#methoo: Wir müssen aufhören, Sexismus zu legitimieren
Fünf ehemalige Mitarbeiterinnen werfen einem ETH-Professor Sexismus und Machtmissbrauch vor. Wollen wir Frauen in der Forschung halten, müssen wir aufhören, Vorfälle zu bagatellisieren, und Hochschulen müssen ihre Verantwortung über ihren Ruf stellen. Ein Kommentar von Lara Blatter.
Über mehrere Monate hinweg habe ich Gespräche mit Wissenschaftlerinnen geführt. Sie alle waren am selben Lehrstuhl und berichteten von Sexismus, Rassismus und Machtmissbrauch. Das Traurige: Viele Mitarbeiter:innen hätten von den Zuständen gewusst, es gibt Zeug:innen und vereinzelt wurde auch mit Vorgesetzten gesprochen. Alle wussten es, alle schauten weg.
Eine ehemalige ETH-Mitarbeiterin meinte: «Viele an der ETH wissen über seinen Führungsstil Bescheid, aber er ist zu wenig brutal, zu wenig gewalttätig, dass etwas geschieht. Und auch für viele von uns waren die Vorfälle nicht schwer genug, dass wir uns beschwerten.»
Die Erzählungen der Betroffenen reichten von unangebrachten Berührungen zu sexistischen Sprüchen bis hin zu Diffamierungen vor dem gesamten Team beim Mittagessen. Es schmerzt mich, dass auch ich teils unsicher war und mich fragte: Reichen diese Vorwürfe? Sind die Zustände an diesem Lehrstuhl genug schlimm, um als Journalistin darüber zu berichten?
«Gewalt gegenüber Frauen beginnt nicht bei sexualisierten Übergriffen. Sie fängt viel früher an: bei frauenverachtendem Verhalten.»
Diese Bagatellisierung muss aufhören. Denn genau da liegt das Problem begraben. Sprechen wir von Missbrauch am Arbeitsplatz, ploppen Bilder von körperlichen Übergriffen auf, die Gedanken landen nicht selten bei Vorgesetzten und ihren Praktikantinnen. Doch das ist nur die Spitze des Eisbergs. Gewalt gegenüber Frauen beginnt nicht bei sexualisierten Übergriffen. Sie fängt viel früher an, wie die sogenannte «Pyramide der Gewalt» zeigt: bei frauenverachtendem und abwertendem Verhalten. Beispielsweise sexistischen Sprüchen.
Die Wissenschaftlerinnen, mit denen ich gesprochen habe, haben mittlerweile die ETH verlassen, zwei haben gar der Akademia vorübergehend den Rücken gekehrt. Und die vorherrschenden Strukturen sind ein nicht unwichtiger Grund für den Wechsel.
Forschung muss diverser werden
Sexismus und Machtmissbrauch sind ein gesamtgesellschaftliches Problem. Vielleicht sind gewisse Branchen mehr, andere weniger betroffen, aber betroffen sind wir schlussendlich alle. Das Patriarchat macht vor keiner Branche halt.
Faktoren wie steile Hierarchien, starke Abhängigkeiten von Personen in Machtpositionen und männliche Dominanzkultur führen dazu, dass aber die Akademia besonders betroffen ist. Das hält eine kürzlich erschienene Literaturstudie der Universität Basel fest. Auch gebe es ein grosses Manko an Forschung zu übergriffigem Verhalten im Kontext von Universitäten und Hochschulen würden aus Angst um ihren Ruf eher dazu neigen, Vorwürfe zu ignorieren, statt transparent und verantwortungsvoll zu handeln.
Das muss sich ändern. Denn sonst tropft die Leaky Pipeline – so nennt sich der sinkende Frauenanteil in hohen akademischen Positionen – weiter und Frauen verlassen die Wissenschaft.
Gerade für die Forschung ist das fatal. Nicht nur werden Lehrstühle mehrheitlich von Männern geführt, auch werden Studien aus männlicher Sicht gemacht. Der männliche Blick und Körper gelten als die Norm. Männer entscheiden, was wichtig ist und wo Forschungsgelder hinfliessen. Ein Beispiel: Von Endometriose, einer Krankheit, die Menschen mit Gebärmutter betrifft, sind schätzungsweise bis zu zehn Prozent aller Frauen betroffen – geforscht wurde bis heute aber vergleichsweise wenig.
Verlassen Frauen die Forschung, so bleiben solche Lücken weiterhin bestehen. Darum liegt es im Interesse von uns allen, dass Hochschulen, die sich sonst gerne mit Attributen wie Fortschritt und Innovation schmücken, den Kulturwandel hinkriegen. Denn es ist nicht egal, wer unser Wissen schafft.