Stadt Zürich in behördlichen Texten eine Kunstsprache verwendet.
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