Trottoirs alleine machen noch keine glücklichen Fussgänger:innen

Egal, ob Autofahrer:in oder Velofan: Wir alle gehen zwangsläufig zu Fuss. Städte wie Zürich sind für Fussgänger:innen aber nur wenig attraktiv – und das hat nicht nur mit zu wenig breiten Gehwegen zu tun, weiss unser Kolumnist Thomas Hug.

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Vielfältige Fassaden, nicht zu hohe Gebäude: Barcelona ist ein Musterbeispiel für eine fussläufige Stadt. (Bild: Brigitte Werner, Pixabay)

Wo kämen wir bloss hin, ohne zu gehen! Zu Fuss oder mit einer Mobilitätshilfe unterwegs zu sein, ist die Basis der Mobilität. Sogar Autofahrer:innen sind hin und wieder zu Fuss unterwegs – sei es auch nur auf der Treppe von der Tiefgarage nach oben. Kein Wunder also: Der Fussverkehr legt den Grundstein für alles. Oder wie es die New York Times kürzlich nannte: Das am schlechtesten gehütete Geheimnis.

Denn obwohl das Spazieren omnipräsent ist, wird es ständig unterschätzt. Als Verkehrsmittel werden die eigenen Füsse in der breiten Bevölkerung selten bezeichnet, obwohl die meisten von uns täglich darauf herumtrampeln. Immer wieder begegnen einem im Alltag Verkehrsstrategien und Umfragen, die das Gehen schlicht vergessen. Oder mutwillig aussen vor lassen. Denn so selbstverständlich das Fortbewegen zu Fuss ist und so sehr wir es bereits als Kleinkinder lernen: Eine Stadt «begehbar» zu machen ist schwierig. Ein Jahrhundertprojekt ohne Untertreibung.

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Fast die Hälfte aller Wege, im Fachjargon «Etappen» genannt, werden zu Fuss zurückgelegt. (Grafik: Thomas Hug)

Viele Städte versuchen sich darin. In Zürich ernannte die Stadträtin Karin Rykart vor zwei Jahren den Fussverkehr zur wichtigsten Priorität in der «Mobilitätshierarchie» – nicht ohne Erfolg, denn immerhin sind heute neun von zehn Zürcher:innen zufrieden mit der Fussverkehrsinfrastruktur. Zürich ist nicht die einzige Grossstadt, welche die Relevanz des Gehens erkannt hat: Kopenhagen hat sich bereits vor 15 Jahren dem Fussverkehr verschrieben und betont in ihrer Strategie auch dessen Bedeutung für den gesellschaftlichen Austausch. Toronto sieht im Gehen die Chance, dass Menschen ihr Auto vermehrt in der Garage lassen – und die Stadt dadurch grüner und gesünder wird. Gar zur besten Stadt für Fussgänger:innen überhaupt möchte London mit einem «Walking Action Plan» werden.

Doch trotz der hochtrabenden Pläne setzen die wenigsten Städten diese Vorhaben in ihrer vollen Tragweite um. Denn während mit neuen Strassen auch mehr Autos kommen – das wird auch bei der neu eröffneten Gubriströhre nicht anders sein –, mit mehr Velowegen die Velos und mit Zügen die Bahnfans, führen Trottoirs alleine noch nicht zu mehr Fussgänger:innen. Immer wieder zeigt sich: Die Förderung des Fussverkehrs ist eine vielschichtige Herausforderung.

Vor 150 Jahren lag die Welt in der Hand der Fussgänger:innen. Städte waren so gebaut, dass alle Dienste für das tägliche Leben zu Fuss erreichbar waren. Mit dem Aufkommen von Autos hat sich dies verändert: Die Siedlungsstruktur wurde weniger dicht, die Wege immer weiter. Fussläufige Räume wie früher werden heute kaum mehr gebaut. Riesige Neubaugebiete wie in Dübendorf oder im Leutschenbach laden nicht zum Gehen ein – die heutigen Bauvorgaben verhindern fussläufige Quartiere sogar grösstenteils.

Dabei wäre eine Stadt, die zu Fuss begehbar ist, auch eine ästhetische. Dazu gehört die Infrastruktur auf den Strassen selbst, worauf sich viele Städte fokussieren; die Breite des Trottoirs oder die Anzahl Bäume, die Schatten spenden sollen. Die Gebäude spielen dabei aber eine fast genauso wichtige Rolle. Vielfältige Hausfassaden machen das Gehen interessant: Eine Theorie von Architekt Jan Gehl besagt, dass es etwa alle fünf Sekunden einen neuen Reiz benötigt. Fassaden sollten kurzweilig sein und Abwechslung bieten – das Gegenteil von den langen und monotonen Glaswänden, die wir heute oft vorgesetzt bekommen. Auch Gebäudeschluchten, die zwar nicht allzu hoch sind, jedoch immer wieder Nischen und Sitzgelegenheiten bieten, machen das Gehen laut Gehl attraktiver.

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Am liebsten direkt in die Tiefgarage abtauchen: Charakterlose Neubaugebiete mit langen, eintönigen Fassaden ohne gefasste Strassenräume verleiten nicht zum Gehen. (Foto: ADT INNOVA)

Statt um jeden Zentimeter Trottoir zu kämpfen, sollten wir uns also vielmehr auch den Gebäuden widmen. Eine Stadt im hohen Norden macht das bereits: Stockholm ist eine der Städte, die mit einem spezifischen Planwerk bis 2030 zur «Walkable City» werden möchte. Von Neubaugebieten über Energieversorgung und Wohnraumvorsorge deckt diese Strategie alles ab – immer im Fokus: Die fussläufige Stadt.

Ein Vorbild vielleicht auch für uns in der Schweiz? Denn sie zeigt exemplarisch: Attraktiver Fussverkehr braucht mehr als ein Trottoir. Nur Strassen und Häuser zusammen schaffen eine fussläufige Stadt, die lebendig und inklusiv ist.

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