Verkehrswende-Kolumne: Mit einem Tunnel zu mehr Autoverkehr - Tsüri.ch #MirSindTsüri
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Von Thomas Hug

Kolumnist

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3. Mai 2023 um 08:01

Neuer Autotunnel: Röhrenblick am Gubrist

Eine dritte Tunnelröhre am Gubrist soll für weniger Stau sorgen. Dabei zeigte sich in der Vergangenheit: Mehr Kapazität führt zu mehr Autoverkehr. Damit Zürich davon verschont bleibt, müsse die Stadt ihre Verantwortung wahrnehmen, findet unser Kolumnist Thomas Hug.

Mehr Autobahnen führen zu mehr Stau – noch ist kein Licht am Ende des Tunnels sichtbar (Bild: Thomas Hug/midjourney)

Mitte April ist passiert, was eigentlich seit Jahren nicht mehr hätte passieren sollen: Im Norden von Zürich wurde ein neuer Autobahnabschnitt eingeweiht. Der Gubristtunnel – vor rund 40 Jahren mit zwei Röhren eröffnet – hat ein drittes Loch erhalten. Sobald die drei Röhren 2027 dann vollständig dem Verkehr übergeben werden, wird die Kapazität der Nordumfahrung Berechnungen zufolge um 50 Prozent steigen. Wenn schon neue Autobahn, dann immerhin auch ausnutzen: Die Stadt Zürich muss schleunigst Massnahmen anpeilen, um den Autoverkehr in der Stadt vermehrt auf die umfahrende Autobahn zu verlagern.

«Das Autobahnfieber wird sich auch in nächster Zeit kaum brechen lassen.»

Thomas Hug

Seit Jahrzehnten wird an der Nordumfahrung gebuddelt und geteert. Der Stau ist trotz stetig wachsender Kapazität aber nie verschwunden. Kein Wunder: Wo neue Strassen gebaut werden, kommen auch neue Autos. Am Baregg, einem anderen Nadelöhr der Nordumfahrung, wurde bereits 2004 eine dritte Röhre eröffnet. Binnen zwei Jahren nach der Eröffnung erhöhte sich die Anzahl Autos um zehn Prozent, während diese zuvor jahrelang einigermassen konstant geblieben war. Während am Gubrist gerade erst die dritte Röhre eröffnet wurde, ist der Baregg heute bereits wieder am Limit. Erste Stimmen fordern deshalb schon eine vierte Röhre.

Der Bullingerplatz und die Sihlfeldstrasse vor ihrer Befreiung. (Foto: ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv)

Das Autobahnfieber wird sich auch in nächster Zeit kaum brechen lassen – insbesondere mit dem ehemaligen Auto-Lobbyisten und Neu-Bundesrat Albert Rösti an der Spitze des Bundesamtes für Strassen. Für die Stadt Zürich ist es deshalb umso wichtiger, dass sie solche Ausbauten wie jene am Bareggtunnel aktiv antizipiert. Ein gutes Beispiel ist dabei die Westumfahrung und der Üetliberg-Tunnel aus dem Jahr 2009. Mit seiner Eröffnung hat die Stadt Zürich massiv in das Strassengefüge eingegriffen: Einzelne Strassen wurden so umgebaut, dass der Verkehr darauf um bis zu 90 Prozent zurückgegangen ist. Dadurch entstanden viele beliebte Stadtplätze, die noch vor 15 Jahren unvorstellbar waren.

Doch diese Verkehrsberuhigung hatte eine lange Vorgeschichte: So war zuerst noch ein Bundesgerichtsurteil nötig, damit die Eröffnung der Autobahn mit diesen innerstädtischen Massnahmen verknüpft wurde. Und dies war nicht das erste Mal, dass Widerstand gegen die städtische Autokultur aus der Bevölkerung kommen musste. Bereits in den 70er-Jahren widersetzten sich Stadtbewohner:innen erfolgreich gegen eine Autobahn auf der Sihl, die quer durch die Stadt führen sollte – aber das ist eine Geschichte für sich.

Nun wird also wieder eine Autobahn ausgebaut und massiv Kapazität auf dem Strassennetz hinzugefügt. Von den alten Zeiten des Widerstands ist aber wenig zu spüren: Die Stadt gibt sich allzu mutlos, um wieder einen grossen Wurf wie vor 15 Jahren zu wagen. Nur schon eine temporäre Sperrung der Hardbrücke übersteigt heute die Vorstellung des Stadtrats. Die Zeit für flankierende Massnahmen läuft uns davon, doch wäre gerade an der Rosengartenstrasse dringender Handlungsbedarf gegeben. Zudem muss auch eine Umklassierung der vielen Kantonsstrassen in städtischen Gemeindestrassen angegangen werden. Mit den stetig ausgebauten Autobahnen verliert der Kanton die Grundlage für ein solch dichtes Netz an kantonalen Achsen, welche die Stadt durchziehen. 

Noch bleiben zwar vier Jahre, bis die neue Autokapazität am Gubrist voll ausgeschöpft werden kann. Doch hierzu muss ein dringendes Umdenken bei den verantwortlichen Stadt- und Regierungsrät:innen einsetzen. Ansonsten wurde am Gubrist nur Geld in ein weiteres Loch ohne Nutzen gesteckt – und vor den drei Röhren werden sich die Autos in ein paar Jahren wieder kilometerlang stauen. 

Von der Transitachse zur Quartierstrasse: Die umgebaute Weststrasse bietet heute mehr Platz für Bäume und stehende statt fahrende Autos. (GIF: Thomas Hug)

Thomas Hug

Thomas Hug ist Verkehrsplaner und Stadtentwickler bei urbanista.ch und engagiert sich für zukunftsfähige Lebensräume – stets auf der Suche nach dem richtigen Gleichgewicht von Arbeit, Aktivismus und Politik. Als Experte für Verkehrswende und nachhaltige, inklusive Mobilität versucht Thomas eine menschenzentrierte Sicht auf die Mobilität zu fördern. Er ist eher Generalist mit dem Blick auf das Ganze wie Spezialist mit dem Auge fürs Detail.

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